TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 W214 2198825-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2198825-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch: RA Mag. Martin SAUSENG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, XXXX (auch XXXX , auch XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ) ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser, stellte am XXXX .10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, im Dezember 2015 sein Heimatland illegal und schlepperunterstützt in die Türkei verlassen zu haben, danach habe er sich ca. 10 Monate lang in Griechenland aufgehalten und sei anschließend über ihm unbekannte Länder illegal und schlepperunterstützt am XXXX .10.2016 in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er im Iran mit einem armenischen Freund zusammen in einem Haus gewohnt habe, dieser Freund sei auch als Verkäufer in seinem Textilgeschäft tätig gewesen. Dem Beschwerdeführer hätten die religiösen Ansichten und die Glaubensrichtung seines Freundes gefallen. Eines Tages, als er geschäftlich in Teheran gewesen sei, habe er einen Anruf von seinem Geschäftsnachbarn erhalten, dass er sich versteckt halten solle, weil sein Geschäft von iranischen Sicherheitsbeamten bzw. vom Geheimdienst geschlossen und sein armenischer Verkäufer festgenommen worden sei. Aufgrund dieses Vorfalls habe er sich nicht mehr zurück in seine Heimatstadt getraut und sei bei seinem Onkel in Teheran untergetaucht. Bereits eine Woche zuvor sei er von einem anderen Nachbarn gewarnt worden, dass er sich von dem Armenier und dessen Religion (Christentum) fernhalte solle, da ansonsten sein Leben in akuter Gefahr wäre. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er die Todesstrafe, jeder, der im Iran zu einer anderen Religion konvertiere, werde mit dem Tod bestraft.

Am XXXX .02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer gab zunächst an, in XXXX in der Provinz XXXX geboren zu sein, früher sei er schiitischer Moslem gewesen, mittlerweile sei er Christ. Zuletzt habe er auf der Insel XXXX gewohnt und gearbeitet, er sei Textilverkäufer gewesen, sein Vater habe mehrere Geschäfte besessen.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er den Iran wegen des Glaubenswechsels zum Christentum habe verlassen müssen, sein Leben sei in Gefahr gewesen. In XXXX habe er einen armenischen Mitarbeiter gehabt, welcher Christ gewesen sei. Dieser sei auch ein Freund von ihm gewesen. Nach einiger Zeit habe dieser Freund und Mitarbeiter gemerkt, dass sich der Beschwerdeführer nicht für den Islam interessiere und angefangen, ihm über das Christentum zu erzählen. Der Beschwerdeführer habe ihn gebeten, mehr zu erzählen, woraufhin ihm sein Freund Videos über den Werdegang von Jesus und seine Lebensweise mitgebracht und ihm auch Schriften zu lesen gegeben habe. Der Beschwerdeführer habe dann über einen Zeitraum von ca. drei Monaten sowohl bei sich zu Hause als auch im Geschäft diese Videos angeschaut und Schriften gelesen, das, was er gelesen habe, habe ihm gefallen. Seine Geschäftsnachbarn, mit denen er im Geschäft Umgang gehabt habe, hätten mitbekommen, dass er in seinem Geschäft diese Videos und Schriften anschaue, sie hätten ihm gesagt, dass er damit aufhören solle, es sei gefährlich, er würde dadurch Probleme bekommen. Der Beschwerdeführer habe ihnen gesagt, dass es ihm gefalle und es sich dabei um sein Leben handle. Seine Geschäftsnachbarn seien neidisch gewesen, weil es ihm finanziell bessergegangen sei, als ihnen, weshalb sie gewollt hätten, dass der Beschwerdeführer nicht mehr dort sei. Daraufhin hätten sie den Manager der Passage informiert, wie sich herausgestellt habe, habe dieser Manager für den Etelaat gearbeitet. Im XXXX habe sich der Beschwerdeführer gerade in Teheran am Bazar befunden, als ihn ein guter Freund aus XXXX angerufen und ihm gesagt habe, dass sein Geschäft geschlossen und sein armenischer Mitarbeiter mitgenommen worden sei. Er sei besorgt gewesen und habe seinen Onkel um Rat gefragt, der mit ihm am Bazar gewesen sei, um Ware einzukaufen. Sein Onkel sei er wütend geworden und habe ihn angeschrien, woraufhin der Beschwerdeführer in ein Lokal gegangen sei und sein Handy ausgeschaltet habe. Er sei zwei bis drei Stunden unter Schock gestanden, dann habe er seinen Onkel angerufen, er habe sonst niemanden gehabt, der ihm habe helfen können. Er habe sich dann mit dem Onkel getroffen und dieser habe vorgeschlagen, dass der Beschwerdeführer nach Urumieh gehe, er würde einen Schlepper organisieren. Der Beschwerdeführer habe daraufhin in Teheran einen Bus nach Urumieh und weiter nach Bazargan genommen, von wo aus der Schlepper ihn abgeholt und in die Türkei gebracht habe. Während seines Aufenthalts in Izmir habe er seinen Onkel angerufen und gefragt, ob das Geschäft wirklich geschlossen worden sei, was dieser bejaht habe. Der Onkel habe ihm auch erzählt, dass ihr Haus in XXXX durchsucht worden sei und die nationale Identitätskarte, Fotos und Schulzeugnisse des Beschwerdeführers mitgenommen worden seien. Bei der Hausdurchsuchung sei die Mutter des Beschwerdeführers anwesend gewesen, sie habe den Beschwerdeführer danach gefragt, was er getan habe.

Über Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht wisse, was aus seinem armenischen Freund geworden sei, er habe nicht nachgeforscht. Früher habe dieser auch im Stadtteil XXXX ca. 15 Minuten vom Wohnort des Beschwerdeführers gewohnt.

Befragt nach seiner Konversion zum Christentum gab der Beschwerdeführer an, sich zum katholischen Glauben zu bekennen, dieser sei für die gesamte Gesellschaft. Er besuche die Taufkurse, es sei ausgemacht, dass er getauft werde. Die Taufe bedeute für ihn Neugeburt, die Sünden würden erlassen. Am Christentum fasziniere ihn die Einfachheit des Lebens, Jesus habe die Menschen mit Liebe und Barmherzigkeit vom Christentum überzeugen wollen. Er habe bereits im Iran das Christentum praktiziert, indem er etwa seinen Geschäftsnachbarn, die ihm gesagt hätten, er solle damit aufhören, gesagt habe, dass sie kommen sollten und sich selbst ein Bild darübermachen sollten, was das Christentum sage. Er selbst lese die Bibel auf Farsi, gehe in die Kirche und bete das Vater Unser in der Kirche. Er habe einen iranischen und einen afghanischen Freund, welchen er vom Christentum erzählt habe. Im Iran sei er religiös erzogen worden, seit der Hausdurchsuchung wüssten seine Familienangehörigen, dass er Christ sei und würden sich nicht mehr bei ihm melden. Nachdem er mit dem Christentum in Berührung gekommen sei, habe er sich geändert, er habe nicht mehr gelogen, sei freundlich geworden und habe anderen geholfen.

Weiters wurden dem Beschwerdeführer einige Wissensfragen zum Christentum gestellt, die er teilweise korrekt beantworten konnte.

Der Beschwerdeführer legte eine Kirchenbesuchsbestätigung der Pfarre XXXX vom 16.02.2018, ein privates Empfehlungsschreiben, eine Deutschkursbesuchsbestätigung vom Oktober 2017, sowie am 19. März 2018 seinen iranischen Personalausweis vor.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass dieser iranischer Staatsangehöriger sei und angegeben habe, sich jetzt zum römisch-katholischen Glauben zu bekennen. Er sei in XXXX in der Provinz XXXX geboren und habe nach der Matura eines der Textilgeschäfte seines Vaters geführt. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder, die Eltern und Geschwistern des Beschwerdeführers würden im Iran leben.

Nicht festgestellt werden konnte von der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer zu befürchten hätte, im Iran aufgrund einer der in der GFK genannten Gründe verfolgt zu werden oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer konvertiert sei.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im Widerspruch zu seinen Angaben in der Erstbefragung in der Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben habe, dass sein armenischer Freund nicht mit ihm im selben Haus, sondern nur im selben Stadtteil gewohnt habe. Gänzlich unplausibel sei der Umstand, dass er zum Schicksal seines Freundes, durch den er zum christlichen Glauben gefunden haben wolle und welcher verhaftet worden sein solle, nicht nur nichts wisse, sondern auch angeblich keine Nachforschungen angestellt habe. Nicht glaubhaft sei weiters, dass der Beschwerdeführer sich speziell vor dem Hintergrund, dass Konvertiten im Iran Verfolgungshandlungen bis zur Todesstrafe ausgesetzt seien, in seinem Geschäft, wo er jederzeit mit Kunden habe rechnen müssen, dem Studium von Schriften und Videos hingegeben habe, zumal dort die Gefahr viel zu groß sei, von jemandem belauscht und angeschwärzt zu werden. In diesem Zusammenhang erscheine es auch nicht lebensnah, dass der Beschwerdeführer seinen religiösen Sinneswandel gegenüber seinen Geschäftsnachbarn, welche ihn um seine wirtschaftliche Stellung beneidet hätten, nicht abgestritten habe, sondern im Gegenteil sogar sein ausdrückliches Gefallen am Christentum bekundet habe und sich damit dem Risiko ausgesetzt habe, dass seine bekanntermaßen missgünstigen Nachbarn ihn anzeigen würden. Ebenso unplausibel sei, dass der Beschwerdeführer gerade seine Geschäftsnachbarn nicht im Unklaren über seinen Glaubenswechsel gelassen habe, wohl aber seine ihm weitaus näherstehenden Eltern.

Weiters falle auf, dass der Beschwerdeführer sich mit den verschiedenen christlichen Konversionen nicht entsprechend auseinandergesetzt habe und er keine nachvollziehbaren Gründe habe, weshalb er sich ausgerechnet für den katholischen Zweig entschieden habe. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Angaben zu den Sakramenten machen können, obwohl er laut der vorgelegten Kirchenbesuchsbestätigung regelmäßig den Taufkurs besuche, er habe die Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum nicht korrekt benennen können, sein Wissen betreffend die christlichen Feste habe sich in äußerst vagen, völlig oberflächlichen und teils unzutreffenden Ausführungen erschöpft, sodass in seinem Fall keineswegs von einem von innerer Überzeugung und mit Nachhaltigkeit getragenem Glaubenswechsel ausgegangen werden könne. Daran würden auch die Umstände des vom Beschwerdeführer gezeigten Grundwissens über das Christentum, seines regelmäßigen Gottesdienstbesuches und seines kirchlichen Engagement nichts zu ändern vermögen, da es sich dabei um bloß um leicht erlernbares Wissen und äußeres Verhalten handle. Der Beschwerdeführer habe daher weder eine individuelle Verfolgung noch Gefährdung glaubhaft machen können.

Auch das Erfordernis der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von der belangten Behörde verneint, im Fall des Beschwerdeführers seien keine Gründe ersichtlich, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Gefährdung iSd Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die aktuelle Lage im Iran stelle sich derzeit nicht so dar, dass bereits ein generelles Abschiebehindernis bzw. eine generelle Gefährdung aus Sicht der EMRK gegeben sei.

Da die Gründe für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG nicht vorlägen, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ebenfalls nicht erteilt.

Weiters erließ die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung und führte hierzu aus, dass diese zulässig sei, da der Beschwerdeführer dadurch nicht in seinem Recht auf Familienleben oder Privatleben verletzt sei. Er bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung, er sei in Österreich lediglich aufgrund des anhängigen Asylverfahrens zum Aufenthalt berechtigt, seine Bindungen zum Heimatstaat seinen wesentlich stärker als zu Österreich, seine Eltern und weitere Verwandten würden noch im Iran leben. Eine besondere Integrationsbemühung habe der Beschwerdeführer abgesehen von dem Besuch eines Deutschkurses und seinen Aktivitäten in der Kirche, welche aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer nicht ausreichend ins Gewicht fallen würden, nicht darlegen können. Die Rückkehrentscheidung sei daher nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig.

Die Abschiebung in den Iran sei auch zulässig, da keine Hinderungsgründe des § 50 FPG vorlägen und habe die Ausreise des Beschwerdeführers binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides zu erfolgen (§ 55 FPG).

Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.06.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte (nach Wiederholung des Sachverhalts und des Vorbringens in der Einvernahme vor der belangten Behörde) aus, dass ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorliege, da die belangte Behörde das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht mit der gebotenen Tiefe ermittelt habe. Die belangte Behörde stütze sich betreffend der Feststellungen zur Situation im Iran auf veraltete Länderberichte und werte diese selektiv aus. Zum Vorhalt der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben zum Wohnort seines armenischen Freundes gemacht habe, werde ausgeführt, dass der Freund sowohl eine eigene Unterkunft im selben Stadtteil wie der Beschwerdeführer gehabt habe, aber darüber hinaus auch beim Beschwerdeführer in dessen Haus gewohnt habe. Als der Beschwerdeführer angefangen habe, sich mit dem Christentum zu beschäftigen, indem er in seinem Geschäft die Schriften gelesen und sich die Videos angesehen habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, dass schon das bloße Sich-infomieren über das Christentum im Iran unter Strafverfolgung stehe und habe er nicht damit gerechnet, dass er deshalb Probleme bekommen würde. Aus demselben Grund habe er auch sein Interesse am Christentum gegenüber seinen Geschäftsnachbarn nicht abgestritten. Darüber hinaus habe es der Beschwerdeführer nicht als notwendig angesehen, seine Eltern über die Lektüre von christlichen Schriften und das Anschauen von christlichen Videos zu informieren, da er damals noch nicht den Entschluss zur Konversion gefasst gehabt habe. Bezüglich der beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde dahingehend, dass sich der Beschwerdeführer nicht ausreichend mit dem Christentum beschäftigt habe, werde auf das vorgelegte Unterstützungsschreiben des Pfarrers sowie die Kirchenbesuchsbestätigung verwiesen, aus der hervorgehe, dass der Beschwerdeführer regelmäßig den Gottesdienst besuche und sich auf seine Taufe vorbereite. Der Beschwerdeführer habe sich aus Neugierde und ehrlichem Interesse dem Christentum zugewandt, seine Antworten auf die von der belangten Behörde gestellten Fragen das Christentum betreffend würden ein tiefes, wenn auch naives, Verständnis von den Grundprinzipien der christlichen Lehre zeigen. Es handle sich bei der Konversion des Beschwerdeführers daher keinesfalls um eine Scheinkonversion, bereits im Iran habe der Beschwerdeführer seine religiöse Einstellung stark hinterfragt und sich der Lektüre christlicher Schriften sowie dem Anschauen christlicher Videos hingegeben. In Österreich lebe der Beschwerdeführer seinen christlichen Glauben mit tiefer Überzeugung und wolle dies auch zukünftig tun. Er würde seine Religion im Falle einer Rückkehr in den Iran weiter ausüben und könne sich unter keinen Umständen vorstellen, wieder Moslem zu werden. Selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht aus Überzeugung zum Christentum übergetreten sei, drohe ihm im Iran Verfolgung, da bereits Apostasie mit langen Haftstrafen bis zur Todesstrafe bedroht sei.

Alles in allem hätte die belangte Behörde bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung zum Schluss kommen müssen, dass der Beschwerdeführer ein detailliertes Vorbringen erstattet habe und bereits im Heimatland konkrete Verfolgungsgefahr vorgelegen habe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers finde zudem Deckung in den einschlägigen Länderberichten und sei somit glaubhaft. Die erkennende Behörde hätte sohin zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Iran asylrelevante Verfolgung drohe und ihm zumindest subsidiären Schutz zuerkennen müssen.

4. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde– ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

5. Am 12.12.2019 erstattete der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung, in welcher ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer seinen zuvor bereits innerlichen Glaubenswechsel zwischenzeitig auch nach außen für Dritte wahrnehmbar dadurch vollzogen habe, als dass er am XXXX durch die Pfarrgemeinde der evangelischen Gemeinde in XXXX getauft worden sei. Bereits vor gegenständlicher Taufe sei der Beschwerdeführer aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten.

Weiters sei der Beschwerdeführer seit 10.09.2019 ehrenamtlich für die Caritas der Diözese XXXX in einem Altersheim für vier Stunden pro Woche tätig, indem er im Caféhaus mithelfe. Ebenso habe der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit regelmäßig Deutschkurse beim Verein XXXX absolviert.

Dem Schriftsatz angeschlossen wurden der Taufschein des Beschwerdeführers vom XXXX , die Bestätigung über den Kirchenaustritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 02.06.2018, die Vereinbarung über das freiwillige Engagement des Beschwerdeführers bei der Caritas vom 10.09.2019 sowie vier Teilnahmebestätigungen hinsichtlich absolvierter Deutschkurse beim Verein XXXX vom 30.08.2018, 25.10.2018, 08.02.2019 und 29.04.2019.

6. Am 17.06.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen rechtlicher Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der Caritas über seine Freiwilligenarbeit vom 06.08.2020 sowie eine Kopie eines Pfarrblattes vom September 2019, in welchem er beim Ausmalen eines Zimmers abgebildet ist, vor.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte inhaltlich gleichlautend wie in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde an. Er sei müde vom Islam gewesen, es habe ihm nicht gut gefallen, wie Moslems sich verhalten und was sie miteinander aufführen würden. Er habe die Art und Weise seines Freundes sehr schön gefunden, wie hilfsbereit er sei und wie freundlich er seinen Freunden und Mitmenschen gegenüberstehe. Als sie genug Vertrauen aufgebaut hätten, hätten sie angefangen über das Christentum zu sprechen, sein Freund habe ihm Zettel und Filme zum Anschauen gegeben. Nach etwa zwei bis drei Monaten sei sein Freund festgenommen und das Geschäft geschlossen worden.

In Österreich habe er etwa drei Monate nach seiner Ankunft begonnen, die katholische Kirche in der XXXX zu besuchen. Er sei etwas mehr als ein Jahr dort gewesen, habe sich aber nicht wohl gefühlt, weil die dortige Lehrerin nicht gut habe erklären können. Er sei dann etwa zwei bis drei Wochen später in die evangelische Kirche XXXX gegangen, wo er bis heute Mitglied sei. Die evangelische Kirche besuche er nunmehr seit eineinhalb bis zwei Jahren, er habe dort auch ein Jahr lang den Taufunterrricht besucht. Er gehe regelmäßig sonntags zum Gottesdienst in die Kirche und wenn der Pfarrer ihn brauche, um mitzuhelfen. Er habe beim Ausmalen in der Kirche geholfen, nach dem Gottesdienst helfe er beim Aufräumen der heiligen Schriften. Er versuche auch andere Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen, einen iranischen Freund habe er zur evangelischen Kirche gebracht, dieser lebe aber nunmehr in Deutschland.

Dem Beschwerdeführer wurden weiters einige Wissensfragen zum Christentum und insbesondere zum evangelischen Glauben gestellt, welche er nur zum Teil korrekt beantworten konnte.

In der mündlichen Verhandlung wurde auch der Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX , als Zeuge einvernommen. Dieser gab an, den Beschwerdeführer seit Herbst 2018 zu kennen, der Beschwerdeführer sei auf ihn persönlich mit dem Wunsch zugekommen, getauft zu werden. Danach sei der Beschwerdeführer zum Taufvorbereitungskurs gegangen, der ein Jahr lang stattgefunden habe und wo sich der Zeuge mit dem Beschwerdeführer regelmäßig für 2 bis 3 Stunden im Monat getroffen habe. Neben dem Taufkurs sei der Beschwerdeführer seitdem wöchentlich in den Gottesdienst gekommen, die Taufe habe dann im XXXX im Rahmen eines Gemeindegottesdienstes stattgefunden. Der Beschwerdeführer komme nach wie vor regelmäßig zum Gottesdienst, bringe sich in die Gemeinschaft ein und helfe bei Dingen, die gerade anstehen würden. Über Nachfrage des Beschwerdeführers gab der Zeuge an, sich daran zu erinnern, dass der Beschwerdeführer den von ihm namentlich genannten Freund in die Kirche mitgebracht habe, er habe diesen aber nicht bis zur Taufe begleitet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der persischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er wurde im Iran in der Stadt XXXX (Provinz XXXX ) geboren und war zuletzt im Ort XXXX auf der Insel XXXX wohnhaft. Er hat im Iran die Schule mit Matura abgeschlossen und anschließend eines der Textilgeschäfte seines Vaters geführt.

Der Beschwerdeführer ist am XXXX 10.2016 illegal in österreichische Bundesgebiet eingereist, und hat den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer stammt aus einer wohlhabenden Familie. Der Beschwerdeführer hat zu seiner Familie Kontakt. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, er hat in der Vergangenheit einen Deutschkurs des XXXX sowie mehrere Deutschkurse des Vereins XXXX Level A1 und A2 besucht.

Der Beschwerdeführer arbeitet seit September 2019 ehrenamtlich für die Caritas der Diözese XXXX , er ist im Kaffeehaus eines Altersheimes im Ausmaß von vier Wochenstunden beschäftigt.

Als maßgeblich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ursprünglich muslimisch-schiitischen Glaubens war und zum Christentum konvertiert ist.

Der Beschwerdeführer hat bereits im Iran über einen Arbeitskollegen und späteren Freund, einen armenischen Christen namens XXXX , Interesse am Christentum entwickelt. Er bekam von seinem Freund XXXX Zettel und Videos mit Wissen und Informationen über Christentum. Sein armenischer Freund wurde verhaftet, auch nach dem Beschwerdeführer wurde vom Geheimdienst gesucht.

In Österreich hat der Beschwerdeführer etwa drei Monate nach seiner Ankunft angefangen, die katholische Kirche in der XXXX in XXXX zu besuchen. Er hat diese 15 bis 16 Monate besucht und dort für ca. ein Jahr einen Glaubens-/Taufvorbereitungskurs absolviert. Anschließend hat sich der Beschwerdeführer aber nicht katholisch taufen lassen, sondern ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und besucht seit Herbst 2018 die evangelische Pfarrgemeinde XXXX . Dort hat der Beschwerdeführer ebenfalls für etwa ein Jahr einen Taufvorbereitungskurs absolviert und wurde in der evangelischen Pfarrgemeinde am XXXX getauft. Der Beschwerdeführer besucht seit Beginn des Taufvorbereitungskurses bis dato regelmäßig den Gottesdienst und hilft nach dem Gottesdienst beim Aufräumen der Heiligen Schriften sowie je nach Bedarf bei weiteren Tätigkeiten, wie etwa dem Ausmalen oder beim Bereitstellen von Bänken. Er Beschwerdeführer spricht täglich das Vater Unser und mehrmals am Tag persönliche Gebete. Der Beschwerdeführer ist am 02.06.2018 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten. Der Beschwerdeführer hat eine Tätowierung am Arm, welche einen christlichen Friedhof mit Kreuzen zeigt. Der Beschwerdeführer hat einen iranischen Freund zur Kirche gebracht.

Der Beschwerdeführer ist vom christlichen Glauben überzeugt. Er hätte das Bedürfnis, den christlichen Glauben auch bei seiner Rückkehr in den Iran innerlich und äußerlich auszuleben. Im Falle einer Rückkehr in den Iran wäre der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verhaftung und Folter durch die iranischen Behörden ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Es liegen keine Asylausschlussgründe vor.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Stand 19.06.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020a): Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020b): Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DW – Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.5.2020b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 4.5.2020

- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.5.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 7.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- HRC – UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020

- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DIS – Danish Immigration Service (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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