TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/8 L529 2229479-1

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Veröffentlicht am 08.05.2020
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Entscheidungsdatum

08.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §33

Spruch

L529 2229479-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend auch: „BF“) ist am XXXX in Österreich geboren und ein Staatsangehöriger der Republik Türkei. Der BF lebt seit seiner Geburt in Österreich; am 04.01.2005 wurde dem BF vom Magistrat Wien, MA 35, der Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU erteilt (unbefristetes Niederlassungsrecht).

I.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Burgenland, vom 23.05.2019 wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen gewährt (Spruchpunkt IV.).

Der Bescheid wurde dem BF mittels RSa-Brief in der Justizanstalt XXXX am 27.05.2019 zugestellt.

I.3. Mit Schreiben vom 03.02.2020 (einlangend beim BFA am 04.02.2020) stellte der BF einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte gleichzeitig die Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.05.2019 ein. Im Wesentlichen wurde darin vorgebracht, dass die Frist zur Beschwerdeeinreichung aufgrund eines Missverständnisses zwischen dem BF und seiner rechtlichen Vertretung versäumt wurde. Der BF habe sich am 04.06.2019 zur Rechtsberatung beim VMÖ begeben, dort eine Vollmacht ausgefüllt und nur wenige Tage später die Beschwerdegebühr in der Höhe von EUR 30,00 einbezahlt. Die Rechtsberaterin des VMÖ sei jedoch davon ausgegangen, dass sich der BF später einen privaten Rechtanwalt, XXXX , genommen habe, weshalb sie die Vollmacht für gegenstandlos gehalten habe. Sie berief sich dabei auf ein stattgefundenes Telefonat zwischen ihr und dem BF vom 11.06.2019, in welchem ihr der BF mitgeteilt habe, dass er sich einen privaten Anwalt, XXXX , genommen habe und die Beschwerde durch diesen geschrieben werde. Aus dem diesbezüglichen Aktenvermerk – der Rechtsberaterin – könne man schließen, dass die zuständige Rechtsberaterin auch selbst mit dem Anwalt gesprochen habe und dieser ihr zugesichert habe, die Beschwerde für den Klienten zu schreiben.

Dieses Schreiben vom 03.02.2020 – von wem auch immer verfasst – wurde namens des BF eingebracht und von ihm unterfertigt.

I.4. Mit Bescheid des BFA, RD Burgenland, vom 19.02.2020 wurde der Antrag des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG, abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Bescheid, mit welchem gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, dem BF am 27.05.2019 wirksam zugestellt wurde. Eine Beschwerde sei nicht fristgerecht erfolgt und konnte nicht festgestellt werden, dass die Fristversäumnis auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen sei. Auch mangle es im konkreten Fall an einem nicht zurechenbaren Verschulden bzw. an einem minderen Grad des Versehens.

I.5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die gegenwärtig anhängige Beschwerde des BF, vertreten durch den VMÖ, vom 09.03.2020, in welcher der BF im Wesentlichen vorbrachte, dass der BF wegen einem unvorhergesehenen Ereignis gehindert war, die Beschwerde rechtzeitig einzubringen. Der BF habe dem VMÖ eine Vollmacht zur Beschwerdeerhebung erteilt und sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen, dass die Beschwerde nicht fristgerecht eingebracht werde. Bei dem angeblich stattgefundenen Telefonat müsse es sich um ein Missverständnis handeln, denn dieses habe niemals stattgefunden und habe der BF niemals eine andere Rechtsberatung in Anspruch genommen. Der Bescheid greife in das Privat- und Familienleben des BF ein. Seine Frau und seine Kinder seien finanziell von ihm abhängig.

I.6. Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt langte am 11.03.2020 beim BVwG ein.

Das Vorlageschreiben (OZ 1) bezieht sich ausdrücklich nur auf die Entscheidung des BFA gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG und die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 09.03.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Der BF ist in Österreich geboren, aufgewachsen und hat eine dreijährige Berufsausbildung als Spengler absolviert. Der BF ist verheiratet mit XXXX , geb. XXXX , gemeinsam hat das Paar drei Kinder namens XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX .

II.1.2. Gegen den BF wurde aufgrund der vielfachen Straffälligkeit ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme eingeleitet und mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, RD Burgenland, vom 23.05.2019 eine Rückkehrentscheidung und zugleich ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer wurde über sein Beschwerderecht in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides rechtskonform aufgeklärt.

Dem Beschwerdeführer wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung vom 24.05.2019 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für ein etwaiges Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt (vgl. AS 115).

II.1.3. Dieser Bescheid wurde dem BF am 27.05.2019 persönlich in der Justizanstalt XXXX zugestellt. Eine Beschwerde wurde nicht fristgerecht erhoben, weshalb der Bescheid in Rechtskraft erwuchs. Erst am 04.02.2020 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht und gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 23.05.2019 erhoben.

II.1.4. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der BF am 04.06.2019 zur Rechtberatung beim Verein Menschenrechte Österreich, Geschäftsstelle Wien, begeben habe, er unterzeichnete die Vollmacht und zahlte die Beschwerdegebühr in der Höhe von EUR 30,00 wenige Tage darauf ein. Am 11.06.2019 bekam die zuständige Rechtsberaterin einen Anruf vom BF, dass er sich einen privaten Anwalt, XXXX , genommen habe und die Beschwerde durch diesen geschrieben wird. Aus dem von der Rechtsberaterin angelegten Aktenvermerk geht hervor, dass die Rechtsberaterin des VMÖ auch mit dem Rechtsanwalt selbst gesprochen habe und ihr dieser zugesichert habe, die Beschwerde für den Klienten zu schreiben.

Am 31.01.2020 informierte sich der BF bei der Rechtberaterin des VMÖ über den aktuellen Verfahrensstand und stritt das Telefonat vom 11.06.2019 ab, er habe keinen privaten Anwalt. Eine Rückfrage beim BFA-RD Burgenland habe sodann ergeben, dass keine Beschwerde eingebracht wurde. Die Rechtsberaterin arbeite gewissenhaft und musste sie davon ausgehen, dass die Beschwerde von XXXX eingebracht werden würde. Die Voraussetzungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen vor, da der BF darauf vertraute, dass die Beschwerde durch die zuständige Rechtsberaterin fristgerecht eingebracht werden würde.

Der zuständigen Rechtsberaterin könne kein Verschulden zugesprochen werden, jedoch sei dem Klienten durch die Rückkehrentscheidung ein Nachteil erwachsen, da in sein Privat- und Familienleben immanent von der belangten Behörde eingegriffen werde und durch ein Missverständnis sein Recht auf Beschwerde unverschuldet verloren ging. Dieses Missverständnis sei erst am 31.01.2020 aufgeklärt worden. Es werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, damit der Beschwerdeführer wieder zu seinem Recht komme.

Dieser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 03.02.2020 – von wem auch immer verfasst – wurde namens des BF eingebracht und von ihm unterfertigt.

II.1.5. In der nunmehrigen Beschwerde vom 09.03.2020 gegen den Bescheid des BFA vom 19.02.2020 bringt der BF – vertreten durch den „Verein Menschenrechte Österreich“ – vor, es sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen, dass die Beschwerde nicht eingebracht werde. Das Telefonat am 11.06.2019 werde deshalb abgestritten, da es niemals stattgefunden habe. Der BF habe niemals eine andere Rechtberatung als die beim Verein Menschenrechte Österreich gehabt. Er habe darauf vertraut, dass seine Beschwerde fristgerecht eingebracht werde. Es sei ihm ein Rätsel, weshalb die Rechtsberaterin von einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt ausgegangen sei. Er habe sich rechtzeitig an die Rechtsberatung gewandt und auch eine Vollmacht zur Vertretung erteilt, er habe aus seiner Sicht alles unternommen. Die Fristversäumnis sei auf das fahrlässige Verhalten der Rechtsberaterin des VMÖ zurückzuführen. Das Verhalten könne dem BF nicht angelastet werden.

II.2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt stehen aufgrund der eindeutigen Aktenlage fest.

Der Bescheid vom 23.05.2019 wurde dem BF am 27.05.2019 persönlich in der Justizanstalt XXXX zugestellt; dies ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Zustellnachweis (AS 198).

Die widerstreitenden Angaben im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 03.02.2019 (einlangend beim BFA am 04.02.2019) und in der Beschwerde vom 09.03.2020 werden wie folgt bewertet:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 03.02.2020 (eingelangt beim BFA am 04.02.2020) – von wem auch immer verfasst – wurde namens des BF eingebracht und von ihm unterfertigt. Der erkennende Richter geht daher – wie auch die belangte Behörde – von der Richtigkeit dieser Angaben des BF selbst aus. Die völlig konträre Darstellung in der Beschwerde vom 09.03.2020 – das Telefonat vom 11.06.2019 habe es nie gegeben – ist daher als Schutzbehauptung anzusehen.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

II.3.2. Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

§ 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

„§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.“

II.3.3. Die rechtssystematische Struktur des § 33 VwGVG gleicht (davon abgesehen, dass eine explizite Regelung für das Versäumen der Beschwerdefrist wegen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung fehlt, was freilich nicht ausschließt, dass auch in einem derartigen Fall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung zu gewähren ist) in inhaltlicher Hinsicht im Wesentlichen jener der §§ 71 und 72 AVG (zB VwGH 31.5.2017, Ra 2017/22/0064; 30.5.2017, Ra 2017/10/0113). Daher kann ungeachtet des Umstandes, dass die §§ 71 und 72 AVG gemäß § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finden, insoweit grundsätzlich auf das einschlägige Schrifttum und die überkommene Judikatur der Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechts zu den §§ 71 und 72 AVG verwiesen werden (vgl. Grof in Raschauer/Wessely (Hrsg), VwGVG § 33, RZ 1).

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass eine Frist versäumt wurde. Wurde keine Frist versäumt, ist einem Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Grunde nicht stattzugeben. Eine Frist ist versäumt, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist (VwSlg 3692 A/1955; VwGH 20. 1. 1986, 85/10/0177; 20. 11. 1986, 86/02/0104; Antoniolli/Koja 818; Feil, Wiedereinsetzung Rz 65; Thienel 321; Walter/Mayer Rz 613), dh wenn die geforderte Prozesshandlung vor ihrem Ablauf nicht in der für sie (zwingend) vorgeschriebenen Form (vgl Fink B., Wiedereinsetzung 22) gesetzt wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 71, Rz 22, mwN).

Die Partei muss durch ein unvorhergesehenes oder ein unabwendbares Ereignis an der Vornahme einer Prozesshandlung oder an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehindert sein. Das Ereignis muss dazu führen, dass die Partei dispositionsunfähig wird (Eder/Martschin/Schmid 2, K 5 zu § 33). Das Ereignis muss für das Versäumen kausal sein (Hengstschläger/Leeb, § 71 Rz 36). Es handelt sich um eine Einzelfallbeurteilung (VwGH 8.6.2015, Ra 2015/08/0005) und ist damit idR nicht revisibel (VwGH 22.9.2015, Ra 2015/04/0070), es sei denn, das VwG hätte diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen (VwGH 25.11.2015, Ra 2015/06/0113; 22.3.2016, Ra 2016/02/0049). Der Beweismaßstab ist die Glaubhaftmachung (Eder/Martschin/Schmid 2, K 9 zu § 33), (Götzl, Gruber, Reisner, Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, zu § 33 VwGVG, RZ 9).

II.3.4. Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft.

Im vorliegenden Fall wurde vorgebracht, dass der BF ursprünglich am 04.06.2019 beim VMÖ eine Vollmacht für die Vertretung unterzeichnete. Am 11.06.2019 rief der BF sodann beim VMÖ an, dass er sich nun durch den Anwalt XXXX vertreten lassen wolle, dieser werde auch die Beschwerde verfassen und sprach die zuständige Rechtsberaterin des VMÖ an diesem Tag auch mit XXXX und legte über das Telefonat einen Aktenvermerk an. Eine Beschwerde gegen den Bescheid unterblieb seitens des VMÖ und auch von XXXX wurde keine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 23.05.20219 eingebracht. Diesen Angaben ist zu folgen, wurden sie vom BF in seinem Namen im diesbezüglichen Antrag vorgebracht (AS 293 ff) und wurde der Antrag von ihm eigenhändig unterfertigt.

Das völlig konträre Vorbringen des BF in gegenständlicher Beschwerde - ein Telefonat mit dem VMÖ, in welcher eine neue Parteienvertretung bekannt gegeben wurde, habe am 11.06.2019 nicht stattgefunden - ist dagegen nicht glaubhaft; dabei handelt es sich offenbar um eine Schutzbehauptung des BF.

Der Beschwerdeführer muss sich das Verhalten des VMÖ als Rechtsberater zurechnen lassen, ebenso das Verhalten weiterer allenfalls beauftragter Personen – und selbstredend sein eigenes Verhalten. Ein Verschulden des Vertreters einer Partei ist dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen, wobei der Machtgeber sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen muss. Dabei wird an die Sorgfaltspflichten bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern ein strengerer Maßstab als bei anderen, rechtsunkundigen, Personen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/03/0037) anzulegen sein. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (VwGH 07.06.2000, 99/01/0337).

Der BF hatte im Wiedereinsetzungsantrag angegeben, er habe seiner Rechtsberaterin am 11.06.2019 telefonisch mitgeteilt, einen privaten Anwalt beauftragt zu haben, dieser werde die Beschwerde (gegen den Bescheid vom 23.05.2019) erheben. Damit war aber die zuvor beauftragte Rechtsberaterin ihrer Pflicht zur Beschwerdeerhebung entledigt. Wenn der BF nun seinerseits die telefonisch mitgeteilte Beauftragung eines Anwaltes unterlässt (oder widerruft) so liegt das Verschulden am Versäumen einer Rechtsmitteleingabe bei ihm selbst. Hinzu kommt gegenständlich noch, dass die vormalige Rechtsberaterin sich bei diesem Anwalt noch rückversicherte ob der Beschwerdeverfassung. Eine Überprüfung dieser Angaben war entbehrlich, stammen diese doch vom BF selbst.

Die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei und ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt, wobei sich der Vertretene das Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen muss (VwGH 26.02.2014, 2012/13/0051).

Der Beschwerdeführer bestritt, jemals eine andere rechtliche Vertretung gehabt zu haben; umso unverständlicher wäre es, wenn sich der BF erst am 31.01.2020 beim VMÖ über das Verfahren erkundigt, wenn er, wie er angibt, noch davon ausgeht, dass der VMÖ seine rechtliche Vertretung im Verfahren wahrnimmt. Die langdauernde in der Zwischenzeit verstrichene Zeit (Juni 2019 bis Ende Jänner 2020) belegt dagegen die auffallende Sorglosigkeit des BF. Das Verschulden am Versäumen der Rechtsmittelfrist liegt ausschließlich beim BF selbst und ist dieses gravierend. Dass der BF über ausreichend Erfahrung im Umgang mit Behörden verfügt, ergibt sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten, insbesondere aus dem Auszug aus dem österreichischen Strafregister und den dokumentierten zahlreichen Kontakten mit Gerichts- und Verwaltungsbehörden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes treffen die Folgen eines Versehens des Rechtsanwaltes den Antragsteller. Der Vertretene hat grundsätzlich für die Handlungen und Unterlassungen seines Vertreters einzustehen. Eine vom Vertreter verschuldete Fristversäumnis muss daher dem Vertretenen zum Verschulden angerechnet werden. So bildet die (bloße) Untätigkeit eines Vertreters im Allgemeinen keinen Wiedereinsetzungsgrund, es sei denn, der Machthaber wäre seinerseits durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen, die Frist einzuhalten (vgl. VwGH vom 14.06.2007, 2007/18/0222).

Mängel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihrem Vertreter, welche die Entscheidung, die Berufung zu erheben, beeinflussen konnten, stellen aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. September 1997, Zlen. 97/18/0285, 0286, mwN).

Es wäre am Rechtsvertreter gelegen, nochmals zur Klärung der Frage der Beschwerdeerhebung mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufzunehmen sowie bei Unterlassung oder Fehlschlagen des Kontaktes aber vor Ablauf der Beschwerdefrist vorsorglich die Beschwerde zu erheben. Da dies nicht geschehen ist, hat der Beschwerdeführer – da der Vertretene grundsätzlich für die Handlung und Unterlassung seines anwaltlichen Vertreters einzustehen hat – die Folgen dieser Unterlassung zu tragen (vgl. 28.11.1996, 96/18/0463).

Damit ist weder von einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis auszugehen, noch ist es dem Beschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihn bzw. seiner rechtlichen Vertretung nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 VwGVG lagen demnach nicht vor, weshalb das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung zu Recht abgelehnt hat.

Die Beschwerde war somit hinsichtlich des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abzuweisen.

Mit der Beschwerdevorlage (vgl. Vorlageschreiben OZ 1) wurde ausdrücklich nur auf die Entscheidung des BFA gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG und die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 09.03.2020 Bezug genommen – das BVwG hatte sich daher nur darauf zu beschränken.

II.3.5. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Verfahrensgegenständlich erscheint der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde vom BFA vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und weist dieser immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf. Das Bundesverwaltungsgericht teilt zudem die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung und wurde in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet (vgl. VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017). Es ergab sich sohin kein Hinweis auf die Notwendigkeit, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer zu erörtern.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fristversäumung Rechtzeitigkeit unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Voraussetzungen Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L529.2229479.1.00

Im RIS seit

20.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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