TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 L516 2230841-1

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Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z5
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1a
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 1319459-3/3E

L516 2230842-1/3E

L516 2230838-1/3E

L516 2230839-1/3E

L516 2230841-1/3E

L516 2230840-1/3E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 1319459-3), 2.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 2230842-1), 3.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 2230838-1), 4.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 2230839-1), 5.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 2230841-1) und 6.) XXXX , geb XXXX (protokolliert zu 2230840-1), alle StA Georgien, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH und Volkshilfe- Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung – ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2020, Zahlen 440353002/200047646-EAST Ost, 1257631210/200047654-EAST Ost, 1257631602/200047760-EAST Ost, 1257629005/200047719-EAST Ost, 1257629408/200047675-EAST Ost und 1257629604/200047662-EAST Ost zu Recht erkannt:

A) I. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt VI der jeweils angefochtenen Bescheide stattgegeben und dieser wird jeweils gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 18 Abs 1 Z 1 und 5 BFA-VG ersatzlos behoben.

Es wird festgestellt, dass den Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt VII der jeweils angefochtenen Bescheide stattgegeben und dieser wird jeweils gemäß § 55 Abs 1a FPG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer. Alles sind georgische Staatsangehörige.

Die Beschwerdeführer stellten am 14.01.2020 Anträge auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung der Erst- bis Drittbeschwerdeführenden nach dem AsylG dazu fand am selben Tag statt, ihre Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 28.01.2020.

Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden diese Anträge (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab, erteilte (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (IV.) eine Rückkehrentscheidung § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte (V.) fest, dass die Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei, trug den Beschwerdeführenden (VIII.) auf, ab dem 28.01.2020 in einem konkret bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen und erließ (IX.) gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

Mit Spruchpunkt VI der jeweils angefochtenen Bescheide sprach das BFA aus, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs 1 Z 1 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde; Mit Spruchpunkt VII sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, mit gemeinsamen Schriftsatz erhobene Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 13.05.2020 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.

Gegenstand der vorliegenden Teilentscheidung bilden ausschließlich die Beschwerden gegen Spruchpunkt VI und VII der angefochtenen Bescheide des BFA, mit denen vom BFA einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde.

1. Sachverhalt

1.1 Der Erstbeschwerdeführer brachte im Verfahren vor dem BFA zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz – zusammengefasst – vor, dass er aufgrund des politischen Werdeganges seines Vaters und seiner eigenen politischen Betätigung vom Bürgermeister seines Wohnortes, welcher in der Region sehr große Kontrolle ausübe, verfolgt werde. Jener habe den Beschwerdeführer entlassen, es sei auch zu Anfeindungen in der Bevölkerung, Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen mit einem Messer und einer Pistole gegen den Beschwerdeführer gekommen (Niederschrift zur Einvernahme des Erstbeschwerdeführers vom 28.01.2020, S 12 ff)

Die übrigen Beschwerdeführenden machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

1.2 Das BFA hat sich zur Begründung der Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer im Rahmen der Beweiswürdigung der angefochtenen Bescheide im Einzelnen mit dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers auseinandergesetzt und in einer über sieben Seiten erstreckenden Argumentationskette ausgeführt, weshalb es das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers im Detail für nicht glaubhaft erachtet (Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer, S 45-53).

1.3. Die auf § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG gestützte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde begründete das BFA wortwörtlich wie folgt (zB Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer, S 65; Bescheid betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, S 61):

„Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt das als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundener Rückkehrentscheidung. Wie oben ausgeführt, liegt Ziffer 1 und 5 in Ihrem Fall vor.

Für die Behörde steht fest, dass für Sie bei Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben ist. Sie bedürfen daher nicht des Schutzes Österreichs. Es ist in Ihrem Fall davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten ist. Da Ihrem Antrag auf internationalen Schutz keine Aussicht auf Erfolg beschieden ist und Ihnen auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat droht, ist es Ihnen zumutbar, den Ausgang Ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Ihr Interesse auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Asylverfahrens tritt hinter das Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurück.“

1.4 Die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer befinden sich im schulpflichtigen Alter und im laufenden Schulsemester (vgl Verfahrensakt des Erstbeschwerdeführers, AS 297-301).

2. Beweiswürdigung

1.1 Der Sachverhalt ergibt sich aus den vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz. Die Feststellungen zu den Angaben der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren sowie zu den Ausführungen des BFA in den angefochtenen Bescheiden ergeben sich konkret aus den im Akt einliegenden Niederschriften und dem angefochtenen Bescheid, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden Fundquellen (Aktenseiten (AS), Bescheidseiten) angeführt sind.

1.2. Die Feststellung, dass sich die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im schulpflichtigen Alter befinden, ergibt sich aus deren Geburtsdatum. Im Verfahren vor dem BFA erfolgte auch bereits eine Schulplatzzuweisung (vgl Verfahrensakt des Erstbeschwerdeführers, AS 297-301).

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Spruchpunkt I (§ 18 Abs 1 Z 1 und 5 BFA-VG)

3.1 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BFA gem § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG

3.1.1 Das BFA hat die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Fall auf § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG gestützt, was demnach voraussetzt, dass „das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht“. Diese Bestimmung entspricht § 6 Abs 1 Z 4 AsylG idF AsylG 1997 BGBl. I Nr. 101/2003; diese wiederum entspricht § 6 Z 3 AsylG 1997 in der Stammfassung des AsylG 1997. Aufgrund der nur unmaßgeblich veränderten, im Wesentlichen aber nahezu wortidenten Formulierungen dieser Bestimmungen ist bei der Prüfung des Vorliegens dieses Tatbestands - somit als Prüfungsmaßstab für die Frage, ob ein Vorbringen offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht - jedenfalls die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Vorgängerbestimmungen heranzuziehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu § 6 Z 3 AsylG 1997 in der Stammfassung ausgesprochen, dass bei einem von der Behörde als unglaubwürdig angenommenen Vorbringen noch nichts darüber ausgesagt wird, ob es ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit erreicht, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG 1997 in der Stammfassung als erfüllt angesehen werden kann. Letzteres kann nur dann angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", die dazu führenden Gesichtspunkte müssen klar auf der Hand liegen, sei es allenfalls auch deshalb, weil nach einem Ermittlungsverfahren "Hilfstatsachen" (z.B. fehlende Kenntnis der behaupteten Stammessprache) substantiell unbestritten bleiben. Im Ergebnis setzt die im gegebenen Zusammenhang erforderliche "qualifizierte Unglaubwürdigkeit" somit voraus, dass es weder weitwendiger Überlegungen noch einer langen Argumentationskette bedarf, um zu erkennen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers nicht den Tatsachen entspricht (VwGH 21.8.2001, 2000/01/0214; 31.1.2002, 2001/20/0381; 11.6.2002, 2001/01/0266). Nur dann, wenn es "unmittelbar einsichtig" ist und sich das Urteil quasi "aufdrängt", die Schilderungen des Asylwerbers, die für die Beurteilung seines Asylansuchens maßgeblich sind, seien tatsächlich wahrheitswidrig, erreicht das Vorbringen ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG 1997 erfüllt ist (VwGH 27.9.2001, 2001/20/0393). Bei der Anwendung des § 6 AsylG 1997 kann es typischerweise nur um die Klarstellung einfacher Fragen, aber nicht um diffizile Beweiswürdigungsprobleme gehen (VwGH 19.12.2001, 2001/20/0442).

3.1.2 Fallbezogen hat sich das BFA im Einzelnen mit dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers auseinandergesetzt und in einer über sieben Seiten erstreckenden Argumentationskette ausgeführt, weshalb es das Vorbringen des Beschwerdeführers im Detail für nicht glaubhaft erachtet (Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer, S 45-53). Eine bloß "schlichte Unglaubwürdigkeit" des Vorbringens reicht jedoch für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nicht aus (vgl VwGH 22.10.2003, 2002/01/0086). Dazu kommt, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu den entsprechenden Vorfassungen dieses Tatbestandes ausgeführt hat, dass § 6 Z 3 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 76/1997 (nunmehr § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG) lediglich dann anwendbar ist, wenn das gesamte Vorbringen zu einer Bedrohungssituation den Tatsachen offensichtlich nicht entspricht; seine Anwendbarkeit scheidet aus, wenn das Vorbringen auch nur in einem Punkt möglicher Weise auf eine wahre Tatsache gestützt wird; auf Einzelaspekte gestützte Erwägungen – wie dies auch im vorliegenden Fall vom BFA vorgenommen wurde – erweisen sich somit für die Anwendung des Tatbestandes der offensichtlichen Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens zur Bedrohungssituation als nicht tragfähig (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0214).

3.1.3 Für den vorliegenden Fall hat die soeben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daher zur Folge, dass entgegen der Annahme des BFA die Voraussetzung für die Ziffer 5 gegenständlich nicht vorlag und damit die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung aus diesem Grund unzulässig war.

3.2 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BFA gem § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG

3.2.1 Der Verwaltungsgerichthof hat bereits in seiner Entscheidung vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua, ausgesprochen, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG nicht zwingend ist, sondern eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraussetzt. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die aus einem "sicheren Herkunftsstaat" nach § 19 Abs. 5 BFA-VG 2014 in Verbindung mit § 1 Z 6 der HerkunftsstaatenV, BGBl II Nr. 177/2009 idF BGBl II Nr. 405/2013, kommen, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen dieser Personen gegenüberzustellen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in jener Entscheidung zudem Folgendes ausgeführt:

„Nach § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise (unter anderem) nämlich nicht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. Erkennt das Bundesamt der Beschwerde daher - wie im vorliegenden Fall - die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG ab und wird sie vom BVwG nicht innerhalb der Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG wieder zuerkannt, besteht keine Frist zur freiwilligen Ausreise, und zwar auch dann nicht, wenn - wie im Falle der bevorstehenden Geburt eines Kindes - besondere Umstände vorliegen, die eine Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat und die nach § 55 Abs. 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden.

Da sowohl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch das BVwG unter der rechtsirrtümlichen Annahme, allein die Herkunft der Zweitrevisionswerberin aus einem sicheren Herkunftsstaat führe zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde, diese wesentlichen Faktoren außer Acht gelassen haben, ist das zweitangefochtene Erkenntnis insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.“

In einer weiteren Entscheidung vom 16.05.2013, 2012/21/0072 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

„Eine Präzisierung, insbesondere zur Frage, welche Art von "besonderen Umständen" zur Bewilligung einer Fristverlängerung führen können, enthält § 55a Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 nicht. Beispielhaft werden in den Gesetzesmaterialien (RV 1078 BlgNR 24. GP 31) als solche Umstände "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnen(en) Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe" genannt. Wortgleiche Erläuterungen wählte der Gesetzgeber für die in § 55 Abs. 2 und 3 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 erwähnten "besonderen Umstände", deren Vorliegen die Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ermöglichen kann.“

3.2.2 Fallbezogen sind die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer schulpflichtig und sie befinden sich aktuell im laufenden Schulsemester. Das BFA hat diesem Umstand jedoch unter Außerachtlassung der zuvor zitierten Rechtsprechung des VwGH keine Bedeutung beigemessen und eine Interessensabwägung unterlassen, was jedoch erforderlich gewesen wäre. Das BFA hat die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BVA-VG ausschließlich damit begründet, dass die Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen.

Wie bereits der Verwaltungsgerichtshof in der zuvor zitierten Entscheidung 2012/21/0072 ausgeführt hat, ist das Abschließen des bereits begonnen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes nach den ErläutRV 1078 der Beilagen XXIV. GP zu § 55 Abs 3 FPG sogar ein besonderer Umstand, aufgrund dessen die Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festsetzen kann.

Für das Bundesverwaltungsgericht ist nicht zu erkennen, dass die Beschwerdeführer eine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich darstellen, sodass nunmehr die sofortige Ausreise der Beschwerdeführer geboten wäre. Derartiges wurde vom BFA auch nicht dargelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt deshalb unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des vorliegenden Falles zu dem Schluss, dass durch den gegenwärtigen Schulbesuch der schulpflichtigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gegenständlich besondere Umstände vorliegen, die Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen haben und die nach § 55 Abs 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden und überwiegen diese privaten Interessen der Beschwerdeführer das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die – wie die Beschwerdeführer – aus einem "sicheren Herkunftsstaat" kommen.

3.2.3 Der Spruchteil VI der jeweils angefochtenen Bescheide war daher spruchgemäß ersatzlos zu beheben.

3.3 Den Beschwerden kommt somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG aufschiebende Wirkung zu. Den Beschwerdeführern ist daher vom BFA auch eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen (§ 51 AsylG).

Spruchpunkt II (§ 55 Abs 1 FPG)

3.4 Nachdem die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos zu beheben war, sind die angefochtenen Entscheidungen nicht mehr gemäß § 18 BFA-VG durchführbar. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 55 Abs 1a FPG liegen somit nicht mehr vor. Spruchpunkt VII der jeweils angefochtenen Bescheide war daher spruchgemäß zu beheben.

4. Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkt VI und VII spruchreif war und die Trennung – auf Grund der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Betroffenen – auch zweckmäßig ist.

5. Über die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I bis V, VIII und IX der angefochtenen Bescheide ergeht eine gesonderte Entscheidung.

Zu B)

Revision

6. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zuvor zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

7. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Ausreise besondere Umstände Familienverfahren Frist Interessenabwägung Minderjährigkeit qualifizierte Unglaubwürdigkeit Schulbesuch sicherer Herkunftsstaat Teilerkenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2230841.1.01

Im RIS seit

25.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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