TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 L516 2144577-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
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Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L516 2144577-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Bangladesch, vertreten durch Dr. Manfred SCHIFFNER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.11.2016, Zahl 1131858606-1614011127, nach mündlicher Verhandlung am 15.07.2020, zu Recht:

A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige von Bangladesch und stellte am 10.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erkannte (V.) einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin vollumfänglich Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht gab bereits mit Teilerkenntnis vom 19.01.2017 der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV und V des gegenständlich angefochtenen Bescheides statt und behob jene Spruchpunkte ersatzlos. (BVwG 19.01.2017, L516 21144577-1/4Z)

Den Gegenstand der vorliegenden Entscheidung bilden somit die verbliebenen Spruchpunkte I bis III des angefochtenen Bescheides.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 15.07.2020 eine mündliche Verhandlung durch. An der Verhandlung nahmen die Beschwerdeführerin, ihr Vertreter und ein Vertreter des BFA teil.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Sie ist Staatsangehörige von Bangladesch und gehört der Volksgruppe der Bengalen an. Ihre Identität steht fest. (NS EB 11.10.2016, 1; OZ 6)

1.2 Zu ihren Lebensverhältnissen in Bangladesch

Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX . Sie hat in ihrer Heimat die Schule besucht, anschließend XXXX studiert und auch einen Masterabschluss in XXXX erworben. Ihre Eltern leben mit ihrem Bruder und einer jüngeren Schwester gemeinsam in XXXX . Der Vater ist pensionierter Lehrer und gegenwärtig krank. Der Bruder und jene Schwester haben erfolgreich studiert und sie unterrichten Studenten. Eine ältere Schwester auch in XXXX , in einem anderen Ortsteil, ist verheiratet und erwartet gegenwärtig ein Kind. (VS 15.07.2020 S 6, 7, 12, 13).

Die Beschwerdeführerin verließ Bangladesch im September 2016. (NS 02.11.2016, S 11)

1.3 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich

Im Oktober reiste die Beschwerdeführerin nach Österreich ein, wo sie sich seither gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz ununterbrochen aufhält. Sie bezieht gegenwärtig Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde, ist jedoch arbeitswillig und arbeitsfähig und verfügt bereits über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag. Sie hat im XXXX standesamtlich geheiratet; die Beschwerdeführerin lebt aktuell getrennt von ihrem Ehemann und eine, die Scheidung ist beabsichtigt, doch konnte aufgrund der gegenwärtigen Corona-bedingten Situation bisher noch kein Scheidungstermin erhalten werden. Die Beschwerdeführerin macht Freiwilligentätigkeit im Nachbarschaftszentrum, hilft auch mehrere Tage im Monat bei einer Sozialeinrichtung der Caritas, sittet Babys und ist auch hilfsbereit, wenn andere Personen Hilfe benötigen. Die Beschwerdeführer hat im Juli 2018 die ÖSD-Prüfung „ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1“ bestanden. Sie ist gesund, leidet fallweise unter Gastritis (IZR, GVS, OZ 5/6, 7, 8; VS 15.07.2020 S 6; VS 15.07.2020 Beilagen Kopie Zertifikat, aufschiebend bedingter Dienstvertrag).

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.4 Zum Ausreisegrund

Die Beschwerdeführerin stammt grundsätzlich aus einer dem Mittelstand in Bangladesch angehörenden und bildungsnahen Familie. XXXX (NS 02.11.2016 S 8-10; VS 15.07.2020 S 11 ff)

1.5 Zur Lage in Bangladesch

Sicherheitslage

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).

In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 27.7.2019). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. (USDOS 11.3.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 8.2019).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 8.2019).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 27.7.2019).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 8.2019).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt rund 12 RABs mit insgesamt ca. 8.500 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete krimnelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 8.2019). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 27.7.2019). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 8.2019). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 8.2019).

Bangladesh Rifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry, wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BDRs sind auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 8.2019).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ à 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 8.2019).

Special Branch of Police (SB) ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 27.7.2019).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Bangladesch verfügt über eine große, seit den 1970er Jahren wachsende Zahl an regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen (ÖB 8.2019). Die meisten NGOs können uneingeschränkt arbeiten (FH 2020). NGOs können ihre Erkenntnisse veröffentlichen, jedoch sind Regierungsvertreter diesbezüglich nur selten interessiert oder kooperativ (USDOS 11.3.2020).

Die Schwerpunkte dieser Organisationen liegen eher im Bereich des sozialen Engagements, insbesondere der Bildungsarbeit und Gesundheitsversorgung der armen Landbevölkerung. Weit entwickelt sind auch Mikrokreditinstitutionen, deren Hauptzielgruppe der weibliche Teil der armen Bevölkerungsschichten ist. NGOs spielen ebenso eine wichtige Rolle für die Durchsetzung der Grundrechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen (ÖB 8.2019).

Menschenrechts-NGOs in Bangladesch üben oft harsche Kritik an der Regierung, sehen sich deswegen aber nicht generell staatlichen Repressionen ausgesetzt. Seit Ausrufung des Ausnahmezustandes kam es aber wieder zu einer Verschlechterung der Situation. Im Zuge der Anti-Korruptionskampagne der Übergangsregierung gerieten auch prominente NGO-Vertreter ins Visier der Behörden (ÖB 8.2019). Einschüchterungsversuche und einzelne Übergriffe auf Menschenrechtsverteidiger lassen Menschenrechtsorganisationen nur sehr vorsichtig vorgehen. Der Druck auf die Zivilgesellschaft durch die Regierung ist hoch (AA 27.7.2019). Menschenrechtsgruppen praktizieren Selbstzensur und Bedrohungen von Extremisten sowie eine zunehmend autoritär agierende Regierungspartei führten zu einer verminderten Stärke der Zivilgesellschaft (USDOS 11.3.2020).

Die Menschenrechtsorganisation Odhikar war von einer Schmierkampagne betroffen, in der ihr „anti-staatliche und regierungsfeindliche“ Aktivitäten und die „Verschwörung gegen das Land“ vorgeworfen wurde (FIDH 9.1.2019). Die Bangladesh Election Commission (BEC) verbot Odhikar Wahlbeobachter bei der Parlamentswahl vom 30.12.2018 einzusetzen (FIDH 9.1.2019; vgl. AI 13.12.2018). Insgesamt wurden nur etwa 26.000 Wahlbeobachter akkreditiert (FIDH 9.1.2019).

Alle aktiven NGOs müssen beim Ministry of Social Welfare registriert sein. Sowohl lokale als auch internationale Organisationen, die zu sensiblen Themen wie Menschenrechte, indigene Bevölkerung, Rohingya Flüchtlinge oder Arbeitsrecht arbeiten, sehen sich mit formellen und informellen Restriktionen konfrontiert (ÖB 8.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Durch eine Neuregelung der Regularien für die Annahme von Projektgeldern und Spenden aus dem Ausland wird die Arbeit vieler NGOs durch zusätzlichen bürokratischem Aufwand enorm erschwert (AA 27.7.2019; vgl. ÖB 8.2019; USDOS 11.3.2020, FH 2020), insbesondere für NGOs, die sich kritisch gegenüber dem Staat oder der Regierung äußern (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020). Das NGO Affairs Bureau, das für die Registrierung der NGOs und die Genehmigung der Projektanträge zuständig ist, lässt regierungskritische Menschenrechtsprojekte nur mit Einschränkungen zu (AA 27.7.2019).

Viele Menschenrechtsorganisationen lassen sich den jeweiligen politischen Lagern zuordnen. Partikularinteressen und Rivalitäten spielen im Verhältnis der Menschenrechtsverteidiger untereinander eine Rolle (AA 27.7.2019).

Frauen

Die Verfassung garantiert allen Bürgern gleiche Rechte, inklusive der Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen des staatlichen und öffentlichen Lebens. Ausnahmen bestehen aus religiösen Gründen. Das gilt beispielsweise in den Bereichen des Familienrechts. Daher hat Bangladesch die CEDAW- Konvention (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) nur mit zwei Vorbehalten ratifiziert. Fehlender Rechtsschutz in Ehe-, Scheidungs- und Sorgerechtsangelegenheiten lässt Frauen bei der Trennung häufig mittel- und obdachlos zurück (AA 27.7.2019).

Die Arbeitsmöglichkeiten haben sich für Frauen in den letzten Jahren verbessert. So stellen sie mittlerweile ca. 80 % der Arbeitskräfte in den Textilfabriken. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind jedoch oftmals prekär (AA 27.7.2019). Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza im Jahre 2013 führte der Welt vor Augen, welche Zustände in der Bekleidungsindustrie im Land herrschen (TI 1.2019). Durch den Verdienst können Frauen ihre Stellung in der Familie und den lokalen Gemeinschaften enorm verbessern. Häufig bestehen zwischen den Tätigkeiten von Männern und Frauen erhebliche Gehaltsunterschiede (AA 27.7.2019).

Glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen ist zu entnehmen, dass in der ersten Jahreshälfte 2019 ein alarmierender Anstieg der Vergewaltigungsfälle zu verzeichnen war (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat im Laufe des vergangenen Jahres (2019) stark zugenommen (ODHIKAR 8.2.2020; vgl. AI 30.1.2020). Mindestens 17.900 gemeldete Fälle von Gewalt gegen Frauen, darunter 5.400 gemeldete Fälle von Vergewaltigungen wurden registriert (AI 30.1.2020). Im September 2019 wurden 232 gemeldete Vergewaltigungsfälle aufgezeichnet - die höchste Zahl in einem einzigen Monat seit 2010 (AI 30.1.2020).

Der alarmierende Anstieg der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist zum Teil auf die vorherrschende Kultur der Straflosigkeit und das mangelnde Engagement der Regierung zurückzuführen (AI 30.1.2020). ASK, die Gesellschaft zur Unterstützung der Menschenrechte und der bangladeschische Mahila Parishad (BMP) schätzt die Zahl der zwischen Januar und Juni 2019 vergewaltigten Frauen auf 630 bis 738, also höher als 2018, in welchem gemäß Angaben von Bangladesh Mahila Parishad (BMP) insgesamt 942 Frauen vergewaltigt worden sind (USDOS 11.3.2020). Die Behörden haben es versäumt, Gesetze zum Schutz von Frauen in Fällen von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, häuslichem Missbrauch und Säureangriffen ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 8.2019; FH 2020). Insbesondere innerhalb der Familie nimmt die Frau nach wie vor eine untergeordnete Rolle ein. Die ihr garantierten Rechte können in der Praxis oft nicht gelebt werden. Oft müssen Frauen auf die Ausübung ihnen zustehender Rechte verzichten, da sie sonst mit sozialer Stigmatisierung zu rechnen haben. Besonders mangelnde Bildung und traditionelle Interpretationen des Islam machen häusliche Gewalt zu einer, vor allem in armen Bevölkerungsschichten, gesellschaftlich akzeptierten Norm. Das „Bangladesh Bureau of Statistics“ stellt in seinem Bericht „Violence Against Women Survey“ von 2015 fest, dass 26 % der verheirateten Frauen anführten, Opfer häuslicher Gewalt gewesen zu sein (ÖB 8.2019). Amnesty International berichtet von mindestens 988 Frauen und Mädchen (darunter 103 Minderjährige im Alter von sieben bis zwölf Jahren), welche nach Vergewaltigungen, versuchten Vergewaltigungen, sexuellen und körperlichen Folterungen und Säureattacken im Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten ermordet wurden (AI 30.1.2020; vgl. ODHIKAR 8.2.2020). Vergewaltigungen werden in den meisten Fällen nicht gemeldet (AA 27.7.2019); Opfern droht soziale Stigmatisierung (ODHIKAR 2019a) und häufig Belästigungen durch die Polizei (ODHIGAR 8.2.2020).

Frauen und Kinder, die Opfer von körperlichen und sexuellen Gewalttaten geworden sind, werden in Gefängnissen in sicherer Verwahrung untergebracht und können diese nur mit behördlicher Genehmigung verlassen (Nahar/Ara o.D.; siehe auch Abschnitt 13.).

Eine in Bangladesch verbreitete Form der Gewalt, insbesondere gegen Frauen aber zunehmend auch gegen Männer, sind Säureattacken (ÖB 8.2019; AA 27.7.2019, ODHIKAR 8.2.2020). Die Regierung hat mit dem „Acid Crime Prevention Act“ und dem „Acid Control Act“ spezielle Gesetze erlassen, um dagegen vorzugehen. In den extra eingerichteten Speedy-Tribunalen ist eine Freilassung auf Kaution nicht gestattet. In schweren Fällen kann die Todesstrafe verhängt werden.

Nach Angaben der „Acid Survivor Foundation“ sind diese Gerichte allerdings ineffektiv und die Verurteilungsrate ist gering (ÖB 8.2019). Die NGO ODHINKAR meldete für das Jahr 2019 insgesamt 31 Opfer von Säureangriffen (2018: 26) (ODHINKAR 2019b; vgl. ODHINKAR 8.2.2020).

Auch wenn inter-religiöse Ehen in urbanen Gebieten mittlerweile häufiger vollzogen werden, müssen Ehepartner verschiedener Konfessionen in ländlichen Regionen immer noch häufig mit familiärem Druck bis hin zur Anwendung physischer Gewalt von Familienmitgliedern oder der Dorfgemeinschaft rechnen. In ländlichen Gebieten kann es zudem zu öffentlichen Auspeitschungen „unmoralischer“ Frauen kommen, manchmal aufgrund der Fatwa eines lokalen religiösen Anführers (ÖB 8.2019).

Innerhalb Bangladeschs werden bisweilen Frauen und Mädchen aus ländlichen Gebieten in große Städte, v.a. Dhaka und Chittagong, verschleppt, wo sie sexuell ausgebeutet werden oder als Haushaltshilfen Zwangsarbeit leisten müssen. Der Handel mit Frauen und Kindern, verbunden mit sexueller Ausbeutung, wurde 2003 unter Strafe gestellt. Allerdings ist Bangladesch kein Mitglied des UN-Protokolls gegen Menschenhandel von 2000. Innerstaatlich wurde eine Strategie gegen Menschenhandel entwickelt (AA 27.7.2019).

Die Regierung unternahm nur minimale Anstrengungen zur Bekämpfung des Menschenhandels (USDOS 20.6.2020).

Es liegen keine Berichte über Genitalverstümmelungen (AA 27.7.2019), zwangsweise Abtreibungen oder Sterilisationen vor (USDOS 11.3.2020). Bangladesch hat nach wie vor eine der höchsten Kindereheraten der Welt (HRW 14.1.2020; mehr dazu in Abschnitt 18.2).

Kinder

Die Durchsetzung des Kinderschutzes ist nicht ausreichend (AA 27.7.2019). Gewalt gegen Kinder ist weit verbreitet (ÖB 8.2019; vgl. AA 27.7.2019). Die Arbeit von Minderjährigen, z.B. in Textilfabriken oder auf Baustellen und in Teegärten, ist nach wie vor weit verbreitet (AA 27.7.2019).

Der „Supression of Violence against Women and Children Act 2000“ ahndet Vergewaltigung von Frauen und Kindern, die zum Tode oder schweren Verletzungen führen, mit der Todesstrafe oder lebenslanger Haft. Ein Problem ist allerdings die niedrige Verurteilungsrate. Es wird angenommen, dass zahlreiche Opfer aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung nicht den Weg zu den staatlichen Behörden finden. Um diesem Problem zu begegnen, ermöglicht der „Women and Children Repression Prevention Act“ seit 2000 nicht-öffentliche Gerichtsverfahren „in camera“, Nichtveröffentlichung der Identität und finanzielle Kompensation des Opfers (ÖB 8.2019).

Die Opfer des Menschenhandels haben neben sexueller Ausbeutung auch Sklavenarbeit und unbezahlte Hausarbeit (oft in Verbindung mit sexuellem Missbrauch) zu erleiden. Immer wieder kommt es auch zu Entführungen – vor allem von Mädchen – die mit Zwangskonvertierung, Vergewaltigung und anderen Formen des Missbrauchs einhergehen. In weiterer Folge würden die Opfer meist auch gezwungen, die Täter zu heiraten. In die Gruppe der verletzlichsten Personen fallen insbesondere Mädchen und minderjährige Frauen, zusätzlich werden sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungsfälle in Südasien immer noch totgeschwiegen und selten der Polizei gemeldet (ÖB 9.2019). Im Jahr 2019 wurden Vergewaltigungen von 737 Mädchen unter 18 Jahren registriert (ODHIKAR 8.2.2020). Dabei spielt nicht nur das beschämende Gefühl eine Rolle, sondern das fehlende Vertrauen in die Polizei. Statistiken über Zwangsehen und Zwangskonvertierungen sind nicht vorhanden (ÖB 8.2019).

Das legale Heiratsalter in Bangladesch ist für Frauen 18, für Männer 21. Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 enthält eine Bestimmung für Eheschließungen von Frauen und Männern in jedem Lebensalter unter „besonderen Umständen“. Frühe und erzwungene Heiraten sind ein Hauptgrund, dass viele Mädchen aus der Sekundärschule ausscheiden (USDOS 20.3.2020). Bangladesch hat nach wie vor eine der höchsten Kindereheraten der Welt (HRW 14.1.2020). Gemäß einem Bericht des staatlichen Statistikamtes sind Kinderehen in Bangladesch sowohl bei Männern als auch bei Frauen weiterhin verbreitet. Gemäß statistischer Erhebungen waren Stand 2017 0,4 % der Männer in der Altersgruppe 10 bis 14 sowie 3,5 % in der Altersgruppe 15 bis 19 nicht mehr ledig. Bei den Frauen waren 0,7 % in der Altersgruppe 10 bis 14 und 23,8 % in der Altersgruppe 15 bis 19 nicht mehr ledig (BBS 6.2018).

Trotz der erklärten Absicht der Regierung, die Praxis der Kinderehen bis 2021 zu beenden, hat diese noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Es existiert weiterhin ein Gesetz, welches es Mädchen erlaubt, unter besonderen Umständen vor dem 18. Lebensjahr zu heiraten (HRW 14.1.2020). Fünf Opfer von Kinderheirat waren 2019 ebenfalls der Mitgiftgewalt ausgesetzt. Vier von ihnen wurden getötet und ein Opfer körperlich misshandelt (ODHIKAR 8.2.2020). Im Bemühen frühe und erzwungene Heiraten zu verhindern, bietet die Regierung Mädchen Stipendien für den Schulbesuch jenseits der 5. Schulstufe. Die Regierung und NGOs vermitteln Eltern über Workshops und Veranstaltungen, dass ihre Töchter mit der Eheschließung bis zum 18. Geburtstag warten sollen (USDOS 11.3.2020).

Der Besuch der Grundschule zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr ist verpflichtend und kostenlos. Dennoch sind die Kosten für Lernmaterialien für viele Eltern unerschwinglich (USDOS 11.3.2020). Etwa 74 % aller Kinder schließen die Grundschule ab (UNICEF o.D.).

Durch Fatwas motivierte Gewalt

A Supreme Court Appellate Division ruling allows the use of fatwas (religious edicts) only to settle religious matters; fatwas may not be invoked to justify punishment, nor may they supersede secular law. Islamic tradition dictates that only those religious scholars with expertise in Islamic law may declare a fatwa. Despite these restrictions village religious leaders sometimes made such declarations. The declarations resulted in extrajudicial punishments, often against women, for perceived moral transgressions.

Incidents of vigilantism against women occurred, sometimes led by religious leaders enforcing fatwas. The incidents included whipping, beating, and other forms of physical violence. In October 2015 village arbitrator Mohammad Jalal Uddin of Gazipur and his accomplices beat a woman with sticks until she was unconscious for disobeying his summons to a meeting. The woman was hospitalized for her injuries.

(Beweisquellen: US Department of State, Country Report on Human Rights Practise Bangladesh 2019, US Department of State, Country Report on Human Rights Practise Bangladesh 2015)

Fatwas und Urteile von Dorfgerichten und Streitbeilegungsinstitutionen

In Bangladesh the use of fatwas (religious edicts) is legally allowed merely for religious matters and can not supersede secular law. The Fatwas can only be issued by religious scholars with expertise in Islamic law. The use of fatwas in order to justify punishment is not permitted. Despite these restrictions, village religious leaders sometimes make such declarations, which in turn results in extrajudicial punishments, often against women, for perceived moral transgressions. In August 2016 the Ministry of Local Government, Rural Development, and Cooperatives ordered district commissioners to mandate local councils to prevent extrajudicial punishments in their areas. Nevertheless, incidents against women, inspired by fatwas issued by religious leaders, still occur. The incidents include whipping, beating, and other forms of physical violence. ASK reported 12 incidents of abuse following fatwas and shalish rulings during 2016.

XXXX .

(Beweisquelle: EASO Country of Origin Information Report Bangladesh Country Overview, Dezember 2017)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und den Lebensverhältnissen in Bangladesch (oben 1.1-1.2)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Die übermittelte im Beschwerdeverfahren eine Kopie ihrer National ID-Card vor und wies diese in der mündlichen Verhandlung im Original vor; Zweifel an deren Echtheit kamen nicht hervor. Ihre Identität steht somit fest.

Ihre Ausführungen zu ihrer Schulbildung sowie zu den allgemeinen Lebensverhältnissen ihrer Familienangehörigen in Bangladesch waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei und decken sich auch im Wesentlichen mit ihren diesbezüglichen Schilderungen vor dem BFA, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

2.2 Zu ihren Lebensverhältnissen in Österreich (1.3)

Ihre Angaben zu ihrem Aufenthalt in Österreich und zu seiner aktuellen Lebenssituation, erwiesen sich in der mündlichen Verhandlung als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihr vorgelegten Bescheinigungen (Dienstvertrag, ÖSD-Zertifikat, Heiratsurkunde) belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (IZR, ZMR, GVS, Strafregister).

2.3 Zum Ausreisegrund (oben 1.4)

Bereits das BFA hat als glaubhaft festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zunächst als XXXX gearbeitet hat (Bescheid, S 13), was von der Beschwerdeführerin auch durch die Vorlage entsprechender Unterlagen, die mit ihrem Vorbringen in Einklang stehen, belegt wurde (AS 31 ff).

Das BFA erachtete jedoch im angefochtenen Bescheid die vorgebrachten Übergriffe als nicht glaubhaft und begründete dies damit, dass die Beschwerdeführerin nicht erwähnt habe, ihrem Arbeitgeber die Vorfälle gemeldet zu haben und sie dies wohl ihrem Arbeitgeber gemeldet hätte, wenn es jene Drohungen und Übergriffe gegeben habe. Das BFA folgerte zudem, dass es ihr Vorgesetzter nicht lediglich bei dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Empfehlungsschreiben vom 03.11.2016 belassen hätte, sondern eine entsprechende Darstellung der Vorkommnisse übermittelt hätte (Bescheid, S 53/54). Entgegen diesem Vorhalt des BFA ergibt sich jedoch aus den im Verfahrensakt des BFA befindlichen Dokumenten, dass die Beschwerdeführer im ihren Arbeitgeber sehr wohl über die Drohungen informiert hat (AS 35) und auch der Vorgesetzte im Empfehlungsschreiben vom 03.11.2016 festhielt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund XXXX das Land zum Schutze ihrer eigenen Sicherheit verlassen habe (AS 37). Der Vorwurf des BFA erweist sich somit als unberechtigt.

Die Beschwerdeführerin erstattete von Beginn an und während der gesamten Verfahrensdauer ein kohärentes, im Wesentlichen auch widerspruchsfreies, jedoch nicht gleichlautendes Vorbringen, sodass ein einstudierter Vortrag auszuschließen ist (NS 02.11.2016 S 8-10; VS 15.07.2020 S 11 ff). Bereits in ihrer Erstbefragung brachte sie vor, XXXX (VS 15.07.2020, S 11). Das BFA begründet im angefochtenen Bescheid die Unglaubhaftigkeit der Verfolgung und der vorgebrachten erfolglosen Anzeigen bei der Polizei auch damit, dass die Beschwerdeführerin nach einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation jedenfalls eine Anzeigenerstattung erhalten hätte müssen, wenn sie eine solche tatsächlich erstattet hätte, und ihr zudem ihre eigene NGO durch deren Verbindungen zur Polizei und Behörden aufgrund eines Kooperationsprojektes (Bescheid, S 55/56) helfen hätte können. Demgegenüber ergibt sich jedoch aus den Länderfeststellungen (oben 1.5, Thema Sicherheitslage), dass von nicht-staatlichen Akteuren wie insbesondere Islamisten nach wie vor in vielen Fällen Gewalt ausgeht, die öffentliche Sicherheit fragil ist, das staatliche Gewaltmonopol durchbrochen wird und es häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten und eine Aufklärung selten erfolgt. Und zu den Sicherheitsbehörden ergibt sich aus den Länderfeststellungen (oben 1.5, Thema Sicherheitsbehörden), dass das Wirken der Polizei durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption gekennzeichnet ist. Schließen ergibt sich aus den Länderfeststellungen auch eine erhebliche Geringschätzung von Frauen und deren Rechten in Bangladesch (oben 1.5.). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin steht daher im Einklang mit den Länderfeststellungen, erweist sich demnach auch als schlüssig und lebensnah und ist daher glaubhaft.

XXXX (VS 15.07.2020, 11 f) Die Beschwerdeführerin erstattete auch in der mündlichen Verhandlung insgesamt ein ausführlich detailliertes, widerspruchsfreies und konsistentes Vorbringen, das sich im Wesentlichen mit ihrem bisherigen Vorbringen deckt, und das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher auch aufgrund des persönlich erlangten Eindrucks in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen glaubhaft ist, zumal sich dieses zudem insbesondere mit den Länderfeststellungen zur Einstellung und XXXX in Einklang bringen lässt.

2.4 Zur Lage in Bangladesch (oben 1.5)

Die Feststellungen zur Lage in Bangladesch ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Mai 2020. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Bangladesch Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch die Beschwerdeführerin ist den mit Parteiengehör vom 08.06.2020 (OZ 14) in das Verfahren eingeführten Quellen nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zum Status einer Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

3.2 Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.3 Gemäß Artikel 10 Abs 1 lit e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.4 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt droht im vorliegenden Fall der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund XXXX aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in ihre persönliche Sphäre, zumal die Beschwerdeführerin vorverfolgt ihre Heimat verlassen musste und sie bereits in exzeptioneller Weise ins Blickfeld von Extremisten geraten ist (zur Asylrelevanz einer Verfolgung wegen einer gesellschaftspolitischen Einstellung vgl bspw VwGH 27.01.2015, Ra 2014/19/0085 betreffen die Tätigkeit als Lehrer an einer Mädchenschule).

Würde die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr ihre Arbeit fortsetzen, würde ihr neuerlich mit maßgebliche Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Verfolgung drohen, vor der sie keinen effektiven Schutz erhalten würde, da sich aus den Länderfeststellungen (oben 1.5, Thema Sicherheitslage) zeigt, dass von nicht-staatlichen Akteuren wie insbesondere Islamisten – im ganzen Land – nach wie vor in vielen Fällen Gewalt ausgeht, die öffentliche Sicherheit fragil ist, das staatliche Gewaltmonopol durchbrochen wird und es häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten kommt und eine Aufklärung selten erfolgt. Und zu den Sicherheitsbehörden ergibt sich aus den Länderfeststellungen (oben 1.5, Thema Sicherheitsbehörden), dass das Wirken der Polizei durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption gekennzeichnet ist. Der Beschwerdeführerin ist XXXX zu unterdrücken, nur um einer neuerlichen Verfolgung zu entgehen, genauso wie es auch einer Person unzumutbar ist, das Ausleben ihrer religiösen Überzeugung zu unterdrücken (vgl dazu EuGH vom 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11).

3.5. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.6. Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gegeben.

3.7. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.8. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 4 AsylG damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Revision

3.9. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung geklärt ist.

3.10. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Drohungen Flüchtlingseigenschaft politische Aktivität politische Gesinnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2144577.1.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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