TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 L518 2137114-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55

Spruch

L518 2137110-2/4E

L518 2137109-2/4E

L518 2137112-2/4E

L518 2137114-2/4E

L518 2137108-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus Steininger als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , sowie deren Kinder XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , alle StA. Armenien, die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin vertreten durch ihre Eltern, alle vertreten durch Rechtsanwälte Dellasega und Kapferer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden gemäß ihrer Nennung im Spruch auch kurz bezeichnet als: bP1 – bP5) stellten alle persönlich am 14.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, RD Tirol, gegenständliche Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung“ gemäß § 55 Abs 1 AsylG, mit der Begründung, dass sie Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben. Im beigefügten Schriftsatz der rechtlichen Vertretung wird zusätzlich begründend ausgeführt, dass die Geschichte des Aufenthalts der bP bereits im Jahr 2007 beginnt. Die bP stellten bereits am 17.03.2007 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich, welche gemäß der Dublin VO wegen der Zuständigkeit Ungarns zurückgewiesen wurden. Eine Überstellung nach Ungarn sei nie erfolgt, weswegen die bP am 23.08.2011 verzweifelt aus Österreich ausgereist seien. Ihre Fluchtgründe veranlassten sie jedoch neuerlich zur Flucht, weswegen sie am 11.06.2013 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellten. Dieser Antrag sei sodann am 06.03.2017 vom BVwG abgewiesen worden. Die bP seien inzwischen über 9 Jahre lang in Österreich und befürchten sie wieder ausreisen zu müssen. Seit dem negativen Erkenntnis vom 06.03.2017 hätten die Antragsteller weitere, weder vom BFA noch vom BVwG gewürdigte, Integrationsleistungen erzielt. Aufgrund des 9-jährigen Aufenthalts und der vollkommenen Integration sei vom einem schützenswerten Privatleben iSd Art 8 EMRK auszugehen und seien Eingriffe nur sehr eingeschränkt möglich. Die bP hätten ihre Zeit in Österreich genutzt und sich im Dorfleben integriert, dies würden auch die Unterstützungsschreiben bestätigen. Der Drittbeschwerdeführer meistere erfolgreich seine Lehre als Kellner im XXXX . Der zweite Sohn(bP4, XXXX ) spiele Fußball und besuche in Österreich die Schule, genauso wie seine Schwester (bP5, XXXX ). Auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führe zum Ergebnis, dass die Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Rückkehrentscheidung zum Ergebnis komme, dass den bP wohl ein humanitärer Aufenthaltstitel zu gewähren sei. Die mj. Antragsteller verbrachten mehr Zeit in Österreich als in Armenien und sie sprechen auch kein Armenisch, weshalb es bei einer Abschiebung zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohles kommen würde. Die bP1-2 (Eltern) hätten seit Beginn ihres Aufenthalts in Österreich gemeinnützig gearbeitet und sie hätten auch bereits Einstellungszusagen; diese seien jedoch bedingt durch einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel in Österreich. Beantragt werde daher die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels, sowie der Heilungsantrag gem. §4(1) Z2 AsylG-DV, somit den Mangel von Personaldokumenten zuzulassen, um das schützenwerte Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK aufrecht zu erhalten.

Beigelegt waren dem Antrag,

- bedingte Einstellungszusage bP1, Tischlerei „ XXXX “ vom 07.03.2018

- Arbeitsbestätigung über unentgeltliche, freiwillige Unterstützung in der Landwirtschaft des XXXX vom 12.03.2018

- Lehrvertrag, Restaurantfachmann bP3 vom 17.10.2016 (Lehrzeit von 03.10.2016 bis 02.10.2019)

- Jahreszeugnis 2016/2017 bP3, XXXX

- 6 Unterstützungsschreiben (alle März 2018)

I.2. Wie bereits in ihrem Antrag auf „Aufenthaltsberechtigung plus“ erwähnt stellten die bP1-5 erstmals am 17.03.2007 beim vormaligen Bundesasylamt unter Anführung von Alias-Identitäten Anträge auf internationalen Schutz. Da sich mit Erklärung vom 23.3.2007 Ungarn gemäß der Dublin II VO aufgrund einer seitens der bP unter einer Alias-Identität erfolgten Asylantragstellung in Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig erklärte, wurden die Anträge als unzulässig zurückgewiesen (Diese Entscheidung erwuchs mit 19.4.2007 in Rechtskraft.). Am 29.3.2007 stellten die bP in Frankreich Anträge auf internationalen Schutz. Am 26.8.2007 stellten die bP erneut beim vormaligen Bundesasylamt unter einer weiteren Alias-Identität Anträge auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 2.10.2007 wurden diese Anträge als unzulässig zurückgewiesen und Ungarn für zuständig erklärt. Der UBAS gab den dagegen erhobenen Beschwerden statt und in der Folge erging am 3.6.2008 ein neuerlicher Bescheid des Bundesasylamtes durch welchen die Anträge wiederum als unzulässig zurückgewiesen und Ungarn für zuständig erklärt wurde sowie die bP wieder aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen wurden. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 13.10.2008 als unbegründet abgewiesen. Am 2.11.2009 stellten die bP erneut beim vormaligen Bundesasylamt Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheid vom 4.12.2009 wiederum als unzulässig zurückgewiesen wurden und Ungarn wurde wieder für zuständig erklärt und in der Folge die bP aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden der bP wurden mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.3.2010 als unbegründet abgewiesen und erwuchsen in Rechtskraft. Am 23.8.2011 langte die Ausreisebestätigung der bP bei der belangten Behörde ein, aus der hervorgeht, dass die bP am 22.8.2011 freiwillig aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist sind.

I.3. Am 11.6.2013 stellten die bP erneut unter ihren - auch im anhängigen Verfahren verwendeten- Verfahrensidentitäten bei der PI St. Georgen- EAST West Anträge auf internationalen Schutz. Als Ausreisegrund führten die bP zusammengefasst an, dass bP1 aufgrund seiner Tätigkeit als Schafhirte zwischen die Fronten zweier Mafiaorganisationen geraten sei. Die Anträge auf internationalen Schutz wurden sodann mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 15.9.2016 abgewiesen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt, dass deren Abschiebung nach Armenien zulässig ist, die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Das BFA begründete seine abweisenden Entscheidungen damit, dass die Fluchtgründe als gänzlich nicht glaubwürdig angesehen werden mussten. Die gegen diese Entscheidung fristgerecht eingebrachte Beschwerde der bP wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 06.03.2017 in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen und die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seiner Beweiswürdigung den Ausführungen der belangten Behörde an. Die gegen die Entscheidung fristgerecht erhobene außerordentliche Revision wurde in weiterer Folge vom VwGH mit Beschluss vom 10.08.2017 (Ra 2017/20/0126 bis 0130-6) zurückgewiesen, weshalb die Entscheidung des BVwG am 06.03.2017 in Rechtskraft erwuchs und folglich eine Ausreiseverpflichtung der bP vorlag.

I.4. Die bP kamen ihrer Ausreiseverpflichtung in weiterer Folge nicht nach, sondern stellten am 14.03.2018 gegenständliche Anträge.

I.5. Mit Schreiben vom 24.10.2018 forderte das BFA, RD Tirol, die bP auf, innerhalb einer Frist von 4 Wochen Identitätsdokumente im Original vorzulegen, falls dies nicht möglich sei, ein ernstliches Bemühen zur Erlangung von Reisedokumenten nachzuweisen, sowie den Nachweis einer Deutschqualifikation A2. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass bezüglich der Vorlage von Dokumenten gemäß § 4,8 AsylG-DV ein begründeter Antrag auf Heilung gestellt werden könne.

I.6. Mit Eingang vom 27.11.2018 erfolgte die Urkundenvorlage durch die rechtliche Vertretung der bP, RA Dr. Max Kapferer, sowie eine darauf bezogene Stellungnahme. Vorgebracht wurde, dass alle Antragsteller bei der Ausreise aus Armenien ihre Reisepässe den Schleppern übergeben hätten müssen und diese nicht mehr zurückerhalten hätten. Die bP hätten sodann am 20.11.2018 neue Reisepässe bei der armenischen Botschaft in Wien beantragt. Früher sei dies jedoch nicht möglich gewesen, da sie über keine Geburtsurkunde verfügten, die für die Beantragung erforderlich sei. Die Botschaft habe den bP sodann mitgeteilt, dass die bP3 und bP4 ihre Reisepässe erst dann erhalten können, wenn sie ihren Militärdienst in Armenien absolviert haben, oder nach dem 27. Lebensjahr nachdem sie sich vom Militärdienst freigekauft hätten.

In Vorlage gebracht wurde:

-        Bestätigung der armenischen Botschaft vom 20.11.2018, XXXX (AS 1907)

-        Geburtsurkunden der bP1-5 samt einer beglaubigten Übersetzung

-        Heiratsurkunde der bP1 und bP2, Ausstelldatum 29.11.2001, Nr. XXXX , samt einer beglaubigten Übersetzung

-        ÖSD Zertifikat A2 der bP1 ( XXXX , Vater) vom 28.07.2016

-        Aktualisierte Unterstützungsschreiben (AS 1921 ff);

Ergänzend zu den Unterlagen wurde vorgebracht, dass die bP2 ( XXXX ) zwar für den Alltagsgebrauch Deutsch sprechen könne, jedoch sei sie Analphabetin und könne daher die Deutschprüfung A2 nicht bestehen. Die bP3 ( XXXX ) stehe im dritten Lehrjahr und spreche perfekt Deutsch, genauso wie die bP4 ( XXXX ), der die Neue Mittelschule in XXXX abgeschlossen hat und die bP5 ( XXXX ), welche die Neue Mittelschule in XXXX besucht. Auch XXXX verfüge nun über eine Einstellungszusage bei seinem derzeitigen Lehrherrn.

Die bP würden über keine Reisepässe verfügen, habe diese jedoch bereits beantragt und werden diese in Vorlage bringen sobald sie diese erhalten. Aus diesem Grund werde der Antrag auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage der Reisepässe gemäß §§4,8 AsylG-DV gestellt.

I.7. Am 03.12.2018 erfolgte, nach wiederholter erfolgloser Ladung des BFA, RD Tirol, die Abgabe der Formblätter zur Erlangung eines Heimreisezertifikats durch die bP1(Vater) und bP2(Mutter) für die gesamte Familie und wurden die bP in weiterer Folge am 31.01.2019 von der armenischen Behörde identifiziert.

I.8. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom XXXX wurden die Anträge der bP1-5 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt II. und III.). Eine Frist zur Ausreise gemäß § 55 FPG 2005 wurde nicht gewährt und über die bP1-2 gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG, ein auf drei Jahre befristetes, hinsichtlich der mj. bP3-5 ein auf 18 Monate befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV. und V.). Begründend wurde vorgebracht, dass es seit der Erlassung der rechtkräftigen Rückkehrentscheidung keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts bezogen auf das Privat- und Familienleben gegeben habe. Die Verhängung eines Einreiseverbotes sei geboten, da die bP mehrmalig illegal in das Bundesgebiet einreisten und missbräuchlich Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die öffentliche Ordnung sei dadurch beeinträchtigt. Ferner seien die bP ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, weshalb sie sich derzeit illegal in Österreich aufhalten würden.

I.9. Gegen die, der rechtsfreundlichen Vertretung der bP am 15.02.2019 zugestellten, Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die Bescheide der Behörde werden im vollen Umfang angefochten und werden als Beschwerdegründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.

Die Behörde habe ihre Pflicht zur vollständigen Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verletzt. Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß §55 AsylG seien am 14.03.2018 und somit ein Jahr nach rechtkräftiger Rückkehrentscheidung (Rechtkraft der BVwG-Entscheidung am 06.03.2017 mit Zurückweisung der außerordentlichen Revision durch den VwGH) gestellt worden. Nach beinahe einjähriger Untätigkeit der Behörde wurde den bP die Möglichkeit eines Parteiengehörs eingeräumt, welches sie rechtzeitig mit Schriftsatz vom 21.11.2018 unter Anschluss der originalen Geburtsurkunden, Einstellungszusagen, Lehrvertrag, Integrationsunterlagen und Bestätigung der armenischen Botschaft beantworteten. Die bP konnten ihre Geburtsurkunden vorlegen und haben auch ihre Reisepässe beantragt. Die bP3 absolviere eine Lehre im 3. Lehrjahr und spreche perfekt Deutsch, die bP4 ( XXXX ) habe die Neue Mittelschule in XXXX abgeschlossen und habe in Deutsch die Note 3. Die mj. bP5 ( XXXX ) besuche ebenfalls die Neue Mittelschule XXXX und habe zuletzt in Deutsch die Note 2 gehabt. Die Integration der Familie habe sich durch die erfolgreichen Schulbesuche und die Lehre der bP3 seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung wesentlich verstärkt. Die Eltern und auch die bP3 ( XXXX ) verfügen über verbindliche Einstellungszusagen und darüber hinaus über einen breiten Freundeskreis. Die Integration habe sich seit der letzten Entscheidung erheblich und wie durch die Vorlage von Dokumenten nachgewiesen, verbessert.

Die Behörde habe in ihrer Beweiswürdigung die Integration der Familie seit der letzten Entscheidung nicht berücksichtigt und übergeht die Integration der letzten zwei Jahre somit zur Gänze. Die Behörde gehe in ihrer Entscheidung unverständlicherweise davon aus, dass keine Bereitschaft für eine berufliche Fortbildung bestehe und sehe die gemeinnützige Tätigkeit der bP1 als Selbstverständlichkeit an. Auch halte die Behörde die durch die bP3 inzwischen fertig absolvieret Lehre für nicht relevant und wird das Kindeswohl der minderjährigen Kinder bei der Entscheidung erst gar nicht berücksichtigt. Die Unterstützungsschreiben, so sieht es die Behörde, seien lediglich Gefälligkeitsschreiben und hätten daher ebenfalls keine weitere Bedeutung, eine tatsächliche soziale Integration wurde hingegen nicht überprüft. Wären die vorgelegten Unterlagen hinreichend gewürdigt worden, so hätte die Behörde zu, für die bP günstigeren Feststellungen gelangen müssen und zu dem Ergebnis, dass sich die Integration der Familie seit 2017 weiter gebessert hat.

Die Behörde habe darüber hinaus eine inhaltlich rechtswidrige Entscheidung getroffen, indem sie annahm, dass in der Zeit zwischen der letzten rechtswirksamen Entscheidung vom 06.03.2017 und der nun angefochtenen Entscheidung vom XXXX eine nicht relevante Verlängerung der Aufenthaltsdauer vorliege. Richtig sei jedoch, dass rechtlich bereits eine Verfahrensdauer von einem Jahr als relevant angesehen wird und dies bereits zu einer Neubeurteilung hinsichtlich eines Eingriffs in Art. 8 EMRK zur Folge habe. Im vorliegenden Fall könne daher nicht von einem gleichbleibenden Sachverhalt ausgegangen werden. Da die Behörde diesen Umstand jedoch annimmt, habe sie Feststellungen zur Schutzwürdigkeit des Privatlebens unterlassen. Bei richtigen Feststellungen wäre ein Eingriff in das Privatleben vorgelegen und somit auch die Voraussetzungen der Aufenthaltsberechtigung nach §55AsylG.

Das verhängte Einreiseverbot sei seitens der Behörde mit der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit begründet worden, wobei die bP1-2 mehrfach ihre Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit ankündigten und die Aufnahme einer Tätigkeit lediglich von einer Aufenthaltsberechtigung abhängig sei. Auch habe die Behörde nicht berücksichtigt, dass die bP inzwischen ihre Geburtsurkunden vorlegen konnten, anhand derer ihre Identität nachgewiesen werden konnte und sei es daher nicht gerechtfertigt, ein Einreiseverbot mit einer illegalen Einreise aus dem Jahr 2007 zu begründen. Vielmehr haben sich die bP in Österreich immer rechtstreu und wohl verhalten und war ihnen eine Ausreise auch mangels Dokumente bisher nicht möglich. Mit diesem Einreiseverbot wäre den bP eine legale Einreise in den nächsten Jahren verwehrt.

I.10. Die Beschwerdevorlage langte am 26.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In der Vorlage wurde vom BFA folgende behördliche Stellungnahme abgegeben:

Der Vorwurf der mangelhaften Ermittlungen werde entschieden zurückgewiesen. Die Behörde habe alle ihr vorgelegten Beweismittel berücksichtigt und entsprechend gewürdigt. Den bP wurde Parteiengehör eingeräumt und die Möglichkeit der Vorlage weiterer Beweismittel. Die vorgelegten Beweismittel seien sodann auch der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Die bP hätten sich erst nach Aufforderung der Behörde am 24.10.2018 um die Erlangung von Reisedokumenten bemüht, obwohl gegen sie eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestand. Auch haben sich die bP1 und bP2 erst sehr spät um eine Einstellungszusage bemüht und haben die bP fast 5 Jahre von der Grundversorgung gelebt. Hinsichtlich des bP3 ( XXXX ) wurde ausgeführt, dass die Behörde den Umstand, dass sich dieser in einer Lehre befindet ebenfalls hinreichend gewürdigt habe und wurde dies bereits durch das BVwG in seiner Entscheidung vom 06.03.2017 bestätigt. Dasselbe gelte auch für die bP4 ( XXXX ) und bP5 ( XXXX ), auch ihr Schulbesuch wurde bereits in der rechtskräftigen Entscheidung berücksichtigt. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sehe die Behörde nicht in der illegalen Einreise aus dem Jahr 2007, sondern aus dem Jahr 2013 und dem beharrlichen Verbleib im Bundesgebiet nach der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung. Die mehrfach illegale Einreise wurde jedoch bei der Erstellung einer Prognose über ein künftig zu erwartendes Verhalten berücksichtigt.

I.11. Mit Schreiben vom 03.06.2019 wurde dem BVwG vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, RD Tirol, mitgeteilt, dass die Familie XXXX am 27.05.2019 in ihr Heimatland Armenien rückgeführt wurde.

I.12. Eine aktuelle Anfrage vom 11.05.2020 im Zentralen Melderegister hat ergeben, dass sämtliche bP1-5 mit 28.05.2019 an ihrem Hauptwohnsitz in XXXX , XXXX , abgemeldet wurden und seither über keinen Wohnsitz in Österreich verfügen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die bP sind Staatsangehörige von Armenien und Angehörige der jesidischen Volksgruppe. Die bP wurden alle in Armenien geboren und lebten dort bis zur Ausreise gemeinsam in einem Haushalt in XXXX /Jerevan.

Die bP sprechen muttersprachlich jesidisch und P1 und P2 auch armenisch und ein wenig russisch. Sie gehören zur Volksgruppe der Jesiden und sind Sonnenanbeter.

Ihre Identität konnte aufgrund der Vorlage der armenischen Geburtsurkunden und in weiterer Folge der Identifikation der zuständigen armenischen Behörde am 31.01.2019, festgestellt werden.

Die bP1 und bP2 haben am 29.11.2001 in Armenien geheiratet (Heiratsurkunde Nr. XXXX ); bei den bP3, bP4 und bP5 handelt es sich um die Kinder der bP1-2. Zum heutigen Zeitpunkt ist nur noch die bP5 ( XXXX ) minderjährig. Die bP lebten bis zu ihrer Rückführung am 27. Mai 2019 gemeinsam in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX und zum größten Teil von der staatlichen Grundversorgung.

Die bP1 und bP2 stellten zuletzt am 11.6.2013 – nach wiederholter illegaler Einreise in Österreich – für sich und ihre Kinder Anträge auf internationalen Schutz. Zuvor stellten die bP unter mehreren Alias-Identitäten in Österreich am 17.3.2007, sowie in weiterer Folge auch am 26.8.2007 und am 2.11.2009 Asylanträge. Diese wurden allesamt als unzulässig zurückgewiesen und Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens für zuständig erklärt. Weitere erfolglose Asylanträge stellten die bP in Frankreich sowie nach eigenen Angaben auch in der Schweiz.

Die bP1 (Vater) besuchte in Armenien die Grundschule und arbeitete dort als Viehhirte bzw. Landwirt. Die bP2 (Mutter) ist Analphabetin, sie kümmerte sich in Armenien um den Haushalt und half in der Landwirtschaft mit.

Die bP1 und bP2 gingen in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer regelmäßigen Tätigkeit nach. Sie waren jedoch gemeinnützig tätig. Die bP1 arbeitete gemeinnützig bei der Gemeinde XXXX , unter anderem half er bei einem Wanderwegsanierungsprojekt mit, darüber hinaus unterstützte er Herrn XXXX in seiner Landwirtschaft; die bP2 arbeitete gemeinnützig als Hausmeisterin im Flüchtlingsheim XXXX und unterstützte Frau XXXX bei der Instandhaltung ihres Appartementhauses. Außerdem legte die bP1 eine Einstellungszusage bei der Tischlerei XXXX vor, welche durch eine gültige Arbeitsbewilligung bedingt ist.

Die bP3 ( XXXX ) absolvierte seit Oktober 2016 eine Lehre als Restaurantfachmann im Hotel XXXX und schloss die Lehre nach den Angaben der rechtlichen Vertretung in Österreich ab. Gemäß vorgelegtem Lehrvertrag ist die Lehre im Zeitraum von 03.10.2016 bis 02.10.2019 zu absolvieren.

Die bP4 ( XXXX ) absolvierte in Österreich 2018 die Neue Mittelschule in XXXX . und die bP5 besuchte nach Absolvierung der Volksschule in XXXX , ab Herbst 2018 ebenfalls die Neue Mittelschule in XXXX .

Die bP1 konnte im Verfahren ein ÖSD-Zertifikat über die bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2 vorlegen; der bP2 hingegen war der Nachweis nicht möglich, von der rechtlichen Vertretung wurde dies damit begründet, dass die bP2 Analphabetin sei und die Prüfung daher nicht bestehen könne. In einem Verein oder einer Organisation sind die bP nicht Mitglied. Die bP verfügen abgesehen von ihrem engen Familienverband (Eltern-Kinder) über keine weiteren Angehörigen in Österreich, jedoch über einen Freundeskreis.

Die bP1-5 sind gesund und benötigen derzeit keine medizinische Behandlung.

Die bP1-5 sind allesamt strafrechtlich unbescholten.

1.2. Die bP hielten sich seit der rechtswidrigen Einreise in Österreich im Juni 2013 ununterbrochen in Österreich auf und wohnten den überwiegenden Teil in einem Flüchtlingsheim in XXXX in gemeinsamen Haushalt. Seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zur Erlangung des internationalen Schutzes mit Entscheidung des BVwG vom 06.03.2017 und der taggleichen Zustellung, halten sich die bP nicht rechtmäßig in Österreich auf. Sie verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Ihr Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet.

Trotz des über alle Instanzen negativ abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz erhielten die bP Leistungen aus der Grundversorgung bis zu ihrer Ausreise am 27.05.2019. Die bP1,2,4,5 erhielten bis Mai 2019 volle Unterstützungsleistungen aus der Grundversorgung, während dem bP3 ab November 2016 mit Aufnahme des Lehrverhältnisses lediglich die Unterbringung zur Verfügung gestellt wurde.

1.3. Die bP begründeten am 05.09.2013 ihren Wohnsitz in XXXX in XXXX in Tirol. Die Einsicht ins Zentrale Melderegister vom 11.05.2020 hat ergeben, dass die bP mit 28.05.2019 von ihrem Hauptwohnsitz in XXXX abgemeldet wurden.

1.4. Die bP sind alle in Armenien geboren. Die bP1 und bP2 haben den Großteil ihres Lebens in Armenien verbracht, sind im Heimatland sozialisiert worden und sind mit den Gepflogenheiten sowie der Sprache des Landes vertraut.

Die bP1 hat in Armenien die Grundschule besucht und anschließend in der Landwirtschaft gearbeitet. Die bP2 hat den Haushalt betreut.

Die bP sind erstmals im Jahr 2007 in Österreich eingereist. Am 22.8.2011 verließen sie erstmals freiwillig das österreichische Bundesgebiet.

Im Juni 2013 reisten sie erneut nach Österreich ein und stellten einen Asylantrag. Seither leben sie von der Grundversorgung. Auch wenn die gemeinnützige Tätigkeit der bP1 und bP2 für die Gemeinde XXXX nicht unberücksichtigt bleibt, so ist eine Selbsterhaltungsfähigkeit dennoch zu verneinen, da sie zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachgingen. Die bP3 konnte während des Aufenthalts in Österreich von Oktober 2016 bis Mai 2019 eine Lehre absolvieren und die bP4 und bP5 gingen in XXXX bzw. in XXXX zur Schule.

Der Nachweis über die bestandene Deutschprüfung (ÖSD Zertifikat vom 28.07.2016) konnte nur die bP1 (Vater) vorlegen. Die bP2 (Mutter) konnte den Nachweis nicht erbringen. Für die drei Kinder wird der Nachweis der Deutschkenntnisse durch die vorgelegten Schulzeugnisse erbracht. Weitere Dokumente zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung wurden nicht erbracht.

Hinsichtlich der bP1 (Vater) und der bP3( XXXX ) liegt eine Einstellungszusage vor.

Die bP sind strafrechtlich unbescholten. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr nach Armenien einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt wären. Den bP droht im Falle einer Rückkehr nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der bP festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in Armenien.

Die bP sind junge, anpassungs- und arbeitsfähige Menschen mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Sie verfügen dort über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Die bP1 hat bereits vor der Ausreise aus Armenien für den Unterhalt seiner Familie gesorgt. Der bP1 ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Auskommens der Familie in Armenien auch nach der Rückkehr möglich und zumutbar.

1.6. Zur Lage in Armenien werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.3.2020

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch Referendum vom 6.12.2015 weitreichend geändert. Durch die Verfassungsreform wurde das semi-präsidentielle in ein parlamentarisches System umgewandelt. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat nun 105 Mitglieder (zuvor 131) und wird alle fünf Jahre gewählt (AA 7.5.2019a). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister ist der Regierungsvorsitzende, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 11.3.2020).

Oppositionsführer Nikol Pashinyan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Pashinyan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Pashinyan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Pashinyan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (7.5.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/-/203090#content_0, Zugriff 7.5.2019

?        ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 21.3.2019

?        ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/, Zugriff 8.5.2019

?        BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019

?        CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 7.5.2019

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 21.3.2019

?        RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, 21.3.2019

?        RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html, Zugriff 21.3.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government’s economic policy – PM Pashinyan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html, Zugriff 21.3.2019

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 18.3.2020

Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen, der zunehmenden Militarisierung und häufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprächen über eine mögliche Lösung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschüsse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kämpfe seit 1994. (CFR 20.3.2019). Die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach dauern an. Die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ist geschlossen. Im Jahr 2018 fanden mehrere Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie zwischen den gegnerischen Streitkräften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien statt, die zu einer Reihe von Todesfällen und Verlusten führten (FCO 17.3.2020, vgl. EDA 2.3.2020).

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkräften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018). In Folge kam es zu mehreren weiteren Treffen. Der laufende Prozess trug dazu bei, die Häufigkeit der Verletzungen des Waffenstillstandes deutlich zu reduzieren (ACLED 20.2.2020).

Quellen:

?        ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (20.2.2020): Regional Overview: Central Asia and the Caucasus 9-15 February 2020, https://acleddata.com/2020/02/20/regional-overview-central-asia-and-the-caucasus-9-15-february-2020/, Zugriff 18.3.2020

?        CFR - Council on Foreign Relations (20.3.2018): Nagorno-Karabakh Conflict, https://www.cfr.org/interactives/global-conflict-tracker#!/conflict/nagorno-karabakh-conflict, Zugriff 21.3.2019

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (2.3.20207.5.2019): Reisehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/armenien/reisehinweise-armenien.html, Zugriff 18.3.20207.5.2019

?        Eurasianet (1.10.2018): Aliyev and Pashinyan hold first talks, agree on tension-reducing measures, https://eurasianet.org/aliyev-and-pashinyan-hold-first-talks-agree-on-tension-reducing-measures, Zugriff 21.3.2019

?        FCO – U.K. Foreign and Commonwealth Office (17.3.2020): Foreign travel advice Armenia – Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/armenia/safety-and-security, Zugriff 18.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 18.3.2020

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte. Die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Nach bisher vorliegenden Informationen hat sich die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis seit Mitte 2018 verbessert. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wurde bisher durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert. Es gibt Anzeichen, dass allein der Regierungswechsel im Mai 2019 zu weniger Korruption in der Justiz geführt hat. Hinsichtlich des Zugangs zur Justiz gab es bereits Fortschritte, dass die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 7.4.2019). Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 11.3.2020).

Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.2.2019). Allerdings entließen viele Richter nach der "Samtenen Revolution" im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 11.3.2020).

Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperliche Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren. Die Korruption unter Richtern ist weiterhin ein Problem. Die am 10. Oktober 2019 verabschiedete Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und das Justizsystem zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht durch. Ebenso sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der "Moral", der nationalen Sicherheit und des "Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer". Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 11.4.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 18.3.2020

Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 7.4.2019). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 7.4.2019).

Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia, Zugriff 16.1.2020

?        SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): Functions Of Special Investigation Service, http://www.ccc.am/en/1428578692, Zugriff 10.4.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 18.3.2020

Das Gesetz verbietet solche Folter und andere Formen von Misshandlungen. Dennoch gibt es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte Personen in ihrer Haft gefoltert oder anderweitig missbraucht haben. Laut Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, aber die einschlägigen Bestimmungen kriminalisieren keine unmenschliche und erniedrigende Behandlungen (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 7.4.2019). Gemäß Menschenrechtsanwälten führte die Straffreiheit von Folter in der Zeit vor der „Samtenen Revolution“ dazu, dass Folter weiterhin angewandt wird, wenn auch nun in geringerem Ausmaß, und alte Fälle von Folter werden nicht aufgearbeitet (USDOS 11.3.2020).

Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden (USDOS 11.3.2020). In einem Antwortschreiben an das Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 20.12.2018 auf 49 (HCA 1.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        HCA – Helsinki Committee of Armenia (1.2019): Human Rights in Armenia 2018 Report, Ditord Observer #1 (73), http://armhels.com/wp-content/uploads/2019/03/Ditord-2019Engl_Ditord-2019arm-1.pdf, Zugriff 10.4.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

Korruption

Letzte Änderung: 18.3.2020

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat eine Hinterlassenschaft der systemischen Korruption in vielen Bereichen. Nach der „Samtenen Revolution“ im Mai 2018 eröffnete die Regierung eine Untersuchung, die die systematische Korruption in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens aufdeckte und es wurden zahlreiche Strafverfahren gegen mutmaßliche Korruption durch ehemalige Regierungsbeamte und ihre Angehörigen, Parlamentarier und in einigen Fällen auch durch Angehörige der Justiz und ihre Verwandten und einige wenige derzeitige Regierungsbeamte eingeleitet. 2018 machte die Regierung die Korruptionsbekämpfung zu einer ihrer obersten Prioritäten und setzte ihre Maßnahmen zur Beseitigung der Korruption im Laufe des Jahres fort. Obwohl Spitzenbeamte die „Ausrottung der Korruption“ im Land ankündigten, stellten lokale Beobachter fest, dass Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung einer weiteren Institutionalisierung bedürfen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.2.2019).

Ministerpräsident Pashinyan, für dessen Regierung die Korruptionsbekämpfung ein hochrangiges Ziel darstellt, berichtete im Juli 2018, dass innerhalb zweier Monate bereits AMD 20,6 Milliarden (EUR 36,8 Millionen) an Geldern aus Steuerhinterziehungen sichergestellt wurden. Betroffen waren 73 Unternehmen, denen Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Die Summe bezog sich ausschließlich auf die Steuerschuld (Haypress 13.7.2018, vgl. JAMnews 24.7.2018). Während die meisten Beobachter der Meinung sind, dass es reichlich Beweise für Fehlverhalten gibt, warnten einige, dass es eine schmale Linie zwischen soliden Rechtsfällen und politisch motivierten gibt. Die mit der ehemaligen, langjährigen Regierungspartei verbündeten Eliten zeigten erheblichen Widerstand gegen diese Ermittlungen und schienen den Antikorruptionskurs der neuen Regierung zu erschweren (FH 4.2.2019).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International belegte Armenien mit 44 Punkten Rang 77 von 180 untersuchten Ländern (TI 23.1.2020), im Vergleich zum Vorjahr mit 35 Punkten und Rang 105 von 180 Staaten (TI 2018).

Quellen:

?        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 10.4.2019

?        Haypress (13.7.2018): Armenien: Paschinjans Regierung holt 42 Mio. Dollar an Steuerhinterziehung zurück, https://haypressnews.wordpress.com/2018/07/13/armenien-paschinjans-regierung-holt-42-mio-dollar-an-steuerhinterziehung-zurueck/, Zugriff 29.3.2019

?        JAMnews (24.7.2018): Armenia’s fight against corruption: a JAMnews series on the first steps of the new Armenia, https://jam-news.net/armenias-fight-against-corruption-a-jamnews-series-on-the-first-steps-of-new-armenia/, Zugriff 9.11.2018

?        TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/ARM, Zugriff 29.3.2019

?        TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

NGOs und Menschrechtsaktvisten

Letzte Änderung: 8.5.2019

Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz über öffentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kürzlich mit einer Reihe positiver Änderungen verabschiedet, darunter die Möglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitäten durchzuführen; weiters die Möglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Möglichkeit für Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln für den Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie klarer Regelung für die Verwendung privater Daten. Einschränkungen gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf ausländische Geber angewiesen (FH 4.2.2019).

Die Zivilgesellschaft war sehr aktiv bei den Protesten 2018, den anschließenden Konsultationen mit der Regierung in politischen Fragen und bei der Überwachung der Aktivitäten im Zusammenhang mit den Wahlen im Dezember 2018 (FH 4.2.2019).

Quellen:

?        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 29.3.2019

?        OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (16.11.2018): Statement by the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clément Nyaletsossi VOULE, at the conclusion of his visit to the Republic of Armenia, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23882&LangID=E, Zugriff 29.3.2019

Ombudsperson

Letzte Änderung: 18.3.2020

Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen (AA 7.4.2019). Das Büro der Ombudsperson hat das Mandat, die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf allen Regierungsebenen vor Missbrauch zu schützen. Das Büro verbessert seine Reichweite in den Regionen und die Zusammenarbeit mit regionalen Menschenrechtsorganisationen. Im Jahr 2019 startete das Büro eine Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Verfahren zur Meldung häuslicher Gewalt. Das Büro berichtet weiterhin über einen deutlichen Anstieg der Zahl der Bürgerbeschwerden und Besuche, was zu den gestiegenen Erwartungen und dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institution beitrug (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 18.3.2020

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt. Presse und Menschenrechtsorganisationen berichten allerdings nachvollziehbar von Fällen willkürlicher Festnahmen (AA 7.4.2019).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsverletzungen gehören: Folter; willkürliche Inhaftierung, wenn auch mit weniger Berichten; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Gewalt oder die Androhung von Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender oder intersexuelle Personen (LGBTI) und der Einsatz von erzwungener oder obligatorischer Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020, vgl. HRW 14.1.2020). Die Regierung unternimmt Schritte zur Untersuchung und Ahndung von Missbrauch gegen aktuelle und ehemalige Beamte und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019‘): World Report 2019 – Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002243.html, 29.3.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia, Zugriff 16.1.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 8.5.2019

Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96% armenischen Volkszugehörigen und ca. 4% Angehörigen von Minderheiten (vor allem Jesiden, Russen, Kurden und Assyrer, denen nach der neuen Verfassung als den vier größten Minderheitengruppen jeweils ein Parlamentssitz zusteht) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u.a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache. Dennoch wird an einigen armenischen Schulen in Gegenden mit jesidischer Bevölkerung (derzeit in 23 Dörfern) auch Unterricht in Jesidisch erteilt. Angehörige der jesidischen Minderheit berichten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber weder Jesiden noch andere Minderheiten sind Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repressionen (AA 7.4.2019).

Die größte Herausforderung für Minderheiten in Armenien ist ihre schiere Unsichtbarkeit in der Gesellschaft. Alle Minderheitengruppen zusammen machen weniger als 2% der armenischen Bevölkerung aus. Hinzu kommt, dass keine Minderheit in irgendeinem Teil des Landes die Mehrheit ausmacht und stattdessen in ganz Armenien verstreut lebt. Während die jüngsten Verfassungsänderungen dazu geführt haben, dass 2017 vier Minderheitenvertreter in das Parlament gewählt wurden, werden alle Regierungsgeschäfte weiterhin auf Armenisch geführt. Infolgedessen stehen Minderheiten nach wie vor Schwierigkeiten gegenüber, an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr tägliches Leben betreffen, zumindest auf nationaler Ebene. Sie sind weiterhin größtenteils nur auf lokaler Regierungsebene vertreten (MRGI 2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007493/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Febru.pdf, Zugriff 18.3.2020

?        MRGI - Minority Rights Group International (2019): Armenia, https://minorityrights.org/country/armenia/, Zugriff 27.3.2019

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 8.5.2019

Über ein Viertel der armenischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, d.h. es stehen weniger als 75 Euro pro Monat zur Verfügung. Die registrierte Arbeitslosenquote liegt bei 20%. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen ist weder in Ausbildung noch in der Beschäftigung. Die Schattenwirtschaft macht über 30% des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Wirtschaft wird nach wie vor von den sogenannten "Oligarchen" dominiert, Geschäftsleuten, die in bestimmten Wirtschaftszweigen Monopole gegründet und in der Vergangenheit erheblichen Einfluss auf die Politik ausgeübt haben (FriEnt 23.4.2019).

Das Durchschnittseinkommen betrug im ersten Quartal 2019 rund AMD 174.000 [ca. EUR 323] (ArmStat 2019), während die monatliche Durchschnittspension 2017 AMD 40.634 [ca. EUR 74] ausmachte. Das Mindesteinkommen beträgt AMD 55.00

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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