Entscheidungsdatum
29.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W253 2141325-1/18E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alster Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.06.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.
III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 15.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 16.05.2015 fand die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er ledig sei und von 2006 bis 2010 die Grundschule in Afghanistan besucht habe. Zuletzt sei er ca. zwei Jahre lang als Näher beschäftigt gewesen. Sein Vater, seine Mutter, drei Schwestern und zwei Brüder würden sich noch in Afghanistan befinden. Seine Brüder würden arbeiten gehen und die Familie ernähren. Als letzte Wohnanschrift in Afghanistan gab der Beschwerdeführer die Stadt Herat an. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er „Angst vor den Taliban und Al-Kaida“ habe.
3. Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fand am 02.09.2016 statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei, keine Medikamente nehme und in Österreich nie in ärztlicher Behandlung gestanden habe. Er habe keine Dokumente, die seine Identität bezeugen könnten. Er sei zwar aus Herat aus Afghanistan ausgereist, tatsächlich gewohnt habe er aber im Dorf XXXX im Distrikt Qarabagh in der Provinz Ghazni. Kontakt bestehe einmal im Monat telefonisch zu seinem Bruder und seinem Vater, mit seiner Mutter und seiner Schwester habe er seit längerer Zeit nicht mehr telefoniert. Sein Vater, seine Mutter, 2 Brüder und seine kleine Schwester würden noch im Heimatdorf leben, von seinen beiden anderen Schwestern wisse er „nicht so viel“, er wisse nur, dass eine Schwester in Herat und eine im Iran lebe. Die Familie besitze in ihrem Heimatdorf ein Haus und ein Grundstück. Der Beschwerdeführer habe als Lackierer in Ghazni, Afghanistan gearbeitet. Auf Vorhalt der Angabe, dass er in der Erstbefragung angegeben habe, als Näher gearbeitet zu haben, gab er an, dass dies im Iran der Fall gewesen sei. Er sei jeweils ein Monat in Ghazni geblieben um dort zu arbeiten. Einmal im Monat sei er nach Hause ins Dorf XXXX gefahren. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer Probleme mit den Taliban aufgrund seiner Religion und seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt, es habe Probleme auf dem Weg zur Arbeit gegeben. Er sei im Iran beschimpft worden, weil er Afghane und Hazara sei. Er sei auch persönlich bedroht worden. Darauf angesprochen, dass er in der Erstbefragung angegeben habe, dass er fünf Jahre lang die Schule besucht habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er eine Koranschule gemeint habe. Er könne lesen und schreiben. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er in Ghazni gearbeitet habe und einmal monatlich nach Hause gefahren sei. Er habe in Ghazni auch einen Englischkurs besucht. Er habe am Heimweg seine Englischlernsachen in einer Tasche gehabt, als er von den Taliban aufgehalten worden sei. Seine Tasche sei durchsucht worden und dabei hätten die Taliban seine Englischsachen gefunden und hätten gedacht, dass er für die Regierung arbeite. Darauffolgend sei er mit drei weiteren Personen mitgenommen worden und auch seine Tazkira sei ihm abgenommen worden. Nach 45 Minuten seien sie in ein kleines Haus gekommen, draußen sei es schon dunkel gewesen. Dort hätten sie dann übernachtet. Am nächsten Tag hätten die Taliban sie verlegen wollen, auf dem Weg seien sie mit der Polizei in Kontakt gekommen und es sei zu Kämpfen zwischen den Taliban und der Polizei gekommen. Sie hätten sich dabei hinter einem Stein versteckt. Danach habe sie die Polizei mitgenommen und nach Hause gebracht. Der Beschwerdeführer habe diesen Vorfall seiner Familie erzählt und sein Vater habe ihm empfohlen in den Iran auszureisen. Dort habe er dann zwei Jahre lang gelebt und sei dann nach Österreich gereist. Den Iran betreffend gab er an, dass das Leben dort als Afghane „nicht lebenswert“ sei und er sei zweimal von der Polizei aufgehalten und geschlagen worden. Es sei ihm auch sein Geld abgenommen worden. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass das sein einziger Fluchtgrund sei. Der Vorfall mit den Taliban habe sich ca. im Herbst 2014 ereignet und danach sei er gleich, auf Empfehlung seines Vaters, in den Iran gereist. Dort sei er zwei Jahre lang geblieben. Auf Nachfrage, dass dies zeitlich nicht zusammenpasse, gab der Beschwerdeführer an, dass der Vorfall mit den Taliban dann wohl im Herbst 2013 gewesen sein müsste. Darauf angesprochen, dass sich dies auch nicht ausgehe, gab der BF an, dass er es nicht genau wisse, den Iran habe er zwei Monate vor der Antragstellung in Österreich (15.05.2015) verlassen. Er wisse nicht genau, wann der Vorfall mit den Taliban stattgefunden habe, in Afghanistan gebe es keine Zeitrechnung und er sei unter Stress gestanden. Die Jahreszeit zu der er den Englischkurs besucht habe, könne er nicht genau angeben, er habe nicht auf die Daten geachtet. Er wisse, dass es sich damals um Taliban gehandelt habe, da dieses es ihm gesagt hätten, sie seien vermummt gewesen und hätten sie durchsucht. Bewaffnet seien sie auch gewesen. Weitere Kontakte mit den Taliban habe es nicht gegeben. Er sei aufgrund seiner Englischlernunterlagen und aufgrund der Tatsache, dass er Hazara sei mitgenommen worden. Er habe die Leute mit denen er auf dem Weg nach Hause gewesen sei nicht gekannt, es habe sich um ein Taxi gehandelt. Es seien nur die Mitfahrer mitgenommen worden, der Taxifahrer nicht. Der Vorfall habe sich ca. 1,5 h von seinem Heimatdorf entfernt ereignet. Damit konfrontiert, dass laut Google-Maps die Distanz vom Vorfallsort zum Heimatdorf ungefähr 27 km, d.h. ca. 30 Minuten Fahrtzeit beträgt, gab der Beschwerdeführer an, dass die Straßen nicht so wie „bei uns“ seien. Die Fahrt von der Arbeit in Ghazni bis in sein Heimatdorf würde ca. drei Stunden betragen, genau wisse es der Beschwerdeführer nicht. Bei dem Vorfall seien sie gefesselt und in einen Raum eingesperrt worden mit seinen Mitfahrern. Sie hätten nicht reden dürfen, er wisse keine Namen. Sie seien von zwei Wachen bewacht worden, diese hätten nicht geredet, einer sei bei ihnen im Raum gesessen, der andere sei „draußen“ gewesen. Am nächsten Morgen seien sie gefesselt hintereinander gegangen, ein Taliban sei vor ihnen gegangen, ein weiterer hinter ihnen. Die Taliban hätten paschtunisch gesprochen. Die Polizei sei mit dem Auto unterwegs gewesen und habe das Feuer eröffnet, woraufhin sich die Gefangenen versteckt hätten. Er wisse nicht, ob die Taliban entkommen seien, getötet worden seien sie nicht, er habe sie nie wieder gesehen. Er habe nichts gesehen, da er sich hinter einem Stein versteckt habe. Er wisse nicht, ob der Vorfall angezeigt worden sei, die Polizei sei nicht weiter darauf eingegangen. Er wisse nicht, wer in seiner Region „das Sagen“ habe. Einer seiner Brüder sei Schneider in Ghazni und befinde sich noch immer dort, der andere baue Häuser in Ghazni und sei verheiratet. Seine Brüder würden auch ab und zu nach Hause fahren. Der Beschwerdeführer habe eine Schwester, die in Herat lebe, sie sei älter als er. Der Vater habe die Ausreise in den Iran organisiert, da es leicht sei dort mit einem Schlepper hinzukommen. Er habe im Iran niemanden gekannt und es habe auch keinen speziellen Grund gegeben, wieso er dorthin ausgereist sei. Der Beschwerdeführer habe selbst für seinen Unterhalt gesorgt. Er sei nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt, weil sein Vater ihm mitgeteilt habe, dass die Taliban ihn suchen würden, der Vater wisse das, da die Taliban in den Ort gekommen seien und nach dem Beschwerdeführer gefragt hätten. Nach seinen Brüdern werde nicht gesucht. Es sei schwer in Afghanistan zu leben, in Kabul zu leben sei möglich, aber es herrsche trotzdem Gefahr. Es gebe in ganz Afghanistan Probleme für Hazara, er habe nicht versucht an einem anderen Ort in Afghanistan zu leben. Für seine Familie bestehe keine Gefahr durch die Taliban, weswegen diese weiter dort leben könne. Befragt zu seinem Leben in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er Freunde im Fußballclub habe und in der Schule sowie im Jugendzentrum. Er sei Mitglied im Fußballclub. Vorgelegt wurde u.a. eine Teilnahmebestätigung, aus der hervorgeht, dass der Beschwerdeführer eine Ausbildung im Einzelhandel absolviert.
4. Am 16.09.2016 erging seitens des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zu den Länderberichten, der zusammengefasst zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer zu vielen „Dingen“ in den Länderberichten nichts sagen könne, da er weder die örtlichen Gegebenheiten kenne noch auf die in den Berichten erwähnten Dinge geachtet habe, während er in Afghanistan gelebt habe. Aufgrund seiner Jugend (er sei 14 – 15 Jahre alt gewesen als er Afghanistan verlassen habe) und aufgrund seiner geringen Bildung, habe er viele Dinge aus den Berichten das erste Mal gehört. Trotzdem wolle er wie folgt Stellung beziehen: Die Aktivitäten der Polizei in seiner Region (Ghazni und Qarabagh) seien unterschiedlich. Es stimmte, dass oft gegen die Taliban vorgegangen werde, die Polizei „gewinne“ jedoch auch nicht immer. Es sei allerdings auch bekannt, dass nicht immer, wenn in Ghazni eine Anzeige erstattet werde, gegen die Taliban vorgegangen werde mit der Begründung, es würde der Befehl des Kommandanten für den Einsatz fehlen. Das Vertrauen in die Polizei und ihre Durchsetzungskraft sei in ihrer Region nicht besonders hoch. Seit Ende 2014 die Amerikaner abgezogen seien, sei die Stadt weder sicherer noch unsicherer geworden. In Ghazni Stadt sei das Leben dennoch relativ sicher, nur bei Überfahrten in ländliche Gebiete sei mit Übergriffen zu rechnen. Nachfolgend wurde näher auf die einzelnen Teile der Länderberichte eingegangen. Außerdem wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an Mannschaftsspielen im Fußballclub teilnehme und er seine Kurspflichten vorbildmäßig erfülle und in der Arbeit „positiv auffalle“.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.10.2016 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Festgestellt wurde durch das BFA, dass der Beschwerdeführer in seinen Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme mit Ämtern und Behörden gehabt habe. Auch sei er in Afghanistan nicht politisch tätig gewesen und sei auch nicht wegen seiner politischen Ansichten verfolgt worden. Er habe in Afghanistan keine Probleme aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, seiner Rasse oder einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehabt und auch nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit. Der Beschwerdeführer habe Fluchtgründe, die in der Genfer Flüchtlingskonvention erschöpfend angeführt seien, ausdrücklich verneint. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder sein könnte. Er habe eine gegen ihn gerichtete Bedrohungshandlung in Afghanistan vorgebracht, seine Fluchtgründe seien nicht asylrelevant. Es hätten sich im Verwaltungsverfahren keine begründeten Hinweise ergeben auf eine Flüchtlingseigenschaft. Begründet wurde dies damit, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund nicht ausreichen würden, um eine Verfolgungshandlung in einer solchen Intensität glaubhaft zu machen, dass eine Ausreise aus Afghanistan bzw. dem Iran als einziges „probates Mittel“ übriggeblieben wäre. Im Allgemeinen würden die Schilderungen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig gewertet werden. Er habe im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA auf gezieltes und explizites Nachfragen zu keinem Zeitpunkt schlüssige Argumente bzw. Antworten liefern können. Es sei in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass es sich beim Vorbringen des Beschwerdeführers um ein gesteigertes handele. Ausgeführt wurde des Weiteren, dass aufgrund von Vorrecherchen ein Auftreten der Taliban auf der Strecke zwischen Ghazni und dem Heimatdorf des Beschwerdeführers wahrscheinlich sei, der Beschwerdeführer habe zwar eine Verhaftung angegeben, aber eine Glaubhaftmachung dieser sei ihm nicht gelungen. Auch, dass der Beschwerdeführer diverse Daten betreffend keine schlüssigen Angaben machen habe können, trage nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Auch lebe seine gesamte Familie noch in Afghanistan und nur der Beschwerdeführer sei ins Fadenkreuz der Taliban geraten.
Zu der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr wurde ausgeführt, dass er an keiner Krankheit leide und gesund, arbeitsfähig sowie -willig sei einer Beschäftigung nachzugehen. Im Fall des Beschwerdeführers bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan eine Schulbildung genossen und bereits Berufserfahrung gesammelt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer Deutschkurse besuche. Der Beschwerdeführer könne sich z.B. in Herat eine Zukunft aufbauen, dies auch, da seine Schwester mit ihrer Familie dort lebe und ihn diese unterstützen könne.
6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er seine Aussagen inhaltlich aufrecht erhalte und dass sich aus seinem Vorbringen ein Fluchtgrund ergebe. Er habe seine Mitwirkungspflicht erfüllt und das BFA habe es verabsäumt, den vorgebrachten Hinweisen von Amts wegen weiter einzugehen. Ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise höchsten 15 Jahre alt gewesen sei und seitdem kaum Kontakt mit seiner Familie habe, weswegen ein Zurückkommen nicht mehr möglich sei. Alle seine Angaben seien die Erinnerungen eines Kindes an traumatische und lang verdrängte Erlebnisse, die schon lange zurückliegen. Genaue Zeit- und Ortsangaben u.ä. sind aufgrund dieser Tatsache und auch der fehlenden Schulbildung nicht möglich. Er sei auf dem Heimweg aufgehalten und festgenommen worden durch die Taliban, und sei einer Ermordung nur knapp entkommen. Entführungen auf der angegebenen Strecke seien keine Einzelfälle, der Beschwerdeführer erinnere sich auch an Fälle von Bekannten, die entführt und umgebracht worden seien. Die Bedingungen auf dem Land in Afghanistan seien für Hazara immer noch katastrophal. Ghazni wurde als volatile Provinz in den Länderberichten angeführt und die Beschreibung des Beschwerdeführers decke sich mit diesen Informationen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund seines Alters, seiner geringen Bildung und seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara kaum Chancen sich an einem anderen Ort in Afghanistan ein sicheres Leben aufzubauen. Es würden ihm die Landeskenntnis und die Qualifikation fehlen. Ohne Familienverband könne er sich kein Leben aufbauen.
7. Mit Schreiben vom 15.11.2016 wurde die gegenständliche Beschwerde – ohne von der Möglichkeit eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.06.2019 eine mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen dieser Verhandlung gab der Beschwerdeführer zusammengefasst – teilweise auch auf Deutsch - an, dass er in der Stadt Ghazni gearbeitet und auch über einen längeren Zeitraum dort gelebt habe, manchmal sei er auch in sein Heimatdorf gefahren. Er sei fünf Jahre lang in „die Moschee gegangen“ und habe dort unter anderem den Koran lesen gelernt. Er hatte in der Moschee Religionsunterricht. In Ghazni habe er ca. sechs Monate lang einen Englischkurs besucht und als Lackierer gearbeitet. Er habe dies ca. drei Jahre lang getan, er sei zehn Jahre alt gewesen, als er mit der Arbeit als Lackierer begonnen habe. Er wisse nicht genau, wie alt er gewesen sei, als er aus Afghanistan ausgereist sei, er glaube, dass er ungefähr 2013 Afghanistan verlassen habe. Er habe den Englischkurs in Afghanistan gemacht, da er dadurch eine bessere Arbeit hätte finden können, die Chance auf einen Beruf bei einer staatlichen Behörde sei dadurch gestiegen. Seine Kernfamilie, Vater, Mutter, zwei Brüder und eine jüngere Schwester würden in Afghanistan leben, zwei weitere Schwestern seien verheiratet, eine Lebe in Herat, eine im Iran. Die Eltern, ein Bruder und eine Schwester würden in der Stadt Ghazni leben – nachfolgend gab der BF an, dass diese im Elternhaus im Dorf XXXX leben würden -, der zweite Bruder sei seit einiger Zeit verschollen, die Familie wisse nicht, wo er sich befindet. Die Eltern hätten landwirtschaftliche Grundstücke in Ghazni und der Vater bestelle diese Grundstücke und verdiene damit den Lebensunterhalt der Familie. Seit die Schwester, die in Herat lebt, verheiratet sei, gebe es keinen Kontakt mehr zu ihr. Es sei üblich, dass ein Mädchen, wenn es das Elternhaus verlässt und heiratet, dann wenig bis kaum Kontakt mit dem Elternhaus pflegt. Der Beschwerdeführer habe keinen engen Kontakt zu seinen Eltern, das letzte Mal habe er zwei Wochen vor der Verhandlung Kontakt gehabt. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht konvertieren wolle. Er glaube, dass er von den Taliban entführt worden sei, da diese immer nach einem Vorwand suchen würden, um einen festnehmen zu können. Sie hätten bei ihm einen Zettel gefunden, auf dem etwas in englischer Sprache gestanden sei. Die Taliban könnten selbst kein Englisch und hätten so den Inhalt nicht verstanden und hätten angenommen, dass der Beschwerdeführer für eine staatliche Behörde arbeite, weswegen sie ihn dann festgenommen hätten. Sie hätten auch kein Verständnis gezeigt, wenn der Beschwerdeführer ihnen den Inhalt des Zettels erklärt hätte, vielleicht hätten sie ihn dann sogar erschossen. Er schätze, dass er bei der Entführung ungefähr 13 Jahre alt gewesen sei. Er habe nicht mit den Taliban gesprochen und sei nur eine Nacht in deren Gewahrsam gewesen und sei dann von der Polizei befreit worden. Die Taliban hätten untereinander Paschtu gesprochen, hätten zum Beschwerdeführer nichts gesagt, sondern ihn nur am Arm gezogen. Die Taliban würden niemanden ansprechen, wenn man ihnen begegnet, sondern sie würden eine Waffe ziehen oder die Leute zwangsweise mitnehmen. Man könne mit den Taliban nicht reden, sie würden nicht hören. Der Beschwerdeführer denke noch jede Nacht an den Vorfall und habe immer noch Angst. Weiters gab er – ident zu den Angaben vor dem BFA – an, dass er und seine Mitgefangenen nachfolgend von der Polizei befreit und nach Hause gebracht wurde. Er habe Angst vor einer Rückkehr nach Afghanistan und wolle lieber „hier getötet“ werden. Als der Beschwerdeführer diese Angabe tätigte, begann der Beschwerdeführer zu weinen und bat um eine Verhandlungspause, welche ihm auch gewährt wurde. Auszuführen ist des Weiteren, dass die Angaben die der Beschwerdeführer in der Verhandlung machte deckungsgleich mit jenen waren, die er bereits im Laufe des Verfahrens getätigt hatte. Zu seiner Situation in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Verwandten in Österreich habe, sondern „nur“ Freunde. Er besuche keine Deutschkurs, sondern mache den Pflichtschulabschluss am BFI. Er habe eine Prüfung für die Matura gemacht und habe diese geschafft. Der Beschwerdeführer hat einen A1-Deutschkurs besucht. Er mache eine Ausbildung und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er, wenn er diese absolviert habe, er beim Sozialen Netzwerk Oberndorf arbeiten könne. Weiters spiele er Fußball im Verein und habe auch einen Spielerpass. Er spiele glaublich in der 2. Landesliga. Er habe zwei Monate in der Kampfmannschaft gespielt, jetzt komme er wieder in die Reserve, da er verletzt sei. Er mache „in der Früh“ den Pflichtschulabschluss und am Abend habe er Training.
9. Am 07.05.2020 wurde der Beschwerdeführer um Stellungnahme ersucht, welche am 22.05.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einging. Diesem Schreiben ist zu entnehmen, dass sich die Familie des Beschwerdeführers „momentan“ auf der Flucht im Iran befinde, da sein Bruder 2019 in Afghanistan getötet worden sei. Außerdem sei die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor höchst volatil, dazu hätten insbesondere die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen. Der Beschwerdeführer absolviere noch seinen Pflichtschulabschluss und legte dazu Unterlagen vor. Er habe ein Praktikum als Maler absolviert und es sei ein Antrag auf „Zustimmung zum Beginn einer Lehre“ beim AMS gestellt worden, dazu habe der Beschwerdeführer noch keine Antwort erhalten. Nach Absolvierung des Pflichtschulabschlusses werde er mit der Suche nach einer Lehre beginnen. Er habe viele Integrationsmaßnahmen gesetzt, er absolviere seinen Schulabschluss, hat eine Ausbildung bei „Linie 150“ abgeschlossen und befinde sich ununterbrochen seit 2015 in Österreich und Österreich stelle somit seinen einzigen Lebensmittelpunkt dar. Er hat viele Freunde und gehe einer ordentlichen Beschäftigung nach und spreche gut Deutsch.
10. Am 27.05.2020 wurde seitens des Beschwerdeführers eine Bestätigung über die Teilnahme an einem „erwachsenengerechten Pflichtschulabschlusskurs“, ausgestellt durch die Volkshochschule Salzburg vor. Diesem Schreiben ist zu entnehmen, dass er von Februar 2020 bis Juni 2021 diesen Kurs absolviere.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 15.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab und es wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlasen und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, woraufhin vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und ist zum dort angegebenen Datum geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, im Distrikt Qarabagh, im Dorf XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf. In weiterer Folge arbeitet der Beschwerdeführer ca. drei Jahre lang in der Stadt Ghazni als Lackierer. Er pendelte ab und zu zwischen Ghazni und seinem Heimatdorf. Der Beschwerdeführer besuchte fünf Jahre lang die Moschee und lernte dort unter anderem den Koran lesen. Der Beschwerdeführer kann lesen und schreiben. Er hat in Ghazni sechs Monate einen Englischkurs besucht. Der Beschwerdeführer lebte nach seiner Flucht aus Afghanistan zwei Jahre im Iran.
Die Kernfamilie des Beschwerdeführers befindet sich mittlerweile auf der Flucht im Iran. Es besteht Kontakt zu den Eltern. Eine weitere Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in Herat, eine zweite Schwester im Iran. Zur Schwester in Herat hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache zumindest auf A1 Niveau und absolviert in Österreich den Pflichtschulabschluss. Er hat bereits Teile der Pflichtschulabschluss-Prüfungen absolviert. Der Beschwerdeführer absolvierte in Österreich eine Ausbildung im Bereich „Einzelhandel“. Es besteht das Angebot, den Beschwerdeführer nach Absolvierung dieser einjährigen Ausbildung bei der Suche nach einer passenden Lehrstelle zu unterstützen um seine Ausbildung fortzuführen und diese abzuschließen.
Der Beschwerdeführer hat freundschaftliche Kontakte in Österreich und ist Mitglied in einem Fußballverein.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.3.1. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan auf seinem Heimweg aus der Stadt Ghazni in sein Heimatdorf XXXX von den Taliban festgenommen und bedroht.
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität verlassen.
1.3.2. Bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni bzw. in sein Heimatdorf XXXX droht dem Beschwerdeführer individuell, aktuell und konkret ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban.
1.3.3. Es ist dem Beschwerdeführer zumutbar und auch möglich, sich in den Großstädten Herat oder Mazar-e Sharif anzusiedeln und dort seine Lebensbedürfnisse zu befriedigen.
1.3.4. Dem Beschwerdeführer droht keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmende Verfolgung in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit.
1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat) nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Eine verheiratete Schwester des Beschwerdeführers lebt in der Stadt Herat und, auch wenn momentan kein Kontakt zu dieser besteht, kann davon ausgegangen werden, dass diese ihren Bruder – zumindest anfänglich – bei einer Neuansiedlung in Herat unterstützen kann.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen könnten, können nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Herat und Mazar-e Sharif sind über die dortigen Flughäfen sicher zu erreichen.
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)
1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapitel 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.5.3. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
1.5.4. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).
1.5.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)
Haqani-Netzwerk:
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).
Islamischer Staat (IS/DaesH) – Islamischer Staat Khorasan Provinz:
Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).
1.5.6. Provinzen und Städte
1.5.6.1. Herkunftsprovinz Ghazni
Ghazni:
Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner (LIB, Kapitel 3.10).
Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Im Jahr 2018 gab es 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (LIB, Kapitel 3.10).
In der Provinz Ghazni reicht eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht aus, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.5.6.2. Mazar-e Sharif/ Herat Stadt
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 „stressed“ eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch „stressed“ genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).
1.5.7. Situation für Rückkehrer/innen
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde, im bekämpften Bescheid und in der Beschwerde, in die vorgelegten Unterlagen und Urkunden, in die Stellungnahmen, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender. Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu Grunde:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zum Beschwerdeführer und seinen Fluchtgründen:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seinem Bildungsstand und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, ihm wurde dort in der Moschee lesen und schreiben beigebracht und hat in Afghanistan, genauer in der Stadt Ghazni, als Lackierer gearbeitet.
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Zeugnissen sowie aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, in welcher der Beschwerdeführer auch an ihn gestellte Fragen auf Deutsch beantwortete. Die ergänzenden Feststellungen zu seiner Integration stützen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben sowie die vorgelegten Unterlagen. Dies betrifft auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer eine einjährige Ausbildung im Bereich „Einzelhandel“ absolviert hat und von der Ausbildungseinrichtung bei der Suche nach einer Lehrstelle unterstützt wird.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in den aktuellen Strafregisterauszug.
2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.3.1. Eine individuell konkrete und aktuelle Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Heimatregion Ghazni konnte in Gesamtwürdigung seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor dem BFA festgestellt werden.
Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern.
Der Beschwerdeführer begründet seine Flucht aus Afghanistan damit, dass er im Dorf XXXX in der Provinz Ghazni geboren und aufgewachsen sei. Er habe nachfolgend in der Stadt Ghazni als Lackierer gearbeitet und habe dort einen Englischkurs besucht. Einmal im Monat sei er aus der Stadt Ghazni in sein Heimatdorf gependelt. Als er erneut auf dem Weg nach Hause gewesen sei, sei er von den Taliban angehalten und durchsucht worden. Da diese bei ihm Unterlagen aus seinem Englischkurs gefunden hätten, sei der Beschwerdeführer verdächtigt worden mit der Regierung zusammenzuarbeiten woraufhin die Taliban ihn mitgenommen und eingesperrt hätten. Am Tage nach der Festnahme sei der Beschwerdeführer auf dem Weg in ein anderes Quartier von der Polizei befreit und nach Hause gebracht worden. Auf Empfehlung seines Vaters habe er Afghanistan deswegen verlassen und habe nachfolgend zwei Jahre im Iran gelebt.
Auszuführen ist dazu, dass sich aus den Länderberichten durchaus ergibt, dass Übergriffe durch die Taliban auf der Strecke zwischen Ghazni und dem Heimatdorf des Beschwerdeführers sich nicht als unwahrscheinlich erweisen. Auch die – im Grunde während des gesamten Verfahrens gleichbleibenden – Angaben des Beschwerdeführers zu den Umständen seiner Verhaftung und dem nachfolgenden Verlauf sind in sich schlüssig und nachvollziehbar.
In der Gesamtschau ist es dem Be