TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/24 L509 1221078-5

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Veröffentlicht am 24.06.2020
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Entscheidungsdatum

24.06.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2

Spruch

L509 1221078-5/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch RA Mag. Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 FPG im gegenständlichen Verfahren gem. § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

Gem. § 55 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, befindet sich seit Oktober 2000 ununterbrochenen in Österreich. Er hat am 25.10.2000 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt und wurde dieser Antrag am 16.5.2006 im Instanzenzug abgewiesen. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 15.10.2009 abgewiesen.

Sein zweiter Antrag auf internationalen Schutz vom 16.11.2009 wurde am 27.11.2009 in erster Instanz und am 23.06.2015 in zweiter Instanz abgewiesen. Mit dieser Entscheidung wurde gleichzeitig eine Ausweisung erlassen. Ein nach Abschluss dieses Verfahrens gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde ebenfalls abgewiesen.

Am 25. 10.2018 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein seines bevollmächtigten anwaltlichen Vertreters niederschriftlich „zur Prüfung der Aufenthaltsgrundlage – Erlassung einer Rückkehrentscheidung“ einvernommen. Der Vertreter beantragte für den Beschwerdeführer, von einer Rückkehrentscheidung Abstand zu nehmen und einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen. Am 03.10.2019 wurde Beschwerdeführer schließlich vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt (beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung). In einer schriftlichen Stellungnahme – abgegeben von seinem anwaltlichen Vertreter - bekräftigte der Beschwerdeführer seinen Antrag w.o.

Am 5.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung von der belangten Behörde erneut Parteiengehör gewährt.

Der rechtsfreundlichen Vertreter gab am 19.12.2019 eine Stellungnahme für den Beschwerdeführer ab. Daraus ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer schon seit 19 Jahren in Österreich aufhalte, er sich nichts zu Schulden kommen habe lassen und er bemüht sei, sich zu integrieren. Er sei in diversen Vereinen und Religionsgemeinschaften aktiv. Der Stellungnahme wurden auch einige Bestätigungen, Unterstützungsschreiben und ein Arbeitsvorvertrag nachgereicht.

Die belangte Behörde hat mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 7.4.2020 gegen den Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 2 Asylgesetz iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie festgestellt, dass eine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkt III.). Abschließend wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde warf dem Beschwerdeführer vor allem vor, dass er über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfüge, lediglich aufgrund von zwei Anträgen auf internationalen Schutz zum Aufenthalt berechtigt gewesen wäre und nach rechtskräftiger Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz illegal im Bundesgebiet verblieben sei. Des Weiteren verfüge der Beschwerdeführer über keine familiären und beruflichen Bindungen im Bundesgebiet und gehe er keiner legalen Beschäftigung nach. Seinen Lebensunterhalt bestreite er mit Unterstützung des Staates. In seinem Heimatland würden außerdem noch Geschwister von ihm leben.

Dem Beschwerdeführer wurde ein Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über das Herkunftsland Bangladesch zur Kenntnis gebracht, in dem das Kapitel „Rückkehr“ abgehandelt wird.

Gegen diese Entscheidung wurde rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht.

Mit der Beschwerde werden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sowie den Bescheid abzuändern und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz zu erteilen, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Abschiebung nach Bangladesch unzulässig ist, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

In der Begründung der Beschwerde wird neuerlich darauf verwiesen, dass sich der Beschwerdeführer seit über 19 Jahren Österreich aufhalte und dass Österreich aufgrund der langen Dauer seines Aufenthaltes zu seinem sozialen Mittelpunkt geworden sei. Er habe hier viele Freunde und er sei in Vereinen und Religionsgemeinschaften aktiv. Er könne überdies einen Arbeitsvorvertrag vorlegen und es könne angenommen werden, dass er im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels arbeiten und selbsterhaltungsfähig sein wird.

Es wurde darüber hinaus auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf einen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet verwiesen und ausgeführt, dass einem mehr als fünf Jahre dauernden Aufenthalt maßgebliche Bedeutung bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zukäme. Der Beschwerdeführer habe dieses Kriterium für die maßgebliche Bedeutung im Sinne des Art. 8 EMRK beinahe und das Vierfache überschritten. Er habe sich in Österreich nichts zu Schulden kommen lassen und sich bemüht, sich so gut wie möglich zu integrieren. Mangels Dokumenten sei es ihm nicht möglich, an Deutschkursen teilzunehmen bzw. Prüfungen abzulegen. Die vielen vorgelegten Unterstützungserklärungen würden einen doch großen und engen Freundeskreis beim Beschwerdeführer implizieren. Die belangte Behörde hätte auch einschlägige Länderberichte im Hinblick auf die aktuelle Covid-19 Pandemie einholen müssen. Aufgrund des schlechten Gesundheitssystems sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Erkrankung an Covid-19 nicht bzw. nicht adäquat behandelt bzw. versorgt werden könne und ihm daher eine existenzbedrohende Situation bevorstehe. Eine Abschiebung wäre somit für nicht zulässig zu erklären.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat Einsicht genommenen in die dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten samt Vorakten.

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger von Bangladesch. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest.

Er reiste im Jahr 2000 illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte hier am 25.10.2000 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.5.2001 abgewiesen wurde. Diese Entscheidung ist seit 16.5.2006 rechtskräftig und wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.10.2009 die Behandlung der Beschwerde gegen den Berufungsbescheid des unabhängigen Bundesasylsenates abgewiesen. Sohin sind bis zu einer endgültigen Entscheidung über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz ca. neun Jahre vergangen.

Am 4.7.2006 stellte der Beschwerdeführer zu dem oben angeführten, in zweiter Instanz rechtskräftig abgeschlossenen und noch beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Asylverfahren einen Antrag auf Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.6.2015, Zl. W199 1221078-2/25E, nach Durchführung von drei mündlichen Verhandlungen (20.10.2010, 04.04.2011 und 8.4.2015) gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 VwGVG abgewiesen. Somit sind weitere ca. 6 Jahre vergangen.

Am 16.11.2009 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.11.2009 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, gleichzeitig wurde eine Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 verfügt. Der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 8.2.2010, GZ C5221.078-3/2009/3E, stattgegeben und der Bescheid gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz behoben. Im zweiten Verfahrensgang wurde der Antrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.10.2010 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und neuerlich eine Ausweisungsentscheidung getroffen. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.2.2011, GZ C5221.078-4/2010/3E im Spruchpunkt I. abgewiesen. Im Spruchpunkt II. wurde der Beschwerde stattgegeben und dieser Spruchpunkt gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz behoben. Für die endgültige Entscheidung über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz bedurfte es eines zweiten Verfahrensganges in der ersten Instanz, wobei dieses Verfahren einen Zeitraum von ca. 14 Monaten in Anspruch nahm und letztlich die Entscheidung über die Ausweisung des Beschwerdeführers neuerlich zu beheben war.

Der Beschwerdeführer ist unbestritten seit seiner illegalen Einreise im Jahr 2000 ohne Unterbrechung in Österreich aufhältig. Aus der Einvernahme des Beschwerdeführers vom 5.12.2019 im Rahmen des Parteiengehörs in Anwesenheit seines rechtsfreundlichen Vertreters ergibt sich, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache mächtig ist und dass es ihm gesundheitlich gut geht. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten, vom Familienstand ledig. Von seinen näheren Familienmitgliedern lebt ein Bruder in Indien, zwei Brüder in Bangladesch (ein Bruder ist verstorben - laut Aussage des Beschwerdeführers wurde dieser getötet), darüber hinaus leben drei Schwestern nach wie vor in Bangladesch. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen und er finanziert sich derzeit seinen Lebensunterhalt durch Unterstützung von der Caritas sowie mit finanzieller Unterstützung seiner Mitbewohner. Er ist Angehöriger der hinduistischen Religion und Mitglied der bengalischen Gesellschaft in Österreich. In der Befragung äußerte der Beschwerdeführer auch, dass er beabsichtige, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, dies jedoch nicht könne, weil er „nicht im Besitze eines Visums“ sei. Der Beschwerdeführer ist nicht im Besitze eines Reisedokumentes oder sonstiger Identitätsdokumente.

Der Beschwerdeführer hält sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf und fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ist nicht geduldet. Der Beschwerdeführer ist nicht Zeuge von strafbaren Handlungen, Opfer von Menschenhandel oder der Prostitution und er ist auch nicht Opfer im Zusammenhang mit den Vorschriften gegen Gewalt in der Familie.

Aus dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom zweiten 20.2.2011, GZ C5 211.078-4/2010/3E, mit dem die Ausweisungsentscheidung des Bundesasylamtes gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz behoben wurde, ergibt sich, dass die Feststellungen, die das Bundesasylamt in dieser Entscheidung seiner Interessenabwägung zugrunde gelegt hat, nach der Aktenlage nicht nachvollziehbar waren. Es haben Feststellungen dazu gefehlt, in welchem Ausmaß der Beschwerdeführer der deutschen Sprache mächtig ist und inwieweit er Deutschkurse besucht hat, obwohl der Beschwerdeführer in diesem Verfahren angegeben hat, dass er einen solchen Kurs besucht hätte. Das Bundesasylamt hat in diesem vorangegangenen Verfahren auch nicht geprüft, inwieweit der Beschwerdeführer einer beruflichen Tätigkeit zur Beschaffung seines Lebensunterhaltes nachgegangen ist, obwohl es dazu Hinweise gegeben hat. Des Weiteren hat das Bundesasylamt gemäß den Feststellungen des Asylgerichtshofes keine näheren Aussagen dazu getroffen, dass der Beschwerdeführer angeblich ein familiäres Verhältnis zu einem Mann gehabt habe, mit dem er in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

Der Asylgerichtshof hat unter diesen (und anderen) Umständen nicht gefunden, dass die Sachverhaltsgrundlage ausreichend ermittelt wurde, um eine Entscheidung des Bundesasylamtes über die Ausweisung überprüfen zu können. Aus diesem Grunde wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides vom behoben und angeordnet, dass im fortgesetzten Verfahren dazu ausreichende Feststellungen zu treffen sein werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen sich auf die bisherige Aktenlage und ergeben sich insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers sowie aus den Feststellungen des Asylgerichtshofes in den vorausgegangenen Verfahren und aus den Einvernahmen anlässlich des gegenständlich durchgeführten Parteiengehörs im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in der ersten Instanz.

Für die Feststellung seiner Identität liegen keine Identitätsdokumente vor. Es ist jedoch unstrittig, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Bangladesch ist, dass er sich seit ca. 19 Jahren hier in Österreich aufhält und dass sein Aufenthalt unrechtmäßig ist. Aus dem Beschwerdeverfahren zum zweiten Asylantrag des Beschwerdeführers ergibt sich, dass der Beschwerdeführer versucht hat, Integrationsschritte - wenn auch in bescheidenem Ausmaß - zu setzen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug.

Unstrittig ist auch die oben festgestellte Dauer der einzelnen Verfahren, sowie der Umstand, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers unsicher ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Das Bundesamt hat gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Da sich der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen geprüft. Das Bundesamt kam zutreffend zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz nicht vorliegen.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Gemäß Abs. 3 hat das Bundesamt über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen sowie gemäß Abs. 4 den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

Das Bundesamt hat auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz von Amts wegen geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer hierfür die Voraussetzungen nicht erfülle bzw. eine Rückkehrentscheidung nicht für auf Dauer als unzulässig zu erklären sei. Es ist davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer zwar ein Privatleben führe, dieses beruhe jedoch auf einen illegalen Aufenthalt und sei nicht so zu bewerten, als wenn es von einem legalen Aufenthalt abzuleiten wäre. Der Beschwerdeführer sei bis dato auch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen und habe er keinen Deutschkurs besucht. Er sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Der Beschwerdeführer sei zwar in einem Verein tätig, die Mitglieder dieses Vereines seien jedoch nur Bengalen. Dies zeige eindeutig, dass der Beschwerdeführer mit den Werten seines Heimatlandes noch sehr eng verbunden sei. Es könne daher nicht von einer Integration ausgegangen werden. Zudem sei er illegal eingereist und halte er sich nach negativer Entscheidung über seine Anträge auf internationalen Schutz weiterhin illegal im Bundesgebiet auf. Er habe dadurch beharrlich die Vorschriften des FPG und des NAG missachtet. Er habe sich auch zu keiner Zeit um die Ausstellung eines Personal- bzw. Reisedokuments gekümmert. Er sei keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen und finanziere seinen Lebensunterhalt durch Mittel des Staates. Der vorgelegte Arbeitsvorvertrag sei nicht von Relevanz, da ein solcher für den Arbeitgeber nicht bindend ist. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines Lebens im Heimatland verbracht, sei dort sozialisiert worden und habe er dort auch noch familiäre Bindungen. In Österreich habe der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen.

Damit ist die belangte Behörde nicht im Recht. Sie ist in ihrer Entscheidung nicht auf die lange Dauer der vorausgegangenen Verfahren über einen internationalen Schutz und auf den Umstand eingegangen, dass der Beschwerdeführer bereits seit 19 Jahren hier in Österreich lebt und welche Wertigkeit einem solch langen Aufenthalt, sei er auch zu einem Teil illegal, im Rahmen der Interessenabwägung zukommt. Aus dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.2.2011 ergibt sich überdies, dass Anhaltspunkte für Integrationsschritte durch den Beschwerdeführer vorhanden waren, die das Bundesasylamt jedoch nicht ausreichend erhoben hat. In der gegenständlich angefochtenen Entscheidung sind diese Anhaltspunkte mit keinem Wort erwähnt.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA.VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß Abs. 3 leg. cit. jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. […..]

Nach VwGH vom 30.4.2020, RA 2019/21/0134-10 ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen.

Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG nicht berücksichtigt. Es wurde ausdrücklich festgestellt, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist. Aus dem Vorverfahren ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zumindest versucht hat, integrationsbegründende Schritte zu setzen. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Freilich war es dem Beschwerdeführer aufgrund seines illegalen Aufenthaltes verwehrt, eine legale Beschäftigung anzunehmen. Andererseits dauerten die von ihm beantragten Verfahren auf Zuerkennung von internationalem Schutz überaus lange und ist nicht ersichtlich, dass die lange Verfahrensdauer überwiegend auf das Verschulden des Beschwerdeführers zurückgeht. Der Beschwerdeführer versuchte daher – wie der Vorentscheidung des Asylgerichtshofes zu entnehmen ist, durch Arbeiten in einem Restaurant einen Beitrag zu seinem Lebensunterhalt zu finanzieren. Dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache gar nicht beherrscht, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Es war dem Beschwerdeführer lediglich nicht möglich, die bei der Vernehmung verwendete Amtssprache ausreichend zu beherrschen. Insofern relativiert sich auch in diesem Punkt die Annahme, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um die deutsche Sprache zu lernen.

Trotz des Umstandes, dass noch Familienmitglieder des Beschwerdeführers im Heimatland leben und er unter Umständen im Falle der Rückkehr dort wieder Anschluss finden könnte, muss bei einer 19-jährigen Abwesenheit vom Heimatland angenommen werden, dass die Bindungen zu diesem Heimatstaat nur mehr auf einem sehr niedrigen Niveau vorhanden sind.

Das Bundeverwaltungsgericht erkennt daher für den gegenständlichen Fall, dass die privaten Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen und daher eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer als unzulässig zu erklären ist.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1.         dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2.         der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gegenständlichen Fall ist die Aufrechterhaltung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten und daher ist eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese ist als bloße „Aufenthaltsberechtigung“ und nicht als „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, da der Beschwerdeführer weder das Modul I der Integrationsvereinbarung erfüllt noch zum Entscheidungszeitpunt einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgeht, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird. Ein aufgrund dieser Aufenthaltsberechtigung auszustellender Aufenthaltstitel ist gemäß § 54 Abs. 2 Asylgesetz für die Dauer von zwölf Monaten ab Ausstellung gültig.

Der Beschwerde war daher stattzugeben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die für diese Entscheidung maßgebliche Judikatur ist im Entscheidungstext zitiert.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Integration Interessenabwägung öffentliche Interessen Pandemie Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Verfahrensdauer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L509.1221078.5.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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