TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/8 L507 2208739-2

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Veröffentlicht am 08.05.2020
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Entscheidungsdatum

08.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33

Spruch

L507 2208739-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrecht Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.09.2018,
Zl. 1078572606-150885005, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß
§ 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 03.10.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde am 30.10.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.

4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.11.2018, Zl. L507 2208739-1/2E, wurde in Erledigung der Beschwerde der Bescheid des BFA vom 19.09.2018, Zl. 1078572606-150885005, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

5. Mit Bescheid des BFA vom 29.05.2019, Zl. 1078572606-150885005, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 12.06.2019 durch Hinterlegung zugestellt.

6. Am 06.08.2019 stellte der Beschwerdeführer im Wege des Vereines Menschenrechte Österreich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 29.05.2019, Zl. 1078572606-150885005. Zum Wiedereinsetzungsantrag wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe erst im Rahmen seines Gespräches mit der Caritas am 01.07.2019 vom Abschluss seines Asylverfahrens Kenntnis erlangt, sei daraufhin zum BFA gegangen und habe dort eine Kopie des Hinterlegungsscheines erhalten. Nach zwei erfolglosen Versuchen den Bescheid beim BFA zu erhalten, sei dem Beschwerdeführer schließlich am 24.07.2019 der Bescheid vom 29.05.2019 ausgefolgt worden. Dass der Beschwerdeführer keine Verständigung über die Hinterlegung bzw. die Rechtsberatungsorganisation keine Verfahrensanordnung erhalten habe, sei daher kausal für das Versäumen der Fist gewesen.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.09.2019, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 06.08.2019 gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen und gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid inklusive Verfahrensanordnung ordnungsgemäß an den Beschwerdeführer zugestellt, jedoch nicht behoben und an das BFA retourniert worden seien. Der Beschwerdeführe sei nachweislich über die Hinterlegung mittels Hinterlegungsanzeige informiert worden und an der Zustelladresse aufrecht gemeldet gewesen. Ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis, weshalb er die Frist nicht einhalten hat können, habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft mach können.

8. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 18.09.2019 persönlich zugestellten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Mieter einer Wohnung allein den Postschlüssel habe und er sich nicht erklären könne, warum er den Hinterlegungsschein nie erhalten habe. Der Beschwerdeführer habe den Bescheid vom 29.05.2019 nach mehreren Urgenzen erst am 24.07.2019 beim BFA erhalten. Am 02.08.2019 habe er die Rechtsberatungsorganisation, den Verein Menschenrechte Österreich, aufgesucht und dort erfahren, dass diese keine Verfahrensanordnung erhalten habe, weshalb auch kein Kontaktbrief an den Beschwerdeführer ergangen sei. Der Beschwerdeführer habe sich aktiv bemüht, den Bescheid zu erhalten, was ihm aus nicht von ihm verschuldeten Gründen verweigert worden sei. Es liege somit ein minderer Grad des Verschuldens vor und habe der Beschwerdeführer die zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist seit 07.04.2017 an der Adresse, XXXX , aufrecht gemeldet.

Am 11.06.2019 erfolgte an dieser Adresse des damals unvertretenen Beschwerdeführers durch die österreichische Post ein Zustellversuch des Bescheides des BFA vom 29.05.2019 samt Verfahrensanordnungen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG.

Da der Beschwerdeführer nicht angetroffen wurde, wurde eine Hinterlegungsanzeige im Briefkasten für die Adresse, XXXX , eingelegt, worauf als Beginn der Abholfrist der 12.06.2019 eingetragen war.

Nach dem Ablauf der Abholfirst mit 01.07.2019 wurde der Bescheides des BFA vom 29.05.2019 von der Post mit dem Vermerk "nicht behoben" dem BFA rückübermittelt und langte dort am 03.07.2019 ein.

Mit Schreiben des BFA vom 05.07.2019 wurde der Beschwerdeführer für den 18.07.2019 zwecks „Akteneinsicht und Bescheidkopie“ vorgeladen.

Am 24.07.2019 wurde dem Beschwerdeführer vom BFA eine Kopie des Bescheides vom 29.05.2019 sowie der Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ausgehändigt.

Der dem Beschwerdeführer amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberatungsorganisation wurde die Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG seitens des BFA nicht übermittelt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie dem hg. Gerichtsakt.

Die aufrechte Meldung des Beschwerdeführers an der Adresse, XXXX , ist dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.

Dass am 11.06.2016 an der Adresse des Beschwerdeführers ein Zustellversuch des Bescheides vom 29.05.2019 samt Verfahrensanordnungen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG erfolgte, der Beschwerdeführer nicht angetroffen und eine Hinterlegungsanzeige (Beginn der Abholfrist 12.06.2019) im Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt wurde, ist dem Schreiben der Post AG vom 14.08.2019 zu entnehmen.

Dass der Bescheid vom 29.05.2019 nach dem Ablauf der Abholfirst mit 01.07.2019 mit dem Vermerk "nicht behoben" dem BFA rückübermittelt wurde und dort am 03.07.2019 einlangte, entspricht dem Vermerk am Rücksendeformular der Post sowie dem Eingangsstempel des BFA auf dem retournierten Kuvert.

Dass der Beschwerdeführer seitens des BFA für 18.07.2019 zwecks „Akteneinsicht und Bescheidkopie“ vorgeladen wurde und ihm Kopien des Bescheides vom 29.05.2019 und der Verfahrensanordnung am 24.07.2019 ausgehändigt wurden, ist der Ladung des BFA vom 05.07.2019 sowie den dahingehend übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers zu entnehmen.

Im Akt befindet sich kein Zustellnachweis darüber, dass der Rechtsberatungsorganisation die Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG seitens des BFA übermittelt wurde, weshalb eine Zustellung seitens des BFA nicht festgestellt werden konnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Der mit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betitelte § 33 VwGVG lautet:

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. etwa VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/008). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (vgl. etwa VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis im Sinne des
§ 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134 u. a.). Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des
§ 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten oder Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (VwGH 14.07.1993, 93/03/0136 u.a.). Leichte Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (VwGH 01.06.2006, 2005/07/0044).

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird, sodass den Antragsteller die Obliegenheit trifft, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/12/0026).

3.2.2. Für den Fall, dass von der Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt wird, steht grundsätzlich das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung. Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis kann nämlich darin liegen, dass die Partei vom Zustellvorgang nicht Kenntnis erlangt hat (VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0441).

Die Unkenntnis von der Zustellung eines Bescheides kann einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, sofern die Unkenntnis nicht auf einem Verschulden beruht, welches den Grad minderen Versehens überschreitet. Wenn ein Beschwerdeführer behauptet, im fraglichen Zeitraum keine Kenntnis von einer Hinterlegungsanzeige erlangt zu haben, wobei er zB vorbringt, dass seine Ehegattin täglich den Briefkasten entleert, so wird damit der Sache nach eine solche Unkenntnis vom Zustellvorgang geltend gemacht. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Beschwerdeführer behauptet, die Hinterlegungsanzeige sei durch dritte Personen entfernt worden. Auf welche Weise eine solche Hinterlegungsanzeige verschwunden ist, wird demjenigen, der von einem Zustellvorgang gar keine Kenntnis erlangte, in der Regel nicht bekannt sein. Das Vorbringen eines Beschwerdeführers, er (bzw. seine Ehegattin) habe während des "gesamten Hinterlegungszeitraumes eine Hinterlegungsanzeige nicht vorgefunden", würde daher – würde man es für erwiesen halten und würde man ferner annehmen, dass die Entleerung des Hausbrieffaches täglich mit der entsprechenden Sorgfalt erfolgt ist – einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen (VwGH 06.05.1997, 97/08/0022).

Zustellungsmängel bilden zwar grundsätzlich keinen Wiedereinsetzungsgrund, weil bei mangelhafter Zustellung die (versäumte) Frist nicht zu laufen beginnt. Soweit aber der Zustellvorgang rechtmäßig erfolgt ist, eine Hinterlegung der Postsendung gemäß § 17 ZustG stattgefunden und der Empfänger dennoch keine Kenntnis vom Zustellvorgang erlangt hat, kann diese Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes – sofern sie nicht auf einem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt – geeignet sein, einen Wiedereinsetzungsgrund zu begründen (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0302).

Aufgrund der oben zitierten Judikatur kann die Unkenntnis über die Zustellung eines Bescheides ein für einen Wiedereinsetzungsantrag relevantes Ereignis darstellen.

Ein von einem Postbediensteten ordnungsgemäß ausgestellter Rückschein über die Zustellung eines Poststückes durch Hinterlegung liefert als öffentliche Urkunde den Beweis über die Rechtswirksamkeit der Zustellung. Es ist Sache des Empfängers, Umstände vorzubringen, die geeignet sind, Gegenteiliges zu beweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen zu lassen (VwGH 20.9.2000, 2000/03/0043; VwGH 24.2.2009, 2008/06/0233, mwN). Ein – wie hier vorliegender – ordnungsgemäßer Zustellnachweis als öffentliche Urkunde lieferte zwar Beweis über die Zustellung, allerdings ist der Gegenbeweis (etwa, dass der in der Urkunde bezeugte Vorgang unrichtig sei; vgl. § 292 Abs. 2 ZPO) möglich (vgl. VwGH 30.3.2017, Fr 2015/07/0001, mwN).

Der Beschwerdeführer führte dahingehen in der Beschwerde lediglich aus, dass er als Mieter der Wohnung alleine den Postschlüssel habe und er sich nicht erklärten könne, warum er die Hinterlegungsanzeige nie erhalten habe. Weitere Erklärungen blieben aus. Es wurde sohin weder ein Gegenbeweis vorgelegt, noch nachvollziehbar erklärt, wie es dazu kommen hat können, dass sich die Hinterlegungsanzeige nicht mehr im Postkasten des Beschwerdeführers befunden habe. Allfällige Unregelmäßigkeiten in der Zustellung im Wohnhaus sind dem Beschwerdeführer offenbar nicht bekannt, zumal er ausführte, dass er sich nicht erklären könne, dass die Hinterlegungsanzeige nicht mehr im Postkasten gewesen sei.

Der Beschwerdeführer konnte sohin die Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes nicht nachweisen und war im Ergebnis von einer rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung am 12.06.2019 auszugehen.

Zu den Ausführungen in der Beschwerde, wonach auch die verabsäumte Übermittlung der Verfahrensanordnung an die dem Beschwerdeführer zugewiesene Rechtsberatungsorganisation für die Versäumung der Frist kausal gewesen sei, ist Folgendes anzumerken:

Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG hat das BFA den Asylwerber mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater zur Seite gestellt wird. Zu dieser Norm hat der Verwaltungsgerichtshof bereits erkannt, dass es sich dabei um eine – nach dem Gesetz in Form einer Verfahrensanordnung zu ergehende – Information und Entscheidung der Behörde handelt, dass dem Fremden ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt werde, was nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit in den Akten der Behörde entsprechend dokumentiert sein muss. Eine darüber hinaus gehende Rechtswirkung sei der Verfahrensanordnung nicht beizumessen (vgl. VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113, VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113).

Demgemäß entfaltet die – aus der Sicht des Beschwerdeführers – zu späte Kenntnis des zugewiesenen Rechtsberaters über die Anordnung der Beistellung als Rechtsberater keine Wirkung in Bezug auf einen (zulässigen) Wiedereinsetzungsgrund.

Der Beschwerdeführer hat somit keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist sind daher nicht erfüllt, sodass gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

3.3. Gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides bringt der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel nichts vor und ist mit der gegenständlichen Sachentscheidung zur Frage einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Grundlage entzogen, sodass auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides mangels Relevanz nicht weiter einzugehen war.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) - folgend: GRC - hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg.cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, Zl. U 466/11 ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Der VwGH hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Projiziert auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus dem Inhalt der Verwaltungsakte die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer zu erörtern.

In der Beschwerde finden sich auch keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung notwendig ist, zumal sich dort keine substantiierten Ausführungen finden, die dies erforderlich machen würden. Es findet sich in der Beschwerde insbesondere kein über das Vorbringen vor dem BFA hinausgehendes Vorbringen.

Das BFA hat sich sohin ausreichend und abschließend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Die Ermittlung des Sachverhaltes durch das BFA war demnach nicht zu beanstanden.

Der maßgebliche Sachverhalt war demnach aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen.

Dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unterbleiben konnte.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Frist Kenntnis Rechtzeitigkeit Voraussetzungen Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag Zustellung Zustellung durch Hinterlegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2208739.2.00

Im RIS seit

20.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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