TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 L502 2184563-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2020
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Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L502 2184560-1/12E

L502 2184565-1/10E

L502 2184561-1/4E

L502 2184563-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon und 4.) XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, alle vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15.12.2017, FZ. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.05.2020 zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und dessen Ehegattin, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), stellten im Gefolge ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 11.12.2015 jeweils für sich und für ihr gemeinsames minderjähriges Kind, die Drittbeschwerdeführerin (BF3), einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag erfolgte dort die Erstbefragung des BF1 und der BF2 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurden die Verfahren zugelassen.

3. Am 19.10.2016 stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin für ein weiteres in Österreich nachgeborenes Kind, den Viertbeschwerdeführer (BF4), einen Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG. Auch dessen Verfahren wurde zugelassen.

4. Der BF1 ersuchte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mehrmals schriftlich um Auskunft über den Verfahrensstand und legte dabei Beweismittel vor.

5. Am 02.08.2017 wurden der BF1 und die BF2 vom BFA zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen.

Die BF2 legte im Zuge der Einvernahme mehrere Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden.

Ihnen wurde auch die Möglichkeit eingeräumt eine Stellungnahme zu den länderkundlichen Informationen des BFA zur Lage in den Herkunftsstaaten abzugeben, worauf beide verzichteten.

6. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA vom 15.12.2017 wurden ihre Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Ihnen wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine bis zum 15.12.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).

7. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 29.12.2017 wurde ihnen von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

8. Gegen Spruchpunkt I der den Beschwerdeführern durch Hinterlegung mit 05.01.2018 zugestellten Bescheide wurde mit Schriftsatz ihrer zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 23.01.2018 innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die Spruchpunkte II und III blieben unangefochten.

Unter einem wurden mehrere Unterlagen als Beweismittel vorgelegt.

9. Mit 30.01.2018 langten die Beschwerdevorlagen des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurden die gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

10. Am 12.04.2018 langte beim BVwG eine den BF1 betreffende Bestätigung über dessen Anmeldung eines Handelsgewerbes ein.

11. Am 05.10.2018 langten beim BVwG mehrere vom BF1 als Beweismittel eingebrachte Unterlagen ein.

12. Das BVwG führte am 15.05.2020 eine mündliche Verhandlung in der Sache der Beschwerdeführer in Anwesenheit des BF1 und der BF2 durch.

13. Das BVwG erstellte Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters und brachte länderkundliche Informationen die Herkunftsstaaten der Beschwerdeführer betreffend ins Verfahren ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Der BF1, die BF3 und der BF4 sind libanesische Staatsangehörige. Die BF2 ist syrische Staatsangehörige. Sie gehören der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. BF1 und BF2 sind seit Juni 2012 verheiratet, aus ihrer Ehe stammen zwei gemeinsame minderjährige Kinder, die im Mai 2013 geborene BF3 und der im September 2016 geborene BF4.

Im Libanon in Beirut leben die Eltern und der Bruder des BF1. Seine Eltern werden vom Bruder finanziell unterstützt. Dieser ist als Hersteller von Werbeplakaten selbständig erwerbstätig. Der BF1 steht mit seinen Verwandten im Libanon in Kontakt. Die Eltern und zwei Schwestern der BF2 leben in Saudi-Arabien. Eine weitere Schwester lebt im Sudan und ein Bruder in der Türkei. Sie steht mit diesen Verwandten in Kontakt. Ein weiterer Bruder der BF2 ist am 19.07.2015 an einem Herzstillstand verstorben.

Der BF1 ist im Libanon geboren und aufgewachsen. Sein Vater ist syrischer Staatsangehöriger, der sich im Libanon niederließ, seine Mutter ist Libanesin. Er besuchte im Herkunftsstaat für insgesamt zwölf Jahre die Schule und für vier Jahre eine Universität. Er reiste schon vor seiner Eheschließung häufig nach Syrien. Von 2000 bis 2005 war er im Bereich der Vermarktung von Lebensmitteln am arabischen Golf erwerbstätig. Konkret hielt er sich in Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Danach lebte er wieder im Libanon. Im Jahr 2009 verzog er vom Libanon nach Syrien, wo er im Stadtteil XXXX von Damaskus lebte. Er betrieb im Stadtteil XXXX ein Geschäft und war als selbständiger Kaufmann bis 2012 dort erwerbstätig. Im Jahr 2012 kehrte er ohne seine Ehegattin in den Libanon zurück und pendelte fortan zwischen Libanon und Syrien zu Besuchszwecken zu seiner Gattin. Er war im Libanon bis Oktober 2015 als Angestellter in einer Lebensmittelfirma erwerbstätig.

Die BF2 wurde in Syrien geboren und lebte dort in XXXX bei ihren Eltern. Sie besuchte in Syrien für insgesamt zwölf Jahre die Schule und für vier Jahre eine Universität. Sie war in Syrien zuletzt als Lehrerin berufstätig. Die BF2 und die BF3 verließen Syrien zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Mai 2013 und Juni 2014 und lebten fortan zusammen mit dem BF1 im Libanon.

BF1 bis BF3 verließen den Libanon Mitte November 2015 auf legale Weise ausgehend von Beirut auf dem Luftweg nach Izmir in die Türkei. Von dort aus setzten sie auf dem Seeweg auf eine griechische Insel über. In weiterer Folge gelangten sie auf dem Landweg nach Österreich, wo der BF1 und die BF2 am 11.12.2015 jeweils für sich und als gesetzliche Vertreter für die minderjährige BF3 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten und sich seither aufhalten. Der BF4 wurde in Österreich geboren, für ihn wurde am 19.10.2016 ein Antrag gestellt.

Die Beschwerdeführer sprechen Arabisch als Muttersprache. Bf1 und BF2 verfügen über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache für den Alltagsgebrauch. Der BF1 ist seit zwei Jahren als Küchenhilfe in Vollzeitbeschäftigung erwerbstätig. Die BF2 arbeitet zwei Mal pro Woche als Reinigungskraft. Die BF3 besucht aktuell in der ersten Klasse die Volksschulde und der BF4 den Kindergarten. Die Beschwerdeführer bestreiten ihren Lebensunterhalt durch die Erwerbstätigkeit von BF1 und BF2 und beziehen keine staatlichen Sozialleistungen. Zuvor bezogen sie von der Antragstellung bis 31.01.2018 Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Die Beschwerdeführer sind gesund. BF1 und BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Der BF1 und die BF2 waren für die Organisation XXXX , die syrische Flüchtlinge sowohl in Syrien als auch im Libanon unterstützt, ehrenamtlich tätig. Die BF2 half sowohl in Syrien als auch im Libanon bei der pädagogischen Betreuung behinderter und traumatisierter Kinder, während der BF1 im Libanon etwa einmal alle zwei Wochen Medikamenten- und Lebensmitteltransporte vornahm. Die BF2 betätigte sich von 2011 bis 2014 und der BF1 von 2011 bis 2015 für diese Organisation.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der bereits verstorbene Bruder der BF2 wegen seines Engagements für dieselbe ehrenamtliche Organisation, für die auch die BF2 tätig war, von syrischen Staatsorganen inhaftiert wurde und er infolge von Folter während seiner Inhaftierung verstorben ist. Die Schwester der BF wurde nicht von syrischen Staatsorganen inhaftiert.

BF1 und BF2 haben Syrien nicht aufgrund individueller Verfolgung durch syrische Staatsorgane verlassen und sind bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht der Gefahr einer solchen ausgesetzt.

BF1 und BF2 haben den Libanon nicht aufgrund individueller Verfolgung durch Mitglieder der Hisbollah verlassen und sind auch bei einer Rückkehr in den Libanon nicht der Gefahr einer solchen ausgesetzt.

Die BF3 hat den Libanon als Mitreisende des BF1 und der BF2 ohne individuelle Fluchtgründe verlassen. Der BF4 wurde erst in Österreich geboren und hat sohin per se keine individuellen Fluchtgründe. Auch sie sind bei einer Rückkehr in den Libanon nicht der Gefahr einer individuellen Verfolgung durch die Hisbollah ausgesetzt.

1.3. Feststellungen zur allgemeinen Lage im Libanon:

1.3.1. Allgemeine politische Lage:

Die destabilisierenden regionalen politischen und konfessionellen Spannungen haben infolge der Krise in Syrien seit Anfang 2011 deutlich zugenommen. So ist die Hisbollah erklärtes Ziel sunnitischer Extremisten, die sich mit Selbstmordanschlägen gegen schiitische Wohn- und Einflussgebiete für den Kampf der Schiiten-Miliz an der Seite von Baschar al-Assad in Syrien rächen wollen. Die größte christliche Partei des Landes (Free Patriotic Movement) ist demgegenüber politisch mit der Hisbollah verbündet und betrachtet diese als Stabilisierungsfaktor für Libanon und seine religiösen Minderheiten.

Die politische und militärische Rolle von Hisbollah bleibt damit struktureller Streitpunkt für Libanon. Ihr politischer Arm hat dreizehn Vertreter im Parlament und 3 Minister (von denen der Gesundheitsminister Jabak formal kein Hisbollah-Mitglied ist) im Kabinett. Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hisbollah bildet zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) weiterhin eine Art Staat im Staate und übernimmt dort neben sozialen und politischen Aufgaben faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa der Partei „Lebanese Forces“ sowie in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben.

1.3.2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen:

In Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig. Sie können grundsätzlich frei arbeiten. Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen arbeiten offiziell mit staatlichen Stellen bei der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten zusammen, deren Arbeit Auswirkungen auf die Menschenrechtslage haben kann. Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert – wie lokale NROs – regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Dennoch: Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nicht-staatliche Akteure kommen vor. Libanon hat nach mehrjährigen Vorarbeiten im Herbst 2016 den Aufbau einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschlossen, die seit Mai 2018 mit 10 Mitgliedern besetzt ist.

Im Libanon ist eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) vertreten. Das IKRK befasst sich mit der Situation in den Gefängnissen. Im Februar 2007 hat das IKRK ein Protokoll mit der Regierung unterzeichnet, welche ihm auch den Zugang zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums erlaubt.

1.3.3. Staatliche Repressionen:

Es gibt keine Anhaltspunkte für gezielte staatliche Repressionen gegen bestimmte Personengruppen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Palästinensische und syrische Flüchtlinge unterliegen allerdings handfesten rechtlichen und tatsächlichen Einschränkungen.

1.3.4. Flüchtlinge:

Von besonderer Brisanz ist die Frage der syrischen Flüchtlinge in Libanon (geschätzt 1,3 Mio.; das Land hat somit den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Flüchtlingen weltweit). Die libanesische Regierung drängt auf internationale Unterstützung bei der Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien. Große Teile der libanesischen Regierung sehen unter Verweis auf die sukzessive Rückerlangung der Territorialkontrolle durch das syrische Regime die Bedingungen für eine sichere und freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien als gegeben an. UNHCR widerspricht dieser Einschätzung.

Die Situation syrischer Flüchtlinge ist prekär. Laut VN hat die Hälfte der Flüchtlingshaushalte weniger als 2,9 USD pro Person pro Tag zur Verfügung, ein Drittel gilt als ernährungsunsicher und 36% leben unter unzulänglichen sanitären Bedingungen. Aufgrund des Widerstands der Regierung durften keine offiziellen Flüchtlingslager eingerichtet werden.

Es kommt vereinzelt zu Übergriffen von Libanesen gegen syrische Flüchtlinge (z. B. Inbrandsetzung von Zelten/nächtliche „Ausgangssperre“ durch Bürgerwehren, vereinzelt auch „Lynchjustiz“).

1.3.5. Repressionen Dritter:

Die staatlichen Institutionen haben in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff. Er fehlt umfassend in einigen der palästinensischen Flüchtlingslager.

Auch in anderen Landesteilen schränkt die Existenz nichtstaatlicher Akteure die Zugriffsmöglichkeiten der Staatsorgane ein. Dies gilt insbesondere für die südlichen Vororte Beiruts und die schiitischen Siedlungsgebiete in der Bekaa-Ebene und im Süden des Landes, in denen die Hisbollah präsent ist und Druck auf staatliche Institutionen ausübt.

Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure kann in der Regel durch Verlegung des Wohnorts außerhalb des Einflussbereichs dieser Akteure umgangen werden. Beispielsweise ist der Einfluss der Hisbollah im christlichen Kerngebiet des Mont Liban oder im sunnitischen Tripoli sehr gering.

1.3.6. Verschleppungen, Verschwindenlassen und willkürliche Festnahmen:

Die Sicherheitsbehörden, insbesondere der militärische Nachrichtendienst, sollen nach Angaben von NROs immer wieder Festnahmen vornehmen, auch wenn kein dafür erforderlicher richterlicher Beschluss vorliegt, bzw. Personen festhalten, nachdem die gesetzlich vorgesehene Frist von 48 Stunden nach Festnahme verstrichen ist. Die Regierung gibt derartige Vorkommnisse durchaus zu, macht aber geltend, dass entsprechende richterliche Beschlüsse jeweils nachgeholt würden und längere Haftdauern im Polizeigewahrsam nur deswegen zu Stande kämen, weil die Gefängnisse überfüllt seien. Über Verschleppungen und Inhaftnahme durch nichtstaatliche Akteure, v. a. Hisbollah, wurde vereinzelt berichtet.

1.4. Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien:

1.4.1. Politische Lage:

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten.

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen.

Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert.

Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der „Nationalen Einheit“ 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als „Farce“. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten, wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer „Farce“.

Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten. Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen.

Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort.

Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen. Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans. 2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front” in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre. Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen „Rojava“ bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien. Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front. Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces. Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen.

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an. Die zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und Vertretern der syrischen Regierung im Sommer 2018 und Anfang 2019 geführten Gespräche brachten auf Grund unvereinbarer Positionen betreffend die Einräumung einer (verfassungsgemäß festzuschreibenden) Autonomie, insbesondere für die kurdisch kontrollierten Gebiete sowie hinsichtlich der Eingliederung/Kontrolle der SDF, keine Ergebnisse. Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt.

1.4.2. Sicherheitslage in Gebieten unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien:

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten.

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen „Spillover“ von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt.

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist.

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt. Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert. Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten. Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist.

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen, bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen. Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen. Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien. Laut dem pensionierten Generalstabschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen. Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt.

1.4.3 Rechtsschutz und Justizwesen in Gebieten unter der Kontrolle des syrischen Regimes:

Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten regeln das Familienrecht. 2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht (Counter Terrorism Court – CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund „terroristischer Taten“ gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist. Verschiedene Organisationen kritisieren das Anti-Terror-Gericht (CTC) und die Militärgerichte wegen Mängeln bezüglich des fairen Verfahrens. Die Verhandlungen dauern angeblich oft nur wenige Minuten und enthalten als Beweise oft nur unter Folter erzwungene Geständnisse. Für die Militärgerichte gibt es keine Berufungsmöglichkeit und sie können die Bestellung eines Rechtsanwaltes verweigern.

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden üben auf die Gerichte jedoch oft politischen Einfluss aus. Staatsanwälte und Strafverteidiger sind oft Gegenstand von Einschüchterung und Misshandlung. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen schon vorbestimmt zu sein. Das Recht auf ein öffentliches Verfahren ist in der Verfassung festgehalten, wird jedoch in der Praxis nicht respektiert. Regierungsbehörden verhafteten Zehntausende Menschen, u.a. Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, religiöse Führer sowie Mitarbeiter von NGOs, Hilfsorganisationen und medizinischen Einrichtungen ohne diesen Zugang zu einem fairen öffentlichen Verfahren zu garantieren. Berichten zufolge werden Verdächtige auch ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) und für überlange Zeit festgehalten. Bei Vorwürfen, welche die nationale Sicherheit oder politische Vergehen betreffen, soll es häufig zu geheimen Verhaftungen kommen.

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch angewachsene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Das Justizsystem in Syrien kann nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Das deutsche Auswärtige Amt beurteilte die Unabhängigkeit der syrischen Justiz bereits vor dem Aufstand als mangelhaft. Der Aufstand und der bewaffnete Konflikt in Syrien gehen mit massiver Repression, grassierender Korruption und einer Politisierung des Gerichtswesens durch die Regierung einher. Mittlerweile sind syrische Gerichte, ganz gleich ob Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit, korrupt, nicht unabhängig, und werden für politische Zwecke missbraucht. In keinem Teil Syriens gibt es Rechtssicherheit oder verlässlichen Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Generell ist die Willkür in Syrien seit dem Ausbruch des Konfliktes gestiegen.

Die Verwaltung, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, arbeitet in Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, vor allem in Personenstandsangelegenheiten. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht. Hierbei sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte. Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an.

1.4.4. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung:

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an. Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld dafür verlangt, dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken.

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen.

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung. Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien.

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen.

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien.

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS.

1.4.5. Allgemeine Menschenrechtslage:

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden.

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung.

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind. Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben.

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein.

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung. Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten.

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung. Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge.

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren. Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiter gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten.

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren.

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen. Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben.

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden.

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt.

1.4.6. Rückkehr:

Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen.

Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen. 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt.

Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge.

Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt.

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind. Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR. Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse.

Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiter werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt. Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst.

Bereits im Jahr 2017 haben die libanesischen Behörden trotz des Konfliktes und begründeter Furcht vor Verfolgung vermehrt die Rückkehr syrischer Flüchtlinge gefordert. Eine kleine Anzahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Abkommen nach Syrien zurückgekehrt. Diese Rückkehrbewegungen werden nicht von UNHCR überwacht. Einige Flüchtlinge kehren aufgrund der harschen Politik der Regierung ihnen gegenüber und sich verschlechternden Bedingungen im Libanon nach Syrien zurück und nicht, weil sie der Meinung sind, dass Syrien sicher sei. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen in Massenausweisungen/Massenvertreibungen ohne Rechtsgrundlage oder ordnungsgemäßes Verfahren vertrieben. Zehntausende sind weiterhin der Gefahr einer Vertreibung ausgesetzt. Viele syrische Flüchtlinge kehren aufgrund der schlechten Bedingungen im Libanon und Jordanien nach Syrien zurück, und weil sie außerhalb Syriens keine Zukunft für sich sehen. UNHCR hat nur vereinzelt und für kurze Zeit Zugang zu Personen, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren, und kann auch keine ungestörten Interviews mit ihnen führen.

Flüchtlinge, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren möchten, müssen dies bei den lokalen Sicherheitsbehörden melden und diese leiten den Antrag an die syrischen Behörden weiter. Die syrischen Behörden überprüfen die Antragsteller. Anträge auf Rückkehr können von der Regierung auch abgelehnt werden. Der Anteil der Personen, denen die Rückkehr nicht gestattet wird, wird von den verschiedenen Quellen mit 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis hin zu 30% (ABC 6.10.2018) angegeben. In vielen Fällen wird auch Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatgebiete nicht erlaubt.

Gründe für eine Ablehnung können (wahrgenommene) politische Aktivitäten gegen die Regierung bzw. Verbindungen zur Opposition oder die Nicht-Ableistung der Wehrpflicht sein. Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden, und darum die Genehmigung zur Rückkehr nicht erhalten, sind aufgefordert ihren Status zu „regularisieren“, bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). In Jordanien gibt es für diese Regularisierung jedoch bisher keine Abläufe. Im Januar 2019 fanden erstmals organisierte Rückkehrbewegungen einer geringen Anzahl von syrischen Flüchtlingen aus Jordanien am syrisch-jordanischen Jaber-Nassib-Grenzübergang statt. Organisiert wurde die Rückkehr von einem zivilen Komitee, ohne Beteiligung der jordanischen Behörden und auch hier wurden die Namen der Antragsteller den syrischen Behörden zur Rückkehrgenehmigung übermittelt.

Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen.

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“. Einem syrischen General zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der entsprechenden syrischen Auslandsvertretung „Versöhnung“ beantragen und unter anderem angeben wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General zufolge dort ein „Versöhnungsformular“ ausfüllen.

Syrer benötigen in unterschiedlichen Lebensbereichen eine Sicherheitsfreigabe von den Behörden, so z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäftes, eine Eheschließung und Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnsitz zu wechseln, für Wiederaufbautätigkeiten oder auch um eine Immobilie zu kaufen. Die Sicherheitsfreigabe kann auch Informationen enthalten, z.B. wo eine Person seit dem Verlassen des konkreten Gebietes aufhältig war. Der Genehmigungsprozess könnte sich einfacher gestalten für eine Person, die in Damaskus aufhältig war, wohingegen der Aufenthalt einer Person in Orten wie Deir ez-Zour zusätzliche Überprüfungen nach sich ziehen kann. Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen.

Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens erlaubt die Regierung die Wohnsitzänderung aktuell nicht. Wenn es darum geht, wer in seinen Heimatort zurückkehren kann, können einem Experten zufolge ethnisch-konfessionelle aber auch praktische Motive eine Rolle spielen. Genannt werden zum Beispiel Sayyida Zeinab – eine schiitisch dominierte Gegend, in welcher der Sayyida Zeinab Schrein gelegen ist – oder die christliche Stadt Ma‘lula in Damaskus-Umland, in die Muslime nicht zurückkehren können. Ehemalige Bewohner von Homs müssen auch vier Jahre nach der Wiedereroberung durch die Regierung noch immer eine Sicherheitsüberprüfung bestehen, um in ihre Wohngebiete zurückkehren und ihre Häuser wieder aufbauen zu können. Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht an jedem Ort, der unter Regierungskontrolle steht, niederlassen. Die Begründung eines Wohnsitzes ist nur mit Bewilligung der Behörden möglich. Das syrische Innenministerium kündigte Anfang 2019 an, keine Sicherheitserklärung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrages bei Gemeinden zu verlangen, sondern Mieten werden dort registriert und die Daten an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet, sodass die Sicherheitsbehörden nur im Nachhinein Einspruch erheben können. Abgesehen von Damaskus wurde dies bisher nicht umgesetzt. Außerhalb von Damaskus muss die Genehmigung nach wie vor eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen.

Eine Reihe von Vierteln in Damaskus bleiben teilweise oder vollständig geschlossen, selbst für Zivilisten, die die Wohnviertel nur kurz aufsuchen wollen, um nach ihren ehemaligen Häusern zu sehen.

Es ist wichtig, dass Rückkehrer in ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann auf ein soziales Netzwerk und/ oder ihren Stamm zurückgreifen können. Jenen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, fehlt ein solches Sicherheitsnetz.

Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind. Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringen Zahl keine Angaben.

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt.

Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken.

Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen eine Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut Deutschem Auswärtigem Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden.

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten. Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen. Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften.

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren. Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört – inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung geschlossen haben. Sie wurden gezwungen Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert.

Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr.

Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der Regierung und die Bereitschaft vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der „Versöhnungsabkommen“ vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind Belästigungen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten.

Laut UNHCR ist unter den in Syrien herrschenden Bedingungen eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde derzeit nicht möglich und UNHCR fördert oder unterstützt die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien weiterhin nicht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF1 und der BF2, der bekämpften Bescheide, des Beschwerdeschriftsatzes und der sonstigen im Zuge des Verfahrens von ihnen vorgelegten Beweismittel, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Einsichtnahme in die jüngste Aktualisierung des Länderinformationsblattes des BFA zur Lage in Syrien, des Berichts des dt. auswärtigen Amts zur Lage im Libanon und in eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Weitergabe der libanesischen Staatsbürgerschaft vom 15.05.2019 sowie die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit des BF1 und der BF2 waren auf Grundlage der vorgelegten nationalen Identitätsdokumente feststellbar. Ausgehend davon war auch die Identität der BF3 feststellbar. Die Identität des BF4 war anhand der vorgelegten österreichischen Geburtsurkunde feststellbar. Die libanesische Staatsangehörigkeit der BF3 und des BF4 ergaben sich aus der eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Weitergabe der libanesischen St

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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