TE Bvwg Beschluss 2020/7/23 L502 1438285-4

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Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32

Spruch

L502 1438285-4/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas Bracher als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAe XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2018, GZ. XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beschlossen:

A) Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Wiederaufnahmewerber (WA), ein türkischer Staatsangehöriger, stellte im Gefolge seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 25.05.2012 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamts (BAA) vom 20.09.2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG wurde seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgesprochen (Spruchpunkt III).

3. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht und in vollem Umfang erhobene Beschwerde an den Asylgerichtshof (AsylGH) wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 12.05.2016 hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Unter einem wurde der Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides behoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 19 und 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

4. In Stattgebung einer vom BF eingebrachten außerordentlichen Revision wurde das Erkenntnis des BVwG vom 12.05.2016 mit Erkenntnis des VwGH vom 20.12.2016 aufgehoben.

5. Infolge einer Unzuständigkeitseinrede wurde das Verfahren der Gerichtsabteilung L502 zugewiesen. Nach Durchführung eines ergänzenden gerichtlichen Ermittlungsverfahrens samt mündlicher Verhandlung wurde die Beschwerde des WA gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2018 (neuerlich) als unbegründet abgewiesen. In Erledigung der Beschwerde wurde Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides (neuerlich) behoben und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen.

6. Der WA wurde mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu einer XXXX verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung hat das XXXX mit Erkenntnis vom XXXX keine Folge gegeben.

7. Mit am 05.12.2019 beim BVwG eingelangtem Schriftsatz brachte der Vertreter des WA einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2018 abgeschlossenen Verfahrens ein, welcher mit Erkenntnis des BVwG vom 07.01.2020 als unbegründet abgewiesen wurde.

8. Mit Schriftsatz vom 22.06.2020, einlangend beim BVwG am 23.06.2020, brachte der Vertreter des WA einen weiteren Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein.

Unter einem brachte er einen Beschluss des XXXX vom XXXX in einem Auslieferungsverfahren als Beweismittel in Vorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht fest.

1.2. Mit Beschluss des XXXX vom XXXX wurde die Auslieferung des WA an die türkischen Behörden zur Strafverfolgung aufgrund des türkischen Auslieferungsersuchens vom 05.09.2019 für unzulässig erklärt.

Gegen den WA wurde seitens der leitenden Staatsanwaltschaft XXXX Anklage wegen Verstößen gegen Art. 7 Abs. 2 des türk. Gesetzes über die Bekämpfung des Terrorismus erhoben. Die ihm angelasteten Tathandlungen ereigneten sich im Zeitraum 31.01.2018 bis 13.09.2018. Am 26.02.2019 erging diesbezüglich in der Türkei ein nationaler und am 08.03.2019 ein internationaler Haftbefehl gegen den WA.

Der WA wurde am 14.05.2020 vom XXXX zum Auslieferungsersuchen der türk. Behörden einvernommen und erlangte spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der gegen ihn erhobenen Anklage in der Türkei sowie der gegen ihn bestehenden Haftbefehle.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Verfahrensgang steht im Lichte der Entscheidung des BVwG vom 27.07.2018 sowie der beiden Wiederaufnahmeanträge und der im gg. Wiederaufnahmeverfahren vorgelegten Beweismittel sowie der vom BFA übermittelten strafgerichtlichen Urteile den WA betreffend als unstrittig fest.

2.2. Die Feststellungen zu Punkt 1.2. ergeben sich aus dem vom WA vorgelegten Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX über die Unzulässigkeit der Auslieferung an die türk. Behörden zur Strafverfolgung.

2. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

1. § 32 VwGVG lautet:

(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1.       das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2.       neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3.       das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4.       nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

2. Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (sog. "nova reperta"), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sog. "nova causa superveniens") (vgl. zB VwGH 08.11.1991, Zl. 91/18/0101; 07.04.2000, Zl. 96/19/2240; 20.06.2001, Zl. 95/08/0036; 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I2 [1998] E 124 zu § 69 AVG, zitierte Rechtsprechung; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 28).

"Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, Zl. 2006/05/0232).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar nicht notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105). Beim "Verschulden" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG handelt es sich nach der Rechtsprechung des VwGH um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, Zl. 94/07/0063; 10.10.2001, Zl. 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 [2003] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, Zl. 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid (hier: anderslautende Entscheidung des Asylgerichtshofes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder einen den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, Zl. 2000/04/0195; 19.04.2007, Zl. 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.).

Gerade das Vorliegen der Wiederaufnahmegründe ist wegen der Durchbrechung der Rechtskraft streng zu prüfen (VwGH 26.04.1984, 81/05/0081). Weiters ist die Auslegung des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG hinsichtlich der Wortfolge „voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheides“ zu beachten. Demnach ist mit „voraussichtlich“ ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit gemeint (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, Rz 591).

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, Zl. 2001/21/0031; 07.09.2005, Zl. 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).

Neu hervorgekommene Beweismittel rechtfertigen – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0564).

Für die Beurteilung der Frage, ob einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist, sind allein die innerhalb der Frist des § 69 Abs. 2 AVG vorgebrachten Wiederaufnahmegründe maßgebend (VwGH 23.04.1990, Zl. 90/19/0125; 31.03.2006, Zl. 2006/02/0038; 14.11.2006, Zl. 2005/05/0260).

Die zweiwöchige (subjektive) Frist gemäß § 32 Abs. 2 AVG beginnt mit dem Zeitpunkt, d.h. an dem Tag zu laufen, an dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Für die Berechnung dieser verfahrensrechtlichen Frist sind die §§ 32 und 33 AVG maßgeblich. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG werden die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinne des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) in die Frist nicht eingerechnet.

Der Wiederaufnahmeantrag hat alle für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit, d.h. der Einhaltung der subjektiven und objektiven Fristen des § 69 Abs. 2 AVG maßgeblichen Angaben zu enthalten (VwGH 19.05.1993, Zl. 91/13/0099; 25.01.1996, Zl. 95/19/0003). Gemäß § 69 Abs. 2 letzter Satz AVG sind die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Fristen ergibt, vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit eines Wiederaufnahmeantrages trägt somit der Antragsteller (VwGH 03.09.1998, Zl. 98/06/0086; 08.07.2005, Zl. 2005/02/0040). Er hat bereits im Antrag bekannt zu geben, wann er vom behaupteten Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat (VwGH 07.03.1996, Zl. 96/09/0015) und an welchem Tag die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung ihm gegenüber erlassen wurde (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 55).

Ein nach Ablauf der zweiwöchigen subjektiven Frist gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist als unzulässig, weil verspätet eingebracht, zurückzuweisen (VwGH 20.03.1990, Zl. 90/06/0013; 15.07.2003, Zl. 2003/05/0080), sofern ihn die Behörde nicht zum Anlass einer amtswegigen Wiederaufnahme nimmt (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 59).

3. Der WA stützte seinen gg. Antrag im Wesentlichen darauf, dass sein Vertreter durch den og. Beschluss des LG XXXX vom 09.06.2020, mit dem die Auslieferung des WA an die Türkei für unzulässig erklärt wurde, vom Auslieferungsbegehren der türkischen Behörden vom 05.09.2019 sowie von den am 26.02.2019 und am 08.03.2019 gegen ihn erlassenen türkischen Haftbefehlen Kenntnis erlangt habe. Wegen des von ihm behaupteten Versuchs der Übermittlung seiner Daten an die Türkei sowie der mehrmaligen Inhaftierung seines Rechtsvertreters in der Türkei würden die türk. Strafbehörden nunmehr den Aufenthaltsort des WA kennen und hätten erneut ein Strafverfahren wegen Terrorismus gegen den WA eingeleitet. Den Ausführungen des LG XXXX folgend, seien die Handlungen in Österreich nicht mit Strafe bedroht bzw. wären allenfalls unter § 282 StGB zu subsumieren. Wegen des erneut gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens stehe nunmehr fest, dass inzwischen nicht mehr von einem den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahren in der Türkei ausgegangen werden könne. Bekanntermaßen seien Strafen in der Türkei wegen Verdachts auf terroristische Aktivitäten außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit, da mutmaßliche Terroristen auch gefoltert würden. Außerdem verfolge die Türkei Oppositionspolitiker, wie es der WA einer sei, unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung strafrechtlich. Aufgrund des neuen Beweismittels stehe nunmehr fest, dass die türkischen Behörden den WA bereits während des Asylverfahrens sowie aktuell asylrelevant verfolgen würden. Seine erneute strafrechtliche Verfolgung und die Haftbedingungen würden zudem die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK begründen.

4.1. Wie oben festgestellt wurde, war dem vom WA vorgelegten Beschluss des LG XXXX zu entnehmen, dass er am 14.05.2020 sowohl zum Auslieferungsbegehren der türkischen Behörden als auch zu den ihm seitens der türkischen Staatsanwaltschaft angelasteten Tatvorwürfen persönlich vom Gericht einvernommen wurde (vgl. Seiten 3 und 4 des Gerichtsbeschlusses). Er erlangte sohin bereits am 14.05.2020 – und nicht erst mit 09.06.2020 – Kenntnis von den als Wiederaufnahmegründe geltend gemachten türk. Strafverfahren wegen des Verdachts auf terroristische Aktivitäten sowie von den bestehenden Haftbefehlen, weshalb die Frist zur Einbringung des gg. Antrages mit diesem Datum zu laufen begann.

4.2. Der am 22.06.2020 seitens seines Rechtsvertreters eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme wurde sohin deutlich außerhalb der zweiwöchigen Frist ab Kenntnis des WA vom Wiederaufnahmegrund eingebracht und war sohin als verspätet zurückzuweisen.

Weder aus dem Antrag des WA noch aus dem vorgelegten Beweismittel ergaben sich Anhaltspunkte für das Erfordernis einer amtswegigen Wiederaufnahme.

5.1. Im Übrigen ist zum Wiederaufnahmebegehren selbst festzuhalten, dass, würde man hypothetisch von einer fristgerechten Antragstellung ausgehen, es sich beim vorgelegten Beschluss des Landesgerichts XXXX , mit dem die seitens der Türkei begehrte Auslieferung des WA für unzulässig erklärt wurde, nicht um Tatsachen oder Beweismittel handelt, die im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufzunehmenden Entscheidung bereits bestanden haben, zumal die angesprochene Entscheidung des BVwG bereits am 27.07.2018 ergangen war. Auch die aus dem Beschluss abzuleitenden anhängigen Strafverfahren in der Türkei ließen sich ihrerseits auf dem WA zur Last gelegte Tathandlungen im Zeitraum von 31.01.2018 bis 13.09.2018 zurückführen und die Anklageerhebung konnte daher erst nach 13.09.2018 erfolgen. Die erlassenen Haftbefehle datieren mit Februar und März 2019. Die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens setzt jedoch voraus, dass es sich um Tatsachen oder Beweise handelt, die bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, aber erst danach hervorgekommen sind (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 28).

Bei den vom WA geltend gemachten Umständen handelt es sich demnach um erst nach Abschluss des Verfahrens entstandene Tatsachen, sog. „nova causa superveniens“ (vgl. zB VwGH 08.11.1991, Zl. 91/18/0101; 07.04.2000, Zl. 96/19/2240; 20.06.2001, Zl. 95/08/0036; 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105; siehe weiter die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I2 [1998] E 124 zu § 69 AVG, zitierte Rechtsprechung; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 28). Diese stellen keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dar, weil sie von der Rechtskraft der wiederaufzunehmenden Entscheidung nicht umfasst sind (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 28, mwN.)

Schon angesichts dessen würde die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem BVwG im Falle der Zulässigkeit des Antrages ausscheiden.

5.2. Darüber hinaus gälte es zu bedenken, dass eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG grundsätzlich auch nur dann in Betracht käme, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel überhaupt die Eignung besitzen eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung (hier: des BVwG) herbeizuführen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42).

Entgegen der Darstellung in der Beschwerde würde für das erkennende Gericht nicht erhellen, aufgrund welcher neuer Tatsachen und Beweismittel nunmehr – wie vom WA behauptet wurde – feststehe, dass in neuen gegen ihn geführten Strafverfahren nicht (mehr) von der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze ausgegangen werden könne, zumal hierzu im Wiederaufnahmeantrag kein substantiiertes Vorbringen erstattet wurde. Auch der bloß pauschale Verweis auf ein nicht näher bezeichnetes „Länderinformationsblatt“ stellte kein substantiiertes Vorbringen dar.

Der bloße Umstand, dass seitens der Staatsanwaltschaft XXXX Anklage gegen den BF erhoben wurde und in diesem Zusammenhang auch Haftbefehle ergingen, stellt keinen substantiierten Grund dar um von einem nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Strafverfahren auszugehen, zumal auch frühere gegen ihn geführte Strafverfahren wegen ähnlicher Delikte in einem den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahren in der Türkei abgehandelt wurden.

Da sohin für das erkennende Gericht nicht erkennbar wäre, inwiefern die ins Treffen geführten Tatsachen und Beweismittel auch die Eignung aufweisen würden, eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeizuführen, wäre dem Antrag des WA auch aus diesem Grund nicht stattzugeben.

6. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG unterbleiben.

7. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Auslieferungsersuchen Haftbefehl nova producta Rechtsmittelfrist strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verspätung Wiederaufnahme Wiederaufnahmegrund Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.1438285.4.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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