Entscheidungsdatum
20.07.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2187950-1/18E
Gekürzte Ausfertigung des am 15.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. Karl LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien, Außenstelle Wien vom 19.01.2018, ZI. 1094858808-151770419, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der
Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes
Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der BF beantragte am 11.11.2015 internationalen Schutz mit der Begründung, er sei
homosexuell, er habe Kontakt „mit ihm" im Iran gehabt, dann habe die Polizei und seine
Familie davon erfahren. Er sei von seinem Onkel mit dem Tod bedroht worden.
Vor dem BFA gab der BF am 16.01.2018 an, er sei Mitglied in der Vorbereitungsphase bei der
iranischen Kirche. Er habe mit drei Männern im Iran sexuelle Kontakte gehabt. Er sei beim
letzten Kontakt mit Said erwischt worden und daraufhin geflüchtet. Jetzt interessiere er sich
nicht mehr für seine sexuelle Neigung und sei erwachsen geworden und habe den Weg zu
Gott gefunden. Er sei nicht homosexuell.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen
Schutz hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus
berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass
die Abschiebung zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde aus, die angegebenen
Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes seien nicht glaubhaft. Der BF habe
gegenteilige Behauptungen rund um seine sexuellen Neigungen und seinen Glauben
gemacht und dadurch seine Glaubwürdigkeit untergraben. Weil die Behauptung der
sexuellen Neigung nicht den Tatsachen entspreche, könne davon ausgegangen werden, dass
das Interesse für die christliche Religion nur diene, um eine Asylrelevante Verfolgung
glaubhaft zu machen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde im vollen Umfang mit dem primären
Antrag, dem BF Asyl zuzugestehen.
Nach mehreren Urkundenvorlagen und einer Beschwerdeergänzung wurde der BF sowie die
XXXX vernommen.
Aufgrund des gesamten Beweisverfahrens steht folgender Sachverhalt fest:
Der BF entstammt einer persischen Familie aus dem Bundesstaat Esfahan. Er wurde im
muslimischen Glauben erzogen. Er war im Iran als Verkäufer und Pizzazusteller tätig. Nicht
festgestellt werden konnte, dass der BF im Iran im Zuge eines sexuellen Kontaktes mit einem
Mann von der Polizei bzw. dem Militär ertappt und somit zur Flucht motiviert worden zu
sein. Nicht festgestellt werden konnte, welche nähere sexuelle Vergangenheit der BF im Iran
hat.
Es ist glaubhaft, dass der BF, der seit November 2015 in Österreich ist, eine homosexuelle
Neigung hat und immer wieder in Österreich auch homosexuelle Kontakte unterhielt, wobei
er sich in seiner Umgebung nicht aktiv geoutet hat.
Der BF wurde 2016 von einem Iraner zur iranisch christlichen Gemeinde in Wien mitgenommen, durchlief dort die Taufprogramme und nahm bis zum Beginn der Corona Krise an den Gottesdiensten und laufenden Veranstaltungen teil. Nicht festgestellt werden konnte, ob er über seine äußere Aktivität hinaus auch innerlich derartig den christlichen Glauben angenommen hat, dass er das Bedürfnis hätte, diesen auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in den Iran innerlich und äußerlich auszuleben.
Der BF ist bereits seit Jänner 2016 in einem Wohnprojekt XXXX der Diakonie aufhältig und
dort schon seit Jahren in einer Wohngemeinschaft speziell ausgerichtet auf LGBT Personen.
Der BF hat Deutschprüfungen bis zum Niveau C1 abgelegt und verfügt auch tatsächlich über
gute Anwenderkenntnisse auf Deutsch. Er ist an der Universität Wien für einen
Vorstudienlehrgang inskribiert und plant ein technisches FH Studium aufzunehmen. Der BF
ist in die Familie der Zeugin und ihres Mannes seit gut 2 Jahren integriert und hat dort ein
Zimmer, in dem er bisweilen übernachtet.
Im Iran ist jede sexuelle Beziehung außerhalb einer heterosexuellen Ehe, also auch
homosexuelle Beziehungen, verboten. Auf homosexuelle Handlungen stehen offiziell
Auspeitschung und dies kann mit der Todesstrafe bestraft werden. Die Bestrafung von
gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als für
Frauen. In einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheits- sowie
Körperstrafen verhängt. Homosexualität gilt als Krankheit. Es ist davon auszugeben, dass
Verurteilungen im Fall von Homosexualität auf andere Tatbestände lauten. Geständnisse
können durch Folter erzwungen werden. Ein öffentliches Coming Out ist nicht möglich (LIB
Iran 2019 Seite 70).
Beweiswürdigung:
Dem Verfahrensverlauf sind zwar unterschiedliche Stellungnahmen des BF zu seiner
sexuellen Orientierung zu entnehmen. Im Rahmen der Verhandlung entstand der Eindruck,
dass der BF sich seiner sexuellen Orientierung nicht zur Gänze sicher ist, jedenfalls diese
auch nicht nach außen trägt, sehr wohl aber in auch geschlechtlichen Beziehungen zu
Männern auslebt. Auch der Umstand der Wohnung in einer speziellen LGBT WG über Jahre (bestätigt durch Diakonie) stützt die Glaubhaftigkeit einer Homosexualität.
Gerade die Schilderungen der Zeugin, die glaubwürdig den BF in ihrer Familie „bereits über
lange Zeit" aufgenommen hat, dass der BF eigentlich nur Kontakte zu Männern hatte,
erschien nach der Art der Schilderung glaubwürdig. Auch die genannten Details über Namen
bzw. Personen zeigen das von ihr geschilderte Bild des BF, wonach dieser „ein Problem mit
der Selbstwahrnehmung" hat. Die unterschiedlichen Darstellungen des BF im Laufe des
Verfahrens hierzu spiegeln diesbezüglich seine Unsicherheit, die er offenbar auch der von
ihm besuchten Kirchengemeinde gegenüber hat, in der er sich diesbezüglich
nicht anvertraut.
Nicht glaubhaft war der geschilderte Verfolgungsanlass im Iran, zumal im
Vergleich der Schilderung vor dem BFA und vor dem Gericht mehrere Widersprüche
auftraten, die nicht nur durch Übersetzungsschwierigkeiten bedingt erscheinen und darüber
hinaus die Schilderung teilweise sehr unplausibel war (Polizisten vor dem BFA, ein Soldat vor
Gericht; der Freund, bei dem sich der BF versteckt haben will, will am nächsten Tag Details
einer Szene mit Polizei, seinen ertappten Freund und seiner Familie in der elterlichen
Wohnung ausgespäht haben).
Glaubwürdig war der von Pastor XXXX bestätigte äußerliche Besuch der iranischen
Gemeinde über einen langen Zeitraum sowie die Taufe 2018, bei der die Zeugin und ihr
Mann zwar nicht als formelle, aber doch als engagierte „Taufeltern" fungierten. Die
Negativfeststellung betreffend die innere Konversion folgt dem Umstand, dass der BF zu
dieser Gemeinde eher zufällig durch einen anderen Iraner gelangte, sein nunmehr sehr
großes Interesse für den christlichen Glauben im Gegensatz zum abgelehnten Islam nicht
näher erklären konnte, diesen für ihn so wichtigen Umstand in keinen Bezug zu seiner
sexuellen Orientierung setzen konnte und insgesamt auch vor dem Hintergrund der
Schilderungen der Zeugin der Eindruck entstand, dass der BF sich zwar für seine Gemeinde
und für das Christentum interessiert, ebenso für die orthodoxe Kirche der Zeugin, darüber
hinausgehende tiefergreifende religiöse Auseinandersetzungen oder gemeinsame Feiern
aber nicht erfolgen.
Die Feststellung zur Integration und zur Sprache beruhen auf den vorgelegten Urkunden und
den persönlichen Eindruck des Gerichts.
Eine nähere Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung der belangten Behörde erübrigt
sich aufgrund der nunmehr verbreiteten Tatsachengrundlage. Deren Auseinandersetzung mit den Beweisergebnissen betreffen Homosexualität blieb sehr vordergründig. Nicht ersichtlich ist eine Beweisgrundlage für die Feststellung auf Seite 14 des Bescheides, wonach der BF eine Freundin im Bundesgebiet habe.
Die festgestellte sexuelle Orientierung, die der BF auch immer wieder auslebt, bildet vor
dem Hintergrund der diesbezüglichen Länderfeststellungen zum Iran einen Asylgrund, weil
der BF bei weiterem Ausleben dessen Gefahr liefe, Asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu
sein.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass vor dem
Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung zum Iran Einzelfallumstände zu beurteilen waren.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung Homosexualität Integration ReligionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2187950.1.00Im RIS seit
25.11.2020Zuletzt aktualisiert am
25.11.2020