Entscheidungsdatum
16.07.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W278 2232872-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst – ARGE Rechtsberatung, den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 29.06.2020 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 29.06.2020 für rechtmäßig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz des Verfahrensaufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
IV. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesministerium für Innneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Der BF wurde am 24.10.2018 unmittelbar nach seiner Einreise aufgrund des Verdachtes der Schlepperei von Exekutivbeamten festgenommen und am 26.10.2018 in eine Justizanstalt eingeliefert.
Am 26.10.2018 verhängte ein Landesgericht über den BF die Untersuchungshaft
Der BF wurde rechtskräftig mit 09.04.2019 unter der Zahl XXXX wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1, Abs. 3 Z 2 sowie Abs. 4 1. und 2. Fall FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Bei seiner Festnahme führte der BF einen gültigen italienischen Reisepass für Flüchtlinge und eine gültige italienische Carta d’Identità mit.
Eine Anfrage bei den italienischen Behörden ergab, dass der BF über einen gültigen Asylstatus in Italien bis 10.02.2021 verfügt.
Am 02.12.2019 wurde ein Konsultationsverfahren mit der Republik Italien eingeleitet.
Am 12.12.2019 wurde der BF von einem Organwalter des BFA zum Verfahren der Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme (Anordnung zur Außerlandesbringung) einvernommen.
Am 18.02.2020 stimmte Italien seiner Rückübernahme zu und bestimmte, dass die Übergabe des BF am Flughafen XXXX zu erfolgen hat.
Mit Bescheid des Bundesamtes wurde über den BF die Anordnung zur Außerlandesbringung verfügt und festgestellt, dass die Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist. Der Bescheid wurde dem BF mit der Verfahrensanordnung „Rechtsberatung“ am 14.04.2020 zugestellt und erwuchs mit 16.05.2020 unbekämpft in Rechtskraft.
Am 25.06.2020 wurde der BF für den frühestmöglichen Flugtermin nach seiner Haftentlassung von Wien nach XXXX am 03.07.2020 gebucht.
Am 29.06.2020 wurden der BF aus der Strafhaft entlassen und mittels Festnahmeauftrag in das PAZ Innsbruck eingeliefert.
Am 29.06.2020 wurde der BF zur möglichen Anordnung der Schubhaft einvernommen.
Mit Bescheid vom 29.06.2020 wurde die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Begründet wurde die Fluchtgefahr im Wesentlichen mit dem der rechtskräftigen Anordnung der Außerlandesbringung, seiner mangelnden Vertrauenswürdigkeit aufgrund der von ihm begangenen Strafrechtsdelikten und seinen widersprüchlichen Angaben zum Aufenthaltsort seiner Familie, sowie der weitgehend fehlenden sozialen Verankerung und Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Des Weiteren wurde begründend ausgeführt, dass aufgrund des Vorverhaltens des BF die Überwachung des BF notwendig sei. Die Schubhaft sei insbesondere aufgrund des strafrechtlichen Fehlverhaltens des BF verhältnismäßig. Um eine überwachte Abschiebung des BF zu ermöglichen, sei es notwendig einen entsprechenden Titel für die Abschiebung zu erlassen. Aufgrund des Umstandes, dass der BF Asylberechtigter in Italien sei, habe ein Konsultationsverfahren mit Italien im Zusammenhang mit dem Rückübernahmeabkommen betreffend Zustimmung zur Übernahme/Überstellung erfolgen müssen. Im Zuge dieser Zustimmung könne Italien aufgrund seines Hoheitsrechtes bestimmen, wo und wie die zu überstellende Person einreist. Italien habe als Übernahmeort den Flughafen XXXX bestimmt. Somit komme eine Einreise über den näher gelegenen Grenzübergang Brenner nicht in Frage. Die ho. Behörde habe den ehestmöglichen Flugtermin gebucht. Mit der Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung könne nicht das Auslangen gefunden werden, weil der begründete Verdacht des „Untertauchens“ bestehe, und die Abschiebung bereits in vier Tagen erfolgen solle. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag durch persönliche Übergabe (gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend die Beigabe eines Rechtsberaters) zugestellt.
Am 09.07.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF auf dem kürzest möglichen Weg nach Italien über den Landweg abgeschoben werde hätte müssen und eine Überstellung auf dem Luftweg nach mehrwöchiger Anhaltung ineffizient und rechtswidrig sei. Der BF sei ausreisewillig und verfüge über ein gültiges Reisedokument und hätte somit sofort nach Beendigung seiner Strafhaft am Landweg nach Italien abgeschoben werden müssen. Somit habe es das Bundesamt unterlassen, auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hinzuwirken. Diese Versäumnis der Behörde führe zur Unverhältnismäßigkeit und schlage sich auch auf den Fortsetzungsausspruch des BVwG durch. Darüber hinaus sei auch die Fluchtgefahr im gegenständlichen Bescheid mangelhaft begründet, da das Bundesamt selbst das schnellstmögliche Verlassen des Bundesgebiets verhindere. Ebenso sei die Nichtanwendung eines gelinderen Mittels nicht ernsthaft geprüft worden.
Beantragt werde daher a) den angefochtenen Bescheid und die bisherige Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig zu erklären; b) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung nicht vorliegen; c) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.
Am 10.07.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht samt Stellungnahme des Bundesamtes ein. In der Stellungnahme wird ausgeführt, dass aufgrund der vom BF begangener Straftat des Verbrechens der Schlepperei er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Der BF habe sich seit seiner Einreise hauptsächlich der Kriminalität gewidmet und wurde zu einer mehrjährigen unbedingten Haftstrafe verurteilt. Die Abschiebung sei für den 03.07.2020 fixiert worden, eine Flugbuchung sei erfolgt. Der Flug wurde jedoch von der Fluglinie aufgrund zu geringer Auslastung storniert. Es sei daher unverzüglich die Umbuchung auf den nächstmöglichen Flug am 23.07.2020 erfolgt. Von der Behörde wurden rechtzeitig und zielführend Verfahren zur Erlangung eines Rechtstitels – hier Anordnung zur Außerlandesbringung gem § 61 FPG - eingeleitet und geführt. Um eine überwachte Abschiebung des BF zu ermöglichen, war es notwendig einen entsprechenden Titel zu erlassen. Der Aufenthaltsstatus des BF in Italien (Permesso di Soggiorno für Asylberechtigte) ergab die Erforderlichkeit eines Konsultationsverfahrens iZm dem Rückübernahmeabkommen. Italien hat am 18.02.2020 der Rückübernahme des BF schriftlich zugestimmt und als Übergabeort den Flughafen XXXX bestimmt. Die Behauptung des BF, er hätte auf schnellstmöglichen Weg wieder zurück an dessen Wohnort gebracht werden müssen – konkret auf dem Landweg über den Brennerpass – geht insofern ins Leere, zumal die eigenmächtige Umdisponierung der Überstellungsart und Überstellungsortes einen unzulässigen Eingriff in die Hoheitsrechte und Souveränität der Republik Italien darstellen würde. Beantragt wurde a) die Beschwerde als unbegründet abzuweisen b) festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und c) den Beschwerdeführer zum Ersatz der entstandenen Kosten zu verpflichten.
Am 13.07.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer im Wege seines bevollmächtigten Vertreters die Stellungnahme des Bundesamts mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.
Am 14.07.2020 langte beim Bundesamt eine ergänzende Stellungnahme des BF zu den Ausführungen des Bundesamts ein. Im Wesentlichen wird in dieser zusammengefasst ausgeführt, dass das Bundesamt die Anordnung der Schubhaft rechtswidrig mit §76 Abs 2a FPG begründe, da diese Bestimmung ausdrücklich nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung finde. Es entstehe der Anschein, als wäre die Schubhaft im gegenständlichen Fall als „Präventivhaft“ verhängt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Bundesamt nicht den BF den italienischen Behörden in Südtirol übergeben haben, wo doch bekannt sei, dass die Flugbuchungssituation mit der COVID-19 Situation äußerst unsicher sei.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei. Er verfügte über ein Permesso die Soggiorno für Asylberechtigte, gültig bis zum 10.02.2021 und über einen gültigen italienischen Reisepass für Fremde mit Asylstatus.
2. Gegen den BF besteht eine seit 16.05.2020 rechtskräftige Anordnung zur Außerlandesbringung. Italien hat am 18.02.2020 der Rückübernahme des BF schriftlich zugestimmt und als Übergabeort den Flughafen XXXX bestimmt. Es obliegt den italienischen Behörden den Ort der Übergabe zu bestimmen.
3. Ein am 25.06.2020 für 03.07.2020 gebuchter Flug zur Abschiebung des BF wurde von der Fluglinie aufgrund zu geringer Auslastung storniert. Der BF ist für den nächstmöglichen Flug am 23.07.2020 gebucht.
4. Der BF reiste zuletzt am 24.10.2018 in das Bundesgebiet ein, um mehrere Personen illegal von Italien nach Deutschland zu verbringen und wurde dabei von Beamten einer Polizeiinspektion festgenommen. Der BF verbüßte nach seiner Festnahme Untersuchungs- und Strafhaft in Österreich bis 29.06.2020 und befindet sich seither in Schubhaft.
Unter der Zahl XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens der Schlepperei in 6 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dabei hat er insgesamt 24 Menschen von Italien nach Österreich bzw. durch Österreich hindurch geschleppt, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit 4 weiteren Tätern.
Der BF wurde in Deutschland insgesamt fünf Mal rechtskräftig wegen versuchter Nötigung, Diebstahl und drei Mal wegen Tatbeständen in Zusammenhang wegen Suchtgift verurteilt.
Der BF machte im Zuge seiner Einvernahmen unterschiedliche Angaben zum Aufenthaltsort seiner Familie. Er ist in besonderem Ausmaß nicht vertrauenswürdig. Die Überwachung der Ausreise des BF ist aus Gründen der Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig.
5. Der BF ist in Österreich weder beruflich noch familiär verankert und verfügt er über kein schützenswertes Privatleben. Der BF war im Bundesgebiet ausschließlich in einer Justizanstalt seit 26.10.2018 gemeldet. Er verfügt über Barmittel von rund 2.500 Euro. Die Familie des BF lebt in Italien.
6. Der BF ist gesund und haftfähig. Eine signifikant erhöhte Gefahr einer Infektion mit Covid-19 besteht im Polizeianhaltezentrum nicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. XXXX (aktuelle Schubhaft) sowie den weiteren Verwaltungsakten betreffend den Beschwerdeführer. Kopien der italienischen Dokumente des BF liegen in Kopie dem Akt ein.
1.2. Dass gegen den BF eine rechtskräftige Anordnung zur Außerlandesbringung besteht ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Bescheid des Bundesamtes, sowie der Übernahmebestätigung. Die schriftliche Zustimmung von Italien, sowie, dass Italien als Ort der Übergabe den Flughafen XXXX bestimmt hat, ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Schreiben vom 18.02.2020. Der Ort der Übergabe wird von den italienischen Behörden bestimmt und liegt nicht im Dispositionsbereich des Bundesamts.
1.3. Der Nachweis, dass die Flugbuchung für 03.07.2020 am 25.06.2020 erfolgt ist, liegt im Akt ein. Die Flugabsage seitens der Fluglinie wurde mit Aktenvermerk vom 03.07.2020 dokumentiert. Die neuerliche Flugbuchung ergibt sich aus der Beschwerdevorlage des Bundesamts vom 10.07.2020.
1.4. Die Angaben zur Einreise, Festnahme, Untersuchungshaft ergeben sich aus den im Akt einliegenden polizeilichen Anzeige. Die Feststellung zu den strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus der Kopie des Urteils des Strafgerichts, in dem auch die vier einschlägigen Vorverurteilungen berücksichtigt wurden. Der BF war im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 12.12.2019 nicht schuldeinsichtig, sondern gab an, dass bei Gericht etwas schiefgelaufen sei und er mit dem Urteil nicht einverstanden sei. Daraus ist zu erkennen, dass der BF zum einen nicht gewillt ist, die Illegalität seines Handelns einzusehen, und zum anderen die österreichische Rechtslage zu akzeptieren und sich danach zu verhalten. Bei der Einvernahme des BF am 12.12.2019 gab er an, dass seine Ehefrau und die drei Kinder in Deutschland leben und er bei Ihnen lebe. In der am 29.06.2020 durchgeführten Einvernahme gab der BF hierzu widersprüchlich an, dass seine Frau und Kinder in Italien leben, was auch durch eine Anfrage an das PKZ durch das Bundesamt festgestellt werden konnte. Durch seine widersprüchlichen Angaben bei den Einvernahmen, in Zusammenschau mit den in Deutschland erfolgten fünf Verurteilungen, wegen versuchter Nötigung, Diebstahl und drei Suchtgiftdelikten, und dem Umstand, dass er zuletzt nur nach Österreich gereist ist um das Verbrechen der Schlepperei zu verwirklichen, ist der BF in einem besonderen Ausmaß nicht vertrauenswürdig und die Überwachung der Ausreise des BF aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig. Diesen Feststellungen des Bundesamts wurde weder in der Beschwerde, noch in der Stellungnahme substantiiert entgegengetreten.
Das Fehlen von familiärer sowie sonstiger substanzieller sozialer und beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage und es wird dieser Feststellung weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme entgegengetreten. Gegenwärtig verfügt der Beschwerdeführer über Barmittel in Höhe von rund 2500 Euro; Die Feststellungen bezüglich der Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers ausschließlich in der Justizanstalt ergeben sich aus einer Nachschau im Zentralen Melderegister.
1.6. Gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.
Ein erhöhtes Infektionsrisiko im Zusammenhang mit Covid-19 im Falle einer Anhaltung in Schubhaft wurde in der Beschwerde nicht dargetan. Es existieren aber aktuell keine Hinweise auf (mehr als vereinzelte) Infektionen mit Covid-19 im Bereich der Polizeianhaltezentren, zumal ein wesentlicher Teil der dort angehaltenen Personen bereits deutlich vor dem Auftreten der ersten Fälle in Österreich in Schubhaft genommen worden ist.
2. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A)
2.1. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft
3.1. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).
Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich im § 76 Abs. 3 FPG (oben unter Punkt II.2. wiedergegeben) gesetzlich definiert. Über den Beschwerdeführer wurde nach Entlassung aus der Strafhaft die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
3.2. Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der rechtskräftigen Anordnung der Außerlandesbringung, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit des BF aufgrund der von ihm begangenen Strafrechtsdelikten und seinen widersprüchlichen Angaben zum Aufenthaltsort seiner Familie, sowie der weitgehend fehlenden sozialen Verankerung und Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Das Bundesamt stützte sich dabei nicht nur erkennbar auf die Ziffern 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG, es hat diese vielmehr sogar im Einzelnen konkret begründet (Bescheid Seite 9f). Dem Vorliegen der Kriterien der Ziffern 3 und 9 wurde in der Beschwerde nicht substanziell entgegengetreten; vielmehr erweist sich deren Vorliegen auch im Zusammenhang mit der Beschwerde und der Aktenlage als unstrittig.
2.3. Die belangte Behörde führt angefochtenen Bescheid auch ausführlich die notwendige Überwachung der Ausreise des BF wie folgt aus:
„Da gemäß § 46 Abs. Z. 1 und 3 Fremdenpolzeigesetz der Fremde, gegen die … eine Anordnung zur Außerlandesbringung … durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
…
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen …
Aufgrund dieser Tatsachen kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung unverzüglich nachkommen. Sie stellen aufgrund Ihrer zahlreichen Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, weshalb eine überwachte Abschiebung als notwendig erscheint.
Um eine überwachte Abschiebung Ihrer Person zu ermöglichen, war es notwendig einen entsprechenden Titel für die Abschiebung zu erlassen. Aufgrund des Umstandes, dass Sie Asylberechtigter in Italien sind, musste ein Konsultationsverfahren mit Italien im Zusammenhang mit dem Rückübernahmeabkommen betreffend Zustimmung zur Übernahme/Überstellung Ihrer Person erfolgen. Erst nach Zustimmung konnte die Anordnung zur Außerlandesbringung erlassen werden.
Im Zuge dieser Zustimmung kann Italien aufgrund seines Hoheitsrechtes bestimmen, wo und wie die zu überstellende Person einreist. Italien teilte als Übernahme-/Überstellungsort den Flughafen XXXX mit. Somit kommt eine Einreise über den näher gelegenen Grenzübergang Brenner nicht in Frage.
Die ho. Behörde hat den ehestmöglichen Flugtermin gebucht. Da sich derzeit der Flugverkehr aufgrund COVID-19 noch in Grenzen hält, war kein früherer Termin möglich als der 03.07.2020.
Daher war eine Abschiebung Ihrer Person innerhalb von 72 Stunden nicht möglich und musste die Schubhaft zur Überbrückung verhängt werden. Ihre voraussichtliche Anhaltedauer beträgt vier Tage.
Zudem ist aufgrund der bereits von Ihnen widersprüchlich gemachten Angaben bzw. absichtlich unrichtigen Angaben und im Hinblick auf Ihre kriminelle Vergangenheit davon auszugehen, dass Sie nicht vertrauenswürdig sind und diesbezüglich eine freiwillige und selbständige Ausreise gar nicht in Frage käme.“
Den Ausführungen der Behörde wurde in der Beschwerde nicht substantiell entgegengetreten. In der Beschwerde und Stellungnahme wird ausgeführt, dass die Behörde nicht auf die kürzest mögliche Schubhaftdauer hingewirkt habe, da der BF auf dem Landweg binnen rund 30 Minuten abgeschoben werde hätte können. Weder in der Beschwerde, noch in der Stellungnahme wird inhaltlich der ausführlichen Begründung im Bescheid entgegengetreten, dass Italien aufgrund seines Hoheitsrechtes bestimmt, wo und wie die zu überstellende Person einzureisen hat. Italien teilte als Übernahme-/Überstellungsort den Flughafen XXXX mit, Somit kommt eine Einreise über den näher gelegenen Grenzübergang Brenner nicht in Frage. Gegenüber dem BF, besteht eine rechtskräftige Anordnung der Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z. 2 FPG und aufgrund der festgestellten fehlenden Vertrauenswürdigkeit in Zusammenschau mit der Verurteilung wegen des Verbrechens der Schlepperei ist die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 46 Abs. 1 Z1 notwendig. Mit Italien wurde daher vorab ein Konsultationsverfahren eingeleitet und Italien hat in diesem nachweislich als Übergabeort den Flughafen XXXX bestimmt. Aufgrund dieses Umstandes kann nicht dem Bundesamt zugerechnet werden, dass die Abschiebung nicht auf dem Landweg erfolgen kann. Die Entscheidung wo die Übernahme stattzufinden hat obliegt Italien. Das Bundesamt hat - während der Strafhaft des BF - das Konsultationsverfahren mit Italien geführt, den Bescheid betreffend die Erlassung der Anordnung der Außerlandesbringung und die Flugbuchung für 03.07.2020 (der früheste Mögliche Flug nach Haftentlassung) durchgeführt. Das Bundesamt hat somit – entgegen den unsubstantiierten Vorbringen der Beschwerde sämtliche Schritte rechtzeitig gesetzt, um auf die kürzest mögliche Anhaltung in Schubhaft hinzuwirken.
Die Behörde geht auch richtigerweise von einer aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers abgeleiteten mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einem besonderen Interesse des Staates an der Sicherstellung der Ausreise aus.
Auf Grund dieser Erwägungen ging das Bundesamt im Ergebnis zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anhaltung in Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.
2.4 Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden: Dem Bundesamt ist darin beizupflichten, dass sich im Falle des Beschwerdeführers weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen, da sich der Beschwerdeführer insbesondere durch sein vor Anordnung der Schubhaft gezeigtes kriminelles Verhalten und seiner widersprüchlichen Angaben zu dem Aufenthaltsort seiner Familie als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat – was aber Voraussetzung für die Anordnung des gelinderen Mittels ist. Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher – wie im angefochtenen Bescheid richtig dargelegt - die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Anordnung der Schubhaft und war diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.
Das Bundesamt konnte aus den oben dargelegten Gründen zudem davon ausgehen, dass die Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien bereits vier Tage nach Anordnung der Schubhaft stattfinden hätte sollen. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft war nicht unverhältnismäßig: Mit der Durchführung der Überstellung war innerhalb der gesetzlichen Fristen – nach nur 4 Tagen - zu rechnen. Dies insbesondere da Italien der Übernahme des BF bereits zugestimmt hat.
2.5. Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers und wurde sie auch im Beschwerdeverfahren nicht behauptet.
2.6. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab 29.06.2020 abzuweisen. Dass der für 03.07.2020 gebuchte Flug aufgrund von fehlender Auslastung von dem Flugunternehmen storniert wurde, kann dem Bundesamt nicht zugerechnet werden. Das Bundesamt hat unverzüglich den nächstmöglichen Flug gebucht.
3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen:
3.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Der VwGH hat zum Fortsetzungsausspruch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) im Rahmen seines Ausspruchs gemäß § 83 Abs. 4 FPG aF nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen hat; er ist auch nicht nur „ermächtigt“, einen „weiteren bzw. neuen Anhaltegrund für die Fortsetzung der Schubhaft zu schaffen“, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu einem positiven und (nur) bei deren Fehlen zu einem negativen Fortsetzungsausspruch verpflichtet. Verneint der UVS daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft, so bedeutet dieser Ausspruch von Gesetzes wegen die Unzulässigkeit der (Fortsetzung der) Schubhaft auf Grund jeglichen zum Bescheiderlassungszeitpunkt geltenden Schubhafttatbestandes, unabhängig davon, ob der UVS dessen Voraussetzungen (erkennbar) geprüft und dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VwGH 15.12.2011, Zl. 2010/21/0292; 28.08.2012, Zl. 2010/21/0388 mwN). Diese Rechtsprechung des VwGH ist unverändert auf den Fortsetzungsausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes nach der inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 22a Abs. 3 BFA-VG übertragbar.
3.2. Für die Durchsetzung der Außerlandesbringung ist die Anwesenheit des BF erforderlich. Es ist angesichts seines bisherigen Verhaltens jedoch davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen entziehen würde und sich eine Gelegenheit dazu bietet. Da er zudem über keine feststellbaren beruflichen und keine familiären oder substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, ist nicht ersichtlich, was den Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte. Dies umso mehr, als sein Aufenthalt im Bundesgebiet fast ausschließlich zu Begehung von Straftaten nutzte. Überdies hat er sich durch sein sonstiges Vorverhalten – etwa die unstrittigen Straftaten in Deutschland und Österreich (letzte Verurteilung wegen des Verbrechens der Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Organisation) – als in einem besonders hohen Maße nicht vertrauenswürdig erwiesen hat.
3.3. Im gegenständlichen Fall sind die Kriterien der Ziffern 3 und 9 wie dargelegt weiterhin gegeben. Gegenüber dem BF, besteht nach wie vor eine rechtskräftige Anordnung der Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z. 2 FPG und aufgrund seiner massiven strafrechtlichen Delinquenz ist die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäß § 46 Abs. 1 Z1 notwendig. Im Konsultationsverfahren hat Italien als Übergabeort den Flughafen XXXX bestimmt. Die Entscheidung wo die Übernahme stattzufinden hat obliegt Italien. Das Bundesamt hat den BF bereits auf den nächstmöglichen Flug für 23.07.2020 – somit in sieben Tagen – gebucht.
In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht damit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall (weiterhin) eine zur Schubhaftanordnung hinreichende Fluchtgefahr seitens des Beschwerdeführers sowie ein besonders hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung einer durchsetzbaren Außerlandesbringung zu bejahen ist.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, dass im gegenständlichen Fall die Anordnung des gelinderen Mittels nicht ausreichend ist, um den Sicherungsbedarf zu erfüllen. Dies insbesondere aufgrund der oben dargestellten exzeptionell beeinträchtigten Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers, der als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zuletzt nach Österreich nur einreiste, um mehrere Personen illegal von Italien nach Deutschland zu verbringen. Damit liegt auch die geforderte „ultima-ratio-Situation“ für die Anordnung/Fortsetzung der Schubhaft vor und erweist sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt – trotz der zweifelsfrei vorhandenen finanziellen Mittel - auch als verhältnismäßig.
3.4. Hinsichtlich der absehbaren Dauer der Schubhaft ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass diese bereits in sieben Tagen beendet werden kann.
Für die Annahme einer (zukünftigen) unverhältnismäßig langen Anhaltung gibt es gegenwärtig keinen Anhaltspunkt. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der internationale Reiseverkehr noch über Monate hinweg stillgelegt sein wird.
Die absehbare Anhaltung in Schubhaft für eine weitere Woche ist – in Anbetracht der in besonderem Maß fehlenden Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers jedenfalls verhältnismäßig. Die massive Beeinträchtigung der Vertrauenswürdigkeit hat der Beschwerdeführer ausschließlich selbst zu verantworten und muss sie daher im Rahmen einer individuellen Verhältnismäßigkeitsabwägung auch entsprechend gegen sich gelten lassen.
Aus heutiger Sicht ist weiter davon auszugehen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nächste Woche erfolgen kann. Der Beschwerdeführer befindet sich auch erst seit etwas mehr zwei Wochen in Schubhaft.
3.5. An der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers – der zuletzt 20 Monate in Untersuchungs- und Strafhaft verbrachte – bestehen keine Zweifel. Für eine besondere Gefährdung durch CoVid-19 in der Schubhaft gibt es keinen Hinweis und wurde dies auch in der Beschwerde nicht behauptet.
3.6. Es ist daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Es wird im Übrigen auch nicht dargelegt, welche Sachverhaltselemente einer mündlichen Erörterung bedürften. Darüber hinaus wurde weder vom BF, noch von der belangten Behörde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt. Der vorgebrachten glaubhaften Ausreisewilligkeit steht das unstrittige Vorverhalten des Beschwerdeführers und die notwendige Überwachung seiner Ausreise entgegen.
5. Kostenersatz
5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz. Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:W278.2232872.1.00Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020