TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/19 95/19/1025

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.09.1997
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §9 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
MRK Art8;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des ZV in Wien, geboren 1952, vertreten durch Dr. Marcella Zauner-Grois und Dr. Christof Dunst, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. August 1995, Zl. 107.414/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer beantragte am 18. Jänner 1993 die Erteilung eines Sichtvermerkes.

Dieser Antrag wurde nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (AufG) mit 1. Juli 1993 gemäß § 7 Abs. 7 Fremdengesetz (FrG) als Antrag gemäß § 6 AufG der zuständigen Behörde (Landeshauptmann von Wien) weitergeleitet. Bereits im Weiterleitungsschreiben wies die Bundespolizeidirektion Wien, fremdenpolizeiliches Büro, darauf hin, daß der Beschwerdeführer am 19. Juni 1993 einen Antrag auf Aufhebung des gegen ihn verhängten Aufenthaltsverbotes gestellt habe. Dieses sei nach umfangreichen Erhebungen (der Beschwerdeführer sei zwischenzeitlich in Gerichtshaft gewesen) am 7. Juli 1994 von der Bundespolizeidirektion Eisenstadt aufgehoben worden. Im Verwaltungsakt liegt der diesbezügliche Bescheid vom 7. Juli 1994 ein, nach dem das mit dem Bescheid vom 22. November 1993 gegen den Beschwerdeführer verhängte unbefristete Aufenthaltsverbot gemäß § 26 FrG aufgehoben werde. Da dem Standpunkt des Beschwerdeführers vollinhaltlich Rechnung getragen werde, entfalle gemäß § 58 Abs. 2 AVG die Begründung.

Die Behörde erster Instanz wies den Antrag gemäß § 9 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufG) ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß gemäß § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem AufG für 1994 für das Land Wien höchstens 4.300 Bewilligungen erteilt werden dürften, diese Höchstzahl sei bereits ausgeschöpft. Der Antrag erfülle auch nicht die Voraussetzungen einer unter § 3 AufG fallenden Familienzusammenführung.

Die dagegen erhobene Berufung begründete der Beschwerdeführer vorwiegend damit, daß er einen im Jahr 1992 in Wien geborenen Sohn habe, der österreichischer Staatsbürger sei. Seine Frau sei tagsüber beschäftigt, der Beschwerdeführer am Abend als Kellner, er passe auf seinen Sohn auf und bitte deshalb um einen neuerlichen Sichtvermerk.

Die belangte Behörde erließ sodann den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie stützte ihre Entscheidung - anders als die Behörde erster Instanz - auf § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG. Sie begründete den Bescheid folgendermaßen:

"Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß Ihre Familie in Österreich aufhältig ist und Sie daher auch eine Aufenthaltsbewilligung brauchen.

Unbeschadet dieses Vorbringens ist für die Beurteilung Ihres Antrages wesentlich, daß § 5 des Aufenthaltsgesetzes die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließt, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliegt. Nach § 10 Abs. 1 Z 4 dieses Gesetzes liegt ein solcher insbesondere dann vor, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Nach der auch auf Ihren eigenen Angaben beruhenden Aktenlage sind Sie wegen Begehung folgender Delikte von inländischen Gerichten rechtskräftig verurteilt worden:

01) LG F. STRAFS. WIEN VOM 18.4.1983 RK 22.9.1983 PAR 12/1

SUCHTGIFTG 18 M FREISTR 35000 S IM NEF 2 M FREISTR.

02) STRAFBEZIRKSGERICHT WIEN RK 3.4.1986 PAR 165 STGB PAR 36/1 A WAFFG PAR 28 STGB 50 TAGS ZU JE 220 S (11000 S) IM NEF 25 T FREISTR. VOLLZUGSDATUM 10.9.1986.

03) LG F. STRAFS. WIEN VOM 30.5.1994 PAR 288/1 STGB 5 M FREISTR

BEDINGT, PROBEZEIT 3 JAHRE.

Damit liegt ein zwingender Sichtvermerksversagungsgrund vor und kann Ihnen daher auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden.

Zu Ihren persönlichen Verhältnissen ist zu sagen, daß zwar Bindungen zur Republik Österreich bestehen, diese aber, auch nach Abwägung gemäß Art. 8 MRK, gegenüber den öffentlichen Interessen an der Versagung der Aufenthaltsbewilligung hintanzustellen sind."

In der dagegen erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er lebe seit dem Jahre 1968 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet. Mit Ausnahme seiner Militärzeit sei er in Österreich stets einer geregelten Beschäftigung nachgegangen. Derzeit sei er als Kellner beschäftigt. Er sei seit 1992 mit Frau SV verheiratet, dieser Ehe entstamme ein 1992 geborenes Kind. Seine Ehegattin sei ebenfalls berufstätig. Weiters lebe im Bundesgebiet sein unehelicher Sohn (geboren 1982), für welchen er Unterhalt leiste. Der Beschwerdeführer stellte die Richtigkeit der von ihm begangenen strafrechtlichen Delikte nicht in Abrede, verwies aber darauf, daß im Jahre 1983 über ihn ein Aufenthaltsverbot verhängt worden sei, welches mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Eisenstadt vom 7. Juli 1994 aufgehoben worden sei. Diese Aufhebung sei nach seiner letzten Verurteilung erfolgt. Daraus sei ersichtlich, daß ihn die Bundespolizeidirektion Eisenstadt nicht mehr als Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit angesehen habe. Gehe man davon aus, daß die erste Verurteilung bereits zwölf Jahre und die zweite neun Jahre zurückliege, seien allein durch den Zeitablauf die öffentlichen Interessen relativiert. Was die Verurteilung im Jahr 1994 wegen falscher Zeugenaussage anlange, sei aus dem Bescheid, mit welchem das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot aufgehoben worden sei, ersichtlich, daß diese Verurteilung der Fremdenbehörde nicht so schwerwiegend erschienen sei, daß es die Aufhebung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes gehindert hätte. Darüber hinaus sehe Art. 8 MRK eine Interessenabwägung zwischen eventuell bestehenden öffentlichen Interessen und den bestehenden privaten Interessen vor. Um eine entsprechende Interessenabwägung vornehmen zu können, hätte die Behörde ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchführen müssen. Hiebei wären die persönlichen und familiären Bindungen des Beschwerdeführers von schwerwiegender Art zum Bundesgebiet hervorgekommen, in die durch die Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung eingegriffen würde. Die belangte Behörde habe weder seine privaten und familiären Interessen zur Gänze im angefochtenen Bescheid dargestellt noch den Stellenwert der durch die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes relativierten öffentlichen Interessen begründet. Bei nachvollziehbarer und ordnungsgemäßer Gegenüberstellung der öffentlichen und der privaten Interessen wäre die belangte Behörde zur Feststellung gelangt, daß das Gewicht der betroffenen öffentlichen Interessen jedenfalls geringer sei als das Gewicht seiner privaten Interessen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

"Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 erster Satz AVG ist die vor der Erstbehörde in Verhandlung gestandene, den Inhalt des Spruches ihres Bescheides bildende Angelegenheit, hier die Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz. Im Rahmen dieser Sache war die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG berechtigt, den erstinstanzlichen Bescheid "nach jeder Richtung", also auch - wie geschehen - unter Heranziehung des von der Unterbehörde nicht angewendeten Versagungstatbestandes des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, abzuändern. Dies freilich nur unter der Voraussetzung der Einräumung von Parteiengehör im nach den Erfordernissen des konkreten Falles gebotenen Umfang (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. September 1995, Zl. 94/18/1137). Da im erstinstanzlichen Bescheid aufgrund des darin enthaltenen Abweisungsgrundes eine Auseinandersetzung im Hinblick auf Art. 8 MRK nicht stattfand und aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der Beschwerdeführer schon mehrere Jahre in Österreich verbracht hat, wäre die belangte Behörde zumindest diesbezüglich zur Klärung allfälliger rechtmäßiger Voraufenthalte in Österreich (aktenkundig wurde dem Beschwerdeführer trotz bestehenden Aufenthaltsverbotes zuletzt ein Wiedereinreise-Sichtvermerk gültig vom 13. Jänner 1992 bis 31. Dezember 1992 erteilt) und seiner in der Berufung angeführten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet sowie zur Gewährung von Parteiengehör zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens verpflichtet gewesen. Daher verstoßen die in der Beschwerde neu vorgebrachten Sachverhalte nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Die belangte Behörde hat sich - wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt - mit der Aufhebung des gegen ihn verhängten Aufenthaltsverbotes nach der gegen ihn verhängten letzten gerichtlichen Bestrafung nicht auseinandergesetzt. Die belangte Behörde hat auch den Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 1995, den Akt der Bundespolizeidirektion Eisenstadt betreffend das Aufenthaltsverbot vom 22. November 1983 und dessen Aufhebung vom 7. Juli 1994 beizuschaffen und vorzulegen, nicht befolgt. Da gemäß § 26 FrG ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben ist, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind, und sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Bescheid vom 7. Juli 1994 mangels einer Begründung nicht entnehmen läßt, weswegen das Aufenthaltsverbot im Jahr 1983 verhängt wurde, kann das Vorbringen in der Beschwerde zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht als unrichtig erkannt werden. Sollten die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers stimmen, so ist nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde bei Mitberücksichtigung der Umstände, die zur Verhängung bzw. in der Folge zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotes führten, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Denn diesfalls könnte nicht von besonders erheblichen öffentlichen Interessen an der Versagung der Aufenthaltsbewilligung (im übrigen hat die belangte Behörde auch nicht begründet, worin sie diese öffentlichen Interessen sieht) gesprochen werden. Dem stehen aber die in der Beschwerde dargestellten gewichtigen privaten und persönlichen Bindungen zu Österreich aufgrund behaupteter rechtmäßiger Aufenthalte gegenüber. Diesbezüglich hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nur die (gekürzten) Angaben des Beschwerdeführers in seiner Berufung zum Aufenthalt seiner Familie in Österreich wiedergegeben.

Damit hat die belangte Behörde in der Bescheidbegründung nicht in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan, welcher Sachverhalt der Erforderlichkeitsprüfung im Hinblick auf Art. 8 MRK zugrundegelegt wurde und aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie zu einem Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers gelangte.

Aufgrund dieser - relevanten - Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer und des Einheitssatzes nicht zusteht.

Stempelgebührenersatz war nur in Höhe von S 270,-- (Beschwerde zweifach, angefochtener Bescheid einfach) zuzusprechen. Der Bescheid erster Instanz war anläßlich der Beschwerde nicht vorzulegen. Die Vorlage der weiteren Beilagen war unnötig, da sie im Verwaltungsverfahren ohnehin schon vorgelegt wurden.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191025.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten