TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 L514 1238264-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L514 1238264-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2017, Zl. 721171304/14076872-RD Oberösterreich, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte erstmalig am XXXX .2002 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.05.2003 gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen, wogegen fristgerecht Berufung erhoben wurde. Zu den Ausreisegründen wurde vom Beschwerdeführer zusammengefasst ausgeführt, dass er als Kurde zwischen der PKK und dem Militär stehen würde. Im Laufe des offenen Berufungsverfahrens verließ der Beschwer freiwillig Österreich und kehrte die Türkei zurück.

2.       Im XXXX 2013 verließ der Beschwerdeführer neuerlich die Türkei und wurde am XXXX 2013 in Ungarn auf dem Wege nach Österreich erkennungsdienstlich behandelt, tauchte aber in der Folge unter. Laut Beschwerdeführer kehrte er neuerlich in die Türkei zurück.

3.       Am XXXX .2014 stellte der Beschwerdeführer seinen mittlerweile zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 05.02.2014 wurde er dazu von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Im Rahmen dieser Befragung führte er aus, dass er Ende XXXX die Türkei illegal verlassen habe, da er vier Mal an den GEZI Demonstrationen teilgenommen habe; letztmalig am XXXX .2013. Einmal sei er von der Polizei mitgenommen und für 24 Stunden angehalten worden. Der Beschwerdeführer sei in einen Kellerraum verbracht und gefoltert worden. Danach sei er einfach ausgesetzt worden. Weil in der Folge seine Familie von der Polizei belästigt worden sei, habe der Beschwerdeführer das Land verlassen müssen. Er wolle in einem demokratischen Land leben. Im Falle einer Rückkehr werde der Beschwerdeführer festgenommen und eingesperrt werden. Einen Haftbefehl oder Suchbefehl würde es jedoch nicht geben.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er aus XXXX stamme, verheiratet sei und drei Kinder habe, wobei seine Familienangehörigen nach wie vor in der Türkei leben würden. Des Weiteren seien seine Eltern und 10 Geschwister im Herkunftsstaat aufhältig. Seinen Lebensunterhalt habe der Beschwerdeführer als Bauarbeiter verdient.

Am 20.10.2014 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich befragt. Im Zuge der Befragung wiederholte er dem Grunde nach sein bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus, dass er in der Türkei als Terrorist angesehen werde, da er Kurde sei und aus XXXX stamme. Er habe zwischen XXXX . und XXXX .2013 in Istanbul an den GEZI Protesten teilgenommen. Im Zuge der 2. oder 3. Teilnahme sei er zufälligerweise festgenommen, mitgenommen und für 24 Stunden angehalten worden. Er sei in einen Keller gebracht worden, wo er gemeinsam mit fünf oder sechs anderen Personen bis in die frühen Morgenstunden gefoltert worden sei. Er sei von vier Polizisten geschlagen worden, wobei er auf der rechten Stirn einen Bruch erlitten habe, er sei mit heißem Wasser übergossen worden (rechte Unterschenkelgegend) und sei ihm der Nagel des rechten großen Zehs gezogen worden. Danach sei der Beschwerdeführer weggebracht und am Straßenrand ausgesetzt worden. Nach seiner Freilassung sei er im XXXX 2013 für etwa zwei Monate bei seiner Familie in Istanbul aufhältig gewesen, anschließend sei er wieder zu seinen Verwandten nach XXXX zurückgekehrt. Seine Familie sei von der Polizei belästigt worden, indem sie sich nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers erkundigt hätten. Dies sei etwa fünf bis sechs Mal der Fall gewesen, wobei der letzte Besuch eineinhalb Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers stattgefunden habe. Meist sei der Beschwerdeführer aber nicht anwesend gewesen, wenn die Polizei nach Hause gekommen sei. Nach XXXX könne der Beschwerdeführer auch nicht zurückkehren, da er dort zwischen die Fronten der PKK und dem Militär kommen würde.

4.       Mit Bescheid des BFA vom 07.04.2017, Zl. 721171304/14076872-RD Oberösterreich, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 2 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde wiederum ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers könne ob der widersprüchlichen und unplausiblen Ausführungen kein Glauben geschenkt werden. Auch eine Gefährdung im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat könne nicht wahrgenommen werden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA sodann, die Angaben des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen würden für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht ausreichen (§ 3 AsylG). Dem Beschwerdeführer drohe kein ernsthafter Schaden bzw. keine Maßnahme in seinem Herkunftsstaat im Sinne einer Verletzung der von der EMRK gewährleisteten Rechte und sei der Beschwerdeführer in der Lage, sich erneut eine Existenz aufzubauen (§ 8 AsylG). Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen (§ 57 AsylG) und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

Mit Verfahrensanordnung vom 11.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

5.       Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 20.04.2017 durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben des Vertreters vom 24.04.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Begründend wurde darin ausgeführt, dass es nicht nachvollziehbar sei, wie das BFA zur Ansicht gelangt sei, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei. Nähere Angaben würden in einem ergänzenden Schriftsatz nachfolgen.

Mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters vom 04.05.2017 wurde neuerlich Beschwerde erhoben. Darin wird erstmals vorgebracht, dass zwei Cousins des Beschwerdeführers aufgrund von Demonstrationsteilnahmen im Gefängnis sitzen würden, wobei ein Cousin getötet worden sei. Weiters wurde klargestellt, dass der Beschwerdeführer nicht angeben könne, ob der türkische Staat per Haftbefehl oder Fahndungsmaßnahmen nach seiner Person suchen würde. Das BFA müsste vielmehr von Amtswegen feststellen, ob nach dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat gesucht werden würde. Aufgrund der aktuellen Situation erscheine das Bestehen eines Haftbefehls jedenfalls plausibel.

6.       Am 30.06.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines rechtsfreundlichen Vertreters durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, die der Antragstellung zugrundeliegenden Umstände umfassend darzulegen. Dem Beschwerdeführer bzw seinem rechtsfreundlichen Vertreter wurden im Gefolge der Verhandlung die Möglichkeit eingeräumt, zu den vorab übermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist Sunnite. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Kreis XXXX , Provinz XXXX geboren und ist er dort auch aufgewachsen. In der Türkei – in XXXX , XXXX – sind nach wie vor die 10 Geschwister des Beschwerdeführers aufhältig; seine Eltern sind mittlerweile verstorben. Zu den Geschwistern hat der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt. Darüber hinaus befinden sich auch noch zahlreiche Onkeln mütterlicher- und väterlicherseits des Beschwerdeführers in der Türkei. Die Ehegattin und die drei gemeinsamen Kinder des Beschwerdeführers – mit denen dieser auch in Kontakt steht – leben aktuell in Istanbul, wobei die Ehegattin des Beschwerdeführers im Textilbetreib eines Bruders des Beschwerdeführers arbeitet. Zwei Kinder des Beschwerdeführers besuchen derzeit noch die Schule und ein Sohn absolviert gegenwärtig seinen Militärdienst. Der Beschwerdeführer selbst verdiente seinen Lebensunterhalt in der Türkei im Baugewerbe. In der Türkei verfügt er gemeinsam mit seinen Geschwistern noch über Felder, die derzeit von Nachbarn bewirtschaftet werden.

In Österreich leben Tanten und Cousins des Beschwerdeführers, die für seinen Lebensunterhalt sorgen. Auch die Geschwister in der Türkei unterstützen den Beschwerdeführer finanziell. Der Beschwerdeführer ist bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen und erhält er keine Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat sich mittlerweile einen Freundeskreis unterschiedlicher Nationalitäten aufbauen können und spricht er Deutsch auf sehr einfachem Niveau. Einen Deutschkurs hat er bisher noch nicht abgeschlossen.

1.2.    Der Beschwerdeführer stellte erstmalig am XXXX .2002 einen Asylantrag in Österreich. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.05.2003 gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen, wogegen fristgerecht Berufung erhoben wurde. Im Laufe des offenen Berufungsverfahrens verließ der Beschwerdeführer freiwillig Österreich und kehrte die Türkei zurück.

Im XXXX 2013 verließ der Beschwerdeführer neuerlich die Türkei und wurde am XXXX .2013 in Ungarn auf dem Weg nach Österreich erkennungsdienstlich behandelt. Er tauchte in der Folge unter und wartete das weitere Verfahren nicht ab.

Am XXXX .2014 stellte der Beschwerdeführer seinen nunmehr zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.3.    Gründe für den Antrag auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer wurde einmal anlässlich der Gezi-Prak Proteste von den türkischen Sicherheitsbehörden willkürlich mitgenommen und angehalten. Im Rahmen der Anhaltung kam es auch zu körperlichen Übergriffen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über ausreichend Berufserfahrung im Baugewerbe. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer ist derzeit nicht legal erwerbstätig und für niemanden sorgepflichtig. Der Beschwerdeführer verfügt derzeit über kein Einkommen und kein Vermögen. Er wird bei Bedarf von seiner Familie im In- und Ausland unterstützt.

Der Beschwerdeführer war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.4.    Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 29.11.2019, aktualisiert am 08.04.2020 die Türkei betreffend):

Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).

Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmen stärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).

Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019). Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).

Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T %C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 4.10.2019

?        Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/ 1513613, Zugriff 4.10.2019

?        AM – Al Monitor (4.12.2018): Turkey can't build prisons fast enough to house convict influx, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/11/turkey-overcrowded prisons-face-serious-problems.html, Zugriff 4.10.2019

?        bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das neue-politische-system-der-tuerkei, Zugriff 3.10.2019

?        CoE-VC – council of europe - european commission for democracy through law (venice commission) (13.7.2017): Turkey - Opinion - The Amendments to the Constitution adopted by the Grand National Assembly on 21 January 2017 and to be submitted to a National Referendumon 16 April 2017 [Opinion No. 875/2017], S.29, Abs.130, https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=cdl ad(2017)005-e, Zugriff 3.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html, Zugriff 4.10.2019

?        HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 4.10.2019

?        HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 4.10.2019

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 4.10.2019

?        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 4.10.2019

?        OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 4.10.2019

?        OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 4.10.2019

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/ elections/turkey/397046?download=true, 3.10.2019

?        Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 4.10.2019

?        Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https:// derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 4.10.2019

?        ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 4.10.2019

Sicherheitslage

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Ar? (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein ? hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

?        AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/ tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 8.10.2019

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 8.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 7.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and southeastern-anatolia/, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/ 2019/05/2018-SUMMARY -TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN TURKEY.pdf, Zugriff 4.10.2019

Sicherheitsbehörden

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucular?], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst M?T haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei („Emniyet Genel Müdürlü?ü“ - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (?stihbarat Dairesi Ba?kanl???“ - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst („Millî ?stihbarat Te?kilât?“- M?T), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den M?T abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem M?T erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. M?T-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem M?T Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den M?T-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).

Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).

Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 31.10.2019

?        Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic security-package, Zugriff 31.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 31.10.2019

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr befugnisse-fuer-polizei-gegen-demonstranten-13509122.html, Zugriff 31.10.2019

?        HDN – Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish main opposition-chp-to-appeal-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx? pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338, Zugriff 31.10.2019

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die schraube-an-1.18511712, Zugriff 31.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 31.10.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html, Zugriff 31.10.2019

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html, Zugriff 6.4.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert (ÖB 10.2019).

Die Zunahme von Vorwürfen über Folter, Misshandlung und grausame und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen in den letzten vier Jahren hat die früheren Fortschritte der Türkei in diesem Bereich zurückgeworfen. Zu den Zielpersonen gehören Kurden, Linke und angebliche Anhänger von Fethullah Gülen. Die Staatsanwaltschaft führt keine adäquaten Untersuchungen zu solchen Anschuldigungen durch. Zudem herrscht eine weit verbreitete Kultur der Straflosigkeit für Mitglieder der Sicherheitskräfte und betroffene Beamte (HRW 14.1.2020). Solche Vorwürfe gab es seit Ende des offiziellen Besuchs des UN-Sonderberichterstatters zu Folter im Dezember 2016, u.a. angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur PKK zu haben, brutalen Verhör Methoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu nötigen, andere zu belasten (OHCHR 27.2.2018; vgl. OHCHR 3.2018). Die Regierungsstellen haben keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018; vgl. EC 29.5.2019).

Laut Menschenrechtsinstitutionen seien Fälle von Folterungen und rechtswidrigen Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden. Zudem mehrten sich Berichte über Entführungen von Personen und die Existenz informeller Anhaltezentren, in denen es auch zu Fällen von Folter komme. Vertreter des Europarates in Ankara konnten die Existenz solcher Anhaltezentren jedoch nicht bestätigen. Folter bleibt, insbesondere wegen der Abschaffung von Garantien im Zuge des Ausnahmezustands sowie wegen der Nichtdurchführung von effektiven Untersuchungen, in vielen Fällen straflos, wenngleich es vereinzelt Anklagen und Verurteilungen gibt. Von systematischer Anwendung der Folter kann nach Wissensstand der Österreichischen Botschaft Ankara dennoch nicht die Rede sein (ÖB 10.2019).

Gemeinsame Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 und acht internationaler Medien, koordiniert von dem gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben, dass ein Entführungsprogramm, bei dem der Geheimdienst M?T nach politischen Gegnern, meist Gülen-Anhängern, sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und gefoltert werden, um etwa belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF 11.12.2018; vgl. Correctiv 11.12.2018, Ha’aretz 11.12.2018). Laut einem Bericht der Tageszeitung Cumhuriyet soll eine Frau wegen Terrorismus inhaftiert worden sein. Die Frau behauptete bei einer Anhörung am 5.2.2019, dass sie sechs Monate lang in einem geheimen Zentrum in Ankara gefoltert wurde, welches vom türkischen Geheimdienst M?T betrieben wird (IPA 14.6.2019). Der Vorfall führte im März 2019 zu einer diesbezüglichen parlamentarischen Anfrage im Europaparlament an die Europäische Kommission (EP 11.3.2019).

Während nach Angaben des türkischen Menschenrechtsverbandes (?HD) 2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlungen laut Meldungen ausgesetzt waren (?HD 6.4.2018), stieg diese Zahl 2018 auf insgesamt 2.719 Personen. Hiervon gaben 1.149 Personen an, dass sie in Gefängnissen gefoltert und misshandelt wurden (?HD 16.4.2019).

Berichte über Folter und Misshandlungen hielten auch 2019 an. So wurden infolge bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der PKK in Urfa beispielsweise 47 Personen verhaftet. Nach Angaben ihrer Rechtsbeistände und ausgehend von vorliegenden Fotografien wurden einige der erwachsenen Inhaftierten in der Gendarmerie-Wache von Bozova Yaylak in der Provinz Urfa von Angehörigen der Polizei gefoltert oder anderweitig misshandelt (AI 13.6.2019). Die Rechtsanwaltsvereinigung Ankara berichtete auf der Basis von Interviews mit einigen der 249 ehemaligen türkischen Diplomaten, die wegen Terroranschuldigungen im Zuge einer Razzia verhaftet wurden, dass diese gefoltert oder misshandelt wurden (ABA/HRD 26.5.2019; vgl. WE 3.6.2019). Die Anwaltsvereinigung Diyarbak?r berichtete auf der Basis von Interviews mit Betroffenen, dass vermeintlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elaz?? durch das Wachpersonal systematisch gefoltert wurden. Statt auf Beschwerden gegen das Wachpersonal Untersuchungen vorzunehmen, wurden gegen 40 Häftlinge Untersuchungen wegen Disziplinarverstöße eingeleitet (SCF 19.8.2019).

Quellen:

?        ABA - Ankara Bar Association Center For Attorney Rights, Penal Institution Board And Center For Human Rights (26.5.2019): Report Regarding Claims Of Torture In Ankara Provincial Police Headquarters Investigation Department Of Financial Crimes, in: HRD – Human Rights Defenders (29.5.2019): Bar Association Report: Former diplomats sexually abused with batons and tortured, https://humanrights-ev.com/bar association-report-former-diplomats-sexually-abused-with-batons-and-tortured/, Zugriff 30.10.2019

?        AI – Amnesty International (13.6.2019): Nicht mehr in Foltergefahr; UA-Nr: UA 074/2019-1 [EUR 44/0525/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019- 06/074-1_2019_DE_T%C3%Bcrkei.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        Corrective – Recherchen für die Gesellschaft (11.12.2018): BlackSitesTurkey, https:// correctiv.org/top-stories/2018/12/06/black-sites/, Zugriff 31.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        EP – European Parliament (11.3.2019): Parliamentary questions - Question for written answer E-001287-19 to the Commission Rule 130 Costas Mavrides (S&D), http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-8-2019-001287_EN.html, Zugriff 31.10.2019

?        Ha’aretz (11.12.2018): Kidnapped, Escaped, and Survived to Tell the Tale: How Erdogan's Regime Tried to Make Us Disappear, https://www.haaretz.com/middle east-news/turkey/.premium.MAGAZINE-how-erdogan-s-loyalists-try-to-make-us disappear-1.6729331, Zugriff 31.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html, Zugriff 13.2.2020

?        ?HD - ?nsan Haklar? Derne?i/ Human Rights Association (6.4.2018): 2017 BALANCE - SHEET OF HUMAN RIGHTS VIOLATIONS IN TURKEY - The year that Passed under State of Emergency, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_report-2.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        ?HD - ?nsan Haklar? Derne?i/ Human Rights Association (19.4.2019): 2018 REPORT ON HUMAN RIGHTS VIOLATIONS IN TURKEY, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-IHD-Violations-Report.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        IPA News (14.6.2019): Detained Turkish woman alleges horrific torture by state agents, https://ipa.news/2019/06/14/detained-turkish-woman-alleges-horrific-torture by-state-agents/, Zugriff 31.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        OHCHR – Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (3.2018): Report on the impact of the state of emergency on human rights in Turkey, including an update on the South-East; January - December 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428849/1930_1523344025_2018-03-19-second ohchr-turkey-report.pdf, Zugriff 30.10.2019

?        OHCHR – Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (27.2.2018): Turkey: UN expert says deeply concerned by rise in torture allegations, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID= Berichten 22718&LangID=E, Zugriff 30.10.2019

?        SCF – Stockholm Center for Freedom (19.8.2019): Tortured inmates investigated instead of prison guards: bar association, https://stockholmcf.org/tortured-inmates investigated-instead-of-officers-bar-association/, Zugriff 30.10.2019

?        WE – Washington Examiner (3.6.2019): A new phase in Turkey's crackdown: Torturing diplomats, https://www.washingtonexaminer.com/opinion/op-eds/a-new phase-in-turkeys-crackdown-as-recep-tayyip-erdogan-tortures-diplomats, Zugriff 30.10.2019

?        ZDF – Zweiten Deutsches Fernsehen (11.12.2019): Kidnapping im Auftrag Erdogans, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/die-verschleppten-kidnapping-im-auftrag erdogans-100.html, Zugriff 31.10.2019

Kurden

Obwohl offizielle Zahlen nicht verfügbar sind, schätzen internationale Beobachter, dass sich rund 15 Millionen türkische Bürger als Kurden identifizieren. Die kurdische Bevölkerung konzentriert sich auf Südostanatolien, wo sie die Mehrheit bilden, und auf Nordostanatolien, wo sie eine bedeutende Minderheit darstellt. Ein signifikanter kurdischer Bevölkerungsanteil ist in Istanbul und anderen Großstädten anzutreffen. In den letzten Jahrzehnten ist etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung der Türkei in die Westtürkei ausgewandert, sowohl um dem bewaffneten Konflikt zu entkommen als auch auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Ost- und Südosttürkei sind historisch gesehen weniger entwickelt als andere Teile des Landes, mit niedrigeren Einkommen, höheren Armutsraten, weniger Industrie und weniger staatlichen Investitionen. Die kurdische Bevölkerung ist sozioökonomisch vielfältig. Während viele sehr arm sind, vor allem in ländlichen Gebieten und im Südosten, wächst eine kurdische Mittelschicht in städtischen Zentren, vor allem im Westen der Türkei (DFAT 9.10.2018).

Die kurdischen Gemeinden sind überproportional von den Zusammenstößen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt (USDOS 11.3.2020). Die Situation im Südosten ist trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds nach wie vor schwierig. Die Regierung setzte 2018 ihre Sicherheitsoperationen vor dem Hintergrund der wiederholten Gewaltakte der PKK fort (EC 29.5.2019).

Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hunderte von kurdischen zivil-gesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 11.3.2020).

Der Druck auf kurdische Medien und die Berichterstattung über kurdische Themen hält durch Gerichtsverfahren und Verhaftungen von Journalisten an (EC 29.5.2019). Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten, werden unverhältnismäßig oft ins Visier genommen (HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über die Entlassung kurdischer Wissenschaftler und Dozenten, die teilweise unter Terrorismus-Verdacht stehen, und gegen die entsprechende Untersuchungen laufen. Weiters kam es zur Schließung kurdischsprachiger NGOs und Institutionen. Der Druck auf kurdische Medien besteht weiterhin und kurdische Bücher wurden verboten. Im Südosten wurden mehrere Gedenk- und Literaturdenkmäler kurdischer Persönlichkeiten sowie Veranstaltungen und zweisprachige Straßenschilder von durch die Regierung ernannte Treuhändern und Behörden entfernt. Andere Vereine, kurdischsprachige Medien und Kulturinstitutionen blieben geschlossen (EC 29.5.2019). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 14.6.2019).

Diejenigen, die abweichende Meinungen zu den Themen äußern, die das kurdische Volk betreffen, werden in der Türkei seit langem strafrechtlich verfolgt (AI 26.4.2019). Kurden in der Türkei sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt sowohl offiziellen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen. Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab. Kurden in der West Türkei sind nicht mit dem gleichen Risiko konfliktbezogener Gewalt konfrontiert wie im Südosten. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, und diejenigen, die die Regierungspartei AKP unterstützen, sind in die türkische Gesellschaft integriert, identifizieren sich mit der türkischen Nation und leben ihr Leben auf normale Weise. Menschenrechtsbeobachter berichten jedoch, dass einige Kurden in der West-Türkei zögern, ihre kurdische Identität preiszugeben, etwa durch die Verwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, aus Angst, eine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Im Südosten sind diejenigen, die in kurdischen politischen oder zivil-gesellschaftlichen Organisationen tätig sind (oder als solche aktiv wahrgenommen werden), einem höheren Risiko ausgesetzt als nicht politisch tätige Personen (DFAT 9.10.2018).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 14.6.2019). Einige Universitäten bieten Kurse in kurdischer Sprache an. Zwei Universitäten hatten Kurdisch-Institute. Jedoch wurden zahlreiche Dozenten in diesen Instituten, sowie Tausende weitere Universitätsangehörige aufgrund von behördlichen Verfügungen entlassen, sodass die Programme nicht weiterlaufen konnten (USDOS 11.3.2020).

Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache, dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP drangsaliert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen Erdo?an den HDP-Kandidaten Demirta? bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        AI – Amnesty International: Weathering the storm (26.4.2019): Defending human rights in Turkey's climate of fear [EUR 44/8200/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1430738/1226_1524726749_eur4482002018english .PDF, Zugriff 15.11.2019

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (9.10.2018): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019375/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html, Zugriff 13.2.2020

?        MEE - Middle East Eye ( 25.6.2018) Turkey election: Erdogan wins, the opposition crashes – but don’t write off the HDP, http://www.middleeasteye.net/columns/turkey election-erdogan-wins-akp-chp-opposition-crashes-dont-write-off-hdp-776290051, Zugriff 13.11.2019

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey – Early Presidential and Parliamentary Elections – 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671? download=true, Zugriff 13.11.2019

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html, Zugriff 6.4.2020

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit im Land, Reisen ins Ausland, Auswanderung und Repatriierung sind verfassungsrechtlich garantiert; die Regierung schränkt diese Rechte allerdings ein. Die Verfassung besagt, dass die Reisefreiheit innerhalb des Landes nur durch einen Richter in Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung oder Verfolgung eingeschränkt werden kann. Die Regierung beschränkte Auslandsreisen von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die PKK verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein. Die R

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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