TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/16 L508 2155778-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §6
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L508 2155778-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2017, Zl. 1126963508-161151708, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger des Iran und der kurdischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 29).

2. Anschließend erfolgte am 22.08.2016 eine Erstbefragung (AS 27 - 39). Der Beschwerdeführer erläuterte zunächst, dass er in keinem der von ihm durchquerten EU-Länder absichtlich um Asyl angesucht habe. Er habe auch in Österreich nicht um Asyl ersuchen wollen, sondern habe er bloß keinen Platz zum Schlafen gehabt, weshalb er zum „Camp“ in Traiskirchen gekommen sei. Sein Reiseziel sei England gewesen. Er habe schon immer nach England gewollt und besitze dort etliche Freunde. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er zu Protokoll, immer CDs mit politischen Inhalten (Musik) gebrannt und auch Alkohol verkauft zu haben. Zwei bis drei Personen hätten ihn dann an die Polizei verraten und aufgrund dessen würde er in seiner Heimat gesucht werden. Es sei in seiner Heimat streng verboten, Alkohol zu verkaufen und CDs mit politischen Halten zu verbreiten. Dies werde auch oft mit dem Tod bestraft. Bei einer Rückkehr in den Iran habe er Angst um sein Leben. Es erwarte ihn entweder lebenslange Haft oder die Todesstrafe.

3. In der Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.08.2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge: Dublin III-VO), gestütztes - den Beschwerdeführer betreffendes - Wiederaufnahmegesuch an Ungarn (AS 45 – 51).

Das Konsultationsverfahren gemäß der Dublin III-VO führte letztlich zu keiner Zuständigkeit Ungarns.

4. Nach Zulassung des Verfahrens legte der BF im Rahmen einer Einvernahme im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.04.2017 (AS 99 - 116) in der freien Erzählung seiner Fluchtgründe im Wesentlichen dar, dass sein Leben dort in Gefahr gewesen sei, weil er bedroht worden bzw. die Polizei zu ihnen an die Haustüre gekommen sei. Die Polizei sei sogar in sein Zimmer eingedrungen. Seine Eltern hätten gar nicht gewusst, was passiert sei. Sie hätten sein gesamtes Equipment / seine Arbeitsgegenstände mitgenommen. An diesem Tag sei er nicht arbeiten, aber auch nicht zu Hause gewesen. Mit dem Equipment würde er seine CDs und den Computer meinen. Als die Polizei gegangen sei, habe ihn seine Mutter angerufen und kontaktiert. Diese sei in Sorge gewesen und habe ihm vorgeworfen: „Mein Sohn, was hast du getan?“. Er habe sich verabschiedet und aufgelegt. Er habe gesagt, dass er sich in Kürze wieder melden werde. Danach sei er zum Hauptbahnhof gegangen. Es sei nicht direkt am Terminal, sondern am Rande der Straße gewesen. Dort stünden mehrere Taxifahrer und er sei in ein Taxi gestiegen und weggefahren. Er habe sich nach XXXX begeben. Dann sei er zu einem Freund gegangen. Da sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe er nicht länger in XXXX bleiben können, da er gewusst habe, dass seine Tätigkeit eine politische Straftat sei. Dann habe er die Grenze zum Irak illegal mit einem Pferd und ohne einen Reisepass überquert. Dies sei alles, was geschehen sei.

Weitere Angaben zu den behaupteten Problemen machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch die Leiterin der Amtshandlung.

Im Zuge der Einvernahme brachte der BF eine Kursteilnahmebestätigung für einen Deutschkurs - Niveau A1 in Vorlage (AS 117). Ferner legte der BF dem BFA eine iranische Identitätskarte und einen iranischen Militärausweis (AS 123 - 125) vor.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2017 (AS 129 - 188) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Unter einem wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Iran gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für seine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

Das BFA stützte sich auf umfangreiche Feststellungen zur Lage im Iran (Seite 17 bis 43 des bekämpften Bescheides).

Dem Vorbringen des BF bezüglich der Gewährung von Asyl wurde im Rahmen der Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit versagt (AS 171 ff).

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum - als Folge der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens - der vom Antragsteller vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestehe.

6. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2017 (AS 189 f) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

7. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 28.04.2017 (AS 209 ff) in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

7.1. Zunächst wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

* eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen;

* dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen;

* in eventu dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen;

* in eventu dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen und feststellen, dass eine Abschiebung in den Iran auf Dauer unzulässig sei.

7.2. In der Folge wird moniert, dass seitens des Bundesamtes die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG nicht erfüllt worden seien, zumal die belangte Behörde keine umfassenden Untersuchungen zum asylrelevanten Vorbringen des BF angestellt habe. Es sei notorisch, dass die iranische Regierung gegen jegliche Art von regimekritischen Äußerungen und Handeln mit harten Mitteln vorgehe und es wäre ein leichtes für die Behörde gewesen diesbezügliche Länderberichte einzuholen und in die Entscheidung miteinfließen zu lassen. Auf das Hören von vor allem weltlicher Musik würden im Iran bis heute immer wieder Strafen verhängt werden. Ebenfalls drohe dem BF Verfolgung im Iran, weil er mit alkoholischen Getränken gehandelt habe, jedoch habe es das BFA in diesem Zusammenhang gänzlich verabsäumt, einschlägige, entscheidungserhebliche Länderberichte einzuholen. Um das Fluchtvorbringen auf seine Asylrelevanz verlässlich prüfen zu können, sei eine Auseinandersetzung mit dem islamischen Recht, insbesondere mit dem islamischen Strafrecht, unumgänglich. Des Weiteren würden ergänzende Länderberichte (AS 212 - 215) zur Situation von Kurden im Iran vorgebracht bzw. auf diese verwiesen, in denen bestätigt werde, dass sunnitische Kurden im Iran einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit ausgesetzt seien.

7.3. Anschließend werden Angaben zu den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getätigt, wobei ergänzend ausgeführt wird, dass der BF bei seiner behördlichen Einvernahme sehr nervös und unsicher gewesen sei. In dieser angespannten Situation sei er möglicherweise mit den Zeitangaben durcheinandergeraten.

Unter teilweise auszugsweiser Zitierung der vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen zur Sicherheitslage, zum Rechtsschutz/ Justizwesen im Iran und zur ethnischen Minderheit der Kurden wird zudem festgehalten, dass eine fehlerfreie Beweiswürdigung schon alleine deshalb nicht erfolgen habe können, weil das BFA die behördlichen Länderfeststellungen nicht in entsprechender Weise gewürdigt habe.

7.4. Dem BF drohe nunmehr Verfolgung im Iran aufgrund seiner zum Ausdruck gebrachten systemkritischen politischen und religiösen Einstellung, insbesondere in Zusammenschau mit seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden. Er habe unter Anwendung der geltenden iranischen Strafgesetze im Falle einer Rückkehr mit Folter, unverhältnismäßig hoher Gefängnisstrafe bis hin zu Auspeitschung und Todesstrafe zu rechnen. In diesem Zusammenhang müsse auch darauf hingewiesen werden, dass der BF auch politische Lieder der Komala-Partei gebrannt und vertrieben habe und er somit als Sympathisant der Komala-Partei aufgrund seiner politischen Gesinnung einer Verfolgung im Iran ausgesetzt wäre. Eine innerstaatliche Fluchtalternative könne ausgeschlossen werden, da die Verfolgung von staatlicher Seite ausgehe.

7.5. Was Spruchpunkt II. betrifft, so sei der BF im Falle seiner Rückkehr in den Iran aufgrund der dargelegten Beschuldigungen mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung seitens des iranischen Staates bedroht. Im schlimmsten Fall habe der BF sogar mit der Todesstrafe zu rechnen. Insbesondere in Zusammenschau mit seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden bleibe zu befürchten, dass sein strafgerichtliches Verfahren im Iran unfair und voreingenommen geführt werde. Auch aufgrund der Tatsache, dass der BF illegal ins Ausland ausgereist sei, könne er im Iran nicht mehr in Sicherheit leben.

7.6. Der BF halte sich seit August 2016 im Bundesgebiet auf und sei auf dem besten Weg sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Er besuche gegenwärtig einen Deutschkurs und habe schon freundschaftliche Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung aufgebaut. Mit seinen Freunden XXXX und XXXX verbringe er gerne die Freizeit und könne er bei diesen Treffen auch seine erworbenen Deutschkenntnisse vertiefen.

7.7. Der Beschwerde ist die bereits vorgebrachte Kursteilnahmebestätigung für einen Deutschkurs - Niveau A1 (AS 222) angeschlossen.

7.8. Mit diesem Rechtsmittel wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.

8. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für 19.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung an. In diesem Zusammenhang wurden dem Beschwerdeführer mit der Ladung zur Vorbereitung für die anberaumte mündliche Verhandlung aktualisierte Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Iran übermittelt und wurde ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme bis spätestens in der mündlichen Verhandlung freigestellt (OZ 7).

9. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Note vom 23.04.2020 in seiner Angelegenheit weitere aktuelle länderkundliche Informationen bezüglich der allgemeinen Situation im Iran und wurde ihm ebenfalls die Möglichkeit einer Stellungnahme bis spätestens in der mündlichen Verhandlung freigestellt (OZ 8).

10. Mit Note vom 08.05.2020 (OZ 11) wurde dem BF seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mitgeteilt, dass die für 19.05.2020 anberaumte öffentliche mündliche Verhandlung auf den 27.05.2020 verlegt werde.

11. Am 13.05.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer schließlich aktuelle länderkundliche Informationen zur COVID-19-Situation im Iran und wurde ihm ebenfalls die Möglichkeit einer Stellungnahme bis spätestens in der mündlichen Verhandlung freigestellt (OZ 12).

12. Am 27.05.2020 wurde vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten, an welcher der Beschwerdeführer und ein Vertreter der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der Verhandlung entschuldigt ferngeblieben (OZ 15). Im Verlauf der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, Erörterung der Länderberichte zur Situation im Iran sowie ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei.

Der Beschwerdeführer brachte im Zuge der Verhandlung im Übrigen ein ÖSD-Zertifikat Niveau A1 und eine Teilnahmebestätigung bezüglich eines Werte- und Orientierungskurses (OZ 15, Beilage A) in Vorlage.

13. Hinsichtlich des Verfahrensherganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

1.3. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2. Zur Entscheidungsbegründung:

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und der am 27.05.2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.

Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:

2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger. Er gehört der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Religionsgemeinschaft an.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der BF trägt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Ausreisegrund (Bedrohung und Verfolgung durch die iranischen Behörden wegen des Verkaufes von Compact Discs mit regimekritischem Inhalt und Alkohol) sind als unglaubwürdig zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat weder aus Gründen der Religion noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt. Er hatte weder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch wegen seiner Religion asylrelevante Probleme.

Der Beschwerdeführer war weder im Iran, noch ist er in Österreich politisch aktiv. In Österreich ist er passives Mitglied einer Kurdenpartei. Der BF hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG eine Gefährdung respektive Konsequenzen wegen dieser Mitgliedschaft nicht vorgebracht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Mitgliedschaft bei dieser Partei, im Falle einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten hat. Im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat liefe der Beschwerdeführer nicht ernstlich Gefahr, wegen dieser Mitgliedschaft, intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein.

Es kann sohin nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Iran asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war oder pro futuro asylrelevanter Verfolgung in der Republik Iran ausgesetzt sein wird.

Insbesondere wäre der Beschwerdeführer nicht wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe, seiner religiösen Zugehörigkeit (Sunnite), im Falle seiner Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, unmittelbaren (persönlichen) und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt.

Weder die Kurden, die ca. 7 % der 82 Millionen Einwohner des Iran ausmachen und großteils Sunniten sind, noch die Sunniten, die ca. 9 % der Bevölkerung ausmachen, sind im Iran im Allgemeinen, ohne Hinzutreten von individuellen Momenten, einer ernsthaften Gefahr physischer oder psychischer Gewalt oder Strafverfolgung oder einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte, generell einer existenzbedrohenden Notlage oder Benachteiligungen, die das Leben im Iran unerträglich machen, oder sonst einer (ernsthaften Gefahr einer) Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung (regelmäßig) ausgesetzt.

Es konnten im konkreten Fall keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde.

Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer lebte zuletzt vor seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern in einem Haus in der Stadt XXXX in der Provinz Kordest?n. Er besuchte in seinem Herkunftsstaat mehrere Jahre die Grundschule und nennt Elektriker und/ oder Pizzabäcker als seine eigentlichen Berufe. Der BF war vor der Ausreise zeitweise beschäftigungslos, zeitweise übte er Hilfstätigkeiten aus. Des Weiteren erhielt er von seinen Eltern finanzielle Unterstützung. Der Verkauf von Sandwichen, Compact Discs und Alkohol als Erwerbstätigkeit vor der Ausreise kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat Familie/Verwandte, namentlich seine Eltern und eine minderjährige Schwester. Die Familie des BF gehört der Mittelschicht an.

Der Beschwerdeführer reiste Ende 2015/ Anfang 2016 - das genaue Datum kann nicht festgestellt werden - aus dem Iran illegal aus und etwa Mitte August 2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 21.08.2016 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Er verfügte noch nie über ein Aufenthaltsrecht für Österreich außerhalb des Asylverfahrens.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich, ist ledig und kinderlos. Er unterhält in Österreich keine Beziehung.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, die es ihm erlaubten, einen Teil der in der Verhandlung am 27.05.2020 in deutscher Sprache gestellten (einfachen) Fragen auf einfache Weise zu beantworten. Der Beschwerdeführer besucht(e) in Österreich mehrere Deutschkurse. Ferner hat der BF die Prüfung „ÖSD Zertifikat A1“ „gut bestanden“ (Prüfungsdatum: 18.07.2017).

Der BF verfügt über einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis im Inland, wobei er nur wenig Kontakt zu österreichischen Staatsangehörigen hat. Zwei Personen, mit denen er gerne seine Freizeit verbringt, benennt er mit dem Vornamen. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Bekannten/ Freunden besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung. Der Beschwerdeführer hat zudem am 21.06.2017 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.

Abgesehen von seiner passiven Mitgliedschaft in einer Kurdenpartei ist der Beschwerdeführer in Österreich nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen. Unterstützungserklärungen brachte er nicht in Vorlage. Im Übrigen war und ist der Beschwerdeführer nicht ehrenamtlich/ gemeinnützig tätig.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung regelmäßig Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber; er wohnt in einer im Rahmen der Grundversorgung finanzierten privaten Unterkunft. Er geht keiner geregelten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Einstellungszusagen brachte der Beschwerdeführer nicht in Vorlage.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Er hat mit Ausnahme seines nunmehrigen Aufenthaltes in Europa sein Leben zum überwiegenden Teil im Iran verbracht, wo er sozialisiert wurde und wo sich nach wie vor seine nächsten Verwandten aufhalten.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr wieder bei seiner Familie wohnen wird können. Seine Muttersprache ist die südkurdische Sprache Faili. Der Beschwerdeführer beherrscht außerdem Farsi.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Iran festzustellen ist.

2.1.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran war insbesondere festzustellen:

2.1.2.1. Zur Lage in der Republik Iran werden folgende - im Zuge der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführte - Länderfeststellungen dem Verfahren zugrunde gelegt:

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 3.2019a).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems“ sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 30.4.2019

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 30.4.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 30.4.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 30.4.2019

- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 30.4.2019

- WZ – Wiener Zeitung (11.1.2017): Das politische System des Iran, https://www.wienerzeitung.at/archiv/iran-2017/iran-hintergrund/524691-Das-politische-System-des-Iran.html?em_no_split=1, Zugriff 30.4.2019

Parlamentswahlen:

Kurz vor den Parlamentswahlen widersprach Präsident Hassan Rohani Gerüchten, wonach er im Falle einer Schlappe bei den Parlamentswahlen zurücktreten würde. "Die Idee, zurückzutreten, ist mir nie in den Sinn gekommen," sagte er am 17. Februar auf einer Pressekonferenz. Ein Rücktritt würde die Probleme nicht lösen. Die Amtszeit Rohanis endet im Juni nächsten Jahres. Der Präsident kündigte an, er werde auch während des Rests seiner Amtszeit seine Versprechen einlösen.

Quelle: Heinrich Böll-Stiftung (März 2020), Iran-Report 03/20, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025867/Iran_Report_03_20.pdf, Zugriff 07.04.2020

Am 21.02.20 fanden Parlamentswahlen statt. Zwar wird das endgültige Ergebnis erst am 24.02.20 bekannt gegeben, der Spitzenkanidat der konservativen Koalition, Mohammad Bagher Ghalibaf, wird jedoch als klarer Wahlsieger und neuer Parlamentspräsident angesehen. Die Wahlbeteiligung war mit nur 42,5% jedoch deutlich niedriger als von der politischen Führung erwartet. Im größten Wahlkreis Teherans gaben laut der Nachrichtenagentur Fars nur knapp unter 30% der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Die Reformer um Präsident Hassan Rohani hatten bei der diesjährigen Wahl bereits eine schlechte Ausgangslage, da fast 75% ihrer Kandidaten schon im Vorfeld vom Wächterrat abgelehnt wurden.

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes vom 24.02.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025566/briefingnotes-kw09-2020.pdf, Zugriff am 07.04.2020

Die Konservativen und Ultrakonservativen, einschließlich Kandidaten, die eng mit der Revolutionsgarde verbunden sind, haben einen Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen, die am 21. Februar abgehalten wurden, davongetragen. Sie haben 221 von den 290 Sitzen gewonnen, mehr als eine Verdoppelung der Präsenz im Parlament.

Quelle: Garrett, Nada (24February, 2020), „2020 Parliamentary Election Results“, United States of Peace, https://iranprimer.usip.org/blog/2020/feb/24/2020-parliamentary-election-results, Zugriff am 06.04.2020

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 11.6.2019

- BMeiA – Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 11.6.2019

- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019

[…]

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alleEntscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019)

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen – auch für Ersttäter – vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden beiVerdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reic

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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