TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/14 W105 2128970-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2020
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Entscheidungsdatum

14.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W105 2128970-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2017, Zl. 1097202509/151886689, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. gemäß §§ 3 Abs.1 AsylG iVm. § 8 Abs. 1 AsylG und § 57 AsylG sowie § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz sowie § 52 Abs. 9 FPG iVm. § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird wie folgt abgeändert:

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 10 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 27.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers im Beisein eines Dolmetschers, statt. Dort gab der BF an, sein Name sei XXXX , geboren am XXXX in der Provinz Maidan Wardak, XXXX afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Er sei ledig, spreche Paschtu und Farsi. Er habe 11 Jahre die Grundschule in Afghanistan besucht. Von 2013 bis 2015 habe er eine Ausbildung als Apotheker gemacht. Er habe mit seinen Eltern, seinen beiden Brüdern und seiner Schwester zusammengelebt.

Zum Fluchtgrund gab der BF an, dass er nach seiner Ausbildung seine eigene Apotheke aufgemacht habe. Er habe der Regionalpolizei geholfen und ihnen Medikamente besorgt. Sein Vater sei Arzt und sei seit 4 Jahren spurlos verschwunden. Ein Dorfbewohner habe den BF an die Taliban verraten, weswegen diese ihn mit dem Tod bedroht hätten.

3. Der BF wurde am 03.06.2016 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte der BF vor, dass seine bisher getätigten Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Er legte eine Tazkira sowie ein Zertifikat einer Universität für Pharmazie vor. Im Alter von sieben Jahren sei der BF in die Schule gegangen, die er dann zwölf Jahre besucht habe. Mit dem Studium habe er 2013 begonnen; dieses habe 16 Monate gedauert. Danach habe der BF im Distrikt XXXX als Pharmazeut gearbeitet. Er habe Medikamente verkauft, selbst aber keine zusammen gemischt. Die Medikamente seien auf einem Basar verkauft worden. Vor dem Studium habe der BF zwei oder drei Jahre eine Apothekerlehre gemacht. Dies habe er nebenbei, während er die 12. Schulstufe besucht habe, begonnen. In der Heimat würden sich weiterhin seine Mutter, seine beiden Brüder und seine Schwester befinden. Sein Vater sei im Jahr 2010 verstorben. Weiters gebe es noch einen Cousin zweiten Grades väterlicherseits. Tanten und Onkeln habe er keine. Seit seiner Ausreise habe der BF ca. zwei- bis dreimal telefonischen Kontakt zu seiner Mutter. Dabei habe sie ihm berichtet, dass sich die Lage in der Heimat noch mehr verschlechtert habe. In Österreich besuche der BF seit drei Monaten einen Sprachkurs. In seinem Heimatdorf Baba habe der BF bis einen Monat vor seiner Ausreise gelebt, dann sei er für einen Monat nach Kabul gegangen, wo er sich in einem Hotel aufgehalten habe. Am 27.09.2015 habe der BF das Land mit Hilfe eines Schleppers verlassen. Dieses Datum habe sich auch auf der Überweisungsbestätigung für den Schlepper befunden. Auch in Afghanistan werde der gregorianische Kalender verwendet. Zu seinem Fluchtgrund brachte der BF vor, dass er in einer Apotheke im Distrikt XXXX gearbeitet habe. Diese Apotheke habe unterschiedliche Kunden, unter anderem Polizisten aber auch Milizangehörige, sowie Polizisten der Nationalen Polizei und Soldaten der ANA gehabt. Die Taliban hätten davon erfahren und hätten dem BF einen Drohbrief geschickt, mit der Aufforderung, der BF solle sich ihnen anschließen. Ebenso hätten sie gewollt, dass der BF für die Taliban seine Kunden anwerbe. Der BF habe das Schreiben dem Cousin gezeigt. Zwei Monate lang sei dann nichts passiert. Dann habe der BF einen zweiten Drohbrief erhalten, in dem er beschuldigt worden sei, auf der Seite der Amerikaner zu stehen. Sie würden ihn verfolgen und töten. Daraufhin habe sich der BF mit seiner Mutter und dem Cousin beraten, wobei sie entschieden hätten, dass der BF die Heimat verlassen solle. Anfangs sei er nach Kabul geflüchtet, in der Hoffnung, weiterhin in der Heimat bleiben zu können. Ca. 10 bis 15 Tage nach seiner Flucht habe seine Mutter ihn in Begleitung aufgesucht und ihn zur Flucht überredet, da es zu gefährlich sei. Der Cousin habe sich um den Schlepper gekümmert, bezahlt habe ihn der BF (7.000 $). Weitere Probleme habe der BF nicht gehabt. Den ersten Drohbrief sei einem Bruder des BF zuhause übergeben worden. Dies sei im Monat Saratan im Jahr 1394 (22.06. bis 22.07.2015) gewesen. Ob sich auch Taliban unter den Kunden des BF in der Apotheke befunden haben, könne er nicht sagen. Zum Grund warum gerade der BF von den Taliban ausgewählt worden sei, gab der BF an, dass er vermute, dass diese deshalb auf ihn aufmerksam geworden seien, da er eine gute Beziehung zu den Soldaten und Polizisten gehabt habe. Den zweiten Drohbrief habe der BF am Sonbula 1394 (23.08. bis 23.09.2015) auf dieselbe Weise erhalten. Zu seinem Vater befragt gab der BF an, dass dieser Arzt gewesen sei. Nach Maidan Wardak könne er nicht zurückkehren, da sich die Lage dort verschlechtert habe. Auch in Kabul könne er nicht leben, da er dort nichts und niemanden habe.

4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 06.06.2016, Zahl: 1097202509/151886689, der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab, wies den Antrag bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Die vom BF vorgebrachte Furcht vor Verfolgung sei nicht festzustellen. Es liege keine Gefährdungslage in Bezug auf die unmittelbare Heimatprovinz vor. Es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative; der BF könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die Identität des BF mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes nicht feststehe. In Anbetracht der Darstellung des Lebenslaufes komme es zu Unstimmigkeiten und Widersprüchen, weshalb dem BF die persönliche Glaubwürdigkeit abgesprochen worden sei. Anhand der Angaben des BF müsse dieser mindestens eineinhalb Jahre älter sein als angegeben. Auch das vorgelegte Zertifikat könne nicht als Beweis für die Pharmazieausbildung des BF herangezogen werden, da solche Zertifikate leicht käuflich beschafft werden könnten und auch eine Internetrecherche nichts über das ausstellende Institut in Erfahrung bringen konnte. Auch das vorgelegte Foto habe den BF nur in einer Apotheke gezeigt. Der BF habe eine Jacke getragen, die nicht die übliche Arbeitskleidung darstelle, was zusätzlich darauf schließen lasse, dass der BF dort nicht gearbeitet habe. Ein weiteres Indiz für die persönliche Unglaubwürdigkeit sei in den Widersprüchen hinsichtlich des Verbleibens des Vaters zu erkennen. Ebenso sei nicht plausibel nachvollziehbar, woher der BF das exakte Ausreisedatum aus Afghanistan gekannt habe, noch dazu im gregorianischen Kalender.

Zum Verlassen des Herkunftsstaates habe der BF nur vage und unpräzise Aussagen getätigt. Es sei dem BF nicht gelungen, ein nachvollziehbares Fluchtvorbringen darzulegen und sein Vorbringen glaubhaft zu machen. Besonders vage seien die Darstellungen des BF betreffend seines Arbeitsplatzes, der Apotheke, gewesen. Der BF habe nur allgemeine Angaben gemacht. Auch bezüglich der behaupteten Bedrohung habe der BF jegliche Details vermissen lassen, woher die Taliban davon erfahren hätten oder wie der BF die Schreiben erhalten habe oder was ihm drohen würde, wenn er der Aufforderung der Rekrutierung nicht Folge leisten würde. Selbst auf Nachfrage habe der BF nur allgemein gehaltene Antworten ohne tatsächliche Details gegeben. Ebenso vage seien auch die Angaben zum Gespräch mit seiner Mutter nach seiner Ausreise nach Kabul geblieben. Zusammenfassend sei festzustellen, dass es als gänzlich unglaubwürdig erkannt werden müsse, da der BF seine komplette Gefährdungs- und Bedrohungslage vage und nicht substantiiert und zudem auch unplausibel dargestellt habe und es somit auch nicht glaubhaft sei, dass der BF im Falle einer Rückkehr einer wie von ihm angeführten Gefahr ausgesetzt sein könnte. Die Feststellungen in Bezug auf die Gefährdungslage in der Heimatprovinz lasse sich eindeutig aus den Länderinformationen entnehmen.

Rechtlich beurteilend wurde ausgeführt, dass der BF keine Verfolgung seiner Person oder eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung in keinster Weise glaubhaft machen habe können, weshalb der Antrag auf internationalen Schutz aufgrund des Fehlens der Flüchtlingseigenschaft abzuweisen gewesen sei.

Subsidiärer Schutz wurde dem BF ebenso nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan bestehe. Der BF verfüge über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in der Heimat.

5. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF am 07.06.2016 mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit dem am 23.06.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachten Schriftsatz vom 16.06.2016, erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darin wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem BF Asyl gewährt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt III. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufgehoben und die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt werde.

Nach einer kurzen Zusammenfassung des Sachverhalts brachte der BF vor, dass er in seinen Einvernahmen wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban geltend gemacht habe, es die belangte Behörde aber unterlassen habe, ein ausführliches Ermittlungsverfahren, welches den AVG-Prinzipien entspreche, durchzuführen. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien einseitig und unvollständig. Diese würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF beschäftigen und seien daher zur Begründung zur Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz unzureichend. Durch sein Verhalten und seine Stellung als Pharmazeut sei der BF nach Ansicht der Rebellengruppen jedenfalls der Gruppe der Regierungsunterstützer zuzurechnen und somit aufgrund seiner politischen und religiösen Überzeugung mit Verfolgung bedroht. Weiters habe die belangte Behörde das vorgelegte Zertifikat nicht als Beweis für die vom BF absolvierte Pharmazieausbildung herangezogen. Die belangte Behörde habe der Urkunde von vornherein jegliche Beweiskraft abgesprochen, ohne diese vorab von einem Sachverständigen auf ihre Richtigkeit und Echtheit prüfen zu lassen. Sohin werde der Antrag gestellt, das afghanische Zertifikat von einem Sachverständigen auf seine Richtigkeit und Echtheit überprüfen zu lassen. Ebenso habe durch die belangte Behörde eine mangelhafte Beweiswürdigung stattgefunden, indem zur persönlichen Unglaubwürdigkeit begründend festgestellt worden sei, dass der BF anhand seiner Erzählungen mindestens eineinhalb Jahre älter sein müsste als angegeben. Erklärend wurde die Schulausbildung des BF wiedergegeben und zu dieser Altersdiskrepanz Stellung genommen. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht, davon ein Jahr Heimunterricht. In seinem letzten Schuljahr habe der BF begleitend mit einer dreijährigen Apothekerlehre begonnen, die bis 2013 dauerte. Danach habe er 16 Monate einen Studienlehrgang für Pharmazie in Maidan Wardak besucht. Im Anschluss daran habe er in derselben Apotheke, in der er auch schon seine Lehre absolviert hatte, als Pharmazeut und gewinnbeteiligter Eigentümer gearbeitet. Die belangte Behörde habe sowohl den Nachweis über das Pharmaziestudium als auch das vorgelegte Foto, das den BF an seinem Arbeitsplatz in der Apotheke zeigte, keine Beweiskraft zugesprochen. Weiters nahm der BF zum Vorwurf der widersprüchlichen Stellungnahmen zum Verbleib seines Vaters Stellung. Dies sei durch den emotionalen Ausnahmezustand der Flucht zu erklären. Richtig sei, dass der Vater des BF im Jahr 2010 verstorben sei. Als völlig unplausibel habe die belangte Behörde die persönliche Unglaubwürdigkeit des BF mit der Tatsache begründet, dass dieser sein exaktes Ausreisedatum aus Afghanistan kenne. Zudem habe die belangte Behörde den vom BF behaupteten Fluchtgrund als vage und nicht substantiiert und zudem nicht plausibel dargestellt worden sei. Es sei dem BF unverständlich, warum die Behörde seinem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, da er doch sehr genaue Angaben gemacht habe. Der BF brachte vor, dass die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen falsch gewürdigt worden seien und man sich mit seinem Vorbringen umgelegt auf die Länderfeststellungen nicht auseinandergesetzt habe. Hätte die belangte Behörde ein mangelfreies Ermittlungsverfahren geführt, so hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass der BF GFK-relevanter Verfolgung in seinem Heimatland ausgesetzt sei. Dem BF drohe als Sympathisant der afghanischen Regierung, der die Aufforderung der Taliban zur Zusammenarbeit verweigert hat, Verfolgung aufgrund seiner ihm unterstellten politischen Überzeugung und seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe und sei deshalb schon mehrfach konkreten Verfolgungshandlungen von Seiten der Taliban ausgesetzt gewesen. Somit hat der BF Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban verlassen und sei seine Flucht aufgrund der vorherrschenden Verhältnisse in Afghanistan objektiv nachvollziehbar und somit wohlbegründet. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde dem BF nicht den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt habe. Es sei amtskundig, dass die Sicherheitslage in Afghanistan prekär ist und eine Verletzung von Art 2 und 3 EMRK nach sich ziehe. Erneut wurde betont, dass der BF entgegen der von der Behörde getroffenen Feststellungen über keinerlei soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge. Dem BF stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch in Kabul sei die Sicherheitslage prekär. Der BF verfüge dort über keine sozialen Anknüpfungspunkte. Bei richtiger Würdigung der Beweise hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände und des Fehlens eines hinreichenden unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks in Kabul offen stehe. Seit seiner Einreise nach Österreich versuche sich der BF zu integrieren.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2017, W142 2128970-1/4E, wurde der in Beschwerde gezogene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Weiters wurde festgehalten, dass im gegenständlichen Fall eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliege.

Zusammengefasst wurde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts damit begründet, dass im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl angesprochene Dokumente bzw. Unterlagen einerseits im dortigen Einvernahmeprotokoll unerwähnt geblieben seien sowie die angesprochenen Beweismittel nicht Teil des Akteninhaltes wären. Weiters habe keine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Beweismittel einer Urkunde zur Pharmazieausbildung des Beschwerdeführers stattgefunden. Des Weiteren sei das Ermittlungsverfahren was Fragetechnik betrifft mangelhaft geblieben.

8. Der Antragsteller wurde sodann im fortgesetzten Verfahren am 01.06.2017 vor der Behörde erster Instanz niederschriftlich einvernommen. Hierbei bekräftigte er die Existenz familiärer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Weiters wurde der Antragsteller aufgefordert neuerlich möglichst lebensnah seine Gründe zu schildern, deretwegen er sein Heimatland verlassen habe. Hierbei gab der Antragsgeller wörtlich zu Protokoll:

„Ich habe in Afghanistan in einer Apotheke gearbeitet. Ich habe in der zwölften Klasse diese Arbeit nebenbei begonnen. Ich habe mich im Pharmazieinstitut gemeldet. Das hat 16 Monate gedauert. Nachdem ich fertig war, habe ich in der Apotheke als Pharmazeut ein Jahr lang gearbeitet. Ich hatte dort Kontakt zu den Behörden, wie Polizei, Arbaki und Soldaten. Die Taliban haben das erfahren und ich wurde von denen bedroht. Ich habe Drohbriefe erhalten. Zwei Drohbriefe. Beim ersten Brief ging es darum, dass ich mich von den Behörden fernhalten solle und mich ihnen anschließen soll. Ich habe diesen Brief nicht ernst genommen. Nach zwei Monaten wurde ein weiterer Brief an mich gerichtet. Da ging es darum, dass sie mich töten werden, weil ich nicht auf sie gehört habe. Aus diesem Grund habe ich meine Heimat verlassen.“

Eine stattgefundene höchstpersönliche Bedrohung seiner Person verneinte der Antragsteller. Die Frage nach seinen genauen Aufgaben in der Apotheke beantwortete der Antragsteller damit, dass er dort ein Jahr offiziell gearbeitet habe und zwei Jahre davor als Lehrling und habe er in dem offiziellen Jahr Medikamente verkauft. Auf weitere Nachfrage gab der Antragsteller an, er habe die Medikamente am Markt gekauft und hergebracht. Als Lehrling habe er das gemacht, was man so als Lehrling mache, habe er Medikamente eingeordnet und diese herausgesucht. Als hauptsächlich verkaufte Medikamente gab der Antragsteller Paracetamol und Diclofenac sowie Antibiotika zu Protokoll. Befragt nach der Eigenschaft und Örtlichkeit seiner Ausbildungsstätte zum Pharmazeuten gab der Antragsteller einerseits eine Adresse in Kabul zu Protokoll sowie andererseits führte er aus, dass es sich hierbei um ein kleineres Institut, drei bis vier Stockwerke groß gehandelt habe und sei es eine Universität gewesen. Auf Vorhalt, warum diese Universität nicht in Google eingetragen sei, führte der Antragsteller aus, es sei ein „kleines Institut“. Auf weitere Nachfrage nach Lehrinhalten gab der Antragsteller an, er habe Medikamentennamen und Wirkstoffe sowie wofür diese eingesetzt würden gelernt. Die weitere Nachfrage, ob dort auch Chemie gelehrt worden sei, verneinte der Antragsteller. Zu den übermittelten Drohbriefen der Taliban befragt, gab der Antragsteller zu Protokoll, dass es im ersten Brief darum gegangen sei, dass er sich von den Arbaki fernhalten solle und solle er in das Büro (gemeint: der Taliban?!) kommen. Es seien auch noch andere Sachen daringestanden, aber er könne sich daran nicht mehr erinnern. In weiterer Folge gab der Antragsteller an, dass er einen ersten Brief überhaupt nicht erhalten habe und den zweiten in Rede stehenden auch nicht ernst genommen hätte. Den Inhalt des zweiten erhaltenen Drohbriefes stellte der Antragsteller so dar, dass er die Forderungen nicht ernst genommen habe und sei er bezichtigt worden, wie die Juden und Amerikaner zu sein und würden sie ihn deshalb nicht in Ruhe lassen, egal wohin er gehe und würden ihn töten. Er habe es dann seiner Mutter mitgeteilt und habe sie so große Angst bekommen und habe sie gesagt, er solle am nächsten Tag nach Kabul reisen und sei er auch nach Kabul gereist. Dann habe er sich ungefähr einen Monat lang in Kabul aufgehalten und sei dann ausgereist. Nach 15 Tagen sei seine Mutter mit dem Cousin gekommen und habe ihm mitgeteilt, dass er an seinem Heimatort nicht mehr leben könne, dies wegen der Drohbriefe und würden die Taliban, wenn sie jemanden verfolgen würden keine Gnade kennen. Während der Zeit in Kabul habe es keinerlei Vorfälle gegeben. Vorhalt, warum er sich so sicher sei, dass die Taliban keine Kosten und Mühen scheuen würden ihn als eher „kleine“ Person überhaupt zu suchen gab der Antragsteller an, dass es stimme, dass er keine wichtige Person sei und würden sie den jungen Menschen versuchen Vorteile zu bekommen und sie zu benutzen. Von Maidan seien viele nach Kabul gezogen und hätten die Taliban sie dann getötet. Für den Fall der Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Im Rahmen des Verfahrens legte der Antragsteller eine sogenannte Tazkira vor sowie weiters als Certificate bezeichnetes Schriftstück, darunter ein Foto, welches den Antragsteller zeigt, darunter Kopien zweier Drohbriefe inklusive deutscher Übersetzung, darunter ÖSD-Zertifikat A1, darunter zwei Referenzschreiben, darunter Kursbestätigung Basismodul des BFI vom 17.05.2017, darunter Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit vom 24.05.2017.

9. Mit Bescheid vom 08.06.2017, Zahl: 1097202509/151886689, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 27.11.2015 gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen, der Antrag bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Im nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid unter anderen umfangreiche Feststellungen zu sogenannten „Nightletters“ der Taliban sowie eine bestehende hohe Fälschungswahrscheinlichkeit festgehalten. Im Weiteren wurde beweiswürdigend festgehalten, dass die Angaben des Antragstellers sich als nicht glaubhaft darstellen würden. Hinsichtlich der mangelnden Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu der vom Antragsteller ins Treffen geführten Ausbildung an einem universitären Institut wurde festgehalten wie folgt:

„Hinsichtlich Ihrer Ausbildung in dem behaupteten Institut ist festzustellen, dass Sie weder eindeutig dieses Institut auf Goggle Maps zuordnen konnten und andererseits, bis auf eine fast beitragsfreie Facebook-Seite, keinerlei Hinweise im Internet auf dieses Institut zu finden ist. Auf diesen Umstand angesprochen, haben Sie nicht schlüssig erklärt, es wäre ein kleines Institut, obwohl Sie zuvor ausgeführt haben, es wäre 3-4 Stockwerke groß. Es ist für die Behörde nicht plausibel nachvollziehbar, weshalb einerseits nichts über dieses Institut im Internet zu recherchieren war und andererseits Sie auch nicht in kurzer Zeit das Institut auf der Karte zuordnen konnten, wenn Sie doch 16 Monate dort Ihre Ausbildung genossen haben wollen. Weiters ist es nicht plausibel, dass Sie nicht genau schildern können, welche Themen Sie in 16 Monaten gelehrt bekommen haben. Hier schildern Sie lediglich vage, Sie hätten Pharmazie gelehrt bekommen und auch auf behördliche Nachfrage konnten Sie dies nicht näher erläutern. Sie haben auch erneut nicht detailliert Ihre Arbeitsstätte beschreiben können. So fehlten nach wie vor Angaben bezüglich der Angestelltenanzahl, wer war der Chef der Apotheke oder ähnliches, was eine Person welche tatsächlich über drei Jahre in einer Apotheke gearbeitet hätte, von sich aus selbständig vorbringen würde.

Wie auch schon im Erstbescheid die Authentizität des vorgelegten Zertifikats berechtigter Weise angezweifelt wurde, so ist auch auf erneute Sichtung des Zertifikats der Umstand zu Tage getreten, dass ein Stempel auf diesem Zertifikat, einen Schriftzug mit Schreibfehlern aufweist. So ist in dem Stempel ganz links eindeutig „Coinplex“ statt „Complex“ zu lesen und die Stempel haben auch nicht die gleiche Form (rund und oval). Selbst als Ihnen die Möglichkeit eingeräumt wurde diesen Umstand zu erklären, haben Sie lediglich ausweichend geantwortet und gemeint Sie wissen nicht mehr über dieses Zertifikat. Deshalb erkennt die Behörde erneut das es sich bei diesem vorgelegten Zertifikat um ein nicht authentisches Dokument handeln muss (siehe EV vom 01.06.2017 Seite 4 – 6).

Es zeigt sich somit erneut eindeutig, dass sich die Behörde bei ihrer Feststellung Ihrer persönliche Unglaubwürdigkeit bestätigt sieht, da in Verbindung mit der im ersten Bescheid gewürdigten Unglaubwürdigkeit, noch weitere Indizien dieser aufgetreten sind. Es kann die Behörde daher nur die Feststellung treffen, dass Sie persönlich komplett unglaubwürdig sind, andernfalls all diese Ungereimtheiten und Widersprüche sowie vage Angaben nicht aufgetreten wären.“

Im Weiteren führte die Behörde erster Instanz beweiswürdigend aus, dass der Antragsteller generell auch im Rahmen der freien Schilderung seiner Fluchtgründe unter anderem betreffend die Erhaltung der Drohbriefe und weiterer Teilsachverhaltskreise nur im Stande war vage Ausführungen zu treffen. Im weiteren wurde auf erfolgte Widersprüchlichkeiten hingewiesen. Unter anderem, dass der Antragsteller im Rahmen der Erstbefragung angegeben hätte, er habe eine eigene Apotheke betrieben, habe dies im Rahmen der Einvernahme widersprüchlich dargestellt, nämlich der Gestalt, dass er in der Apotheke lediglich als Verkäufer gearbeitet habe. Des Weiteren wurde ausgeführt wie folgt:

„Im speziellen waren Ihre Darstellungen vage, als Sie aufgefordert wurden die Apotheke zu beschreiben, in welcher Sie behaupteter Weise gearbeitet zu haben. So schilderten Sie ein Geschäft in einer allgemeinen Form, ohne auch nur irgendwelche Details, wie z.B. Anzahl der Beschäftigten, hervorzuheben, welche von jemanden der ein Jahr dort gearbeitet haben soll unweigerlich dargestellt würden, es sei denn, er hat überhaupt nicht in einem solchen Geschäft gearbeitet. Weiters wurde auch von Ihnen in der Erstbefragung angegeben, Sie hätten eine eigene Apotheke betrieben und im Rahmen der EV gaben Sie widersprüchlich an, Sie hätten nur in einer Apotheke als Verkäufer gearbeitet. Diese vagen und widersprüchlichen Ausführungen Ihrerseits, in Verbindung mit der Beweiswürdigung zu Ihrer Person hinsichtlich der Arbeitstätigkeit als Apotheker, bestätigen die Erkenntnis seitens des BFA, dass Sie gar nicht in einer Apotheke gearbeitet haben, wie Sie versuchen vorzugeben. Somit ist bereits die Basis Ihres Vorbringens als Unglaubwürdig zu beurteilen, was alles weitere bereits von vornherein als Konstrukt entlarvt.

Wird dennoch der Rest Ihres Vorbringens genauer geprüft, so treten auch hier vage, widersprüchliche und nicht plausible Angaben zu Tage.

Bezüglich der behaupteten Bedrohung durch die Taliban haben Sie in Ihrer freien Erzählung geschildert, dass die Taliban davon erfahren hätten, dass Polizisten und Soldaten zu Ihren Kunden gehört haben sollen, und die Taliban Ihnen deshalb ein Aufforderungsschreiben zukommen ließen, Sie sollen für die Taliban werben. Sie ließen aber jegliches Detail darüber vermissen, woher die Taliban davon erfahren hätten oder wie Sie das Schreiben erhalten haben sollen, geschweige denn, was Ihnen drohen würde, wenn Sie der Aufforderung der Rekrutierung nicht nachkommen. Selbst auf Nachfrage wie Sie das erste Schreiben erhalten haben sollen, gaben Sie nur allgemein und ohne tatsächliche Details, eine Übergabe eines Briefes an Ihren Bruder zu Protokoll. So ließen Sie z.B. die Uhrzeit der Übergabe oder Details eines stattgefunden Gesprächs zwischen Ihnen und Ihrem Bruder vermissen, wie es unweigerlich stattgefunden hätte, wenn jemand von seinem Bruder ein Schreiben der Taliban ausgehändigt bekommen würde.

Sie führten den Monat Saratan des Jahres 1394 (=Juli 2015) als Zeitpunktes des Erhalts an. Zu diesem Zeitpunkt hätten Sie gerade einmal Ihre behauptete Ausbildung beendet und somit noch gar nicht die Kundschaft bedient, welche Sie anwerben sollten, wie auch aus dem abgebildeten Zeitstrahl (siehe oben) ersichtlich ist.

Zudem gaben Sie auch an den zweiten Brief der Taliban auf die gleiche vage Art und Weise erhalten zu haben. Diese vagen und widersprüchlichen Angaben, in Zusammenhang mit der Tatsache, die Drohbriefe nicht auf Authentizität sondern lediglich auf den Inhalt prüfen zu können, wie auch aus den Feststellungen zum Herkunftsstaat Punkt 14 ersichtlich ist, kann hinsichtlich einer tatsächlichen Bedrohung nicht ausgegangen werden, umso mehr Sie beim ersten Schreiben schon keine Konsequenzen bei einer Nichtbefolgung angegeben haben und beim zweiten Brief nur vage von Verfolgung und „nicht am Leben lassen“ sprechen.

Hinzugefügt werden muss, dass beide vorgelegten Briefe, seitens der Behörde nicht als Beweis für eine reelle Bedrohung herangezogen werden, zumal wie bereits angeführt nur der Inhalt geprüft werden kann und die Beschaffung solcher Briefe, wie auch eine eigene Recherche bestätigt sehr einfach zu vollziehen ist (siehe hierzu https://www.yahoo.com/news/afghans-seeking-asylum-buy-fake-taliban-threat-letters-074455627.html?ref=gs).

Vage blieben Sie auch bei der Darstellung des Gesprächs mit Ihrer Mutter, welche nach Kabul nachgereist sein soll. So konnten in Ihrer freien Erzählung nicht den genauen Zeitpunkt der Ankunft nennen und diesen auch auf Nachfrage nicht konkretisieren, wie es eine Person jedoch könnte, wenn diese tatsächlich auf erlebtes zugreifen würde. Ebenso gaben Sie weder in der freien Erzählphase noch auf Nachfrage Details darüber bekannt, wie Ihre Mutter zu der Ansicht käme, dass Sie nicht mehr in der Heimat leben können. Gerade von einem so entscheidenden Gespräch, wo es um die Zukunft Ihrer Person gegangen sein soll, keine Details zu wissen, kann nur daher rühren, wenn die erzählende Person dieses Gespräch gar nicht erlebt hat.

In Zusammenhang mit den nicht schlüssigen Tatsachen die Drohbriefe betreffend, deren Erhalt in der ersten EV protokolliert wurde (siehe EV 03.06.2016 Seite 7), sind bei der neuerlichen EV zusätzliche Widersprüche und nicht plausible Fakten zu Tage getreten.

So ist in der Übersetzung des ersten Drohbriefes eindeutig zu erkennen, dass es sich hierbei um bereits ein zweites Schreiben handelt. Sie haben in den gesamten Einvernahmen aber immer nur lediglich von zwei Drohbriefen gesprochen und haben dies selbst auf Nachfrage bestätigt und konnten diesen Umstand auch nicht schlüssig aufklären, obwohl Sie die Möglichkeit dazu hatten (siehe EV 01.06.2017 Seite 4 und 7). Des Weiteren haben Sie auch den Inhalt der Drohbriefe nicht exakt sondern sogar widersprüchlich wiedergegeben. So haben Sie angeführt im ersten Drohbriefe stehe, dass Sie sich von den Arbaki fernhalten sollen und Sie sich an den Rest nicht erinnern können (siehe EV 01.06.2017 Seite 6). In der schriftlichen Übersetzung ist aber dem widersprechend eindeutig zu lesen, dass Sie die Polizisten anwerben sollen bzw. denen keine Medikamente mehr verkaufen sollen. Zusätzlich ist in diesem Brief in keinster Weise eine Drohung oder eine Konsequenz angedroht, sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen und dies ist für einen behaupteten Drohbrief mehr als ungewöhnlich.

Auch den Inhalt des zweiten Drohbriefs welchen Sie erhalten haben, konnten Sie nicht exakt wiedergeben. So haben Sie die gestellte Frist von zwei Monaten nicht erwähnt und zudem ist in dem Brief erwähnt dass Sie festgenommen werden könnten oder getötet. Sie haben aber immer nur erwähnt, dass Sie getötet werden sollten (siehe EV 01.06.2017 Seite 7).

Es ist für die Behörde nicht glaubhaft, dass eine Person, welche zwei Drohbriefe erhält und deshalb eine wohlbegründete Furcht hätte, sich nicht exakt an den Inhalt dieser Briefe erinnern könnte, wenn diese doch erst die Furcht ausgelöst haben sollen. Es kommt die Behörde vielmehr erneut zu der Erkenntnis, dass es sich hierbei um keine authentischen Drohbriefe handeln kann, die Ihnen zugestellt worden sein sollen, zumal wie bereits im ersten Bescheid ausführlichst dargelegt wurde, diese Drohbriefe sehr leicht beschafft werden können.

Zusammenfassend ist bezüglich Ihres Vorbringens festzustellen, dass es als gänzlich Unglaubwürdig erkannt werden musste, da Sie Ihre komplette Gefährdungs- und Bedrohungslage vage und nicht substantiiert und zudem auch unplausibel, dargestellt haben, und somit ist auch nicht glaubhaft, dass Sie im Falle der Rückkehr einer wie von Ihnen angeführten Gefahr ausgesetzt sein könnten, umso mehr Ihr Vorbringen bereits an der Basis als Unglaubwürdig erkannt worden ist.

Es ist für die Behörde klar erkennbar, dass Sie keiner derart behaupteten Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt waren oder bei einer Rückkehr wären, da Sie selbst angegeben haben, nie direkt persönlich bedroht worden zu sein, und auch Ihre Familie ist in keinster Weise bisher belangt worden, andernfalls Sie dies mit Sicherheit auch erwähnt hätten. Weiters ist es mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die regionale Talibangruppe eine relativ unbedeutende Person (einen Verkäufer in einer Apotheke) bis nach Kabul und das über Jahre hinweg suchen und verfolgen würden. Es ist somit eindeutig feststellbar, dass Ihnen in der innerstaatlichen Fluchtalternative Kabul ausreichende Schutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen würden, selbst wenn Ihr Vorbringen glaubhaft wäre, was es aber festgestellter Weise nicht ist.“

10. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes ausgeführt, dass der Antragsteller nach Absolvierung einer zwölfjährigen Schulbildung das Studium (!) der Pharmazie absolviert und sodann er als Apotheker in der Provinz Maidan Wardak in einem kleinen Dorf gearbeitet habe. Er habe dort viele Kontakte zu Mitgliedern der afghanischen staatlichen Behörden sohin der ANA, verschiedenen Milizen und auch Polizisten gehabt. Aber auch die Taliban hätten massiv rekrutiert unter der dortigen Bevölkerung. Da die örtliche Gemeinschaft sehr klein gewesen sei und die Apotheke des Beschwerdeführers, welche er gemeinsam mit einem Freund betrieben habe, sehr stark frequentiert gewesen sei, sei auch der Beschwerdeführer von den Taliban angeworben worden, um noch mehr Personen für den Dschihad zu gewinnen. Dies sei in Form von zwei Drohbriefen gewesen. Beim ersten habe der Beschwerdeführer noch versucht Ruhe zu bewahren. Als es erneut zu einer Drohung gekommen sei, sei er jedoch nach Kabul geflüchtet. Nach 15 Tagen seien seine Mutter und der Cousin des Vaters ebenfalls nach Kabul gekommen und hätten sie beschlossen, dass es für den Beschwerdeführer nicht mehr sicher sei in Afghanistan zu bleiben. In weiterer Folge wurden mangelnde Länderfeststellungen gerügt und seien die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig. So würden sie zu allgemeine Aussagen über Afghanistan beinhalten, sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbingen des Antragstellers befassen. So würden im konkreten Fall aktuelle Berichte zur Situation von Personen, die eine gegen die Taliban gerichtete Gesinnung aufweisen würden oder ihnen eine ebensolche unterstellt werden würde fehlen. Weiterhin sei keine Berichtslage zur tatsächlichen Schutzfähigkeit und –willigkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden aufgeführt. Zur allgemeinen Sicherheitslage wurde auf den aktuellen Bericht seitens UNHCR zur Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen.

Hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die im genannten Bericht angeführten weiteren Berichte und Entscheidungen berücksichtigt, hätte es zum Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Einklang mit den aktuellen Länderberichten zu Afghanistan stehe. Zum vorgelegten Zertifikat des in Rede stehenden Instituts wurde ausgeführt, dass der Antragsteller das Original diesbezüglich als Beweis seiner Ausbildung vorgelegt habe. Die Tatsache, dass die Behörde erster Instanz jenes Institut nicht über das Internet in Erfahrung habe bringen können, könne dem Antragsteller nicht zum Nachteil angerechnet werden. Es handle sich um ein privates Institut. Im Weiteren habe der Antragseller tatsächlich in der genannten Apotheke in der „normalen“ Kleidung gearbeitet. Es handle sich beim Heimatort des Beschwerdeführers über einen kleinen abgelegenen Ort und seien die Regeln für Arbeitskleidung unter diesen Umständen anders als in Westeuropa zu bewerten. Weiters sei der Vorhalt der Behörde erster Instanz, wonach der Antragsteller nur vage und detailarme Angaben gegeben habe verfehlt. Zusätzlich habe sich der Antragsteller bemüht alle ihm gestellten Fragen umfangreich zu beantworten.

11. Am 05.05.2020 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG durchgeführt. Im Rahmen der Verhandlung wurde versucht, den Wahrheitsgehalt der Angaben zur Ausbildung zum Pharmazeuten, der beruflichen Tätigkeit sowie einen Kenntnisstand zu den erhaltenen Drohbriefen näher zu beleuchten.

Das Rechtsgespräch stellt sich wie nachstehend dar:

Beginn der Befragung

I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: Nein, ich bin gesund.

II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes:

R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Ich habe die Wahrheit angegeben und halte alles aufrecht. Es gibt einige Sachen, die ich zu meinen vorherigen Einvernahmen hinzufügen möchte. Ich hatte damals einige Informationen nicht. Ich habe diese Informationen zu einem späteren Zeitpunkt erhalten und würde ergänzende Aussagen dazu heute machen.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA im Zuge Ihrer Einvernahme mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF: Ja.

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF: Ich lebe in einem privaten Haus mit zwei weiteren Mitbewohnern.

R: Sprechen Sie auch schon ein wenig Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?

BF: Ich verfüge über ein A2 Zertifikat. Ich konnte den B1 Kurs sowie auch die entsprechende Prüfung nicht machen, weil ich es finanziell nicht leisten konnte. Ich habe ca. 3 Jahre freiwillig in einem Sozialmarkt gearbeitet und diese Arbeit bin ich bis zu den Covid Maßnahmen nachgegangen.

BF legt ein A2 Zertifikat vor, wird als Kopie zum Akt genommen.

Vorgelegt wird weiters eine Bestätigung vom 24.02.2020 über freiwillige Mitarbeit in einem Sozialmarkt. Wird als Kopie zum Akt genommen.

R: Habe Sie in Österreich familiäre Bindungen?

BF: Nein.

R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Familienangehörigen aus?

BF: Ich telefoniere ca. 3 bis 4 Mal im Monat mit meiner Mutter und meinem Bruder.

R: Wo halten sich Ihre Familienangehörigen in AFG auf?

BF: Meine Familie lebt derzeit in der Provinz Kabul, im Distrikt XXXX .

R: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft gehabt?

BF: Nein.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF: Dadurch, dass ich keine Arbeitserlaubnis habe, war es mir nicht möglich eine Arbeit nachzugehen. Es gibt aber eine Einstellungszusage und ich könnte sofort zu arbeiten beginnen. Seit ich in Österreich bin, habe ich sehr viele Leute kennengelernt und mich mit ihnen angefreundet.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen. Geben Sie bitte nochmals an, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft Sie angehören? Welche Sprachen sprechen Sie?

BF: Ich spreche Paschtu, Dari und etwas Deutsch. Ich bin sunnitischer Moslem und Paschtune.

R: Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Leben in Afghanistan: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Ich bin in der Provinz Kabul geboren. Ich war ca. 2 oder 3 Jahre. Als wir die Provinz Kabul verlassen haben und in die Provinz Maidan Wardak gezogen sind, wo ich aufgewachsen bin. Mein Vater stammt aus der Provinz Kabul und meine Mutter aus der Provinz Maidan Wardak.

R: Haben Sie die Grundschule in der Provinz Maidan Wardak besucht?

BF: Ja.

R: Sie haben angegeben, eine berufsbildende Schule besucht zu haben. Was können Sie darüber berichten?

BF: Ich habe eine reguläre Schule besucht. Die Grundschule habe ich 4 Jahre lang besucht. Ich habe die Schule mit der zweiten Klasse begonnen und habe die 12. Schulklasse abgeschlossen. Ich habe insgesamt 11 Jahre die Schule besucht.

R: Was haben Sie danach gemacht?

BF: Ich war in der 12. Klasse, als ich begann nebenbei als Lehrling in einer Apotheke zu arbeiten. Nach meinem Schulabschluss habe ich ein weiteres Jahr in dieser Apotheke gearbeitet. Ich schätze, dass ich ca. eineinhalb Jahre als Lehrling in der Apotheke tätig war.

R: Ist es Ihnen möglich jahreszahlenmäßig Ihre Schulbildung anzugeben?

BF: Ich habe von 1379 bis 1390 die Schule besucht (2000 bis 2011). Im Jahr 1391 (2012/2013) habe ich in der Apotheke gearbeitet. Im Jahr 1392 (2013) habe ich mit dem Pharmazieinstitut begonnen, diese Ausbildung hat 16 Monate gedauert und ich habe Mitte 1393 (2014), zwar im Herbst die Ausbildung abgeschlossen.

R: Bei Ihrer Ersteinvernahme, in welcher ebenfalls ein D in Paschtu beigezogen war, haben Sie Ihre Schulbesuchsdaten mit 1998 bis 2009, sowie Ihre weitere Ausbildung in Pharmazie von 2013 bis 2015 angegeben. Wie kann ich diese Abweichungen nun in Einklang bringen?

BF: Ich weiß nicht, wie es zu den Abweichungen gekommen ist. Die von mir heute angegeben Jahreszahl sind richtig. Nachdem ich im Jahr 2014 meine Ausbildung abgeschlossen habe, habe ich wieder begonnen in einer Apotheke zu arbeiten und diese Arbeit bin ich ca. bis Mitte 2015, das heißt ca. ein Jahr nach meiner Ausbildung, nachgegangen.

R: Hat es sich bei diesem Institut um eine Universität gehandelt?

BF: Nein, es war ein privates Institut.

R: Sie haben am 01.06.2017, die zweite Einvernahme vor dem BFA auf die Frage: Was war das Institut genau, geantwortet: „eine Universität“?

BF: Man kann das mit einer kleinen privaten Uni vergleichen. In diesem Institut gab es auch andere Ausbildungszweige.

R: Wenn Sie tatsächlich diese Ausbildung durchlaufen haben und noch dazu in einer Apotheke gearbeitet haben, müssen Sie über umfassende pharmakologische Kenntnisse verfügen: Können Sie bspw. Angeben, welches Antibiotikum als einziges gegen Herpesviren wirksam ist?

BF: Ich kann mich nicht erinnern, welchen Antibiotikum das war. Wir haben immer Salben verkauft.

R: Als Pharmakologe sollten Sie wissen, dass Antibiotika nur Bakterien angreifen und nicht gegen Viren helfen. Was sagen Sie dazu?

BF: Das ist richtig. Wenn sich ein Herpesvirus entzündet, gibt es dann antibiotische Salben, die man verschreiben kann.

R: Wie nennt man die Wirkstoffgruppe(n), die gegen Viren helfen?

BF: Ich weiß es nicht. Ich habe sehr lange nicht.

R: Gegen Viren helfen Virostatiker oder Vaccine.

R: Welche Wirkstoffgruppen verwendet man zur Blutdrucksenkung?

BF: Die Wirkstoffgruppe habe ich vergessen, kann ihnen aber einige Medikamentennamen nennen, die den Blutdruck senken.

R: Blutdrucksende Medikamente heißen weltweit ähnlich. Wissen Sie dazu etwas?

BF: Ein Medikament heißt Captopril, ein weiteres Medikament heißt Meteldopa.

R: Wie könnte man die gesamte Gruppe der blutdrucksenden Medikamente bezeichnen?

BF: Ich habe es leider vergessen.

R: Das sind sogenannte ACE Inhibitoren. Was unterscheidet Alpha von Beta-Blocker?

BF: Meine Ausbildung in AFG hat nur 16 Monate gedauert und ich habe seit mehreren Jahren nicht mehr in diesem Bereich gearbeitet. Ich habe vieles leider vergessen. In AFG sind Personen entweder mit einem Rezept zu uns gekommen oder sie haben Medikamentenpackungen gebracht und wir haben ihnen dann genau diese Medikamente gegeben. Für einfache Erkrankungen wie z.B. Verkühlung oder bei Husten war ich in der Lage den Erkrankten selbst Medikamente zu geben. Manchmal haben Personen in der Apotheke auch Infusionen erhalten.

R: Was versteht man unter Metabolisierung?

BF: Ich weiß es nicht.

R: Das ist die körperliche Verstoffwechselung und ich kläre Sie auf, woher ich meine Weisheiten habe, so habe ich gestern mit einem Pharmareferenten und Magister der Biologie Rücksprache gehalten. Können Sie diese völlige Unkenntnis erklären?

BF: Ich habe das Originalzertifikat hier.

R: Sind Sie wirklich in die Schule gegangen in AFG?

BF: Ja, bin ich. Ich habe fast alles vergessen, dort habe ich aber lang gearbeitet.

R: Welche Fächer haben Sie an dieses Universitätsinstitut belegt?

BF: Einige Unterrichtsfächer waren Chemie, Pharmakologie, Islam, EDV, Englisch und Anatomie.

R: Jetzt ist mir schon klar, dass in Europa oder im Westen anders funktioniert, als in AFG, hier gibt es ein Studium der Pharmazie und eine Ausbildung zum Pharmakologen. Hier in Österreich lernt man bspw., wenn man auch nur den Lehrberuf zur pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenz macht (3 Jahre), etwas über den Umgang mit Chemikalien, Giftstoffen und über Suchtgifte. Haben Sie auch davon etwas gehört?

BF: Das Pharmaziestudium in AFG dauert 5 Jahre und man lernt dort sehr viel über verschiedene Stoffe, sowie auch über Medikamentenherstellung. Ich habe nur 16 Monate, d.h., nur 4 Semester diesen Beruf gelernt. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir auch einige wenigen Infos über die genannten Stoffe erhalten.

R: Sie wurden am 01.06.2017 vor dem BFA unter anderem gefragt, ob dort auch Chemie gelehrt wurde. Sie haben das verneint. Heute haben Sie ja gesagt?

BF: Ich hatte zu viel Stress damals.

R: Warum sind Sie wirklich aus AFG weg. Möchten Sie mir das nicht sagen, das würde es einfacher machen.

BF: Ich habe AFG aufgrund meiner Arbeit in der Apotheke und den Problemen, die dadurch entstanden sind verlassen.

R: Ich komme zu Ihnen und zeige Ihnen gerötete Augen. Welches Medikament würden Sie mir verkaufen?

BF: Ich würde Ihnen Augentropfen geben.

R: Sie lachen ja selbst dabei, nehmen Sie das wirklich ernst?

BF: Ich würde zuerst nachfragen, ob die Augen jucken oder ob Sie Schmerzen haben, seit wann Sie die Beschwerden haben. Ich muss zuerst herausfinden, welches Problem Sie haben, um Ihnen ein entsprechendes Medikament zu geben.

R: Gut, verstehe. Dann nennen Sie mir 5 Medikamentenamen, die Sie mir verschreiben würden.

BF: Chloramphinikol, …..

R: Wie lange haben Sie in dieser Apotheke tatsächlich gearbeitet?

BF: Ich war ungefähr eineinhalb Jahre als Lehrling in einer Apotheke tätig und nach meiner Ausbildung war ich ca. ein Jahr als Pharmazeut tätig.

R: Welche Medikamente wurden in der Apotheke hauptsächlich verkauft?

BF: Folgende Medikamente wurden am meisten verkauft, nämlich Paracetamol, Diclofenac, Amoxicillin, Choamoxiclav und Omprazol.

R: Können Sie dieses Universitätsinstitut etwas näher beschreiben?

BF: In der Stadt Kabul XXXX zwischen den Stadtteilen XXXX und XXXX . Das Institut war nicht sehr groß und es gab dementsprechend nicht sehr viele Studenten.

R: Erzählen Sie etwas über die von Ihnen angesprochenen Briefe, die Sie erhalten haben.

BF: Ich bin eines Abends gegen 20.30 oder 21.00 Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen und mein Bruder hat mir den ersten Brief gegeben. Er hatte diesen Brief von einer unbekannten Person erhalten. Ca. 2 Monate danach hat wieder eine unbekannte Person meinem Bruder einen Brief gegeben und als ich wieder am Abend von der Arbeit nach Hause kam, habe ich diesen zweiten Brief von meinem Bruder erhalten.

R: Haben Sie den ersten Drohbrief selbst erhalten?

BF: Ich habe insgesamt zwei Briefe bekommen, in dem ersten Brief, den ich erhalten habe stand, dass man mir bereits einen Brief geschickt hätte. Ich hatte aber keinen anderen Brief davor erhalten.

R: Was stand in diesem Brief?

BF: Dadurch, dass unsere Apotheke sich im Zentrum der Stadt, d.h. im Bazar befand, hatten wir sehr viele Kunden. Zu uns sind auch Polizisten und Soldaten bekommen. In diesem Brief haben die Taliban mich dazu aufgefordert, mit den Soldaten oder Polizisten zu sprechen und diese zu überzeugen, mit den Taliban zusammen zu arbeiten.

R: Was stand noch drinnen?

BF: Im Brief steht auch, dass wenn es mir nicht gelingt die Polizisten und Soldaten davon zu überzeugen für die Taliban zuarbeiten, soll ich in den Zentrum der Taliban kommen und man würde mir beibringen, wie man Leute zur Mitarbeit anwirbt.

R: Vor dem BFA haben Sie das anders dargestellt… Für den Fall, dass Sie die Polzisten und Soldaten nicht überzeugen könnten, hätten Sie sich bei den Taliban melden sollen und die Taliban hätten andere Aufgaben für Sie. Es ist ganz anders heute.

BF: Ich meinte mit meiner Aussage vorhin auch, dass die Taliban wollten, dass ich mich bei ihnen melde und sie mir andere Aufgaben geben werden.

R: Sie haben jetzt etwas ganz Anderes gesagt. Sie sagten, man würde Ihnen dann beibringen, wie man Leute überzeugt. Das ist ganz was Anderes.

BF: Durch meine Arbeit in der Apotheke hatte ich guten Kundenkontakt zu den Polizisten, Soldaten und Arbaci. Deshalb wollten die Taliban, dass ich mit ihnen zusammenarbeite. Ich kann mich nicht mehr wortwörtlich an den Brief erinnern, deshalb auch nicht wortwörtlich wiedergeben.

R: Hat man allenfalls in den ersten Brief noch etwas Andres von Ihnen gefordert?

BF: Nein.

R: Der Übersetzung des ersten Briefes ist zu entnehmen, die Aufforderung, dass Sie, wenn die Polizisten und Militär sich nicht mit den Taliban gegen die Regierung verbünden würden, Sie diesen Leuten keine Medikamente mehr verkaufen sollten. Das vergisst man doch nicht.

BF: Wie ich zuvor gesagt habe, kann ich mich nicht an jedes Wort in dem Brief erinnern. Es stimmte, dass ich auch aufgefordert wurde, diesen Leuten keine Medikamente zu verkaufen und ich sollte mich an die Taliban wenden.

R: Zu dem zweiten Brief: Können Sie sich hiebei an den genauen Inhalt erinnern?

BF: Der zweite Brief ist wie eine Warnung. Darin steht, dass man mir bereits einen Brief geschickt habe und ich bin der Aufforderung nicht nachgekommen bin. Weiters ist angeführt auf der Seite der Amerikaner und Juden wäre und dass man mich überall verfolgen würde und selbst, wenn ich versuchen würde zu fliehen, hätten die Taliban überall ihre Leute positioniert, die im geheimen für die Taliban arbeiten und mich aufspüren und den Taliban überbringen würde.

R: Das steht aber nicht in dem Brief, das erfinden Sie gerade.

BF: In dem Brief steht, dass die geheimen Mitarbeiter der Taliban mich überall in AFG finden und töten würden. Der Begriff AFG steht nicht in diesem Brief, sondern, soweit ich mich erinnern kann, ist angeführt, wenn ich an jeden Ort flüchte, würde man mich finden und töten.

R: Sie haben heute völlig ausgeblendet, dass man Ihnen eine gewisse Frist gesetzt hat.

BF: Die Taliban haben mir zwei Monate Zeit gegeben, ich habe leider den Brief nicht auswendig gelernt. Ich konnte mich nicht an alle Einzelheiten erinnern.

R: Haben Sie die beiden Briefe auf der Flucht mitgenommen?

BF: Nein. Ich habe diese Briefe per Post erhalten.

R: Gibt es ein Kuvert?

BF: Nein.

R: Ich möchte Sie auch noch auf das mir eben vorgelegte Original des Zertifikates des Instituts verweisen und kann ich der Einschätzung der Erstbehörde nicht entgegentreten, wenn sie vermeint, dass der links untern Stempelabdruck die Bezeichnung Complex, sondern eher Coinplex enthält, was dringend darauf hindeutet, dass dieses Dokument nicht authentisch ist.

R: Wem gehörte die Apotheke?

BF: Es gehörte einem Freund von mir, ich habe zuerst als Lehrling dort gearbeitet und nach meiner Ausbildung habe ich als Pharmazeut gearbeitet.

R: Wie heißt der Freund?

BF: Sein Name lautet XXXX .

R: Wie viele Leute haben dort gearbeitet?

BF: Nur mein Freund und ich.

R: Warum konnten Sie bei der Erstbehörde den Namen und die Anzahl der Mitarbeiter angeben?

BF: Ich habe bei der Erstbehörde angegeben, dass ich in der Apotheke meines Freundes gearbeitet habe. Ich habe den Namen nicht gesagt und glaube auch nicht, dass ich explizit danach gefragt wurde.

R: Unter welchen Begleitumständen haben Sie dieses Zertifikat erhalten?

BF: Nachdem unser Jahrgang abgeschlossen war, wurde vom Institut aus dieses Zertifikat an mich und meine Klassenkollegen ausgehändigt.

R: Sie haben das von den Klassenkollegen erhalten?

BF: Nein, es wurde vom Leiter des Institutes an mich und meinen Kollegen gegeben.

R: Wie hieß der Leiter?

BF: Es gab eine Abschlussfeier und der Leiter des Institutes namens Mirwais hat uns dieses Zertifikat gegeben.

Anmerkung R: Bevor der BF den Namen sagt, blickt er auf das vor ihm in Original liegende Zertifikat.

R: Was würden Sie konkret im Falle einer Rückkehr nach AFG befürchten?

BF: Ich kann mir nicht vorstellen nach AFG zurückzukehren und ein ruhiges Leben zu führen. Ich werde immer Angst haben, dass ich verfolgt werde und wenn man mich findet, wird man mich töten.

R: Können Sie diese Einschätzung begründen?

BF: Ich habe Angst, dass ich die Drohbriefe bewahrheiten und dass man diese Drohung vollzieht.

R: Welche Familienangehörigen leben nun noch in AFG?

BF: in der Provinz Kabul, Distrikt Parghman leben meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Brüder.

R: Wovon lebt Ihre Familie?

BF: In Maidan Wardak besitz meine Familie Obstgärten. Ein Cousin vs. meines Vaters arbeitet dort als Bauer. Dieser Cousin schickt meiner Familie Einnahmen aus diesen Gärten. Ein Bruder arbeitet derzeit als Lehrling in einem Lebensmittelgeschäft.

R: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF: Ich habe eine Schwester und zwei Brüder. Ich möchte auch bekannt geben, dass ich mich vor ca. 4 oder 5 Monaten verlobt habe. Meine Verlobte lebt im London. Die Ehe wurde arrangiert. Der Kontakt ist über Bekannte entstanden und die Fotos wurden ausgetauscht.

R: Gibt es zum Leben Ihrer Mutter, Ihrer Geschwister oder vielleicht auch Ihrer weiteren Verwandten in Maidan Wardak noch etwas wichtiges oder Nennenswertes zu erzählen?

BF: Nein.

R: Ich halte also fest, dass seit Ihre Ausreise bzw. gegenwärtig für Ihre Verwandten keinerlei Zwischenfälle oder Anhaltspunkte dafür gegen, dass die Taliban noch Interesse an Ihrer Person hätten.

BF: Meine Familie hat zuvor in Maidan Wardak gelebt und sie lebt erste seit ca. einem Jahr in der Provinz Kabul. Als die Familie noch in Maidan Wardak war, ist eine fremde Person ein bis zweimal zu meiner Familie gekommen, um zu fragen, wo ich sei. Meine Familie sagte, dass sie nicht weiß, wo ich mich aufhalte.

R: Sehe ich das richtig? Das erzählen Sie das erste Mal.

BF: Ja.

Ich möchte weiters festgehalten, dass Sie auch zu keinem Zeitpunkt Ihrer Aussage darüber berichtet haben, dass die Taliban in irgendeiner Weise an Sie persönlich herantraten oder an Ihre Familie und wäre das doch leicht möglich gewesen, da Sie ja öffentlich in einem Geschäft gearbeitet haben. Auch haben Sie heute zu keinem Zeitpunkt darüber berichtet, dass Sie durch die Schreiben der Taliban in s große ersthafte Furcht versetzt wären. Was sagen Sie dazu?

Glauben Sie nicht selbst, dass Sie selbst bei Wahrunterstellung Ihrer Angaben gänzlich unbedeutend für die Taliban landesweit sind und es gänzlich unwahrscheinlich ist, dass sich irgendjemand nach Ihnen auf die Suche machen würde?

BF: Es ist richtig, dass ich den ersten Brief nicht ernst genommen habe, aber nachdem ich den zweiten Brief am Abend von meinem Bruder erhalten habe, habe ich am darauffolgenden Tag Maidan Wardak verlassen und bin nach Kabul gegangen.

R an RV: Möchten Sie Stellung nehmen?

RV: Ich beantrage die Aufschiebung der Abschiebung nach AFG bis zum 01.01.2021.

R: Die Dolmetsche

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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