TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/20 W274 2187950-1

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Veröffentlicht am 20.07.2020
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Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
VwGVG §29 Abs5

Spruch

W274 2187950-1/18E

Gekürzte Ausfertigung des am 15.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. Karl LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien, Außenstelle Wien vom 19.01.2018, ZI. 1094858808-151770419, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der

Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes

Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der BF beantragte am 11.11.2015 internationalen Schutz mit der Begründung, er sei

homosexuell, er habe Kontakt „mit ihm" im Iran gehabt, dann habe die Polizei und seine

Familie davon erfahren. Er sei von seinem Onkel mit dem Tod bedroht worden.

Vor dem BFA gab der BF am 16.01.2018 an, er sei Mitglied in der Vorbereitungsphase bei der

iranischen Kirche. Er habe mit drei Männern im Iran sexuelle Kontakte gehabt. Er sei beim

letzten Kontakt mit Said erwischt worden und daraufhin geflüchtet. Jetzt interessiere er sich

nicht mehr für seine sexuelle Neigung und sei erwachsen geworden und habe den Weg zu

Gott gefunden. Er sei nicht homosexuell.

Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen

Schutz hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus

berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass

die Abschiebung zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde aus, die angegebenen

Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes seien nicht glaubhaft. Der BF habe

gegenteilige Behauptungen rund um seine sexuellen Neigungen und seinen Glauben

gemacht und dadurch seine Glaubwürdigkeit untergraben. Weil die Behauptung der

sexuellen Neigung nicht den Tatsachen entspreche, könne davon ausgegangen werden, dass

das Interesse für die christliche Religion nur diene, um eine Asylrelevante Verfolgung

glaubhaft zu machen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde im vollen Umfang mit dem primären

Antrag, dem BF Asyl zuzugestehen.

Nach mehreren Urkundenvorlagen und einer Beschwerdeergänzung wurde der BF sowie die

XXXX vernommen.

Aufgrund des gesamten Beweisverfahrens steht folgender Sachverhalt fest:

Der BF entstammt einer persischen Familie aus dem Bundesstaat Esfahan. Er wurde im

muslimischen Glauben erzogen. Er war im Iran als Verkäufer und Pizzazusteller tätig. Nicht

festgestellt werden konnte, dass der BF im Iran im Zuge eines sexuellen Kontaktes mit einem

Mann von der Polizei bzw. dem Militär ertappt und somit zur Flucht motiviert worden zu

sein. Nicht festgestellt werden konnte, welche nähere sexuelle Vergangenheit der BF im Iran

hat.

Es ist glaubhaft, dass der BF, der seit November 2015 in Österreich ist, eine homosexuelle

Neigung hat und immer wieder in Österreich auch homosexuelle Kontakte unterhielt, wobei

er sich in seiner Umgebung nicht aktiv geoutet hat.

Der BF wurde 2016 von einem Iraner zur iranisch christlichen Gemeinde in Wien mitgenommen, durchlief dort die Taufprogramme und nahm bis zum Beginn der Corona Krise an den Gottesdiensten und laufenden Veranstaltungen teil. Nicht festgestellt werden konnte, ob er über seine äußere Aktivität hinaus auch innerlich derartig den christlichen Glauben angenommen hat, dass er das Bedürfnis hätte, diesen auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in den Iran innerlich und äußerlich auszuleben.

Der BF ist bereits seit Jänner 2016 in einem Wohnprojekt XXXX der Diakonie aufhältig und

dort schon seit Jahren in einer Wohngemeinschaft speziell ausgerichtet auf LGBT Personen.

Der BF hat Deutschprüfungen bis zum Niveau C1 abgelegt und verfügt auch tatsächlich über

gute Anwenderkenntnisse auf Deutsch. Er ist an der Universität Wien für einen

Vorstudienlehrgang inskribiert und plant ein technisches FH Studium aufzunehmen. Der BF

ist in die Familie der Zeugin und ihres Mannes seit gut 2 Jahren integriert und hat dort ein

Zimmer, in dem er bisweilen übernachtet.

Im Iran ist jede sexuelle Beziehung außerhalb einer heterosexuellen Ehe, also auch

homosexuelle Beziehungen, verboten. Auf homosexuelle Handlungen stehen offiziell

Auspeitschung und dies kann mit der Todesstrafe bestraft werden. Die Bestrafung von

gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als für

Frauen. In einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheits- sowie

Körperstrafen verhängt. Homosexualität gilt als Krankheit. Es ist davon auszugeben, dass

Verurteilungen im Fall von Homosexualität auf andere Tatbestände lauten. Geständnisse

können durch Folter erzwungen werden. Ein öffentliches Coming Out ist nicht möglich (LIB

Iran 2019 Seite 70).

Beweiswürdigung:

Dem Verfahrensverlauf sind zwar unterschiedliche Stellungnahmen des BF zu seiner

sexuellen Orientierung zu entnehmen. Im Rahmen der Verhandlung entstand der Eindruck,

dass der BF sich seiner sexuellen Orientierung nicht zur Gänze sicher ist, jedenfalls diese

auch nicht nach außen trägt, sehr wohl aber in auch geschlechtlichen Beziehungen zu

Männern auslebt. Auch der Umstand der Wohnung in einer speziellen LGBT WG über Jahre (bestätigt durch Diakonie) stützt die Glaubhaftigkeit einer Homosexualität.

Gerade die Schilderungen der Zeugin, die glaubwürdig den BF in ihrer Familie „bereits über

lange Zeit" aufgenommen hat, dass der BF eigentlich nur Kontakte zu Männern hatte,

erschien nach der Art der Schilderung glaubwürdig. Auch die genannten Details über Namen

bzw. Personen zeigen das von ihr geschilderte Bild des BF, wonach dieser „ein Problem mit

der Selbstwahrnehmung" hat. Die unterschiedlichen Darstellungen des BF im Laufe des

Verfahrens hierzu spiegeln diesbezüglich seine Unsicherheit, die er offenbar auch der von

ihm besuchten Kirchengemeinde gegenüber hat, in der er sich diesbezüglich

nicht anvertraut.

Nicht glaubhaft war der geschilderte Verfolgungsanlass im Iran, zumal im

Vergleich der Schilderung vor dem BFA und vor dem Gericht mehrere Widersprüche

auftraten, die nicht nur durch Übersetzungsschwierigkeiten bedingt erscheinen und darüber

hinaus die Schilderung teilweise sehr unplausibel war (Polizisten vor dem BFA, ein Soldat vor

Gericht; der Freund, bei dem sich der BF versteckt haben will, will am nächsten Tag Details

einer Szene mit Polizei, seinen ertappten Freund und seiner Familie in der elterlichen

Wohnung ausgespäht haben).

Glaubwürdig war der von Pastor XXXX bestätigte äußerliche Besuch der iranischen

Gemeinde über einen langen Zeitraum sowie die Taufe 2018, bei der die Zeugin und ihr

Mann zwar nicht als formelle, aber doch als engagierte „Taufeltern" fungierten. Die

Negativfeststellung betreffend die innere Konversion folgt dem Umstand, dass der BF zu

dieser Gemeinde eher zufällig durch einen anderen Iraner gelangte, sein nunmehr sehr

großes Interesse für den christlichen Glauben im Gegensatz zum abgelehnten Islam nicht

näher erklären konnte, diesen für ihn so wichtigen Umstand in keinen Bezug zu seiner

sexuellen Orientierung setzen konnte und insgesamt auch vor dem Hintergrund der

Schilderungen der Zeugin der Eindruck entstand, dass der BF sich zwar für seine Gemeinde

und für das Christentum interessiert, ebenso für die orthodoxe Kirche der Zeugin, darüber

hinausgehende tiefergreifende religiöse Auseinandersetzungen oder gemeinsame Feiern

aber nicht erfolgen.

Die Feststellung zur Integration und zur Sprache beruhen auf den vorgelegten Urkunden und

den persönlichen Eindruck des Gerichts.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung der belangten Behörde erübrigt

sich aufgrund der nunmehr verbreiteten Tatsachengrundlage. Deren Auseinandersetzung mit den Beweisergebnissen betreffen Homosexualität blieb sehr vordergründig. Nicht ersichtlich ist eine Beweisgrundlage für die Feststellung auf Seite 14 des Bescheides, wonach der BF eine Freundin im Bundesgebiet habe.

Die festgestellte sexuelle Orientierung, die der BF auch immer wieder auslebt, bildet vor

dem Hintergrund der diesbezüglichen Länderfeststellungen zum Iran einen Asylgrund, weil

der BF bei weiterem Ausleben dessen Gefahr liefe, Asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu

sein.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass vor dem

Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung zum Iran Einzelfallumstände zu beurteilen waren.

Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung Homosexualität Integration Religion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2187950.1.00

Im RIS seit

25.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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