Entscheidungsdatum
23.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2220314-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2019, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am14.07.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 03.10.2006 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung gab der BF zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, er sei aktives Mitglied der Awami League (im Folgenden: AL). Im Februar 2006 habe es eine Konferenz gegeben. Dort sei es zu einer Auseinandersetzung mit Anhängern der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) gekommen. Beide Seiten seien von der Polizei beschossen worden. Es sei ein höherer Funktionär der BNP ums Leben gekommen. Der BF sei daraufhin mit Haftbefehl von der Polizei gesucht worden.
I.2. Vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) brachte der BF am 11.10.2016 im Wesentlichen Folgendes vor:
Die Angaben im Zuge der Erstbefragung seien richtig. Er sei am 05.03.2006 aus Bangladesch legal mit seinem eigenen Reisepass ausgereist. Dem BF sei sein Reisepass in der Türkei vom Schlepper abgenommen worden. Er habe keine Verwandten in der EU, in Norwegen oder in Island, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung bestehe.
Zum Fluchtgrund führte der BF ergänzend aus, er sei Mitglied einer Unterorganisation der AL namens XXXX . Es würde seit dem 02.02.2006 ein Haftbefehl gegen ihn vorliegen. Es habe eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der BNP, der Partei des BF und Angehörigen anderer Parteien gegeben. Dabei sei ein Funktionär der BNP ums Leben gekommen. Daraufhin seien mehrere Personen, darunter auch der BF, wegen Mordes angezeigt worden. Eines Tages, als der BF im Parteibüro aufhältig gewesen sei, habe die Polizei den BF in seinem Haus gesucht. Der BF habe anschließend von Parteifunktionären erfahren, dass ein Haftbefehl gegen seine Person erlassen worden sei.
I.3. Am 11.10.2006 wurde Schubhaft über den BF verhängt.
I.4. Am 18.10.2006 wurde der BF erneut vor dem BAA in Anwesenheit eines Rechtsberaters befragt. Der BF gab zusammengefasst an, sein Sohn lebe in Österreich. Er lebe mit keiner Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft zusammen. Der BF beabsichtige freiwillig nach Bangladesch zurückzukehren.
I.5. Mit Schreiben vom 19.10.2006 teilte der BF dem BAA nachrichtlich mit, seine Berufung gegen den erstinstanzlichen negativen Bescheid zurückziehen und freiwillig zurückkehren zu wollen.
I.6. Mit Bescheid vom 20.10.2006, XXXX , wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), den BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch aus (Spruchpunkt III.) und erkannte einer Berufung gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).
Rechtlich führte das BAA soweit wesentlich aus, es sei weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GKF) noch unter § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu subsumierender Sachverhalt hervorgekommen. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§ 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005) ergeben und der BF sei vor der Antragstellung bereits drei Monate in Österreich aufhältig gewesen. Außerdem habe der BF das BAA über seine wahre Identität getäuscht und keine Verfolgungsgründe vorgebracht, sodass die aufschiebende Wirkung der Berufung gegen die abweisende Entscheidung abzuerkennen gewesen sei.
I.7. Der Bescheid des BAA vom 20.10.2006, XXXX , wurde dem BF rechtswirksam am 23.10.2006 zugestellt.
I.8. Mit Schreiben vom 03.11.2006 ersuchte der BF um neuerlichen Einvernahme und teilte unter anderem mit, dass er keine Möglichkeit habe, nach Bangladesch zurückzukehren. Zudem sei er am 03.10.2006 von einem Dolmetscher in der Sprache Hindi einvernommen worden. Diese Sprache beherrsche der BF jedoch nicht.
I.9. Mit Bescheid des damals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenates (im Folgenden: UBAS) vom 22.11.2006, XXXX , wurde der Berufung des BF gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.10.2006, XXXX , aufschiebende Wirkung gemäß § 38 Abs. 2 AsylG 2005 zuerkannt.
I.10. Am 20.12.2006 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen.
I.11. Der UBAS beraumte mit Schreiben vom 14.01.2008 eine ergänzende Einvernahme des BF für den 21.02.2008 an.
I.12. Mit Bericht der Grenzpolizeiinspektion XXXX vom 14.03.2008 teilte diese dem BAA mit, dass der BF dabei betreten worden war, als er das österreichische Bundesgebiet nach Italien verlassen habe. Ihm sei mitgeteilt worden, dass Asylwerbern nicht gestattet sei, während des laufenden „Asylverfahrens“ das Bundesgebiet zu verlassen, er habe aber seine Reise fortgesetzt.
I.13. Mit Verfahrensanordnung des zwischenzeitlich zuständigen Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 11.06.2012, XXXX , wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt, weil der Aufenthaltsort des BF nicht ermittelt werden konnte.
I.14. Am 30.10.2013 wurde der BF von tschechischen Behörden in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt, weil er illegal von Österreich nach Tschechen eingereist ist.
I.15. Am 04.11.2013 erfolgte eine Aktenvorlage seitens des BAA und es wurde die Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens angeregt. In diesem Zusammenhang wurden Unterlagen des BF betreffend die illegale Einreise des BF vorgelegt. Der BF hatte am 30.10.2013 vor der Polizeiinspektion XXXX angegeben, seit 2006 in Polen zu leben und dort als Reinigungskraft tätig zu sein. In Österreich habe er sich lediglich etwa eine Woche aufgehalten und sei mit einem Pkw illegal über Tschechien nach Polen gereist. Am 26.11.2006 sei er illegal nach Polen eingereist. Im März 2008 habe er sich einen Reisepass von der bengalischen Botschaft in Rom ausstellen lassen, weil es in Polen keine bengalische Vertretungsbehörde gebe. Den Reisepass habe er sich per Post schicken lassen. Er habe in Polen einen humanitären Aufenthaltstitel beantragt, weil in Polen Personen, die länger als fünf Jahre dort illegal leben würden, mittel Amnestie legalisiert werden könnten. Diesem Antrag sei nicht Folge gegeben worden, der BF habe dagegen berufen. Er ersuche, so schnell als möglich nach Polen überstellt zu werden.
I.16. Mit hg. Beschluss vom 23.05.2014, XXXX , wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt, weil der Aufenthaltsort des BF nicht ermittelt werden konnte.
I.17. Mittels Aktenvermerk vom 21.04.2015 wurde hg. festgehalten, dass eine Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens mangels aufrechter Meldeadresse des BF bzw. bekannten Aufenthaltsortes des BF nicht möglich sei.
I.18. Am 16.01.2017 langte eine Vollmachtsbekanntgabe einer rechtsfreundlichen Vertretung des BF ein.
I.19. Mit hg. Beschluss vom 23.01.2017, XXXX , wurde das Beschwerdeverfahren fortgesetzt.
I.20. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 21.02.2017 für den 10.03.2017 eine mündliche Beschwerdeverhandlung an.
I.21. Mit Schreiben vom 21.02.2017 wurde dem BF eine Aufforderung zur Mitwirkung im Beschwerdeverfahren und zur Vorlage von Dokumenten und Beweismitteln übermittelt. Den Verfahrensparteien wurden zudem mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls vom 21.02.2017 aktuelle Länderberichte zur Lage in Bangladesch zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum Zeitpunkt der anberaumten Verhandlung schriftlich bzw. in der Verhandlung mündlich hierzu zu äußern.
I.22. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.03.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu der der BF erschien. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der BF Identitätsdokumente sowie Beweismittel vor und gab an, er habe Durchblutungsstörungen in seinem rechten Bein, vermutlich Probleme mit dem Ischiasnerv, Sehprobleme und vergesse vieles. An bestimmte Dinge vor zwei Wochen könne er sich erinnern, was aber vor zwei Wochen gewesen sei, daran könne er sich nicht erinnern. Die Verhandlung wurde zur Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens unterbrochen.
I.23. Am 26.04.2017 langte das vom Bundesverwaltungsgericht in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Gutachten ein. Darin wurde unter anderem festgehalten, dass der BF an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion – F43.2 –sowie an Lumbalgie leide. Der BF sei einvernahmefähig, zeitlich, örtlich, situativ und zur Person orientiert und könne auch schlüssige und widerspruchsfreie Angaben tätigen. Der BF sei auch in der Lage, vor allem zu seinen Ausreisegründen, die sich im Jahr 2006 ereignet hätten, nachvollziehbare Angaben zu tätigen. Grundsätzlich sei der BF in der Lage, eine Sprache zu erlernen. Die Anpassungsstörung könne medikamentös behandelt werden, von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen. Im Falle einer Überstellung des BF nach Bangladesch sei mit einer kurz- bis mittelfristigen Verschlechterung des Krankheitsbildes auszugehen, der BF gerate aufgrund der psychischen Störung nicht in einen lebensbedrohlichen Zustand oder die Krankheit verschlechtere sich nicht in einem lebensbedrohlichen Ausmaß.
I.24. Das Bundesverwaltungsgericht lud für dem 06.09.2017 zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung.
I.25. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der BF die Möglichkeit zu seiner Integration, seinem Fluchtvorbringen und seiner Rückkehrsituation Stellung zu nehmen.
I.26. Mit hg. Erkenntnis vom 19.10.2017 wurde die Beschwerde gem. §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen, das Verfahren gem. § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zurückverwiesen (Spruchpunkt A) und die Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen (Spruchpunkt B).
I.27. Mit undatiertem Schreiben, dem Rechtsfreund des BF zugestellt am 08.02.2019, gewährte das BFA dem BF Parteiengehör. Es forderte ihn auf, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob besondere Gründe vorlägen, die gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF sprächen und forderte ihn zur Dokumentenvorlage auf.
I.28. Mit Schreiben vom 22.02.2019 ersuchte der rechtsfreundliche Vertreter des BF um Fristerstreckung.
I.29. Mit Schreiben vom 08.03.2019 legte der rechtsfreundliche Vertreter des BF Urkunden vor und regte die Durchführung einer ergänzenden persönlichen Einvernahme des BF an.
I.30. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 25.04.2019, XXXX , erteilte das BFA dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht (Spruchpunkt I.), es erließ gegen den BF gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gem. § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF nach Bangladesch gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und sprach aus, dass gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, es lägen keine Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.31. Mit Schriftsatz vom 03.06.2019 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – nunmehr durch die XXXX vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, dem BFA sei die Durchführung eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens vorzuwerfen. Es habe es unterlassen, den BF einzuvernehmen. Weiters sei der Bruder des BF einer zeugenschaftlichen Einvernahme zuzuführen. Die vom BFA durchgeführte Beweiswürdigung erweise sich als mangelhaft. Sie sei unschlüssig und verletze § 60 AVG. Der bloße Verweis auf die Aktenlage stelle keine eigene Beweiswürdigung dar. Der rechtlichen Begründung der Rückkehrentscheidung komme kein Begründungswert zu.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und den angefochtenen Bescheid bezüglich seines Spruchpunktes II. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben, für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt werde sowie in eventu, den angefochtenen Bescheid „ersatzlos“ zu Beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
I.32. Mit Schreiben vom 17.06.2019 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.33. Mit Schreiben vom 12.06.2020 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 14.07.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.34. Am 14.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Einleitend legte der BF diverse Dokumente vor, die seine Integrationsfortschritte beweisen sollten; so wurde u.a. Vereinsbestätigungen ( XXXX ), Teilnahme an Deutschkursen Niveau A1 und A2, Vorvertrag zu einem Arbeitsvertrag der XXXX , Bestätigung als „Schlüsselkraft“ der XXXX , zwei Einkommensbestätigungen für 2019 und 2020, eine „Vertreterbestätigung“ hinsichtlich 500 Euro pro Monat; medizinische Befunde und Ambulanzkarten. Weiters legte der BF diverse Meldebestätigungen vor; einen Ausweis konnte der BF nicht vorlegen. Der BF legte auch Empfehlungsschreiben von Freunden und Bekannten vor.
Der BF stellte erstmalig am 03.10.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Seine Familie, Ehefrau und drei Kinder, leben in Bangladesch, sein Bruder und dessen Familie in Österreich. Der BF lebt von der Grundversorgung und diversen „Vertretungsarbeiten“ im Zeitungsvertriebsbereich sowie als Reinigungskraft, welche ihm monatlich ca 800 bis 900 Euro an Verdienst bringen. Der Bruder unterstützt auch die Familie des BF in Bangladesch mit ca 200 bis 300 Euro pro Monat. Der Bruder des BF ist momentan als Taxifahrer nur geringfügig beschäftigt, was sich aber demnächst ändern soll; die Ehefrau des Bruders ist derzeit Hausfrau wegen ihrer drei Kinder; wegen der Corona-Krise ist das Einkommen der Familie des Bruders stark beschränkt. Der BF wohnt bei der Familie des Bruders.
Der Bruder des BF, welcher die österreichische Staatsbürgerschaft vorweist, unterschrieb für den BF eine Haftungserklärung, welche vor dem BG Innere Stadt am 20.06.2020 beglaubigt wurde.
Der BF leidet an verschiedensten Krankheiten, etwa Bluthochdruck, Gastritis, Zucker. Er benötigt Medikamente, welche er sich extra aus Bangladesch kommen lässt.
Der BF hat „bengalische, indische, pakistanische und zwei österreichische Freunde, ältere.“
Mit einer politischen Partei ist der BF nicht verbunden.
Festgehalten wurde, dass mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache eigentlich nicht möglich war. Der Sprachwortschatz ist extrem begrenzt, die Antworten erfolgten nicht in vollen Sätzen, so ferne überhaupt Antworten gegeben wurden.
Einen breiten Raum in der Verhandlung vor dem BVwG nahm die Anwesenheit des BF im Bundesgebiet ein. Aufbauend auf dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.10.2017, XXXX , wurde versucht zu erheben, in welchen Zeiträumen sich der BF in Österreich befand. Der BF zeigte sich diesbezüglich wenig bis gar nicht kooperativ. Trotz Wahrheitserinnerung und Hinweis, dass er zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen habe, meinte der BF auf die Frage, wann er – nach seiner Ankunft 2006 – das Bundesgebiet wieder verlassen habe, lediglich: „Ich habe Österreich nicht verlassen, ich ging nur für eine kurze Zeit in ein anderes Land um mir Papiere zu beschaffen.“ Über Nachfrage meinte der BF, „Ich habe es nur einmal verlassen, das war‘s, sonst niemals“. Über stetes Nachfragen gab der BF zu, dass er „entweder 2015 oder 2016“ nach Polen gefahren sei, um sich Papiere und ein Visum zu besorgen. Er habe kein Visum in Polen erhalten. Er sei „nur ganz kurz in Polen“ gewesen, seitdem sei er hier. Er könne jedoch nicht mehr angeben, wann er in Polen gewesen sei.
Konfrontiert mit Teilen der im Verwaltungsakt befindlichen Niederschrift vom 30.10.2013 gab der BF an, dass dies seinem Gedächtnis nicht helfen würde. In dieser Niederschrift der XXXX , gab der BF an, dass er, nachdem er 2006 nach Österreich kam (Asylerstantrag: 03.10.2006; Einvernahme vor dem BFA am 11.10.2006, negativer Asylbescheid am 20.10.2006; Übernahme in die Schubhaft; Bescheidübernahme am 23.10.2006; Entlassung aus der Schubhaft: 20.12.2006) „am 26.12.2006 illegal nach Polen [eingereist sei]. Dort lebte ich illegal. Im März 2008 ließ ich mir einen Reisepass von der bengalischen Botschaft in Rom ausstellen., da wir in Polen keine bangl. Vertretungsbehörde haben. Diesen Reisepass habe ich mir per Postweg schicken lassen. Ich habe in Polen einen humanitären Aufenthaltstitel beantragt, da in Polen Personen, die länger als 5 Jahre illegal dort leben, mittels einer Amnestie legalisiert werden können. Am 02.07.2012 habe ich den Antrag bei der zuständigen Behörde in Polen eingebracht.“ Ca vier Monate später habe er einen ablehnenden Bescheid erhalten, gegen den der BF berufen habe. Eine mündliche Verhandlung sollte am 31.10.2013 in Polen stattfinden. Der BF sei am 26.10.2013 mit dem Zug nach Österreich gefahren, wo er am 27.10.2013 ankam. Er sei bei Freunden gewesen, am 29.10.2013 wollte er nach Polen zurückreisen. In Breclav sei er von der tschechischen Behörde festgenommen worden und nach Österreich rücküberstellt worden. „nun ersuche ich die österreichische Behörde mich so schnell wie möglich nach Polen zu überstellen“; dies war die seinerzeitige Aussage des BF; an all diese Angaben konnte sich der BF vor dem BVwG nicht (deutlich) erinnern. Die Zugtickets liegen im Administrativakt (AS 339) ein.
Der BF konnte sich in der Verhandlung vor dem BVwG aber auch nicht daran erinnern, dass er jemals in Italien gewesen sei (BVwG-Verhandlung: VP: „Was haben Sie in Italien gemacht?“ BF: „In Italien? Ich war noch nie in Italien.“ VP: „Ich habe einen Bericht der Polizei vom 14.03.2008, dass Sie bei einer Kontrolle im Zug nach Italien angetroffen wurden. Sie hatten eine gültige Fahrkarte und setzten Ihre Reise nach Italien fort. Was sagen Sie dazu? BF: „Nein, ich war noch nie in Italien“). Nach Einsichtnahme des BF-Vertreters in den Akt hält der VP fest, dass es sich gegenständlich um den Reisezug EN 52 Richtung Rom am 11.03.2008 handelte.
Auf Grund der vom BF selbst vorgelegten Meldezettel konnte in der Verhandlung bzw. durch aktuelle Nachweise im ZMR-Register festgestellt werden: Der BF war im Bundesgebiet – unter verschiedenen Namen – unter der ZMR 000517485502 gemeldet vom 11.10.2006 bis 20.12.2006, vom 22.12.2006 bis 27.12.2007, vom 27.12.2007 bis 19.11.2008 sowie vom 19.11.2008 bis 10.08.2011. Unter der ZMR 000724370362 war der BF gemeldet vom 04.11.2013 bis 04.02.2014 sowie seit 19.12.2016.bis dato.
In den vorgelegten Meldebestätigungen des BF fiel auf, dass die Angaben zu den Reisedokumenten mit den Angaben des BF in der Verhandlung nicht in Gleichklang zu bringen waren.
Der BF behauptete, dass er einen bengalischen Reisepass hatte, welcher ihm vom Schlepper abgenommen worden sei. Nachdem ihm eine Identitätskarte eingezogen worden sei, habe er sich einen Reisepass (per Post) vom Konsulat in XXXX (Ausstellungsdatum XXXX , Dokumentennummer XXXX ) schicken lassen.
In diesem Zusammenhang – Reisepass Mailand Ausstellungsdatum XXXX – und polizeiliche Kontrolle im Zug EN 52 Richtung Rom am 11.03.2008 liegt eine bemerkenswerte Koinzidenz vor.
Der BF behauptete, dass er einen Reisepass verloren habe. Bei der Meldebestätigung des MBA Wien vom 26.04.2019 ist als Reisedokument der Reisepass XXXX vom XXXX , Ablaufdatum XXXX , Ausstellungsbehörde „ XXXX “ angegeben (DIP=Departement of Immigration and Passports).
Der BF konnte dazu keine Angaben machen; seinen Pass hätte sein Bruder in Verwahrung. Der Bruder, als Zeuge befragt, gab dazu jedoch an, dass der BF den Pass verloren habe und einen neuen Pass aus Sparsamkeit nicht besorgt habe. Seinen Pass habe der BF „vor zwei, drei Jahren verloren“.
Mit dieser Aussage konnte der Zeuge jedoch nicht erklären, was mit dem Pass, ausgestellt am XXXX , von „ XXXX “, passierte, insbesondere ob der Pass nicht weiter im Besitz des BF – oder seines Bruders – sei.
Der Bruder des BF, XXXX , wurde in der Verhandlung als Zeuge einvernommen. Er führte zum Aufenthalt des BF aus, dass dieser „von 2006 bis ca. 2014“ bei ihm gewesen sei. Als sein Bruder in Polen war, um sich Papiere zu beschaffen, wäre dies eine Aufenthaltsdauer von ca. ein bis eineinhalb Jahre gewesen. Da er aber nichts Positives erhielt sei er zurückgekommen und würde seitdem bei der Familie des Zeugen leben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (AS 21 ff.).
Der BF ist im Ort XXXX im Distrikt XXXX geboren und aufgewachsen (AS 23). Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland wäre er in der Lage, sich sein Auskommen zu sichern.
In Bangladesch halten sich die Ehefrau, drei Töchter und ein Sohn des BF auf (AS 486).
Der BF ist vermutlich im Oktober 2005 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist, wo er sich unter einer falschen Identität behördlich meldete (AS 29 ff.).
Der BF stellte seinen Asylerstantrag am 03.10.2006; die Einvernahme vor dem BFA erfolgte am 11.10.2006, ein negativer Asylbescheid erging am 20.10.2006 und erfolgte am gleichen Tag die Übernahme in die Schubhaft; der negative Bescheid wurde am 23.10.2006 übernommen; die Entlassung aus der Schubhaft erfolgte 20.12.2006; am 26.12.2006 reiste der BF nach Polen.
Der BF hielt sich großteils in Polen auf, kam jedoch manchmal in das Bundesgebiet. Der BF hielt sich auch in Tschechen (AS 341, Arbeitsübersetzung AS 349 ff.) und in Italien (AS 277) auf. In Polen versuchte sich der BF einen humanitären Aufenthaltstitel zu erschleichen (AS 363), was jedoch fehlschlug. Der BF war zwar zeitweilig in Österreich gemeldet, hielt sich aber nicht immer im Bundesgebiet auf. Der BF widerspricht sich hinsichtlich seiner Aufenthaltsdauer in Polen (zwischen „ein bis eineinhalb Jahren“ bis „mehr als fünf Jahre“).
Der BF ist nicht bereit, der österreichischen Rechtsordnung sowie anderen europäischen Rechtsordnungen Beachtung zu schenken.
Der BF kann nicht erklären, ob bzw welchen Reisepass er derzeit besitzt. Der BF kann nicht glaubwürdig darlegen, wie er zu dem Reisepass, ausgestellt im Konsulat XXXX , im Jahr 2008 gelangte. Der BF kann nicht darlegen, wie er zu dem Reisepass, ausgestellt von XXXX , im Jahr 2019 gelangte.
Er ist nicht in die Grundversorgung einbezogen. Der BF ist einfaches Mitglied bei der XXXX , wobei er im Rahmen dieser Vereinsmitgliedschaft nichts tut (AS 488). Er engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich und auch nicht politisch. Der BF hat bengalische, indische, pakistanische und zwei ältere österreichische Freunde.
Der BF gibt sich als sein Bruder aus und arbeitet so ohne Genehmigung als Zeitungsverteiler.
Der BF ist als Person vollkommen unglaubwürdig.
Der BF wohnt mit seinem Bruder und dessen Familie in gemeinsamen Haushalt in XXXX . Mit diesen Verwandten führt er kein Familienleben. Der Bruder hat für den BF eine Haftungserklärung unterschrieben.
Die Zeugenaussagen des Bruders des BF konnten zur Klärung des Sachverhaltes nicht beitragen und widersprachen sich teilweise zu den Äußerungen des BF (zB hinsichtlich Reisepass, Aufenthalt in Polen).
Der BF verfügt über geringe bis faktisch keine Deutschkenntnisse. Deutschkurse wurden zwar in A1 und A2 besucht, ein Zertifikat jedoch nicht vorgelegt.
Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF leidete (2017) an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion – F 43.2 – und einer Lumbalgie (AS 507). Der BF hat derzeit (2020) Gastritis, Zucker und Bluthochdruck. Der BF besorgt sich gegen diese Krankheiten eigens sich Medikamente aus Bangladesch.
Festgestellt wird, dass dem BF keine politische oder sonstige Verfolgungshandlung in Bangladesch droht; gegebenenfalls wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben.
Der BF kann im Falle seiner Rückkehr auf eine integrative Wirkung durch seine Familie in Bangladesch, mit der in regelmäßig in Verbindung ist, bauen.
II.1.2. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
Politische Lage:
Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People' s Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 12.2018a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 21.2.2019) leben etwa 159 bis 165 Millionen Einwohner (CIA 21.2.2019; vgl. GIZ 1.2019, AA 12.2018a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtest besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 12.2018a).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 12.2018; vgl. GIZ 12.2018a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 12.2018a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 12.2018) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (AA 27.10.2017; vgl. GIZ 12.2018). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 12.2018a). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 12.2018).
Das politische Leben wird seit 1991 durch die beiden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt. Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 12.2018). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 1.2018).
Seit 2009 ist Sheikh Hasina von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 12.2018a; vgl. ÖB 12.2018). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).
Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Von Oktober bis Anfang Dezember 2018 fanden wiederholt Fälle willkürlicher Verhaftungen und Inhaftierungen von Demonstranten und politischen Oppositionellen sowie von Gewalttaten und Einschüchterungen durch Mitglieder der Studenten- und Jugendabteilung der Regierungspartei statt. (HRW 13.12.2018). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Am Wahltag wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).
2014 trat die BNP aus Protest gegen Verfahrensfehler bei der Organisation der Wahlen nicht zur Wahl an und forderte die Bevölkerung, ihre eigenen Parteimitglieder und Wähler zu einem Generalstreik (Hartal) auf. Eine der wichtigsten BNP-Vertreter der Opposition war und ist die ehemalige Premierministerin und amtierende BNP-Parteivorsitzende Khaleda Zia. Sie wurde im Februar 2018 wegen Veruntreuung zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt (GIZ 12.2018a) und durfte bei den Parlamentswahlen am 30.12.2018 nicht als Kandidatin antreten (DT 8.12.2018). Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potential, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 12.2018a).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteiischen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei nach ihrem Wahlboykott am 5.1.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten war (GIZ 12.2018a) und bei den Parlamentswahlen am 30.12.2018 nur sechs Mandate erzielen konnte (BI 31.12.2018; vgl. DS 10.1.2019).
Durch Verfassungsänderung von Juni 1988 wurde der Islam zur Staatsreligion erklärt, bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen. Auch Säkularismus ist Staatsprinzip und genießt Verfassungsrang (AA 27.10.2017). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein. Die derzeitige Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Verbrechen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 juristisch aufzuarbeiten. Angeklagt sind damalige Kollaborateure der pakistanischen Streitkräfte, von denen viele bis zur letzten innerparteilichen Wahl in führenden Positionen der islamistischen JI waren. Die Prozesse und (häufig Todes-) Urteile öffnen alte Wunden und führen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen säkularen und islamistischen Kräften (AA 12.2018).
Bei den am 30.12.2015 in 234 Stadtbezirken durchgeführten Kommunalwahlen in Bangladesch ist die regierende AL in 176 Bezirken als Siegerin hervorgegangen (NETZ 2.1.2016). Die kommenden Kommunalwahlen werden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 stattfinden (bdnews24 3.2.2019). Am ersten Wahltermin wurden in den 78 Upazilas eine geringe Wahlbeteiligung beobachtet. Die Wahl wird von der BNP und einigen anderen Parteien boykottiert (DS 10.3.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralstaatlich: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 501 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), 4.876 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (AA 12.2018; vgl. ÖB 12.2018). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 12.2018).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (12.2018): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 7.3.2019
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? BBC (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 7.3.2019
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? BI - Bangla Insider (31.12.2018): final results of 11th parliamentary elction of Bangladesh 2018, https://en.banglainsider.com/bangladesh/4469/FINAL-RESULTS-OF-11th-PARLIAMENTARY-ELECTION-OF-BANGLADESH-2018, Zugriff 3.1.2019
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? DS – Daily Star, the (10.3.2019): First phase upazila polls end, counting starts, https://www.thedailystar.net/country/news/election-78-upazilas-begins-1712992, Zugriff 11.3.2019
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls,https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 11.3.2019
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? Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 7.3.2019
? RW - Human Rights Watch (13.12.2018): Bangladesh: Crackdown as Elections Loom, https://www.ecoi.net/de/dokument/1454483.html, Zugriff 7.3.2019
? WPR – World Population Review (o.D.): World Countries by Population Density 2019, http://worldpopulationreview.com/countries/countries-by-density/. Zugriff 7.3.2019
Sicherheitslage:
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League und die Bangladesch National Party, ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018; vgl. FH 1.2018). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Politische Auseinandersetzungen werden von allen Lagern – mit einem teilweise massiven Aufgebot an Menschen und unter Rekrutierung von Studenten- und Jugendorganisationen - auf der Straße ausgetragen (AA 27.10.2017). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 14.12.2018; vgl. AA 25.2.2019), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKHO 28.2.2019).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Im März 2017 kam es zu drei Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 14.12.2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 20.4.2018; vgl. AI 22.2.2017; AA 27.10.2017). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z. B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. In vielen Fällen wird den Sicherheitsbehörden vorgeworfen, nicht oder zu spät reagiert zu haben, vereinzelt sogar an Gewaltakten aktiv teilgenommen zu haben (AA 27.10.2017).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (BMEIA 14.12.2018; vgl. AA 25.2.2019; UKHO 28.2.2019). Im Juni 2017 griff eine aufgebrachte Menschenmenge indigene Bewohner der Stadt Langadu im Bezirk Rangamati Hill an und tötete dabei mindestens eine Person. Außerdem wurden Hunderte Häuser niedergebrannt. Berichten zufolge unternahmen Polizisten und Soldaten nichts, um die indigenen Bewohner zu schützen (AI 23.5.2018). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Division Chittagong, hat es zuletzt in bzw. in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Am 21. Februar 2019 wurden dabei auch ausländische Journalisten angegriffen (AA 25.2.2019).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKHO 28.2.2019).
In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 25.2.2019). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 27.10.2017). Die Kriminalität hat ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 14.12.2018).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.2.2019): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 27.2.2019
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (27.10.2017): Bericht über die asyl– und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Oktober 2017).
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019
? AI – Amnesty International (23.5.2018): Bangladesch 2017/18, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/bangladesch, Zugriff 5.3.2019
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (14.12.2018): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 6.3.2019
? FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442339.html, Zugriff 28.2.2019
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (12.2018): Asylländerbericht Bangladesch [Arbeitsversion].
? UKHO – UK Home Office (28.2.2019): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 6.3.2019
? USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430114.html, Zugriff 27.2.2019
Rechtsschutz/Justizwesen:
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof. Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 12.2018).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 12.2018). Gemäß einer Verfassungsänderung hat das Parlament seit 2014 das Recht, oberste Richter abzusetzen (USDOS 20.4.2018).
Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren ca. 200 Personen zum Tode verurteilt (ÖB 12.2018).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 12.2018). Gerichtsverfahren sind durch eine überlange Verfahrensdauer geprägt, was viele Angeklagten bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf ein faires Verfahren hindert. Weiters kommt es zu Zeugenbeeinflussung und Einschüchterung von Opfern (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 1.2018). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 9.1.2019).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftliche Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 12.2018).
Quellen:
? FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442339.html, Zugriff 28.2.2019
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 6.3.2019
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (12.2018): Asylländerbericht Bangladesch [Arbeitsversion].
? USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430114.html, Zugriff 27.2.2019
Sicherheitsbehörden:
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit und Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 20.4.2018).
Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 27.10.2017). Misstrauen gegenüber der Polizei und anderen Sicherheitsdiensten hält viele Bürger davon ab, Unterstützung zu suchen oder Verbrechen anzuzeigen. Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. Die Polizei hat Regeln für angemessene Gewaltausübung in ihre Grundausbildung einbezogen, um bürgernahe Polizeiarbeit umsetzen zu können (USDOS 20.4.2018). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 12.2018).
Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 12.2018).
Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“. Bei den Opfern handelte es sich zumeist um Anhänger der Opposition. Folter und andere Misshandlungen waren noch immer weit verbreitet, die Behörden gingen entsprechenden Anzeigen jedoch nur selten nach (AI 23.5.2018; siehe auch Abschnitt 6.). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben (AA 27.10.2017).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 12.2018):
Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt 14 RABs mit insgesamt ca. 8.500 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 12.2018; vgl. RAB o.D.). Ihnen werden schwere menschenrechtliche Verstöße wie z. B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 27.10.2017). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 12.2018). Trotz Vorwürfen von Verstößen, einschließlich einer Audioaufzeichnung einer außergerichtlichen Hinrichtung durch Mitglieder des RAB, haben die Behörden es versäumt, die Verantwortlichen auszuforschen und zu verfolgen (HRW 17.1.2019).
Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leichtbewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 12.2018).
Bangladesh Rifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry, wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BDRs sind auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 12.2018).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ à 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 12.2018).
Special Branch of Police (SB) ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 27.10.2017).
Die Zivilbehörden haben eine effektive Kontrolle über das Militär und die Regierung verfügt über die notwendigen Mechanismen, um Missbrauch und Korruption zu ahnden. Allerdings macht sie hiervon immer weniger Gebrauch. Faktisch hat der Sicherheitsapparat ein Eigenleben entwickelt, das kaum mehr von der Regierung kontrolliert wird (AA 27.10.2017).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (27.10.2017): Bericht über die asyl– und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Oktober 2017).
? HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002245.html, Zugriff 7.3.2019
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (12.2018): Asylländerbericht Bangladesch [Arbeitsversion].
? RAB – Rapid Action Battalion Bangladesh (o.D.): Contact Us, http://www.rab.gov.bd/english/contact-us/, Zugriff 11..2019
? USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430114.html, Zugriff 27.2.2019
Korruption:
Korruption ist in Bangladesch weit verbreitet und hat alle Teile der Gesellschaft durchdrungen (AA 27.10.2017; vgl. LIFOS 25.2.2019). Der Vorsitzende der Antikorruptionsbehörde, Iqbal Mahmood, wird mit den Worten zitiert, die Korruption habe ein solches Ausmaß erreicht, dass er ratlos sei, wie er sie reduzieren könne (AA 27.10.2017). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegte Bangladesch im Jahr 2018 den 149. Platz unter 180 untersuchten Staaten, das ist eine Verschlechterung von sechs Plätzen im Vergleich zum Jahr 2017 (143/180) (TI 29.1.2019).
Vor allem im Bereich der erstinstanzlichen Gerichte, der Gerichtsbediensteten, der öffentlichen Ankläger, der Magistrate und der Anwälte wird Korruption als ein weit verbreitetes Problem angesehen. Wohlhabenden oder in den großen Parteien verankerten Personen stehen die Möglichkeiten des ineffizienten und korrupten Justizsystems offen. Das Ausmaß der Korruption stellt jedoch sicher, dass auch Opfer staatlicher Verfolgung davon profitieren können (ÖB 12.2018).
Laut Transparency International haben im Jahr 2015 47 % der befragten Haushalte und 49 % der befragten Unternehmen Bestechungsgeld gezahlt (TI 30.5.2016). Als korrupteste Behörden werden die Migrationsbehörden sowie die Rechtspflege genannt. Versicherungen, Banken und NGOs genießen den besten Ruf (AA 27.10.2017).
Als Korruptionsbekämpfungs- sowie Rechtsschutzinstrument besteht die Antikorruptionsbehörde (Anti Corruption Commission - ACC). Diese wird seitens der deutschen Botschaft Dhaka jedoch als „eher zahnloser Papiertiger“ sowie „reines Aushängeschild“ beurteilt (ÖB 12.2018). Eine im Jahr 2013 erlassene Gesetzesänderung führte dazu, dass die ACC der Korruption verdächtigte Beamte nur noch mit Zustimmung der Regierung anklagen darf. Faktisch hat die ACC in den vergangenen Jahren lediglich eine Handvoll von Regierungsvertretern angeklagt (AA 27.10.2017). Im Gegenzug wird der Regierung vorgeworfen, die ACC für politisch motivierte Strafverfolgung zu nutzen (USDOS 20.4.2018), beispielsweise gegen die oppositionelle BNP (FH 1.2018).
Es gibt Ambitionen der