TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/3 G304 2221634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2020
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Entscheidungsdatum

03.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G304 2221634-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER, und den fachkundigen Laienrichter Helmut WEIß als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 03.06.2019, Sozialversicherungsnummer: XXXX , betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Der Grad der Behinderung beträgt 70 v. H.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 14.02.2019 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Neufestsetzung des Behindertengrades und legte seinem Antrag medizinische Unterlagen bei.

2. Im Rahmen des behördlichen Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Chirurgie, vom 31.05.2019, wurde aufgrund einer am 16.04.2019 durchgeführten Begutachtung des BF im Wesentlichen Folgendes festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:

Pos. Nr.

GdB %

1

Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates bei Z.n. Oberschenkel- und Unterschenkelfraktur links, höchstgradigen degenerativen Veränderungen im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes links sowie im Bereich des Kniegelenkes links.

Eine Stufe oberhalb des unteren Richtsatzwertes bei funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades.

02.02.03

60

2

Wirbelsäulen-Syndrom mit beklagten Beschwerden und geringgradigen Funktionseinschränkungen.

Unterer Richtsatzwert bei geringgradigen Beschwerden und Funktionseinschränkungen.

02.01.01

10

3

Psoriasis im Bereich des Ellbogens links.

Fixer Richtsatzwert bei geringgradigen Beschwerden und Funktionseinschränkungen.

01.01.01

10

4

Hausstauballergie – Analogposition.

Unterster Richtsatzwert; Foster-Therapie.

06.04.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v.H.

Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt:
„Der Gesamtgrad der Behinderung resultiert aus der führenden Gesundheitsstörung 1 und wird aufgrund der Geringfügigkeit durch die weiteren Gesundheitsstörungen 2 bis 4 nicht weiter angehoben.“

Es wurde von einem Dauerzustand ausgegangen.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 03.06.2019 wurde unter Verweis auf das eingeholte Sachverständigengutachten vom 31.05.2019 ausgeführt, dass aufgrund des Antrags des BF vom 14.02.2019 mitgeteilt werde, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Behindertengrad von 60 v.H. festgestellt worden sei. Es sei daher ein neuer Behindertenpass auszustellen. Dieser werde unbefristet ausgestellt. Der alte Behindertenpass sei ungültig und der belangten Behörde vorzulegen.

4. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Der BF brachte unter Verweis auf seinen Gesundheitszustand vor, sein Behinderungsgrad sei zu Unrecht von ursprünglich 70 v.H. auf 60 v.H. herabgesenkt worden, und beantragte eine neuerliche ärztliche Begutachtung.

5. Am 24.07.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein

6. Mit Verfügung des BVwG vom 28.10.2019, Zl. G304 2221634-1/3Z, wurde Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach der Einschätzungsverordnung beauftragt.

Mit einem weiteren Schreiben des BVwG vom 28.10.2019, Zl. G304 2221634-1/3Z, wurde der BF aufgefordert, sich am 27.11.2019, um 15:00 Uhr bei Dr. XXXX zur ärztlichen Begutachtung einzufinden.

7. In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX vom 27.11.2019 wird auf Grund der an demselben Tag durchgeführten Begutachtung des BF im Wesentlichen Folgendes festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

GS 1

Generalisierte Funktionseinschränkung des linken Beines bei stattgehabtem Oberschenkel- und Unterschenkelbruch links, höchstgradigen degenerativen Veränderungen im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes links sowie im Bereich des Kniegelenkes links.

Eine Stufe oberhalb des unteren RSW bei funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades

02.02.03

60 v.H.

GS 2

Wirbelsäulensyndrom mit beklagten Beschwerden und geringgradigen Funktionseinschränkungen

Oberer RSW bei Beschwerden und Funktionseinschränkungen mit radiologisch nachgewiesenen Abnützungen.

02.01.01

20

GS 3

Psoriasis (Schuppenflechte) an mehreren typischen Körperstellen

Fixer RSW bei geringgradigen Beschwerden und Funktionseinschränkungen.

01.01.01

10

GS 4

Hausstaubmilbenallergie – mit Lungenbeteiligung Analogposition.

Unterer RSW bei Inhalationstherapienotwendigkeit

06.04.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 70 v.H.

Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt:

„Gebildet durch die Leiden der GS1, wobei die Leiden der GS2 (Wirbelsäule) um eine Stufe bei negativer Wechselwirkung in der orthopädischen Funktionskette um eine Stufe erhöhen. Die Leiden der GS 3, 4 erhöhen nicht.“

Folgende „Stellungnahme“ wurde abgegeben:

„Zu den Vorgutachten: das Erstgutachten, welches mit 70 % berechnet wurde, erscheint mir medizinisch absolut nicht schlüssig, da medizinisch kein Zusammenhang zwischen Akne vulgaris und Wirbelsäulen- bzw. orthopädischen Funktionsstörungen besteht.

Aktuell aufgrund der heutigen Untersuchung bestehen eine Funktionseinschränkung der unteren linken Extremität sowie eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit geringer Fehlhaltung. Diese beiden orthopädischen Leiden führen zu einer Leidenserhöhung bei negativer gegenseitiger Wechselwirkung aus meiner Sicht.“

8. Mit Verfügung vom 13.01.2020, Zl. G304 2221634-1/5Z, dem BF zugestellt am 21.01.2020, wurde dem BF das eingeholte Sachverständigengutachten seitens des BVwG übermittelt und ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung zum Ergebnis der Beweisaufnahme schriftlich Stellung dazu zu nehmen.

9. Eine Stellungnahme dazu ist bis dato beim BVwG nicht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF hat seinen Wohnsitz in Österreich.

Der Gesamtgrad seiner Behinderung beträgt 70 %.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden: VwGH) muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zu Grund gelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der VwGH führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

2.3. Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, ist das seitens des BVwG eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen von Dr. XXXX schlüssig, nachvollziehbar und weist dieses keine Widersprüche auf.

In diesem Gutachten wird der Gesamtgrad der Behinderung nach persönlicher Untersuchung des BF unter Berücksichtigung seiner Angaben und der vorgelegten Befunde mit 70 v. H. festgesetzt.

In dem Gutachten wird auf die Art und Leiden des BF und deren Ausmaß ausführlich eingegangen und nachvollziehbar ausgeführt, dass die mit einem Behinderungsgrad von 60 v.H. eingeschätzte GS1 „Generalisierte Funktionseinschränkung des linken Beines bei stattgehabtem Oberschenkel- und Unterschenkelbruch links, höchstgradigen degenerativen Veränderungen im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes links sowie im Bereich des Kniegelenkes links“, durch die mit 20 v.H. eingeschätzte GS2 „Wirbelsäulensyndrom mit beklagten Beschwerden und geringgradigen Funktionseinschränkungen“ wegen negativer Wechselwirkung in der orthopädischen Funktionskette insgesamt auf einen Gesamtbehinderungsgrad von 70 v.H. angehoben wird.

Der Sachverständige hält das Erstgutachten mit Herabsetzung des Gesamtbehinderungsgrades von 70 v.H. auf 60 v.H. mangels medizinischen Zusammenhangs zwischen Akne vulgaris und Wirbelsäulen- bzw. orthopädischen Funktionseinschränkungen medizinisch nicht für schlüssig und nach Untersuchung des BF am 27.11.2019 eine Anhebung der mit 60 v.H. eingeschätzten GS1 durch die mit 20 v.H. eingeschätzte GS2 wegen negativer Wechselwirkung in der orthopädischen Funktionskette um eine Stufe auf einen Gesamtbehinderungsgrad von 70 v.H. für gerechtfertigt.

Dieses Sachverständigengutachten vom 27.11.2019, gegen welches der BF keine Einwendung erhoben hat, wird der gegenständlichen Entscheidung in freier Beweiswürdigung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des BVwG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – im Folgenden: BVwGG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des BVwG durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – im Folgenden: VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.2. Zu Spruchteil A):

3.2.1. Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören. (§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat gemäß § 43 Abs. 1 BBG, wenn Änderungen eintreten, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG).

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt. (§ 41 Abs. 1 BBG)

3.2.2. Im seitens des BVwG eingeholten, schlüssigen und nachvollziehbaren, allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 27.11.2019 wurde nach durchgeführter Untersuchung des BF sein Gesamtbehinderungsgrad mit 70 v.H. eingeschätzt bzw. die mit 60 v.H. eingeschätzte GS1 durch die mit 20 v.H. eingeschätzte GS2 um eine Stufe auf 70 v.H. angehoben und ausgeführt, diese Anhebung sei wegen negativer Wechselwirkung in der orthopädischen Funktionskette im gegenständlichen Fall gerechtfertigt, eine Rechtfertigung für die mit Vorgutachten vorgenommene Herabsetzung des Behinderungsgrades von ursprünglich 70 v.H. auf 60 v.H. bestehe mangels medizinischen Zusammenhangs der bei der Herabsetzung berücksichtigten Leiden jedoch nicht.

Der Beschwerde gegen den gemäß § 45 Abs. 2 BBG als Bescheid geltenden, neu ausgestellten Behindertenpasses des BF vom 03.06.2019 war daher spruchgemäß stattzugeben.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall wurde der GdB des BF unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung festgesetzt. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht bestrittenen Sachverständigengutachtens vom 27.11.2019, welches als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erachtet wird, geklärt.

3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2221634.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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