TE Bvwg Beschluss 2020/7/6 L518 2230579-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2020
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Entscheidungsdatum

06.07.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L518 2230579-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch SCHÖPPL & WAHA Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 06.04.2020, Zl. OB: 53500427400038 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, dass der Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg vom 06.04.2020, GZ: OB: 53500427400038 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) BGBl. I Nr. 33/2013 idgF aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei (im Folgenden kurz „BF“ bzw. „bP“ genannt) beantragte mit am 27.12.2019 bei der belangten Behörde (folglich „bB“ bezeichnet) einlangenden Schreiben die Neufestsetzung des Grades der Behinderung sowie die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.

Eine am 27.2.2020 durch Dr. XXXX , FA für Chirurgie und Arzt für Allgemeinmedizin, durchgeführte klinische Untersuchung und Gutachtenserstellung erbrachte im Wesentlichen nachstehendes Ergebnis:

Es liegt ein Antrag zur Ausstellung eines Behindertenpasses vor-Neufestsetzungsantrag. Gleichzeitig wurde auch um die Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises eingereicht. Die Untersuchung findet am 27.02.2020 in der Zeit von 12:30-13:00 statt. Das Gutachten wird nach den Richtlinien der EVO, den vorliegenden Befunden und einer eingehenden klinischen Untersuchung erstellt.

Die im Antrag angeführte Erkrankungen bzw. Diagnosen zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung:

1.) Degenerative Veränderungen in beiden Hüftgelenken.

2.) Diabetes mellitus II.

3.) Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD I-II).

4.) Tinnitus linkes Ohr.

5.) Arterielle Hypertonie.

6.) Sensibles Polyneuropathiesyndrom.

7.) Astigmatismus.

8.) Z.n. Hörsturz links.

Vorgutachten (EVO), 26.11.2018, Facharzt für Chirurgie, GdB: 30 %, DZ, ZE: D1.

Die im Vorgutachten (EVO) angeführten Erkrankungen bzw. Diagnosen zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung:

1.) Degenerative Veränderungen in beiden Hüftgelenken-30 %.

2.) Diabetes mellitus II-Nicht insulinpflichtig-30 %.

3.) COPD I-II-20 %.

4.) Tinnitus linkes Ohr-10 %.

5.) Arterielle Hypertonie-10 %.

Operationen: Der Patient gibt an, dass es sich sicher NIE operieren lassen wird.

Derzeitige Beschwerden:

Der Patient kommt alleine und mit einer Stützkrücke zur Untersuchung. Er berichtet über Schwindelgefühle (Schwankschwindel) und eine Gehstrecke von 10-15 m- 1 Stockwerk kann er überwinden. Die Schwindelgefühle seien hauptsächlich in der Nacht. Weiters berichtet er über ein Taubheitsgefühl an beiden Vorfüßen und Unterschenkeln. Beim Autofahren habe er weder Schmerzen noch Schwindelgefühle. Ebenso werden Schmerzen im linken Hüftgelenk beschrieben. Weitere Funktionseinschränkungen werden auch auf Nachfrage nicht angegeben.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Metformin, Bretaris Geuair, Arca-Be, Oleovit D3, Lisinopril, Vimovo, Parkemed, Voltadol, 1 Stützkrücke,

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Vorgutachten (EVO), 26.11.2018, Facharzt für Chirurgie, GdB: 30 %, DZ, ZE: D1.

Augenärztlicher Befund, 23.10. 2019, Facharzt für Augenheilkunde.

Visus cc:

Rechtes Auge: 0,9.

Linkes Auge: 0.02.

Arztbrief, Facharzt für Orthopädie, 28.10.2019.

Diagnosen:

1.) Coxarthrose beidseits.

2.) Tremor und Gangunsicherheit.

Beurteilung

Betreffend Hüften besteht eine schmerzabhängige Indikation zur operativen Versorgung durch Totalendoprothesen. Betreffend Tremor und Gangunsicherheit erfolgte die Überweisung zum Neurologen.

Arztbrief, Facharzt für Neurologie, 23.12.2019.

Beurteilung??

Die Beschwerden mit Schwindel und Gangunsicherheit sind durch die Kombination von Visusbeeinträchtigung und der Hypakusis bedingt. Das Polyneuropathiesyndrom mit hoher Wahrscheinlichkeit diabetogen

Arztbrief, 23.10.2019, Facharzt für HNO.

Diagnosen:

1.) St.p.Hörsturz li. (1986).

2.) Gangunsicherheit.

3.) Innenohrschwerhörigkeit bds.

4.) Pantonale hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links.

Audiogramm ist nicht beiliegend.

Röntgenbefund, 20.02.2018, Beckenübersicht und Hüftvergleich bds.

Ergebnis:

Beckenschiefstand. Beckenhochstand links um 4 mm. Mäßige Koxarthrose mit subchondraler Sklerosierung und kranialer Gelenkspaltverschmälerung links ausgeprägter als rechts.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Altersgemäßer Allgemeinzustand.

Ernährungszustand:

Adipöser Ernährungszustand.

Klinischer Status – Fachstatus:

Kopf/ Hals: HNAP: frei, nicht druckschmerzhaft, SD: tastbar, frei verschieblich, LK: keine pathologischen Lymphknoten tastbar, Sehen: Gleitsichtbrille, Hören: lt. Befund besteht eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links, Zahnstatus: saniert (OK-und UK-Prothese),

Thorax/ Lunge: knöcherner Thorax seitengleich, VA, Lungenbasen frei verschieblich, keine pathologischen RG's auskultierbar,

Herz: HT rein, rhythmisch, normofrequent,

Abdomen: Bauchdecke weich, über dem Thoraxniveau gelegen, keine pathologischen Resistenzen tastbar, Bruchpforten geschlossen, Leber und Milz nicht tastbar,

Wirbelsäule: Achsengerechte Stellung, FBA: 20 cm, Lasegue: bds. negativ, Dreh-und Kippbewegung in der LWS endlagig nicht eingeschränkt, nicht schmerzhaft, KS und DS entlang der gesamten Wirbelsäule nicht auslösbar, aktives Abheben beider unteren Extremitäten von der Unterlage bis 45° möglich,

Obere Extremitäten: Alle großen Gelenke an beiden oberen Extremitäten sind im Bewegungsumfang frei, grobe Kraft altersgemäß vorhanden, Nacken-und Schürzengriff beiderseits durchführbar,

Untere Extremitäten:

Hüftgelenk links: Flex. bis 70° durchführbar, Stauchungsschmerz auslösbar, KS lateral auslösbar, Innen-und Außenrotation beiderseits nicht eingeschränkt, alle übrigen großen Gelenke an beiden unteren Extremitäten sind im Bewegungsumfang frei, grobe Kraft altersgemäß vorhanden,

Neurologischer Status: derzeit keine sensiblen und motorischen Ausfälle vorhanden, anamnestisch Polyneuropathie an beiden unteren Extremitäten,

Gefäßstatus: periphere Gefäße beiderseits gut tastbar,

Haut: altersgemäße Hautstruktur,

Nikotin: Exraucher seit 4 Monaten (E-Zigaretten),

Alkohol: 0,

Gesamtmobilität – Gangbild:

Die Gesamtmobilität wird mit 10-15 m angegeben. Einbeinstand beiderseits durchführbar. Zehen-und Fersengang beiderseits nicht möglich. Das Gangbild ist rechtshinkend aber sicher.

Status Psychicus:

Patient allseits orientiert. Antrieb normal. Affizierbarkeit im positiven Skalenbereich gegeben. Duktus kohärent. Derzeit keine pathologischen Denkinhalte verifizierbar.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Sensible diabetogene Polyneuropathie.

Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 40 %-Gangunsicherheit mit anamnestisch angegebenen Schwindel.

04.06.01

40

2

Degenerative Veränderungen im linken Hüftgelenk.

Einstufung der Erkrankung mit den Fixsatz laut EVO von 30 %-Gering- mittelgradige Funktionseinschränkung-Belastungsschmerzen.

02.05.09

30

3

Diabetes mellitus II-Nicht insulinpflichtig.

Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 30 %-Diabetische Folgeerkrankung vorliegend.

09.02.01

30

4

Sehverminderung am linken Auge-Visus cc: 0,02.

Einstufung der Erkrankung nach dem vorliegenden augenärztlichen Befund und der Tabelle laut EVO mit 30 %-Zeile 8/Spalte 1.

11.02.01

30

5

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD I-II).

Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 20 %-Dyspnoe bei vermehrte Belastung-Keine Ruhedyspnoe.

06.06.01

20

6

Hochgradige Schwerhörigkeit linkes Ohr.

Einstufung der Erkrankung mit dem Fixsatz laut Tabelle nach EVO mit 10 %-Zeile 4/Spalte 1.

12.02.01

10

7

Tinnitus linkes Ohr.

Einstufung der Erkrankung mit dem unteren Wert des Rahmensatzes von 10 %-Kompensiert und ohne nennenswerte psychische oder vegetative Begleiterscheinungen.

12.02.02

10

8

Arterielle Hypertonie.

Einstufung der Erkrankung mit dem Fixsatz von 10 % laut EVO-Monotherapie zur Erzielung einer Normotonie ist ausreichend.

05.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Position 1 als Hauptdiagnose-Polyneuropathie-wird durch die Positionen 2, 3 und 4 um insgesamt 2 Stufen auf den Gesamtgrad der Behinderung von 60 % gesteigert. Durch die Erkrankungen 2-4 kommt es zu einer zusätzlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes. Die Positionen 5-8 haben keinen weiteren funktionellen Einfluss auf die Erkrankungen 1-4 und steigern daher den Grad der Behinderung nicht weiter.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Derzeit liegen keine weiteren Erkrankungen bzw. Diagnosen zur Einstufung vor.

Degenerative Veränderungen im rechten Hüftgelenk: Derzeit liegen keine Funktionseinschränkungen mit einem Behinderungsgrad vor.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Insgesamt ist es eine Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes gekommen. Im Vordergrund steht nunmehr die Polyneuropathie.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Einstufung des Gesamtgrades der Behinderung nunmehr mit 60 % (Vorgutachten: 30 %). Die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung erfolgt durch den Polyneuropathie, den Diabetes mellitus II, die degenerativen Veränderungen im linken Hüftgelenk und die Visusminderung am linken Auge.

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Die vom Patienten angegebene Gehstrecke von 10-15 m kann aufgrund der vorliegenden Befunde und der klinischen Untersuchung nicht nachvollzogen werden. Bei der Anamnese gibt er an, dass es sicher nie mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. Flugzeug reisen werde. Sowohl die degenerativen Veränderungen im Bereich des linken Hüftgelenks (Mäßige Coxarthrose in der bildgebenden Diagnostik) als auch die anamnestisch angegebene Schwindelsymptomatik können die angegebene Einschränkung der Mobilität nicht begründen. Auch die sensible Polyneuropathie hat keinen wesentlichen Einfluss auf die angegebene Einschränkung der Gehstrecke. Aus medizinischen Gründen ist daher die Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises nicht indiziert.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Derzeit liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor, die laut den Richtlinien der EVO zu einer Ausstellung eines Parkausweises führt. Auch eine laufende Chemo-und Radiotherapie ist keine Indikation zur Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises.

Mit Schreiben vom 10.3.2020 wurde der BF gem. § 45 Abs. 3 AVG vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Möglichkeit zur Stellungnahme in Kenntnis gesetzt.

Folglich wurde dem BF der Behindertenpass ausgefolgt und mit im Spruch bezeichneten Bescheid der Antrag auf Vornahme der begehrten Zusatzeintragung abgewiesen.

Mit Schreiben vom 24.4.2020 erhob der nunmehr rechtsfreundlich vertretene BF das Rechtsmittel der Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen wie folgt:

So stelle der im Bescheid erfolgte Verweis auf das Gutachten eine Scheinbegründung dar.

Zudem sei das Gutachten selbst widersprüchlich, zumal hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung keine Begutachtung erfolgt sei.

Auch überschreite der Gutachter seine Aufgabenstellung, wenn dieser vermeint, dass die Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. die Ausstellung des Parkausweises nicht indiziert sei. Der Gutachter habe ausschließlich die Beeinträchtigung zu beschreiben, die rechtliche Würdigung hingegen ist Aufgabe der Behörde.

Darüber hinaus sei das Gutachten in sich widersprüchlich, wenn der Sachverständige einerseits Feststellungen dahingehend trifft, dass die diabetogene Polyneuropathie, eine schmerzabhängige Indikation zur operativen Versorgung durch eine Totalendprothese sowie Beschwerden mit Schwindel und Gangunsicherheit in Kombination mit der Visusbeeinträchtigung und der Hyakusis, vorliegen, andererseits der SV zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen würden.

Im Anhang brachte der BF Bescheinigungsmittel in Vorlage und beantragte abschließend die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Orthopädie und der Neurologie.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0. Feststellungen:

Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Voraussetzungen für die Vornahme der begehrten Zusatzeintragung vorliegen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister bzw. den im Akt befindlichen sonstigen entscheidungsrelevanten Unterlagen.

2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (vgl auch VwGH vom 01.03.2016, Ro 2014/11/0024; VwGH vom 27.05.2014, Ro 2014/11/0030; VwGH vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021 mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142 und vom 23. Mai 2012, 2008/11/0128; vgl auch VwGH vom 20.03.2001, 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen – wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden – vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

In dem, für die Entscheidungsfindung der bB in Auftrag gegebenen, Sachverständigengutachten wird zwar auf die Art der Leiden und deren Ausmaß, sowie die vorgelegten Befunde der bP eingegangen, aber in Zusammenhang mit der Frage weshalb die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ in den Behindertenpass, nicht vorliegt, nur eine sehr rudimentäre bzw. oberflächliche und auch im Gutachten widersprüchliche Begründung geliefert.

So wird in dem besagten Gutachten diesbezüglich ausgeführt:

Im Rahmen der Anamneseerhebung wurden neben den durch den BF in Vorlage gebrachten Bescheinigungsmitteln auch die Angaben des BF zu seinen derzeitigen Beschwerden erhoben. Der Sachverständige führte dazu aus, dass der BF mit einer Stützkrücke zur Untersuchung kam und über Schwindelgefühle (Schwankschwindel) und einer Gehstrecke von 10-15m sowie die Möglichkeit, 1 Stockwerk überwinden zu können, berichtet.

Zudem legte der BF dar, dass die Schwindelgefühle hauptsächlich in der Nacht vorhanden sind und ein Taubheitsgefühl an beiden Vorfüßen und Unterschenkeln bestehe. Beim Autofahren habe er weder Schmerzen noch Schwindelgefühle. Zudem habe er im li. Hüftgelenk Schmerzen.

Die klinische Untersuchung erbrachte bei den oberen Extremitäten die freie Beweglichkeit aller großen Gelenke, sowie das Vorhandensein der altersgemäßen groben Kraft sowie die Durchführbarkeit des Nacken- und Schürzengriffes bds.

Die Untersuchung des li. Hüftgelenkes erbrachte eine Flexion bis 70 Grad sowie einen auslösbaren Stauchungsschmerz. Zudem ist die KS lateral auslösbar und die Innen- und Außenrotation bds. nicht eingeschränkt. Ebenso sind alle übrigen großen Gelenke an beiden unteren Extremitäten frei beweglich und die grobe Kraft altersgemäß vorhanden.

Neurologisch wurde festgehalten, dass derzeit keine sensiblen oder motorischen Ausfälle vorhanden sind, jedoch eine anamnestische Polyneuropathie an beiden unteren Extremitäten bestehe.

Die Gesamtmobilität wurde mit 10 – 15 m angegeben und zudem klinisch festgestellt, dass der Einbeinstand bds. durchführbar, der Zehen- und Fersengang hingegen nicht möglich ist. Auch wurde vom Sachverständigen ein rechtshinkendes jedoch sicheres Gangbild diagnostiziert.

Folglich wurde durch den Sachverständigen die sensible diabetogene Polyneuropathie entsprechend der jeweiligen Ausfallserscheinungen mit der Pos.Nr. 04.06.01 mit dem höheren Rahmensatz mit 40 v.H. beurteilt und dahingehend eingeschätzt, dass die höhere Einstufung aufgrund der Gangunsicherheit mit anamnestisch angegebenen Schwindel erfolgt.

Ebenso wurde im Rahmen der degenerativen Veränderung des li. Hüftgelenkes eine gering- bis mittelgradige Funktionseinschränkung mit Belastungsschmerzen, ein DM II, eine Sehverminderung am li. Auge, COPD I-II, Hochgradige Schwerhörigkeit am li Ohr, sowie ein Tinnitus am li Ohr diagnostiziert.

Es genügt nach der Rechtsprechung des VwGH nicht, in einem ärztlichen Sachverständigengutachten die dauernde Gesundheitsschädigung darzustellen, vielmehr müssen in einem Gutachten die Auswirkungen der Gesundheitsschädigungen einer bP auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt werden. „Im konkreten Fall hätte daher mit Hilfe der ärztlichen Sachverständigen festgestellt werden müssen, ab welcher Gehstrecke beim Beschwerdeführer angesichts der genannten Gesundheitsschädigungen Schmerzen oder andere Leidenszustände …. auftreten und welches Ausmaß diese Auswirkungen im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer zu bewältigende Distanz bis zur nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel erreichen. Gleiches gilt hinsichtlich möglicher Schmerzen oder anderer wesentlicher Auswirkungen bei der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln“ (VwGH vom 23.05.2012, 2008/11/0128).

Wie der VwGH in seinem am 19.12.2017, Ra 2017/11/0288-3 ergangenen Erkenntnis bestätigte, kann der tatsächlich gegebenen Infrastruktur in diesem Sinne, bei der Beurteilung der Zumutbarkeit, aber nur im Hinblick auf die entscheidende Beurteilung der Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigungen, und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Bedeutung zukommen, weil der VwGH im gegenständlich zitierten Erkenntnis - der hg. Judikatur folgend - wiederholend zum Ausdruck gebracht hat, dass es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit, „nicht aber auf andere Umstände wie die Entfernung zwischen Wohnung und der nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel“ ankommt (vgl. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013, mwN).

Dieser Judikatur entspricht jedoch das Gutachten letzten Endes nicht, wenn darin, im Gutachten im engeren Sinn festgehalten wird, dass die vom BF angegebene Wegstrecke von 10 – 15 m aufgrund der Befunde und der klinischen Untersuchung nicht nachvollzogen werden können. Ebenso kann die degenerative Veränderung des li. Hüftgelenkes, die angegebene Schwindelsymtomatik und auch die sensibel Polyneuropathie die angegebene Einschränkung nicht begründen.

Es ist festzuhalten, dass sich diese Beurteilung zwar im Hinblick auf die vom BF angegebene Wegstrecke als plausibel und nachvollziehbar erweist, jedoch führte der Gutachter weder an, welche Wegstrecke dem BF aus medizinischer Sicht zumutbar ist, noch legte der Sachverständige dar, wie sich die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigungen, und deren Auswirkungen bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel offenbart, etwa Überwinden einer Stufe beim Besteigen oder Aussteigen in bzw. aus dem öffentlichen Verkehrsmittel. Ebenso ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, wie sich die festgestellten Leiden beim Beschleunigungs- oder Verzögerungsvorgang des öffentlichen Verkehrsmittels äußern, wenn der BF noch mit der Sitzplatzsuche beschäftigt ist bzw. sich zur Vorbereitung zum Aussteigen bereits zur Tür begibt.

Zudem erweist sich das Gutachten, wie die rechtfreundliche Vertretung zutreffend ausführte, in sich als unstimmig, wenn zwar einerseits die sensible diabetogene Polyneuropathie mit dem höheren Rahmensatz angesetzt und dahingehend begründet wird, dass Gangunsicherheit mit anamnestisch angegebenen Schwindel vorliegt, andererseits jedoch vermeint wird, dass mit den Leiden keine Einschränkung der Gehstrecke begründet werden könne. Inwieweit diese jedoch Einfluss bei einem sich bewegenden Untergrund haben könnte, wenn etwa der BF während der Fahrt zu stehen gezwungen ist, da die Sitzplätze besetzt sind, kann dem Gutachten nicht entnommen werden.

Insbesondere wäre bei zusammentreffen und gegenseitiger negativer Beeinflussung von mehreren Leiden seitens des Sachverständigen ausführlich zu begründen, weshalb die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung dennoch nicht vorliegen.

Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ist dadurch das Gutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar. Es fehlt gerade betreffend des Antragsbegehrens an einer ausführlichen Begründung. Eine bloße pauschale Verweisung auf Richtlinien bzw. diverse Erlässe ist unzureichend und widerspricht der Nachvollziehbarkeit des Ermittlungsverfahrens. Gleiches gilt, wenn es dem Gutachten an einer ausführlichen Begründung für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für den Zusatzeintrag in dem Behindertenpass fehlt (siehe dazu VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).

Wie der VwGH auch, wie bereits oben angeführt, aussprach, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.

Zusammenfassend erfüllt das, von der bB für seine Entscheidung herangezogene, Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

----- Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.

------ Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage getroffen.

Dies hat auch die bP erkannt, die in ihrer Beschwerde sinngemäß darlegt, dass seitens der bB nicht auf ihre Erkrankung in Zusammenhang mit dem Antragsbegehren eingegangen wurde, bzw. keine entsprechende Begründung in dem Gutachten Niederschlag gefunden hat.

Eine neuerliche eingehende Begutachtung des BF, ggf. durch einen ensprechenden Facharzt, etwa der Neurologie, erweist sich als unentbehrlich. Im Zuge der neuerlichen Gutachtenserstellung wird bei der Beurteilung der Zumutbarkeit aus medizinischer Sicht, im Hinblick auf die entscheidende Beurteilung der Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigungen, und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Bedeutung Bedacht zu nehmen und dies schlüssig und nachvollziehbar zu begründen sein. Die lapidare Begründung, dass die vom BF angegebene Wegstrecke aufgrund der Klinischen Untersuchung bzw. der von ihm beigebrachten Bescheinigungsmittel nicht nachvollziehbar sei, wird als Begründung nicht ausreichen, legt doch der BF damit nicht dar, weshalb konkret aus medizinischer Sicht die anamnestisch angegebene Wegstrecke nicht der Wahrheit entsprechen kann. So kann etwa dem Gutachten nicht entnommen werden, ob der vom BF ins Treffen geführte Schwankschwindel aus medizinischer Sicht glaubwürdig, weil plausibel und nachvollziehbar ist, und ob dieser bei einem fahrenden öffentlichen Verkehrsmittel durch die freie Beweglichkeit der maßgeblichen Gelenke und der groben Kraft kompensiert werden kann.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

-        Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

-        Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

-        Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

-        Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

-        Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1.       gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 46 2. Satz BBG beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zwölf Wochen.

Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Nach Ansicht des Gerichtes liegt zwar die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes für die Prüfung der Beschwerde vor. Eine Senatszuständigkeit, wie sie im § 45 Abs. 3 BBG normiert ist, wird dadurch aber nicht begründet. Dies ergibt sich u.a. aus § 28 iVm § 31 VwGVG in Zusammenschau mit der zitierten Bestimmung des BBG. Laut § 45 Abs. 3 BBG liegt eine zwingende Senatszuständigkeit hinsichtlich Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung vor. Im gegenständlichen Fall bedarf es aber keiner Entscheidung auf Grundlage der zitierten Bestimmung.

Schlussfolgernd liegt keine Zuständigkeit für einen Senat iSd § 45 Abs. 3 BBG, sondern eine Einzelrichterzuständigkeit iSd § 6 BVwGG vor.

Aus den angeführten Erwägungen wurde nach Ansicht des ho. Gerichtes das Ermittlungsverfahren der bB mangelhaft geführt und sind vor allem hinsichtlich der im Gutachten nicht berücksichtigten Beschwerden, welche dem Beschwerdevorbringen der bP zugrunde liegen, weitreichendere Ermittlungen zu führen und diese gegebenenfalls im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung durch die Erstbehörde zu berücksichtigen.

Diesbezüglich sei im Speziellen auf die Entscheidung des VwGH vom 08.08.2008, Zl. 2004/09/0124, hingewiesen, die besagt, dass Gegenstand der Gesamteinschätzung die durch das Zusammenwirken mehrerer Leiden bzw. Leidensmomente bewirkte Beeinträchtigung der gesamten körperlichen und seelischen Beschaffenheit des Behinderten in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben ist.

Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im
§ 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor.

Zusammenfassend erfüllt das, von der bB für seine Entscheidung herangezogene, Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.

Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage getroffen.

Da die gegenständliche Rechtssache für eine materielle Entscheidung mangels hinreichend feststehenden Sachverhaltes (für den Senat noch nicht verhandlungs- bzw. entscheidungsreif war, ist unter Zugrundelegung der oben angeführten Erwägungen der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice, durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.

3.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war und das Mehrbegehren zurückzuweisen war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.

3.4. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil im gegenständlichen Fall die Entscheidung als Einzelrichter gemäß § 6 BVwGG iVm § 28 Abs. 3 VwGVG von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Diesbezüglich liegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes Gründe vor, insbesondere aufgrund der im
§ 45 Abs. 3 BBG normierten Senatszuständigkeit, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage schließen lassen.

In diesem Sinne ist die Revision zulässig.

Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Revision zulässig Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L518.2230579.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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