TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 W250 2154477-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a

Spruch

W250 2154477-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 30.03.2017 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.01.2020 als unbegründet abgewiesen.

2. Am 24.10.2019 wurde das Bundesamt von einem Landesgericht davon in Kenntnis gesetzt, dass der BF am 23.10.2019 wegen § 28a Abs. 1 Suchtmittelgesetz – SMG in Untersuchungshaft genommen worden ist. Am 23.01.2020 wurde das Bundesamt von einer Staatsanwaltschaft davon verständigt, dass gegen den BF Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben worden ist. Mit am 03.02.2020 zugestelltem Schreiben übermittelte das Bundesamt dem BF zur Wahrung des Parteiengehörs eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme und räumte ihm eine Frist von zwei Wochen ab Zustellung zur schriftlichen Stellungnahme ein.

3. Der BF nahm mit Schreiben vom 05.02.2020 zum übermittelten Parteiengehör Stellung und führte insbesondere aus, dass er nicht rechtsfreundlich vertreten sei und derzeit in Untersuchungshaft angehalten werde. Zu der Frage, ob sich seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung an seinen familiären Verhältnissen etwas geändert habe, nahm der BF nicht Stellung. Vom Bundesamt wurde er im Parteiengehör ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Bundesamt für den Fall, dass er zu dieser Frage nicht Stellung nehme, davon ausgehe, dass keine Veränderung eingetreten sei. Seinen Lebensunterhalt bestreite der BF von EUR 180,-- pro Monat, die er erhalte, da er Asylwerber sei, über Geld verfüge er nicht. Er besitze keinen Reisepass und befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung. Da er nur über die „weiße Karte“ verfüge, sei es ihm nicht möglich, zu arbeiten. Nach Afghanistan wolle er nicht freiwillig zurückkehren. Er befinde sich derzeit zwar in Untersuchungshaft, er sei jedoch unschuldig und bis zu seiner Verurteilung auch als nicht-schuldig anzusehen, da er die gegen ihn angeführten Taten nicht begangen habe.

4. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 20.05.2020 wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 2 Z. 3 Suchtmittelgesetz – SMG, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 1., 2. und 7 Fall, Abs. 4 Z. 1 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

5. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 16.06.2020 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt V.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der BF auf Grund seines strafbaren Verhaltens in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Der BF habe in Österreich keine Verwandten, sei verheiratet und habe sieben Kinder. Seine Familie lebe in Afghanistan. Da keiner der in § 57 AsylG genannten Gründe vorliege, sei dem BF kein Aufenthaltstitel von Amts wegen zu erteilen. Ein Familienleben in Österreich liege nicht vor und seien die privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich schwächer ausgeprägt als die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung.

Hinsichtlich des Einreiseverbotes sei im Fall des BF § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG erfüllt, da der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden sei. Dabei werde berücksichtigt, dass der BF im Mai 2015 illegal nach Österreich eingereist sei und bereits ab Mai 2016 Suchtgift verkauft bzw. anderen überlassen habe. Dieses Verhalten habe er bis zu seiner Festnahme am 21.10.2019 fortgesetzt. Der BF habe Suchtgift jedoch nicht nur aus Gewinnsucht weitergegeben, sondern hauptsächlich auch, um Kontakt zu vorwiegend minderjährigen Frauen bzw. Mädchen herzustellen und sexuelle Handlungen bzw. „Beziehungen“ anzubahnen. Die vom BF ausgeführten Tathandlungen ließen eine Wiederholungsgefahr im besonderen Maße naheliegend erscheinen. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität sei als besonders hoch zu bewerten. Auf Grund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des BF davon auszugehen, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weshalb mangels enger Anbindungen in Österreich das Einreiseverbot unbefristet zu erlassen sei.

Da der BF eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, sei seine sofortige Ausreise erforderlich, weshalb die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid abzuerkennen gewesen sei. Dies führe auch dazu, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren sei.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 19.06.2020 durch persönliche Übernahme zugestellt.

6. Am 07.07.2020 erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen den Bescheid vom 16.06.2020 und brachte im Wesentlichen vor, dass der belangten Behörde vorzuwerfen sei, dass sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht dargelegt habe, inwiefern auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalles eine besondere Schwere des Fehlverhaltens des BF anzunehmen gewesen sei. Auch jene Umstände, die einer Beurteilung des Gesamtverhaltens des BF zugrundeliegen, seien nicht hinreichend dargelegt worden. Insgesamt reduziere die belangte Behörde ihre Begründung für das Einreiseverbot einzig auf die Feststellung, dass der BF straffällig geworden sei, ohne jedoch einzelfallbezogen darzulegen, wie sie zu der Schlussfolgerung gelange, dass gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot zu verhängen sei. Vom BF gehe keine erhebliche Gefahr aus. Er sei zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, die in § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG genannte Grenze werde daher nur knapp überschritten. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb trotzdem die höchstmögliche Dauer des Einreiseverbotes verhängt worden sei. Der BF verbüße derzeit seine Haftstrafe und habe das Unrecht seiner Tat eingesehen. Er sei fest entschlossen, sich in Zukunft nichts mehr zu Schulden kommen zu lassen und ein geordnetes rechtskonformes Leben zu führen. Ein unbefristetes Verbot zur Einreise in das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sei unverhältnismäßig hoch bemessen.

Der BF beantragte den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben, die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig zu erklären, das erlassene Einreiseverbot zur Gänze zu beheben, in eventu die Dauer des Einreiseverbotes auf ein verhältnismäßiges Ausmaß zu reduzieren.

7. Das Bundesamt legte am 15.07.2020 den Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Bei den ungarischen Behörden hat der BF den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX angegeben. Die Identität des BF steht nicht fest, er ist jedenfalls volljährig. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache sowie Farsi und Paschtu.

Der BF wurde in der Provinz Kunduz, in der Stadt Kunduz geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern aufgewachsen. Der BF hat keine Schule besucht. Der BF ist Analphabet und hat 2 Monate eine Schule für Analphabeten in Kunduz besucht. Der BF hat ca. 15 Jahre als Automechaniker gearbeitet. Der BF hat überdies als Bauarbeiter und Baggerfahrer gearbeitet. Die Familie des BF verfügt in Afghanistan über Grundstücke, Werkstätten, ein Haus und ein Geschäft. Die Werkstätten und das Geschäft werden vom Vater des BF betrieben. Dem BF gehört eine Baumplantage im Ausmaß von 1 – 1,5 Jirib [Anmerkung: afghanisches Flächenmaß]. Die Familie des BF wird von dessen Schwiegervater versorgt. Der BF hat einen Teil der Baumplantage verkauft und etwa 2.000 USD für die Versorgung seiner Familie seinem Schwiegervater übergeben. Der Vater und der Schwiegervater des BF könnten ihn mit insgesamt etwa 50.000 bis 60.000 USD unterstützen. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in Kunduz gemeinsam mit seiner Familie in seinem eigenen, großen Haus gelebt. Die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Familie des BF und des BF selbst ist überdurchschnittlich gut.

Der BF ist verheiratet und hat vier Töchter und drei Söhne. Der BF hat telefonischen Kontakt mit seiner Frau und seinen Kindern.

Die Eltern, Schwiegereltern, sieben Brüder, vier Schwestern, die Ehefrau und die sieben Kinder des BF leben in Afghanistan. Die Brüder des BF haben jeweils sechs bis sieben Kinder. Der BF hat Kontakt mit seinen Geschwistern und mit seinem Vater.

Der BF verfügt über familiäre Anbindungen in Kabul, ein Bruder und eine Schwester wohnen in Kabul. Der BF war bereits in Kabul bei seiner Familie und in Mazar-e Sharif zu Besuch. Er hat zumindest grundlegende Ortskenntnisse betreffend Kabul und Mazar-e Sharif.

Der BF wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest 11.05.2015 durchgehend in Österreich auf.

Der BF hat einen Deutschgrundkurs im Ausmaß von 72 Unterrichtseinheiten und einen Deutsch Alphabetisierungskurs im Ausmaß von 75 Unterrichtseinheiten besucht. Er hat die Bildungsveranstaltung „Deutsch A1 Teil 1“ sowie „Deutsch A1 Teil 2“ mit jeweils 75 Unterrichtseinheiten besucht. Der BF hat die Bildungsveranstaltung „Deutsch A2 Teil 1“ und die Bildungsveranstaltung „Deutsch A2 Teil 2“ mit jeweils 75 Unterrichtseinheiten besucht. Der BF hat die Prüfung des OSD Zertifikat A1 gut bestanden. Er hat zudem erfolgreich an zwei Workshops zum Thema „Klima und Energie“ teilgenommen. Der BF hat grundlegende Deutschkenntnisse.

Der BF lebte bis zu seiner Festnahme am 21.10.2019 von der Grundversorgung. Er hat im Ausmaß von 15 Stunden bezahlte Hilfstätigkeiten durchgeführt. Der BF ist kein Vereinsmitglied und war auch vor seiner Anhaltung in Haft kein Vereinsmitglied. Er hat einen afghanischen Freund in Österreich und verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.

Der BF ist gesund, er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Der BF wird seit dem 23.10.2019 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten.

1.2. Zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF:

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 20.05.2020 wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 2 Z. 3 SMG, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 1., 2. und 7 Fall, Abs. 4 Z. 1 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Dieser Verurteilung liegen folgende Taten zu Grunde:

Der BF hat im Zeitraum von Mai 2016 bis zu seiner Festnahme am 21.10.2019 Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigendenden Menge, nämlich Cannabiskraut, Kokain, Ecstasy-Tabletten und Crystal Meth anderen – großteils Minderjährigen – überwiegend gewinnbringend und teils in der Erwartung anderer „Gegenleistungen“ überlassen, und zwar teils bekannten, überwiegend aber unbekannten Abnehmern. Unter anderem hat er

-        im Zeitraum von Anfang 2018 bis Ende August 2018 einer im Tatzeitraum 15 Jahre alten Minderjährigen in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben insgesamt zumindest 35 Gramm Cannabiskraut teils zum Grammpreis von bis zu EUR 10,-- und teils unentgeltlich überlassen;

-        im Zeitraum von April 2017 bis Oktober 2018 einer im Tatzeitraum Minderjährigen in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben insgesamt zumindest 1.711 Gramm Cannabiskraut überlassen, indem er ihr an rund drei Tagen pro Woche etwa 5 Gramm davon in Form von Joints überließ und ihr jeweils weitere 2 Gramm mit nach Hause gab, und zumindest 81 Gramm Kokain sowie zumindest 54 Stück Ecstasy-Tabletten überlassen;

-        im Zeitraum von Mitte bis Ende 2018 einer im Tatzeitraum 16 Jahre alten Minderjährigen in mehreren Teilweitergaben insgesamt eine unbekannte Menge Cannabiskraut und eine unbekannte Menge Crystal Meth überlassen;

-        im Zeitraum Winter 2018 bis Februar 2019 einer im Tatzeitraum 18 Jahre alten Frau in mehreren Teilweitergaben insgesamt zumindest 1.000 Gramm Cannabiskraut überlassen, indem er ihr alle drei Tage 25 Gramm davon unentgeltlich übergab, und insgesamt zumindest 60 Gramm Crystal Meth überlassen;

-        im Zeitraum von Februar 2019 bis Anfang Mai 2019 einer im Tatzeitraum 17 Jahre alten Minderjährigen sowie einer im Tatzeitraum 16 Jahre alten Minderjährigen insgesamt zumindest 90 Gramm Crystal Meth überlassen;

-        im Mai 2019 einer im Tatzeitraum 17 Jahre alten Minderjährigen insgesamt 4 Gramm Cannabiskraut überlassen;

-        im Zeitraum Frühjahr 2017 bis Juni 2019 einer im Tatzeitraum 14 bzw. 16 Jahre alten Minderjährigen in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben insgesamt zumindest 245 Gramm Cannabiskraut teils zum Grammpreis vom EUR 5,-- und teils unentgeltlich überlassen;

-        im September 2017 und Juni 2019 einer im Tatzeitpunkt 16 bzw. 18 Jahre alten weiblichen Person in mehreren Teilweitergaben eine unbekannte Menge Cannabiskraut, 4 Stück Ecstasy-Tabletten und eine unbekannte Menge Crystal Meth überlassen;

-        im Zeitraum von Ende 2018 bis September 2019 einer Person in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben eine insgesamt unbekannte, 3 Gramm übersteigende Menge Cannabiskraut teils unentgeltlich zum gemeinsamen Konsum und teils zum Grammpreis von EUR 10,-- überlassen;

-        im Zeitraum von Ende Mai 2019 bis September 2019 zwei Personen in mehreren Teilverkäufen insgesamt zumindest 200 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 4,-- überlassen;

-        im Zeitraum Frühjahr 2017 bis Ende September 2019 einer anderen Person in mehreren Teilverkäufen insgesamt zumindest 325 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 10,- - überlassen;

-        im Zeitraum von Anfang 2019 bis Anfang Oktober 2019 einer anderen Person in mehreren Teilverkäufen insgesamt zumindest 50 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 5,-- überlassen;

-        im Zeitraum von Mitte Oktober 2017 bis Mitte Oktober 2019 einer anderen Person in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben insgesamt mehr als 48 Gramm Cannabiskraut überlassen, indem er dieser Person zumindest 48 Gramm davon zum Grammpreis von EUR 10,-- verkaufte und ihm darüber hinaus immer wieder geringe Mengen zum Konsum überließ, sowie zumindest 50 Stück Ecstasy-Tabletten zum Weiterkauf;

-        im Zeitraum von Anfang November 2018 bis Mitte Oktober 2019 einer anderen Person in mehreren Teilverkäufen/-weitergaben insgesamt zumindest 162 Gramm Cannabiskraut teils zum Grammpreis von EUR 10,-- und teils als Gegenleistung für „Chauffeurdienste“ überlassen;

-        im Zeitraum von Mitte November 2018 bis Mitte Oktober 2019 einer anderen Person in mehreren Teilweitergaben eine unbekannte Menge Cannabiskraut überlassen, indem der BF diese Person zwei bis drei Mal wöchentlich zum gemeinsamen Konsum einlud;

-        im Zeitraum von Anfang 2019 bis Mitte Oktober 2019 einer anderen Person in mehreren Teilverkäufen insgesamt 110 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 10,-- überlassen;

-        im Zeitraum von April 2017 bis Oktober 2019 einem Minderjährigen, der zu Beginn des Tatzeitraumes 16 Jahre alt war, in mehreren Teilverkäufen insgesamt 40 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 10,-- überlassen;

-        im Zeitraum von Mai 2019 bis 20.10.2019 einer 17 Jahre alten Minderjährigen in mehreren Teilweitergaben insgesamt zumindest 100 Gramm Cannabiskrauft überlassen;

-        an unbekannte Abnehmer eine insgesamt unbekannte Menge, jedoch zumindest 300 Gramm, Cannabsikraut überlassen

Etwa im Oktober 2018 hat der BF einer im Tatzeitpunkt 15 Jahre alten Minderjährigen eine Ecstasy-Tablette angeboten und sohin einer Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht.

Der BF hat darüber hinaus vorschriftswidrig Suchtgift erworben und ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er zumindest ab 11.02.2019 bis zur Festnahme am 21.10.2019 zwischen ein und drei Mal pro Woche Cannabiskrauft konsumierte.

Der BF handelte überwiegend und im großen Stil mit Cannabiskraut. Solches, aber auch andere Suchtgifte, insbesondere Crystal Meth, Kokain und Ecstasy-Tabletten, verteilte er darüber hinaus vorwiegend an minderjährige Frauen und Mädchen, um Kontakt zu ihnen herzustellen und sie für sich zu gewinnen. Trotz des Wissens um ihr Alter stellte er zunächst in der Regel unentgeltlich Suchtgift zur Verfügung, um sexuelle Handlungen bzw. „Beziehungen“ anzubahnen. Sobald die Mädchen sich damit einverstanden erklärten absolvierte er mit ihnen eine Zeremonie nach islamischem Recht in einer Moschee, da es ihm dann möglich war, mit diesen den Beischlaf zu vollziehen, ansonsten dies nach seinem Glauben eines Sünde wäre. Seinen Suchtgifthandel betrieb der BF ab Mai 2016 überwiegend von seinem Zimmer in seinem Grundversorgungsquartier aus, wohin zahlreiche Personen kamen, um sich die genannten Suchtgifte zu beschaffen. Ein großer Teil der Abnehmer verkaufte Suchtgift als Subverteiler weiter. Der BF setzte sämtliche Tathandlungen mit dem jeweils erforderlichen deliktsspezifischen Vorsatz, ihm war Art und Umfang der von ihm in Verkehr gesetzten Suchtgifte bewusst. Er wusste auch, dass es sich bei den von ihm erworbenen und besessenen Substanzen um Suchtgift handelte, dessen Erwerb, Besitz und Weitergabe, insbesondere auch an minderjährige Abnehmer, in Österreich verboten ist.

Bei der Strafbemessung wurde mildernd die bisherige Unbescholtenheit des BF und die teilweise geständige Verantwortung erschwerend jedoch das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen, die Gewinnabsicht und der lange Tatzeitraum gewertet. Als besonders schuldgravierend wurden die Vielzahl der Überlassungen an minderjährige Abnehmer gewertet, denen der BF nicht nur Cannabiskraut sondern auch Crystal Meth, Kokain und XTC zur Verfügung stellte und ihnen dadurch den Zugang zu Suchtgiften ermöglichte.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Dem BF könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Kunduz aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat kann der BF jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten. Der BF hat grundlegende Ortskenntnisse in Kabul und Mazar-e Sharif und ein Bruder sowie eine Schwester des BF leben in Kabul.

Der BF kann zudem von seiner Familie bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützt werden. Der BF kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif und Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stand 21.07.2020 scheinen in Afghanistan 35.615 Fälle und 1.186 Todesfälle auf. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hinsichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen in Afghanistan stammen von der Johns Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 21.07.2020). Der BF ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht sowie vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020, wiedergegeben:

Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Medizinische Versorgung

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

COVID-19 (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19)

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Län-dern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die An-zahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachts-fälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provin-zen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krank-heiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolati-ons- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Be-atmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Be-atmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Me-dikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tat-sächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitsein-richtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Pati-ent/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäf-tigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicher-heitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirt-schaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die af-ghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunk-ten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kon-troll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Medizinische Versorgung in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif (LIB, Kapitel 22)

Kabul:

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden (WB 30.9.2018).

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (WHO 4.2018).

Herat:

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

Mazar-e Sharif:

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

•        Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (KUMS o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•        Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salan Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•        Ataturk Kinderkrankenhaus: Behild Aliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.a, MoPH 11.2012)

•        Indira Ghandi Children Hospital: Wazir Akbar Khan, Kabul. Tel.: 020-230-2281 (IOM 2018; AT 17.9.2015)

•        Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

•        Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.: +93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

•        Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

•        Karte Sae Mental Hospital: Karte sae Serahi Allaudding, PD-6, Tel.: +93 799 3 190 858 (IOM 2018; IOM 2019)

•        Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.: +93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

•        Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

•        Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2100439 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•        Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: +93 (0)78 820 0419 (MoPH 11.2012; vgl. TN 1.6.2017)

•        Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. PAJ 3.8.2017)

•        Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

•        Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5 th Phase, Qragha Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018)

•        Sayed Jamaluding Psychiatric Hospital, Khoshal Mina section 1, Tel.: 93 799 128,737 (IOM 2018; vgl. IOM 2019)

•        Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road, Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

•        Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

•        DK – German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

•        French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o.D.)

•        Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

•        Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 16.1).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden, und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB, Kapitel 16.1).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2) Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 16.2).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) – Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

Provinzen und Städte

Herkunftsprovinz Kunduz (LIB, Kapitel 3.21)

Die Provinz Kunduz war schon immer ein strategischer Knotenpunkt. Darüber hinaus verbindet die Provinz Kunduz den Rest Afghanistans mit seiner nördlichen Region und liegt in der Nähe einer Hauptstraße nach Kabul (DW 30.9.2015). Somit liegt die Provinz Kunduz im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan, im Osten an die Provinz Takhar, im Süden an die Provinz Baghlan und im Westen an die Provinz Balkh (UNOCHA 4.2014kd). Die Provinzhauptstadt ist Kunduz (Stadt) (OPr 1.2.1017kd); die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Abad, Chahar Darah (Chardarah), Dasht-e-Archi, (Hazrati) Imam Sahib, Khan Abad, Kunduz und Qala-e-Zal (CSO 2019; vgl. IEC 2018kd, UNOCHA 4.2014kd, OPr 1.2.2017kd, NPS o.D.kd). Die Distrikte Calbad (Gulbad), Gultipa und Aqtash sind neu gegründete Distrikte mit „temporärem“ Status (AAN 7.11.2018; vgl. CSO 2019).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunduz für den Zeitraum 2019-20 auf 1.113.676 Personen, davon 356.536 in der Stadt Kunduz (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai (NPS o.D.kd; vgl. OPr 1.2.2017kd).

Ein Abschnitt der asiatischen Autobahn AH7 führt von Kabul aus durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet die Hauptstadt mit der Provinz Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan beim Hafen von Sher Khan (auch Sher Khan Bandar) (MoPW 16.10.2015; vgl. RFE/RL 26.8.2007, IN 24.4.2019, LC 24.4.2019); die Straßenbrücke über den Grenzfluss Panj wurde 2007 eröffnet (RFE/RL 26.8.2007). Eine Autobahn verläuft von Kunduz durch den Distrikt Khanabad nach Takhar und Badakhshan (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014kd, AAN 12.10.2016). Von der ca. 100 km langen Autobahn von Khulm nach Kunduz, welche die Fahrstrecke zwischen den Provinzen Kunduz und Balkh deutlich reduzieren wird, wurden im April 2017 59 km fertiggestellt (TN 12.4.2017; vgl. Technologists 2019), das übrige Teilstück ist in Bau (Technologists 2019). In Kunduz gibt es einen Flughafen; im Jahr 2017 wurde ein Terminal nach internationalem Standard mit einer Kapazität für 1.300 Personen errichtet (LIFOS 26.9.2018; vgl. PAJ 7.3.2018). Stand Juli 2019 gibt es jedoch keinen Linienbetrieb in Kunduz (F24 10.7.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat Kunduz den seit 2007 bestehenden Status „schlafmohnfrei“ 2018 beibehalten. Obwohl die Anbaufläche in den letzten Jahren gestiegen ist, blieb sie 2018 immer noch unter 100 Hektar, was die UNODC-Schwelle für den Erhalt des „schlafmohnfreien Status“ darstellt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert (AAN 7.11.2018; vgl. AJ 5.2.2019). Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban (UNAMA 24.2.2019) und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein (BAMF 2.9.2019). Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz 2001 (RFE/RL o.D.).

Die Taliban waren im Jahr 2018 in den Distrikten Dasht-e-Archi und Chahar Darah aktiv, wo sich die staatliche Kontrolle auf kleine Teile der Distriktzentren und einige benachbarte Dörfer beschränkte (AAN 7.11.2018). Die Taliban hatten laut Quellen im Februar 2019 im Distrikt Dasht-e-Archi eine parallele Schattenregierung gebildet, die einen Distriktgouverneur, Bildungsleiter, Justiz, Gesundheit, Öffentlichkeitsarbeit, Militär und die Finanzkomitees umfasst. Diese Posten werden von jungen Paschtunen und Usbeken

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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