TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 L521 2204605-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2020
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Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L521 2204605-1/46E

L521 2204608-1/18E

L521 2204610-1/18E

L521 2204612-1/19E

L521 2204613-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1092470703-151620794, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.01.2019, 06.09.2019 und 12.03.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und XXXX , gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1092471308-151621022, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.01.2019, 06.09.2019 und 12.03.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und XXXX , gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1092471210-151620131, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.01.2019, 06.09.2019 und 12.03.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und XXXX , gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1124593604-161052157, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.01.2019, 06.09.2019 und 12.03.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und XXXX , gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

V. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1124597102-161053425, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.01.2019, 06.09.2019 und 12.03.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und XXXX , gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und XXXX (L521 2204614-1) waren verheiratet. In Österreich erfolgte die Scheidung des Ehepaares. Bei dem Zweitbeschwerdeführer, bei dem Drittbeschwerdeführer, bei der Viertbeschwerdeführerin und bei dem Fünftbeschwerdeführer handelt es sich um deren leibliche - minderjährige - Kinder. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak, der arabischen Volksgruppe zugehörig und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Die Erstbeschwerdeführerin, ihr ehemaliger Ehegatte, der minderjährige Zweitbeschwerdeführer und der minderjährige Drittbeschwerdeführer stellten im Gefolge ihrer unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 24.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Die Erstbeschwerdeführerin legte im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am Folgetag zunächst dar, dass alle in dieser Einvernahme getätigten Aussagen in gleicher Weise für den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und den minderjährigen Drittbeschwerdeführer gelten würden.

Zu den Gründen der Ausreise befragt führte die Erstbeschwerdeführerin aus, ihr ehemaliger Gatte sei bedroht worden. Es sei ihnen im Irak sehr gut gegangen, da ihr ehemaliger Gatte einen guten Job besessen und gut verdient habe. Aufgrund der Bedrohung seiner Person hätten sie aber das Land verlassen müssen. Zudem gebe es im Irak keine Sicherheit mehr. Bei einer Rückkehr in den Irak habe sie Angst um das Leben der anderen Familienangehörigen bzw. dass diese von den Milizen entführt oder getötet werden könnten.

Im Übrigen legten die Erstbeschwerdeführerin, der minderjährige Zweitbeschwerdeführer und der minderjährige Drittbeschwerdeführer jeweils einen irakischen Personalausweis vor.

3. Die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer wurden am XXXX in Österreich nachgeboren und stellten die Eltern als gesetzliche Vertreter der Viertbeschwerdeführerin und des Fünftbeschwerdeführers am 29.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

4. Auf Ersuchen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018 wurde bezüglich der in Vorlage gebrachten irakischen Personalausweise seitens der Landespolizeidirektion Oberösterreich eine Dokumentenüberprüfung durchgeführt, welche deren Unbedenklichkeit bestätigte.

5. Am 15.03.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich Außenstelle Linz, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in der Sprache Arabisch von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter – zugleich auch als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführer – niederschriftlich einvernommen.

Nach dem Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt legte die Erstbeschwerdeführerin dar, dass ihr ehemaliger Gatte nicht viel erzählt habe. Dieser habe einen Urlaub in der Türkei vorgeschlagen. Sie habe jedoch gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sei. In der Türkei habe er ihr mitgeteilt, dass nicht nur er, sondern die ganze Familie bedroht worden sei. Er habe ihr gesagt, er würde persönlich bedroht werden und dass er sich bei der Militärausbildung geschworen habe, dass er sein Land verteidigen müsse. Es sei jedoch etwas passiert, weshalb er dies nicht mehr machen könne. Ihr ehemaliger Gatte sei bei seiner Arbeit sehr ernsthaft gewesen und habe diese gern ausgeführt. In letzter Zeit sei bei ihm aber etwas nicht in Ordnung gewesen. Näheres habe er ihr - auch jetzt nicht - erzählt. Sie wisse lediglich, dass er bedroht worden sei. Über die berufliche Tätigkeit habe er nicht viel erzählt, weil die Arbeit geheim sei und er nicht über die Arbeit reden dürfe.

Sie habe bezüglich ihrer Person keine eigenen Fluchtgründe. Die Fluchtgründe würden sich auf die ihres ehemaligen Gatten beziehen. Die Kinder verfügen ebenso wenig über eigene Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr in den Irak bestehe kein Problem mit der irakischen Regierung. Sie sei aber wegen ihres ehemaligen Gatten von den schiitischen Milizen bedroht.

Im Rahmen ihrer Einvernahme brachte die Erstbeschwerdeführerin - teilweise auch im Wege ihres ehemaligen Gatten - einen irakischen Reisepass in Kopie, einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie, erneut einen irakischen Personalausweis, eine Bestätigung über einen irakischen Hochschulabschluss und Unterlagen bezüglich ihrer Integration in Österreich in Vorlage.

6. Am 08.05.2018 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin per E-Mail das Zeugnis zur Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds Niveau A1, bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau A1 und zu Werte- und Orientierungswissen (Prüfungsdatum: 07.04.2018).

7. Mit den hier angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zlen. 1092470703-151620794, 1092471308-151621022, 1092471210-151620131, 1124593604-161052157 und 1124597102-161053425, wurden – jeweils mit individueller Begründung – die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin und des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak jeweils gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde wider die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkte III bis V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI).

8. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation für das Beschwerdeverfahren beigegeben und es wurden die Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass sie verpflichtet sind, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

9. Gegen die der Erstbeschwerdeführerin – auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin und des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers – am 02.08.2018 persönlich zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zlen. 1092470703-151620794, 1092471308-151621022, 1092471210-151620131, 1124593604-161052157 und 1124597102-161053425, richtet sich die im Wege der den Beschwerdeführern beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, die angefochtenen Bescheide abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und den Beschwerdeführern den Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und allenfalls die jeweiligen Rückkehrentscheidungen aufzuheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären oder hilfsweise festzustellen, dass die jeweilige Abschiebung in den Irak nicht zulässig sei. Darüber hinaus wird jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt und eventualiter ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der Sache wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführer aus dem Grund der politischen Gesinnung im Irak verfolgt worden seien. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer habe sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit beim Militär geweigert, schiitische Milizen in ein sunnitisches Siedlungsgebiet zu lassen, weshalb er Probleme mit seinem Vorgesetzten bekommen habe. Des Weiteren sei er aus diesem Grunde einer Todesdrohung seitens dieser schiitischen Miliz ausgesetzt gewesen. Aufgrund der großen Bedeutung der schiitischen Milizen im Irak und des Umstandes, wonach diese weitgehend eigenmächtig handeln, bestehe nicht die Möglichkeit den Schutz des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.

Ferner werden im Beschwerdeschriftsatz zur Bekräftigung der Gefährdung aufgrund der Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam über mehrere Seiten hinweg Auszüge aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.12.2017 wiedergegeben, die sich auf die Lage der Sunniten im Herkunftsstaat beziehen.

Bei ordnungsgemäßer Würdigung der vorliegenden Beweise und richtiger Einschätzung der vorliegenden Gefährdungslage hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

Des Weiteren wird ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, als äußerst gefährlich darstelle. Insoweit stelle eine Abschiebung in den Irak eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der - sunnitischen - Beschwerdeführer dar. In diesem Zusammenhang werden im Beschwerdeschriftsatz zudem zur Bekräftigung der Gefährdung aufgrund der Sicherheitslage auszugsweise Länderberichte wiedergegeben, die sich auf die Sicherheitslage im Herkunftsstaat beziehen.

Im Hinblick auf die Begründung zur Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten wird ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit der Situation von Minderjährigen im Irak und somit auch nicht mit den Länderfeststellungen auseinandergesetzt habe. Die belangte Behörde gehe nicht ausreichend auf die Minderjährigkeit der minderjährigen Beschwerdeführer und die Frage, ob ihnen im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Artikel 2 und 3 gewährleisteten Rechte drohe, ein. Die belangte Behörde stelle des Weiteren fest, dass die Beschwerdeführer über Angehörige im Irak verfügen würden, die sie im Falle einer Rückkehr unterstützen könnten. Den bekämpften Bescheiden sei aber nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde, die finanzielle Situation der Verwandten und deren Bereitschaft, sie finanziell zu unterstützen, näher überprüft hätte, sodass diese Feststellung sachlich unbegründet und eine fiktive Annahme sei.

Zudem wird anmerkt, dass die Viertbeschwerdeführerin unter epileptischen Anfällen leide und deshalb medikamentös behandelt werde. Durch die Behandlung gehe es ihr gesundheitlich besser. Ohne eine entsprechende Behandlung würde sich ihr Zustand aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder verschlechtern und es würde wieder zu epileptischen Anfällen kommen. Die belangte Behörde stelle fest, dass ein entsprechendes Medikament auch im Iran ohne Probleme erhältlich sei. Aus den Länderfeststellungen gehe jedoch hervor, dass die medizinische Versorgungssituation im Irak sehr angespannt bleibe. Es gebe einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Aufgrund der mangelnden politischen Stabilität und Staatssicherheit im Irak könne der Staat die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung nicht abdecken. Die medizinische Versorgung der Viertbeschwerdeführerin sei im Irak nicht gesichert, wodurch sich ihr Gesundheitszustand dort erheblich verschlechtern würde.

Schließlich wird auf die Integration der Beschwerdeführer und deren Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen, verwiesen. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer sei auch ehrenamtlich tätig gewesen. Ein Teil der minderjährigen Beschwerdeführer besuche in Österreich den Kindergarten und hätten sich die Beschwerdeführer in ihre Gemeinde gut eingelebt.

10. Die Beschwerdevorlage langte am 30.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssachen wurden in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

11. Mit Telefax vom 03.09.2018 legten die beschwerdeführenden Parteien im Wege der ihnen beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation zwei – nicht lesbare – Ablichtungen eines Drohbriefes vor.

12. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer verließ am 11.09.2018 das Bundesgebiet und kehrte freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück.

13. Am 10.10.2018 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin ein Schreiben vom 18.09.2018 bezüglich ihrer Probleme (etwa freiwillige Rückkehr ihres ehemaligen Gatten in den Irak, Gewalt und Unterdrückung in der Ehe) und mehrere Unterlagen zum Nachweis ihrer Integration an das Bundesverwaltungsgericht.

14. Zwecks Einsichtnahme wurden mit E-Mail der zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.01.2019 die betreffenden Akten der beiden Geschwister der Erstbeschwerdeführerin bei der Außenstelle Graz des Bundesverwaltungsgerichtes angefordert.

Diesem Ersuchen wurde entsprochen.

15. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.01.2019 wurden den Beschwerdeführern aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak, die Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project für das 3. Quartal 2018, die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 20.02.2017 betreffend Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq, die Anfragebeantwortung von ACCORD zum Irak vom 30.11.2017 betreffend die Aktivitäten der Milizen der Asaib Ahl al-Haqq seit 2013 bis heute und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, die Anfragebeantwortung von ACCROD vom 02.02.2018 zum Irak betreffend die Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere zum Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen, die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 08.03.2018 betreffend die Sicherheitslage in Bagdad, Informationen zum Personenstandsrecht im Irak und zur Lage von Frauen im Allgemeinen, der Bericht von ACCORD zum Schulsystem im Irak vom Mai 2017 und der Artikel von Thomas Schmidinger zur Lage in Bagdad vom 12.11.2018, zur Vorbereitung der für den 30.01.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelt und die Möglichkeit einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen freigestellt.

Im Rahmen ihrer Mitwirkungsverpflichtung wurden die Beschwerdeführer außerdem aufgefordert, zum Vorbringen im Schreiben vom 18.09.2018 sämtliche verfügbaren Beweismittel (zB behördliche Anzeigen) eine Woche vor der für den 30.01.2019 anberaumten Verhandlung in Vorlage zu bringen sowie verfügbare Zeugen zur Verhandlung stellig zu machen.

16. Die unter den Punkten 11. und I.13. angeführten Unterlagen wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Telefax vom 17.01.2019 an die belangte Behörde zur Vorbereitung der für den 30.01.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelt.

17. Mit Schreiben vom 22.01.2019 wurde seitens der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Erstbeschwerdeführerin eine Scheidungsklage eingereicht habe. Ergänzend wurde im Zuge der Stellungnahme zu den mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.01.2019 übermittelten Länderinformationen darauf hingewiesen, dass die Großfamilie des ehemaligen Gatten gegenüber der Erstbeschwerdeführerin bereits telefonische Drohungen geäußert habe, als dieser noch in Österreich gewesen sei. Die Erstbeschwerdeführerin habe daher große Angst und könne nicht in ihre Heimat zurückkehren. Hinzu komme, dass sunnitische Frauen im Irak diskriminiert werden würden. Als die Erstbeschwerdeführerin beispielsweise versucht habe, sich um eine Arbeitsstelle als Laborassistentin zu bewerben, sei sie aus dem Büro geworfen worden, sobald der Arbeitgeber von ihrer Religionszugehörigkeit Kenntnis erlangt habe.

Auf den Straßen in Bagdad habe die Erstbeschwerdeführerin zudem große Angst vor den schiitischen Milizen. Schließlich wurde ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin als alleinstehende und alleinerziehende Mutter im gesamten Irak keine Möglichkeit hätte, ihr Überleben sicherzustellen. Auch die eigene Familie könne keinen Schutz bieten, zumal der Vater bereits sehr alt sei und Geschwister in Wien leben würden. Im Irak stünde daher auch abgesehen von der Problematik der Verfolgung durch die Familie des Ehemannes keine Lebensgrundlage für sie und ihre Kinder zur Verfügung.

Dem Schreiben sind der bereits im September 2018 vorgelegte Drohbrief in Kopie, Unterlagen bezüglich des Scheidungsverfahrens, eine Bestätigung bezüglich des Besuches eines Deutschkurses durch die Erstbeschwerdeführerin und eine Stellungnahme der Erstbeschwerdeführerin zu den mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.01.2019 übermittelten Länderinformationen angeschlossen.

18. Die unter Punkt I.17. angeführten Unterlagen wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Telefax vom 23.01.2019 an die belangte Behörde zur Vorbereitung der für den 30.01.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelt.

19. Am 30.01.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführerin, ihrer zum damaligen Zeitpunkt rechtsfreundlichen Vertretung, einer Vertreterin des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde der Erstbeschwerdeführerin – auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder – einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation sowie ihre Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer blieb der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern, sodass er in der Sache nicht einvernommen werden konnte. Zwecks ergänzender Befragung der Erstbeschwerdeführerin und Ladung von Zeuginnen, wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

20. Mit Schreiben vom 01.04.2019 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin unter anderem Unterlagen bezüglicher ihrer universitären Ausbildung im Irak, des in Österreich anhängigen Scheidungsverfahrens und des Gesundheitszustandes der Viertbeschwerdeführerin.

21. Mit Urteil eines österreichischen Bezirksgerichtes vom 20.03.2019 wurde die zwischen der Erstbeschwerdeführerin und XXXX am XXXX geschlossene und mit der Registernummer XXXX Zahl XXXX beim Standesamt XXXX im Irak eingetragene Ehe aus dem Alleinverschulden des XXXX – nach Bestellung eines Abwesenheitskurators – mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteiles aufgehoben ist. Das Urteil erwuchs am 05.04.2019 in Rechtskraft

22. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.08.2019 wurden der den Beschwerdeführern beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak, der Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Targeting of Individuals, der Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Security Situation, der Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 betreffend Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018, der Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 zum Irak betreffend Key socia-ecomonic indicators, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.05.2019 zur Situation von Kindern in Bagdad, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.10.2018 betreffend Scheidung und die Situation geschiedener Frauen im Irak und die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 25.02.2019 betreffend die Lage von alleinstehenden Frauen, vor allem westlicher Gesinnung nach Rückkehr aus dem westlichen Ausland und Asylantragstellung, zur Kenntnisnahme übermittelt und die Möglichkeit einer Stellungnahme bis zum 04.09.2019 (einlangend) schriftlich bzw. in der Verhandlung freigestellt.

23. Am 06.09.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführerin, einer Vertreterin der den Beschwerdeführern beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation, einem Vertreter des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die arabische Sprache fortgesetzt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde der Erstbeschwerdeführerin neuerlich Gelegenheit gegeben, ihre Ausreisemotivation sowie ihre Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer blieb der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern, sodass er in der Sache nicht einvernommen werden konnte. Darüber hinaus wurde XXXX , eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin, als Zeugin und XXXX , ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin, als Zeuge einvernommen. Zwecks Ladung weiterer noch einzuvernehmender Zeuginnen wurde die Verhandlung erneut auf unbestimmte Zeit vertagt.

24. Mit E-Mail der zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.09.2019 wurde die Außenstelle Graz des Bundesverwaltungsgerichtes um Übermittlung der Beschwerde des von der zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes am 06.09.2019 einvernommenen Bruders der Erstbeschwerdeführerin ersucht. Diesem Ersuchen wurde entsprochen.

25. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 04.10.2019 eine Anfrage zur Gültigkeit der in Österreich erfolgten Scheidung im Irak und zum Scheidungs- und Obsorgerecht im Irak sowie zu den von der Erstbeschwerdeführerin in diesem Zusammenhang getätigten Angaben an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die bezughabende Anfragebeantwortung langte am 30.10.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

26. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.02.2020 wurden der den Beschwerdeführern beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak, das Themendossier zur aktuellen politischen Lage im Irak/ Protestlage vom 19.02.2020, das Länderinformationsblatt 2018 von IOM zum Irak und die in ihrer Sache eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Stellungnahme übermittelt. Eine diesbezügliche Stellungnahme langte am 09.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

27. Am 12.03.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführerin, einer Vertreterin der den Beschwerdeführern beigegebenen und von ihnen bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation und eines Dolmetschers für die arabische Sprache fortgesetzt. Ein Vertreter der belangten Behörde blieb der mündlichen Verhandlung entschuldigt fern. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde die Erstbeschwerdeführerin ergänzend befragt sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak nochmals anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Ferner wurden XXXX und XXXX als Zeuginnen einvernommen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung erklärte der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung, die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. 1092470409- 151620985, zurückzuziehen.

28. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.04.2020 wurde das Beschwerdeverfahren des ehemaligen Gatten der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters der minderjährigen Beschwerdeführer infolge Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , sie ist Staatsangehörige des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Sie wurde am XXXX in al-Anbar geboren, wuchs jedoch in Bagdad auf und lebte dort zuletzt gemeinsam mit ihrem ehemaligen Gatten sowie den gemeinsamen vor der Ausreise bereits geborenen Kindern – nämlich dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer – in einem gemieteten Haus.

Die Erstbeschwerdeführerin ist Moslem, sie bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie ist seit dem 05.04.2019 in Österreich rechtkräftig von XXXX geschieden und die leibliche Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin und des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte im Irak von 1991 bis 2003 die Grundschule und eine weiterführende Schule, wobei sie die Matura erlangte. Anschließend studierte sie von 2003 bis 2007 Chemie an der Universität. Diese Ausbildung schloss sie mit Erlangung des akademischen Grades Bakkalaurea ab. Nach einer Arbeitslosigkeit in den Jahren 2007 und 2008 arbeitete sie von 2008 bis 2012 etwa fünf Jahre bis zu ihrer ersten Schwangerschaft in einem Labor. Anschließend führte sie den Haushalt der Familie und übernahm die Betreuung der minderjährigen Beschwerdeführer.

Ihre Kinder sind am gegenständlichen Verfahren beteiligt. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Großeltern mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer leben derzeit in Bagdad, wobei lediglich die Mutter der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Großmutter mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer eine Pension bezieht. Beide Personen sind gesundheitlich beeinträchtigt. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin bzw. der Großvater mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer leidet seit seiner Kindheit unter der Lähmung eines Beines. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Großmutter mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer hat Rückenprobleme und befindet sich im Rollstuhl. Des Weiteren hat die Erstbeschwerdeführerin eine Schwester in Bagdad, welche den Haushalt für die Eltern der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Großeltern mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer führt. Schließlich halten sich mehrere Onkel und Tanten der Erstbeschwerdeführerin im Irak auf. Kontakt zu diesen Personen im Irak besteht nicht. In Österreich befinden sich eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin namens XXXX und ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin namens XXXX , die ebenfalls internationalen Schutz in Österreich begehren. Der Asylantrag der Geschwister der Erstbeschwerdeführerin wurde jeweils mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2018 in vollem Umfang abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Beide haben dagegen rechtzeitig Beschwerde erhoben, das diesbezügliche Beschwerdeverfahren ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Ende September 2015 verließen die Erstbeschwerdeführerin, ihr ehemaliger Gatte und der Zweit- sowie der Drittbeschwerdeführer gemeinsam den Irak von Bagdad legal im Luftweg in die Türkei nach Istanbul. Anschließend begaben sie sich auf dem Seeweg nach Griechenland und reisten nach einer etwa viertägigen Anhaltung durch die griechischen Behörden mit einer Fähre und weiteren verschiedenen Fahrzeugen nach Österreich. Dort stellte die Erstbeschwerdeführerin am 24.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 11.09.2018 hat der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe das Bundesgebiet verlassen und ist in den Irak zurückgereist.

Mit Urteil eines österreichischen Bezirksgerichtes vom 20.03.2019, XXXX , wurde die am XXXX geschlossene und mit der Registernummer XXXX Zahl XXXX beim Standesamt XXXX im Irak eingetragene Ehe der Erstbeschwerdeführerin aus alleinigem Verschulden ihres ehemaligen Ehegatten und Bestellung eines Abwesenheitskurators geschieden. Das Urteil erwuchs am 05.04.2019 in Rechtskraft.

1.1.2. Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort zuletzt gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder XXXX in einem gemieteten Haus.

Der Zweitbeschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Zweitbeschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Er stellte am 24.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.3. Der Drittbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort zuletzt gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder XXXX in einem gemieteten Haus.

Der Drittbeschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Drittbeschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Er stellte am 24.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.4. Die Viertbeschwerdeführerin XXXX und der Fünftbeschwerdeführer XXXX sind Staatsangehörige des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Sie sind Zwillinge und wurden jeweils am XXXX im Bundesgebiet in Freistadt geboren und lebten dort zuletzt gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin.

Die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer sind Muslime und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Bei der Viertbeschwerdeführerin wurde kurz nach der Geburt in Österreich eine genetisch bedingte Epilepsie (mit fokal sekundär generalisierten Anfällen in Clustern) diagnostiziert. Die Viertbeschwerdeführerin erhielt in der Folge eine medikamentöse Therapie. Aktuell bedarf die Viertbeschwerdeführerin keiner - medikamentösen - Therapie. Beim Fünftbeschwerdeführer wurde ein Leistenhoden rechts, ein offener Processus vaginalis rechts, eine Phimose und ein ausgeprägtes Lacunargrübchen mit Einengung des Meatus diagnostiziert. Anfang August 2017 erfolgte eine operative Sanierung.

Hinsichtlich der Viertbeschwerdeführerin und des Fünftbeschwerdeführers wurde am 29.07.2016 seitens der Eltern als gesetzliche Vertreter jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren eingebracht.

1.1.5. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer verfügen über irakische Ausweisdokumente (Personalausweise) im Original.

1.2. Zu den Ausreisegründen der Beschwerdeführer und zur Rückkehrgefährdung:

1.2.1. Die Beschwerdeführer gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften zu gewärtigen. Die Beschwerdeführer hatten darüber hinaus vor der Ausreise keine Schwierigkeiten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe sowie aufgrund ihres Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zu gewärtigen.

1.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer brachten keine eigenen asylrelevanten Ausreisegründe vor.

1.2.3. Der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Beschwerdeführer wurde vor seiner Ausreise in seinem Herkunftsstaat in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die irakischen Streitkräfte nicht von Kämpfern und/oder Anhängern schiitischer Milizen, etwa in Form eines Drohbriefes, bedroht oder angegriffen.

1.2.4. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Österreich immer wieder von ihrem ehemaligen Gatten geschlagen. Der ehemalige Ehegatte und die Erstbeschwerdeführerin hatten vor Geburt der beiden jüngsten Kinder unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Familienplanung und wollte der ehemalige Gatte der Erstbeschwerdeführerin in den Irak zurück und die Erstbeschwerdeführerin ebenfalls zur Rückkehr zwingen. Bezüglich der Gewalttätigkeiten erstattete die Erstbeschwerdeführerin aus Angst um ihre Kinder keine Anzeige. Schlussendlich kehrte der ehemalige Ehegatte im September 2018 alleine freiwillig in den Irak zurück. Da die Erstbeschwerdeführerin von diesem geschieden ist und er alleine in den Irak zurückkehrte, liegt eine aktuelle Verfolgungsgefahr nicht vor.

1.2.5. Es kann darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr in die Stadt Bagdad einer solchen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

1.2.6. Die Beschwerdeführer sind im Fall einer Rückkehr in die Stadt Bagdad auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/ oder physischer Gewalt aufgrund ihres Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt. Den Beschwerdeführern droht außerdem im Rückkehrfall keine strafrechtliche oder anderweitige behördliche Verfolgung und auch keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende individuelle Gefährdung oder individuell gegen sie gerichtete psychische und/oder physische Gewalt im Falle der Teilnahme an nicht gewalttätigen Protesten gegen die irakische Regierung.

1.2.7. Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der Beschwerdeführer festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine im Irak drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte bei nicht gewalttätigen Protesten gegen die irakische Regierung.

1.2.8. Die Erstbeschwerdeführerin und die minderjährigen Beschwerdeführer leiden an keinen schweren Erkrankungen.

Die Erstbeschwerdeführerin ist eine alleinstehende Frau, die zwar über universitäre Bildung verfügt, jedoch seit dem Jahr 2012 keiner Beschäftigung mehr nachgegangen ist, zumal sie ab diesem Zeitpunkt die Führung des Haushaltes und Betreuung der minderjährigen Beschwerdeführer übernahm. Sie ist im Rückkehrfall für ihre Kinder betreuungs- und sorgepflichtig. Die Erstbeschwerdeführerin und die minderjährigen Beschwerdeführer verfügen im Fall der Rückkehr über keine Wohnmöglichkeit.

1.2.9. Die irakische Hauptstadt Bagdad ist im Luftweg mit Linienflügen (Schwechat-Istanbul-Bagdad) direkt und gefahrlos erreichbar.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.4.1. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber den Beschwerdeführern offengelegten Quellen getroffen:

1.       Aktuelle Ereignisse

13.01.2020: Am 10.01.20 fanden in Bagdad und anderen Städten im Südirak große Kundgebungen anlässlich des 100. Protesttages statt. Am 10.01.20 wurden der Journalist Ahmed Abdul Samad und sein Kameramann Safaa Ghali von Unbekannten in Basra erschossen. Samad hatte zuvor von den Protesten berichtet. Reporter ohne Grenzen zufolge wurden seit Beginn der Proteste sechs Journalisten von Unbekannten getötet (vgl. BN v. 02.12.19). 4

Lokale Medien berichteten, dass 166 Aktivisten zwischen dem 01.10.19 und dem 28.12.19 entführt oder verschwunden seien. Die Irakische Hohe Menschenrechtskommission (IHCHR) geht von 68 entführten oder verschwundenen Personen aus und dokumentierte 33 gezielte Tötungsversuche, wobei 14 Personen ums Leben kamen.

Am 27.12.19 kam es zu einem Raketenangriff – mutmaßlich durch die proiranische irakische Miliz Kata’eb Hizbollah (KH) – auf eine irakische Militärbasis, dabei wurden ein amerikanischer Auftragnehmer getötet und vier amerikanische und zwei irakische Soldaten verletzt. Bereits zuvor war es vermehrt zu Angriffen auf amerikanische Truppen und Ziele im Irak gekommen (vgl. BN v. 16.12.19). Am 29.12.19 führten die USA Vergeltungsschläge auf drei Einrichtungen der KH durch, dabei sollen mehrere KH-Kämpfer verletzt und getötet worden sein. Am 31.12.19 demonstrierten KH-Unterstützer und Anhänger der Volksmobilisierungsfront vor der amerikanischen Botschaft innerhalb der hochgesicherten Green Zone im Zentrum von Bagdad. Demonstranten stürmten dabei den Eingangsbereich der Botschaft und setzten diesen in Brand. Unklar ist, wie diese die Sicherheitskontrollen zur Green Zone passieren konnten.

Am 03.01.20 führten die USA einen Drohnenangriff durch, bei dem u.a. der iranische General Qassem Soleimani (Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde) und Abu Mahdi al-Muhandis (stellvertretender Anführer der irakischen Volksmobilisierungsfront) in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad getötet wurden. Der Iran führte am 08.01.20 einen Vergeltungsschlag auf zwei irakische Militärbasen in der Provinz Anbar und in Erbil durch, dabei kam es zu materiellen Schäden. Es kommt seither immer wieder zu Raketenangriffen auf irakische Militärbasen, die amerikanische Truppen beherbergen, mutmaßlich durch proiranische irakische Milizen. Zuletzt wurden am 12.01.20 bei einem Angriff auf eine Militärbasis in Salah ad-Din vier irakische Soldaten verletzt; amerikanische Truppen befanden sich zu dem Zeitpunkt des Angriffs nicht in der Basis.

Die regierungskritischen Proteste halten seit dem 25.10.19 in weiten Teilen des Irak an. Die aktuelle Regierung steht nicht nur wegen Korruption und Misswirtschaft, sondern auch wegen der iranischen Einflussnahme auf die Innenpolitik in der Kritik. Seit den Wahlen 2018 sind Vertreter proiranischer Milizen in Form der Fatah-Allianz im Parlament vertreten. Seit Beginn der Proteste wurden u.a. General Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis öffentlich kritisiert. Soleimani war in den letzten Monaten mehrmals nach Bagdad gereist und soll maßgeblich hinter der gewaltsamen Antwort der Regierung auf die Proteste stehen (vgl. BN v. 02.12.19).

20.01.2020: Regierungskritische Demonstranten in Nasriyah stellten der irakischen Regierung ein Ultimatum, um bis zum 19.01.20 einen neuen Premierminister zu benennen. Mangels Reaktion seitens der Regierung, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, blockierten Demonstranten Hauptverkehrsstraßen, die Bagdad mit den südlichen Provinzen verbinden. Seit dem 01.10.19 wurden lokalen Berichten zufolge mehr als 669 Personen getötet und über 25.000 bei den Protesten verletzt. Es kommt immer wieder zu gezielten Angriffen, Tötungen und Entführungen von Aktivisten. Am 18.01.20 entging die durch das Anführen von Demonstrationen bekannt gewordene Aktivistin Nahawand Turki in Nasriyah (Dhi Qar) einem Tötungsversuch.

Am 15.01.20 kamen bei einem türkischen Luftangriff auf ein Militärfahrzeug der jesidischen Miliz YB? (Wiederstandseinheiten Shingal) in Sinune (Sinjar) mindestens vier Kämpfer ums Leben. Kurdischen Medien zufolge sollen ein jesidischer Kommandant der YB?, Zardasht Shingali, und vier weitere Kämpfer bei dem Angriff getötet worden sein. Ein Zivilist sei verwundet worden. Die jesidische Miliz, YB?, wurde 2014 im Kampf gegen den IS gegründet und steht Berichten zufolge den kurdischen Gruppen YPG und PKK nahe. Die türkische Luftwaffe führt immer wieder Luftangriffe auf die Region Sinjar durch (vgl. BN v. 11.11.19).

27.01.2020: Am 20.01.20 berechtigte der Nationale Sicherheitsrat die irakischen Sicherheitskräfte, Personen, die Straßen und Kreisverkehre außerhalb der genehmigten Protestorte blockieren, zu verhaften. Sicherheitsquellen zufolge wurden daraufhin in Bagdad mindestens neun Personen verhaftet. Zwischen dem 20.01.20 und dem 22.01.20 kam es zu Übergriffen auf regierungskritische Demonstranten seitens der Sicherheitskräfte u.a. in Bagdad, Kerbala, Baaquba (Diyala) und Basra. Der Irakischen Kommission für Menschenrechte zufolge wurden zwölf Demonstranten getötet und 230 weitere Personen verletzt.

Am 24.01.20 protestierten Tausende Anhänger des schiitischen Geistlichen Moqtada Sadr gegen die US-amerikanische militärische Präsenz im Irak. Da der Marsch von den seit dem 01.01.19 protestierenden, regierungskritischen Demonstranten großteils nicht unterstützt wurde, zog Sadr seine Unterstützung für diese Proteste zurück und forderte seine Anhänger auf, die Protestlager in Bagdad und anderen Städten zu verlassen. Seit dem 25.01.20 gingen Sicherheitskräfte unter Einsatz von scharfer Munition und Tränengasgranaten gegen regierungskritische Demonstranten vor. In Bagdad, Basra, Nasriyah und anderen Städten brannten Sicherheitskräfte und unbekannte Dritte Protestzelte nieder, u.a. auch solche, in denen medizinische Versorgung geleistet wurde. Bei den Übergriffen kamen mindestens vier Demonstranten ums Leben; Dutzende weitere wurden verletzt. Derzeit werden die zerstörten Zeltlager von den Demonstranten wiederaufgebaut.

Medienberichten zufolge sind am 27.01.20 fünf Raketen in der hochgesichterten „Grünen Zone“ in Bagdad, in der sich auch die US-Botschaft befindet, niedergegangen. Die Botschaft sei direkt getroffen und drei Personen seien verletzt worden. Der letzte Raketenangriff ereignete sich am 20.01.20.

Am 16.01.20 warnte die Koordinatorin der UN-Mission im Irak, Marta Ruedes, vor der landesweiten Aussetzung humanitärerer Hilfsaktionen. Jeden Monat erhielten humanitäre Akteure eine Genehmigung der Behörden, welche ihnen u.a. ermöglicht, Checkpoints zu passieren. Die Genehmigungen für die Mehrheit der internationalen humanitären Akteure seien im Januar 2020 ausgelaufen und nicht erneuert worden. Bereits im November 2019 berichtete das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), dass die im Rahmen der regierungskritischen Proteste verhängten Ausgangssperren und die Abschaltung des Internets Hilfseinsätze verzögert oder behindert hatten. Seit Anfang Dezember 2019 seien bereits 2.460 Hilfseinsätze abgesagt worden; rund 2,4 Millionen Menschen seien von den Ausfällen betroffen. 6,7 Millionen Menschen seien derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen.

03.02.2020: Nachdem Präsident Braham Salah dem Parlament ein Ultimatum gesetzt hatte, um einen neuen Premierminister zu nominieren, wurde am 01.02.20 Mohammad Tawfiq Allawi benannt. Allawi war bereits Kommunikationsminister unter Nouri al-Maliki. Er hat nun einen Monat Zeit, eine neue Regierung zu bilden.

Kurz nach seiner Ernennung kam es in Bagdad und anderen Teilen des Iraks zu regierungskritischen Protesten. Gleichzeitig erklärte Moqtada Sadr, Vorsitzender des größten politischen Blocks im Parlament, seine Unterstützung für Allawi und wies seine Anhänger, die als Blaue Mützen bekannt sind, an, die Sicherheitskräfte bei der Einhaltung der öffentlichen Ordnung zu unterstützen. Die Blauen Mützen hatten sich bis zum 24.01.20 unter die regierungskritischen Demonstranten gemischt, um eine Art Schutzmacht zwischen ihnen und den irakischen Sicherheitskräften zu bilden. Nachdem Sadr offiziell seine Unterstützung für die Proteste zurückzog, verließen die Blauen Mützen die Protestlager, welche wenig später von Sicherheitskräften angegriffen wurden (vgl. BN v. 27.01.20).

Am 01.02.20 übernahmen die Blauen Mützen die Kontrolle über das türkische Restaurant, ein leerstehendes mehrstöckiges Gebäude im Zentrum von Bagdad, das zum Wahrzeichen der regierungskritischen Proteste geworden ist. Trotz des Aufrufes Sadrs, die Proteste und Streiks zu beenden, kam es auch am 02.02.20 in Bagdad und anderen Städten zu studentischen Massenprotesten gegen Allawi und Straßensperren. Beobachter warnen vor einer Eskalation zwischen den Anhängern Sadrs und den bislang friedlichen regierungskritischen Demonstranten.

Am 30.01.20 nahm die von den USA angeführte Internationale Allianz gegen den IS die gemeinsamen Militäroperationen mit den irakischen Streitkräften wieder auf. Diese Militäroperationen waren am 05.01.20 eingestellt worden, nachdem es zum Raketenbeschuss von irakischen Militärbasen, die amerikanische Truppen beherbergen, gekommen war. Grund für die Wiederaufnahme seien Medienberichten zufolge die anhaltenden militärischen Aktivitäten des IS.

10.02.2020: In der Stadt Najaf griffen am 05.02.20 Anhänger Moqtada al-Sadrs ein regierungskritisches Protestcamp an. Die sogenannten Blauen Mützen, wie die Anhänger Sadrs genannt werden, werden beschuldigt, Benzinbomben geworfen zu haben und unter Einsatz von Schuss- und Stichwaffen sowie Stöcken versucht zu haben, das Lager zu räumen. Berichten zufolge seien acht Personen getötet und mindestens 100 Personen verletzt worden. Augenzeugenberichten zufolge seien Sicherheitskräfte nicht zum Schutz der Demonstranten eingeschritten. Laut Medienberichten hat Sadr ein Abkommen mit Hadi al-Amiri, dem Leiter des Fatah-Blocks und Anführer der Badr-Organisation, in Qom (Iran) abgeschlossen. Ziel sei die Unterstützung Allawis als Premierminister (vgl. BN v. 03.02.20) und die Beendigung der Proteste gewesen. Am 09.02.20 hielten studentische Proteste und Streiks in mehreren Städten weiter an.

Am 05.02.20 explodierte in einem Protestlager am Zelt des regierungskritischen Aktivisten Dr. Alaa al-Rikabi in Nasriyah eine Sprengvorrichtung, dabei wurde mindestens ein Demonstrant verletzt. Seit Beginn der regierungskritischen Proteste im Oktober 2019 kommt es immer wieder zu gezielten Angriffen auf Aktivisten.

Am 04.02.20 wurde ein Milizenführer der Saraya al-Salam, Abu Muqtada al-Izrajawi, nahe seiner Wohnung in der Provinz Maysan bei einem Angriff verletzt. Er erlag später den Schussverletzungen. Am 06.02.20 wurde ein weiterer Milizenführer der Saraya al-Salam, Sheikh Hazim al-Halfi, in Basra Stadt erschossen. Die Hintergründe und Täter sowie ob die Vorfälle miteinander im Zusammenhang stehen ist bis dato unklar. Die Saraya al-Salam (*2014) geht aus der ehemaligen Mahdi-Armee (2003-2008) hervor. Die Saraya al-Salam wurde im Zuge des Kampfes gegen den IS gegründet. Sie untersteht dem Politiker und schiitischen Geistlichen, Moqtada Sadr und ist Teil der Volksmobilisierungsfront (Hashd al-Shaabi).

Am 06.02.20 demonstrierten Dutzende gegen die Präsenz der Milizen der Volksmobilisierungsfront (Hashd al-Shaabi) in der Region Sahel (Ninewa). Kritisiert wird u.a. die Einmischung der Volksmobilisierungsfront in politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Angelegenheiten. Die Volkmobilisierungsfront vertreibe Anwohner und verweigere intern Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatorte. Zudem würden durch sie Steuern und Gebühren für den Warentransport nach Mosul und in die Region Kurdistan-Irak erhoben.

17.02.2020: Am 13.02.20 marschierten tausende Frauen in Bagdad und anderen Städten im Südirak, um ihre Solidarität mit den regierungskritischen Demonstrationen zu bekunden. Die Frauen riefen zudem zu Geschlechtergleichheit auf. Irakische Frauen sind seit Beginn der Proteste aktiv an der Bewegung beteiligt.

24.02.2020: Am 17.02.20 kritisierte die Vorsitzende der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, abermals den Einsatz von exzessiver Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten. Zwischen dem 14.02. und 16.02.20 wurden mindestens 50 Personen durch Steine, Brandbomben und den Einsatz mit Schrot geladenen Jagdgewehren verletzt. Hennis-Plasschaert rief die irakischen Behörden auf, die Identität unbekannter bewaffneter Akteure aufzuklären und Demonstranten zu schützen.Obwohl die regierungskritischen Proteste weiter andauern haben sie an Stärke eingebüßt, nachdem Moqtada Sadr seine Unterstützung zurückgezogen hat (vgl. BN v. 27.01.20).

Das irakische Ministerium für Planung veröffentlichte am 16.02.20 aktuelle Zahlen zur Armutsrate, die auf einer Untersuchung aus dem Jahr 2018 beruhen. Der Erhebung zufolge sei die Armutsrate auf 20% gesunken (Vergleich 2014: 22,5%). Zwischen den einzelnen Provinzen gibt es erhebliche Unterschiede: Während die Armutsrate in der Provinz Suleimaniya mit 4,5% am niedrigsten ist, liegt sie in der Provinz Muthanna bei 52%.

Einem UN-Bericht vom 17.02.20 zufolge haben etwa 355.000 Kinder und Jugendliche keinen Zugang zum formalen Schulsystem. Kinder, die unter der IS-Herrschaft zu Jugendlichen oder jungen Erwachsenen geworden waren, können die fehlenden Schuljahre kaum aufholen oder hätten keine Alternativen zum konventionellen Schulsystem. Kinder und Jugendliche, die in Vertriebenenlagern lebten, seien zudem von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit betroffen oder hätten teilweise die notwendigen zivilstaatlichen Dokumente für die Registrierung an einer Schule nicht.

09.03.2020: Nach dem Rücktritt des Premierminister-Kandidaten (vgl. BN v. 02.03.20) gewannen die regierungskritischen Proteste erneut an Stärke. Die Menschen forderten einen innen- und außenpolitisch unabhängigen Kandidaten. Der irakische Präsident, Braham Salih, hat bis zum 16.03.20 Zeit, einen neuen Kandidaten für das Amt des Premierministers zu benennen. Es kommt nach wie vor zu teils schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Erst am 04.03.20 wurden in Bagdad bei Ausschreitungen mindestens 160 Personen verletzt. Zudem kam es abermals zu Übergriffen auf Demonstrierende. So wurde in Bagdad Hussein Rahm durch Messerstiche mutmaßlicher Sadr-Anhänger verletzt. In Nasriyah wurde die Aktivistin Rana Abd al-Halim entführt, nachdem sie öffentlich Kritik an Moqtada Sadr geübt hatte. Ein weiterer Aktivist, Ali al-Hafli, wurde in Basra von Unbekannten erschossen. Die Vorsitzende der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, kritisierte erneut, dass die Regierung ihrer Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung gegen unbekannte Dritte nicht nachkomme.

Am 08.03.20 kam es in Bagdad und mehreren Städten im Südirak zu großen Kundgebungen anlässlich des Weltfrauentages. Irakische Mädchen und Frauen forderten Frauenrechte und drückten ihre Unterstützung für die regierungskritischen Demonstrationen aus. Die letzten Frauenmärsche (vgl. BN v. 17.02.20) hatte der Geistliche, Moqtada Sadr, als „Hurerei und Sünde“ verurteilt.

Lokalen Medien zufolge kritisierte der Generalsekretär des Peshmergaministeriums, Jabbar Yawar, dass nach wie vor keine effektive Einigung in Bezug auf die Sicherheit in den umstrittenen Gebieten zwischen Bagdad und Erbil erzielt werden konnte. Seit Januar 2019 gäbe es angesichts anhaltender IS-Aktivitäten Bemühungen, eine Einigung zu erzielen. Yawar beschuldigte die irakische Zentralregierung, weder zum Schutz der Region fähig zu sein, noch bereit zu sein, mit den Peshmerga zusammenzuarbeiten.

Einer Reportage von Reuters zufolge befinde sich das irakische Gesundheitssystem in einer Krise, die vor allem durch fehlende Medikamente und ausgebildetes Personal bestimmt sei. Viele ausgebildete Praktiker verlassen aufgrund der Arbeitsbedingungen und Drohungen das Land. Laut einer Studie des irakischen Gesundheitsministeriums stünde die Mehrheit der notwendigen Medikamente nicht ausreichend oder gar nicht zur Verfügung. Viele in den Apotheken zur Verfügung stehenden Medikamente würden aus dem Ausland geschmuggelt und bergen Gesundheitsrisiken, z.B. überschrittenes Ablaufdatum. Besonders der Zugang zu Krebsbehandlungen und Medikamenten seien prekär, wodurch ein Großteil der Betroffenen auf kostspielige Alternativen im Ausland, z.B. Indien, ausweiche. Nach einer Rückkehr in den Irak sei eine Weiterbehandlung oft entweder zu kostenintensiv oder nicht vorhanden. Für 1.000 Personen stehen 0,8 Krankenhausbetten und 1,2 Ärzte zur Verfügung, damit liegt der Irak unter dem regionalen Durchschnitt. Der Platzmangel wirke sich negativ auf die Behandlungsqualität in Notaufnahmen und Krankenstationen aus. Am 15.09.19 trat der Gesundheitsminister, Alaa Alwan, von seinem Amt zurück. Grund seien Drohungen und Wiederstände gegen Reformversuche im Gesundheitswesen gewesen. Korruption und Missmanagement seien die Hauptursachen der Krise. Die Verbesserung des Gesundheitssystems wiederum ist eine der Hauptforderung der regierungskritischen Proteste, die seit Oktober 2019 in Bagdad und den südlichen Provinzen anhalten.

16.03.2020: Am 11.03.20 kam es zu Raketenangriffen auf die irakische Militärbasis Taji (Bagdad). Dort sind auch internationale Truppen stationiert. Bei dem Angriff kamen Medienberichten zufolge zwei US-amerikanische und ein britischer Soldat ums Leben, mehr als zehn weitere wurden verletzt. Keine Gruppe bekannte sich zudem Angriff. Die USA machen die pro-iranischen Miliz, Kataeb Hizbollah, für die Angriffe verantwortlich. Die USA führten am 13.03.20 mehrere Luftschläge gegen Waffendepots der Miliz aus. Der irakische Präsident Braham Salih verurteilte die Luftschläge als Eingriff in die Souveränität des Irak.Am 14.03.20 kam es zu einem erneuten Raketenangriff auf die Militärbasis Taji. Bei dem Angriff seien mehrere Soldaten verletzt worden. Bereits im Dezember 2019 kam es zu vermehrten Raketenangriffen auf US-amerikanische Ziele (vgl. BN vom 16.12.20). Die Spannungen eskalierten im Januar 2020 mit dem US-amerikanischen Drohnenangriff auf den iranischen Kommandanten Qassem Soleimani in Bagdad (vgl. BNvom 13.01.20).

Die Kataeb Hizbollah (KH) gilt als pro-iranische, schiitische Miliz, die der Volksmobilisierungsfront

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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