TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/29 W215 2200696-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2020
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Entscheidungsdatum

29.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W215 2200696-2/2E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2020, Zahl 1100650902-200442189, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. wird wegen entschiedener Sache als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. wird gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019 und § 55 Abs. 1a FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, stattgegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. erster Antrag auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet und stellte 29.12.2015 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich der Erstbefragung am selben Tag gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Leben und die Leben seiner Familie in Gefahr seien, weil Taliban ihre Gegend erobern hätten wollen. Diese seien keine guten Menschen, hätten Menschen getötet und sie hätten das Land verlassen müssen.

Der Beschwerdeführer wurde am 25.04.2018 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab zusammengefasst an, dass er der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und Moslem sei. Der Beschwerdeführer sei in XXXX , geboren und habe dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gelebt. Er habe sechs Jahre lang die Schule besucht und habe auf der familieneigenen Landwirtschaft ausgeholfen. Seine Eltern und seine Schwester habe er an der iranisch-türkischen Grenze verloren. Er wisse nicht, wo sich diese aufhalten. Sonst habe er niemanden in Afghanistan. Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer an, dass es im XXXX immer Kämpfe zwischen den Taliban und der Polizei gegeben habe. Die Taliban hätten dort Leute als Geiseln genommen und getötet oder geköpft. Sie hätten alle Daten der Leute, die dort lebten. Wenn der Beschwerdeführer erwachsen gewesen wäre, hätten die Taliban ihn auch mitgenommen. Er sei noch klein gewesen und deswegen habe sein Vater entschieden, dass sie Afghanistan verlassen sollten. Drei bis vier Monate vor ihrer Ausreise hätten die Kämpfe zwischen der Polizei und den Taliban stark zugenommen. Es habe keinen konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, Vorfall gegeben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2018, Zahl 1100650902-152072680, wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit vierzehn Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI).

Nach einer fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde, fand am 22.11.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters statt. Danach wurde mit Erkenntnis vom 08.01.2020, Zahl W276 2200697-1/13E, die Beschwerde abgewiesen und eine Revision dagegen gemäß Art. 133 Abs. 4 BV-G für nicht zulässig erklärt. Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde zusammengefasst, nach ausführlicher Beweiswürdigung (Seiten 20 bis 33), festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der XXXX geboren wurde und dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gelebt hat. Er hat sechs Jahre lang die Schule besucht. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt ein Haus und eine eigene Landwirtschaft, auf welcher der Beschwerdeführer ausgeholfen hat. Sein Vater hat in der Landwirtschaft und als XXXX gearbeitet. Auch die Mutter des Beschwerdeführers hat auf den Feldern ausgeholfen. Der Aufenthaltsort der Eltern und der jüngeren Schwester des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Es kann ebenso wenig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seit seiner Ausreise aus Afghanistan keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hatte. In Afghanistan leben zwei Cousins und drei verheiratete Cousinen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer kann den Kontakt zu ihnen über seinen Cousin väterlicherseits herstellen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Weigerung sich den Taliban anzuschließen oder gegen sie zu kämpfen, einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Teilnahme seines Vaters an Kämpfen gegen die Taliban einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre. Zudem kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Bedrohung seines Cousins väterlicherseits und dessen Familie durch die Taliban, einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre.

Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner Rückkehr aus Europa und wegen seiner Lebensführung keine konkrete und individuelle physische oder psychische Gewalt in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer befindet sich spätestens seit 29.12.2015 durchgehend im Bundesgebiet und ist illegal eingereist. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer hat episodische Migräne. Er stand schon in Afghanistan wegen seiner Kopfschmerzen in Behandlung. Er nimmt XXXX gegen die Schmerzen. Der Fokus seiner medizinischen Behandlung liegt aber auf nichtmedikamentösen Maßnahmen. Ansonsten geht es dem Beschwerdeführer gesundheitlich gut. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig. Er lebt derzeit von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen und ist somit nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat eine, durch die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bedingte, Einstellungszusage eines Unternehmens. Der Beschwerdeführer hat im Schuljahr XXXX den Lehrgang XXXX für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch besucht. Er hat das ÖSD-Zertifikat für das Sprachniveau A1 und A2 gut bestanden. Er hat sich bereits gute Deutschkenntnisse angeeignet. Derzeit besucht er den Lehrgang „Pflichtschulabschluss nachholen“ beim XXXX . Die ersten beiden Teilprüfungen „Gesundheit und Soziales“ sowie „Natur und Technik“ hat er bereits positiv absolviert. Er hat auch an einer Exkursion zur Messe für Jugend und Beruf teilgenommen. Er hat beim Bauhof gemeinnützige Arbeiten für seine Wohnsitzgemeinde verrichtet. Er verbringt seine Freizeit im Jugendzentrum, wo er Billard und Fußball spielt sowie sich auch bei Workshops anlässlich des Weltflüchtlingstages engagiert hat. Er war als freiwilliger Helfer bei der Eröffnung eines Hofladens eines Vereins im Einsatz. Er ist Mitglied in einem Boxverein, wo er zwei- bis dreimal pro Woche trainiert und sich im Team engagiert. Er hat freundschaftliche Kontakte zu seinen Mitschülern und den Jugendarbeitern des Jugendzentrums geknüpft. Der Cousin des Beschwerdeführers väterlicherseits, dessen Ehefrau und dessen vier Kinder leben als Asylberechtigte in Österreich. Seine Tante väterlicherseits hat den Status einer subsidiär Schutzberechtigten. Er ist von ihnen weder finanziell noch in sonstiger Weise abhängig.

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz XXXX reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen. Ihm steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Mazar-e-Sharif oder Herat kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e-Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Weiters wird - auszugsweise – wörtlich aufgeführt:

„…II.3.2.1. Zur Bedrohung durch die Taliban

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, kommt dem Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen (Bedrohung durch die Taliban aufgrund der Weigerung, sich ihnen anzuschließen oder gegen sie zu kämpfen, der Teilnahme seines Vaters an Kämpfen gegen sie sowie der Bedrohung seines Cousins väterlicherseits und dessen Familie durch sie) keine Glaubwürdigkeit zu, bzw. war das Vorbringen auch nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass aus den Länderfeststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des XXXX eine Präsenz von Aufständischen, darunter auch Taliban, in bestimmten Gegenden nicht auszuschließen ist. Eine Verfolgungsgefahr ist nämlich nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (zB VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132). Der BF hat eine persönliche Bedrohung durch die Taliban vor seiner Ausreise aus Afghanistan ausdrücklich verneint und konnte auch keine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seines Vaters oder seines Cousins väterlicherseits glaubhaft machen.

Daher droht dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seinen Herkunftsort keine Verfolgung des BF durch Aufständische, insbesondere die Taliban, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.

II.3.2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich der dem BF nicht drohenden Gewalt auf Grund seines Aufenthalts in Europa ist Folgendes auszuführen:

Der BF hat eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung aufgrund seines Aufenthaltes in Europa nicht glaubhaft gemacht (siehe Punkt II.2.2.2.).

Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige „Gruppenverfolgung“ kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

Aus den oben angeführten Länderberichten kann zwar abgeleitet werden, dass Afghanen, die längere Zeit in Europa verbracht haben Misstrauen entgegengebracht wird. Es mag auch Einzelfälle geben, in denen Rückkehrer von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein und der Spionage verdächtigt werden. Diese Diskriminierungen und Angriffe erreichen jedoch nach Ansicht des BVwG nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus Europa ausgehen zu können.

Im Übrigen ist ihm entgegen zu halten, dass aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar ist, dass eine „westliche“ Geisteshaltung bei Männern alleine bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (so etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch der VwGH verneint in seiner Judikatur eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum „selbstbestimmten westlichen Lebensstil“ von Frauen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

II.3.2.3. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den BF kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur des VwGH nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798, sowie VwGH vom 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.

II.3.2.4. Insgesamt ist es daher dem BF nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 aus den aufgezeigten Gründen abzuweisen.

[…]

II.3.3.2. Zur Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz im Fall des BF

Gemäß den getroffenen Feststellungen zur Herkunftsprovinz des BF ( XXXX ) hat sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten verschlechtert. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen. Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führte. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 224 zivile Opfer (88 Tote und 136 Verletzte) in der Provinz XXXX . Dies entspricht einer Steigerung von 170% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Selbstmordanschlägen und Sprengstoffanschlägen, weshalb dem BF eine Rückkehr in seinen Heimatort im Entscheidungszeitpunkt nicht zugemutet werden kann. Dem BF steht jedoch vor dem Hintergrund der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan und der angeführten Länderberichte in Zusammenschau mit den festgestellten persönlichen Lebensumständen des BF eine Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) in den Städten Mazar-e-Scharif oder Herat zur Verfügung.

Die folgende Prüfung einer IFA für den BF erfolgt anhand der kursiv wiedergegebenen Prüfkriterien des Leitfadens zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan der UNHCR-Österreich vom November 2018 (im Folgenden „UNHCR IFA Leitfaden“), soweit diese Kriterien für den BF relevant sind. Der UNHCR IFA Leitfaden fasst die Kriterien der UNHCR RL 2018 für die Analyse, ob in einem Fall an einem bestimmten Ort eine IFA vorliegt zusammen. Inhaltlich erfolgt die Prüfung der IFA anhand der in den Feststellungen zitierten Länderinformationen:

-        Gibt es einen bestimmten Ort, der für den BF als IFA in Frage kommt?

Als IFA kommen nach Ansicht des BVwG die Städte Mazar-e-Sharif und Herat in Betracht.

-        Steht das IFA-Gebiet unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften?

Mazar-e-Sharif und Herat stehen nach den vorliegenden Länderinformationen nicht unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, in der Region Fuß zu fassen.

-        Ist das IFA-Gebiet von aktiven Kampfhandlungen betroffen?

Mazar-e Sharif: Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Provinz Balkh, und insbesondere die Stadt Mazar-e Sharif, als eine jener Gebiete definiert, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist – bloß aufgrund seiner Anwesenheit – ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

Herat: Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen abgelegenen Distrikten der Provinz, wie Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol, aktiv (LIB).

In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Stadt Herat ebenfalls als eines der Gebiete aufgezählt, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist – bloß aufgrund seiner Anwesenheit – ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Herat nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

-        Droht im IFA-Gebiet eine neue Verfolgung oder ein anderer schwerer Schaden?

Mazar-e Sharif: Wie dargestellt, ist die Sicherheitslage in der Provinz Balkh und konkret in Mazar-e-Sharif derzeit als stabil und ruhig zu bezeichnen. Auf Basis der vorliegenden Staateninformationen ist nicht davon auszugehen, dass dem BF in Mazar-e-Sharif eine Verfolgung (eine solche konnte unter Punkt II.3.2. nicht festgestellt werden) oder ein anderer schwerer Schaden droht.

Dabei wird nicht verkannt, dass nach vorliegenden Länderinformationen Terroranschläge insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, auch in Mazar-e-Sharif nicht auszuschließen sind. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in Mazar-e-Sharif verzeichneten Anschläge ereignen sich – wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt – hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Mazar-e-Sharif nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

Herat: Wie festgestellt, wird Herat als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz aktiv. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Die Stadt Herat ist derzeit als ruhig und stabil zu bezeichnen. Auf Basis der vorliegenden Länderinformationen, insbesondere im Hinblick auf die EASO Leitlinien 2019 ist nicht davon auszugehen, dass dem BF in Herat eine neue Verfolgung oder ein anderer schwerer Schaden droht. Die Stadt Herat wird in den EASO Leitlinien 2019 als einer der Städte bzw. Provinzen angeführt, in denen willkürliche auf so niedrigem Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein echtes Risiko für eine Zivilperson besteht (EASO Leitlinien 2019, S. 29).

-        Ist das IFA-Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg zu erreichen?

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist. Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Leitlinien 2019, S. 130), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher.

Herat hat einen Flughafen, der 10 km von der Stadt entfernt ist und von Kabul aus auf diesem Weg sicher zu erreichen ist.

-        Wie sind die persönlichen Umstände des BF?

Wie festgestellt wurde, ist der BF ledig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Zudem spricht der BF eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau. Er hat sechs Jahre lang die Schule besucht und nebenbei seinem Vater auf der familieneigenen Landwirtschaft ausgeholfen. Er ist in Afghanistan geboren und hat bis zu seiner Ausreise dort gelebt. Daher ist er mit den sozialen Normen und Gepflogenheiten des Landes vertraut.

Zwar hat der BF episodische Migräne. Allerdings stand er schon in Afghanistan wegen seiner Kopfschmerzen in Behandlung. Er nimmt NSAR gegen die Schmerzen. Der Fokus seiner medizinischen Behandlung liegt aber auf nichtmedikamentösen Maßnahmen. Ansonsten geht es dem BF gesundheitlich gut. Der BF ist, wie bereits ausgeführt wurde arbeitsfähig, weshalb eine Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzlich vorausgesetzt werden kann. Auf Grund dieser Erfahrungen ist vor dem Hintergrund der sonstigen Umstände des BF (Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit) davon auszugehen, dass er sich bei einer Neuansiedelung in Mazar-e-Sharif oder Herat in gleicher Weise wie andere Rückkehrer in der gleichen Situation zurechtfinden wird. Insbesondere ist auch nicht hervorgekommen, dass sich der BF bei Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat häufig an den oben angegebenen – mit höherer Wahrscheinlichkeit von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente betroffenen – Orten aufhalten wird.

Wird der BF im IFA-Gebiet auf Dauer in Sicherheit leben können?

Auf Grund der anhaltenden Stabilität in der Region Balkh und der dargestellten grundsätzlich ruhigen Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif, sowie auch in der Stadt Herat, ist davon auszugehen, dass der BF in Mazar-e-Sharif oder Herat trotz der Schwankungen der allgemeinen Sicherheitslage auf Grund des bewaffneten Konflikts auch auf Dauer sicher wird leben können. Insbesondere sind beim BF keine individuellen Umstände hervorgekommen, die gegen diese Einschätzung sprechen.

-        Werden die grundlegenden Menschenrechte im IFA-Gebiet geachtet?

Es ergeben sich aus den Länderberichten keine Hinweise darauf, dass die für den BF persönlich wichtigen, grundlegenden Menschenrechte in Mazar-e-Sharif oder Herat nicht geachtet werden.

-        Kann der BF im IFA-Gebiet wirtschaftlich überleben?

Da der BF arbeitsfähig ist, spricht nichts dagegen, dass der BF in Mazar-e-Sharif oder Herat durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten auch entsprechend seiner Vorerfahrung seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Nach den vorliegenden Länderberichten besteht Bedarf am Arbeitsmarkt überwiegend in Hinblick auf manuelle Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018).

Insgesamt ist festzuhalten, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer auch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat schwierig sind. Der Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ist jedoch gegeben. Die Arbeitslosigkeit ist zwar hoch, jedoch wäre nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass ganz generell nicht die Grundlage bzw. (Lebens-) Bedingungen an sich für die – in weiterer Folge, wie nachstehend auch erwogen, dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig – Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines – auch der übrigen dortigen Bevölkerung entsprechenden – angemessenen Lebensstandards vorhanden wären (s. dazu auch EASO Leitlinien 2019, S. 34, Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31).

Es wird dabei nicht verkannt, dass die Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie die wirtschaftlichen Lebensumstände bei einer Neuansiedelung für den BF schwierig sein können. Dies ist aber für sich betrachtet nicht ausreichend, um eine IFA in einem bestimmten Gebiet zu verneinen (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0411).

-        Hat der BF Zugang zu einer Unterkunft?

Mazar-e Sharif: Die Wohnsituation in der Stadt Mazar-e-Sharif ist angespannt. Es stehen nach den Länderinformationen aber ausreichende (wenn auch einfache) Unterkünfte zur Verfügung. Insbesondere kann – wie dies Landinfo im EASO-Bericht Netzwerke Januar 2018 aufzeigte – anstelle einer ganzen Wohnung ein einzelnes (und damit gegenüber einem ganzen Apartment deutlich günstigeres) Zimmer gemietet werden, z.B. vorübergehend in einem „Teehaus“ („tea house“). Es ist zu berücksichtigen, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine einzelne Person eine ganze Wohnung für sich mieten müsste. So könnte auch eine Wohnung von mehreren Personen/Rückkehren, jedenfalls für eine Übergangszeit, geteilt werden, was die Mietkosten (erheblich) senken würde.

Herat: Da Stämme in Herat weniger Rolle spielen, ist es für MigrantInnen leichter, sich dort niederzulassen. Aufgrund der Dürre im Herbst 2018 zogen zusätzlich 60.000 Personen aus dem Umland in die Stadt Herat. Zudem besteht für den BF auch in Herat die Möglichkeit vorübergehend in einem „Teehaus“ („tea house“) zu wohnen (EASO Leitlinien 2019, S. 132-133).

-        Ist grundlegende Versorgung und Infrastruktur verfügbar?

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in diesen Städten dennoch zumindest grundlegend gesichert.

Die grundsätzliche Versorgung mit Gütern wird nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen – s. dazu auch die Hinweise der UNHCR RL 2018 S. 111 – auch nicht durch eine auch die Provinzen Balkh und Herat betreffende Trockenperiode (Dürre) beeinträchtigt. Dies ist auch der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur „Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre“ vom 13.09.2018 zu entnehmen. In dieser wird zwar festgehalten, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im Umland von Mazar-e Sharif kommt, allerdings – ansonsten kann im Hinblick auf eine Großstadt von entsprechenden Berichten bzw. Hinweisen ausgegangen werden – nicht in der Stadt selbst.

Aufgrund der Dürre fiel die Getreideernte in Afghanistan im Jahr 2018 deutlich geringer aus als in den vorangegangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

Und auch die Löhne für Gelegenheitsarbeit lagen in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 über dem Fünfjahresdurchschnitt.

Die Nahrungsmittelversorgung ist aufgrund der Dürre im Jahr 2018 in der Stadt Herat schwieriger als in Mazar-e Sharif. Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“, jedoch trotz der angespannten Lage grundsätzlich sichergestellt.

Bezogen auf den Gesundheitszustand des BF ist es auch möglich – zu der Gesundheitsversorgung siehe die Erwägungen unten unter Pkt. II.3.3.3. – in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine medizinische Einrichtung bei Bedarf in Anspruch zu nehmen: Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass in Mazar-e Sharif und in Herat sowohl Zugang zu medizinischen Einrichtungen als auch zu Medikamenten besteht. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste umsonst an, Medikamente sind zumindest in privaten Apotheken verfügbar. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine angemessene Behandlung in seinem Herkunftsland nicht zur Verfügung steht oder ihm eine solche absichtlich verweigert werden würde.

-        Sind Lebensgrundlagen bzw. erwiesene und nachhaltige Unterstützung vorhanden?

Der BF kann sich – möglicherweise nach Anfangsschwierigkeiten – durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten eine Lebensgrundlage schaffen. Es kamen im Verfahren keine Umstände hervor, die darauf schließen lassen, dass der BF nicht in der Lage wäre, für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen, wie dies auch andere in Mazar-e Sharif oder Herat ansässige Personen tun können.

Der BF kann nach den vorliegenden Länderinformationen sowohl staatliche als auch NGO-Hilfe für Rückkehrer nach Afghanistan in Anspruch nehmen und damit die Grundlage für sein weiteres Leben in Mazar-e Sharif oder Herat schaffen.

-        Besteht Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk?

In Afghanistan leben zwei Cousins und drei verheiratete Cousinen des BF. Er kann den Kontakt zu ihnen über seinen Cousin väterlicherseits herstellen. Es ist angesichts der ausgeprägten Familienkultur in afghanischen Gesellschaften davon auszugehen, dass seine Cousins und Cousinen den BF im Fall einer Neuansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat anfangs – zumindest nach Kräften – finanziell, in Form von Geldtransfers, unterstützen würden. Eine räumliche Trennung steht dem nicht entgegen. Darüber hinaus besitzt die Familie des BF ein Haus und eine eigene Landwirtschaft im Heimatdorf. Aus der Verpachtung oder dem Verkauf des landwirtschaftlichen Grundstücks kann der BF Einnahmen lukrieren. Davon abgesehen kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mazar-e Sharif oder Herat das Auslangen finden.

Im Ergebnis wird mit dem Hinweis auf die schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche und in wirtschaftlicher Hinsicht keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und damit keine Verletzung von Art 3 EMRK dargetan. Das Faktum, dass der BF nicht über hinlängliche Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Mazar-e-Sharif und Herat verfügt, reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus (vgl. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017-7; VwGH 26.07.2017, Ra 2017(01/0016).

Somit steht dem BF nach Ansicht des BVwG eine IFA in Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung, auf die er entsprechend den Anforderungen der UNHCR RL 2018 sowie den Kriterien der EASO Leitlinien 2019 in zumutbarer Weise verwiesen werden kann.

III.3.3.3. Im Hinblick auf die geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigung des BF ist zunächst zu erwägen, dass nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung ein Fremder im Allgemeinen kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. dazu VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, Rz. 20, sowie das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz. 189 ff).

Den o.a. Länderfeststellungen ist zwar zu entnehmen, dass die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt ist, jedoch ist die medizinische Versorgung und der Zugang zu Medikamenten – insbesondere in urbanen Städten – grundsätzlich gegeben.

In Mazar-e Sharif gibt es sowohl private als auch öffentliche Krankenanstalten. Es existieren zusätzlich etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken. In Herat gibt es das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt, dass für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste anbietet. Außerdem verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken (siehe unter Punkt II.2.3.).

Aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Befunden (siehe unter Punkt II.2.3.) und den darauf aufbauenden Feststellungen ergeben sich betreffend den BF im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls keine Hinweise auf eine schwerwiegende bzw. lebensbedrohliche Erkrankung.

Dass der BF eine spezielle Behandlung oder Medikamente benötige, die in Afghanistan nicht verfügbar seien, hat er nicht vorgebracht. Er stand wegen seiner Kopfschmerzen bereits in Afghanistan in ärztlicher Behandlung. Er nimmt zwar Schmerzmedikamente, steht abgesehen davon aber nicht in regelmäßiger medizinischer Behandlung. Der Fokus liegt auf nichtmedikamentösen Maßnahmen, wie Bewegung und Entspannungsübungen. Es geht ihm ansonsten gesundheitlich gut. Er ist trotz seiner Kopfschmerzen nicht wesentlich in seiner Lebensführung beeinträchtigt und ist in der Lage den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen (siehe unter Punkt II.2.3.).

Nach den Länderfeststellungen findet die medizinische und psychiatrische Versorgung in Afghanistan grundsätzlich statt und ist der Zugang zu Medikamenten grundsätzlich gegeben, wenn gleich die Medikamente nicht gleichwertig und schwerer zugänglich sind. Der BF kann jedoch auf familiäre (finanzielle) Unterstützung zurückgreifen und bei Bedarf eine medizinische Behandlung in Mazar-e Sharif oder Herat in Anspruch nehmen. Er kann auch aus der Verpachtung oder dem Verkauf des familieneigenen landwirtschaftlichen Grundstücks Einnahmen lukrieren. Zudem stehen grundsätzlich Rückkehrhilfen zur Verfügung. Dass dem BF in Afghanistan der Zugang zu effektiver ärztlicher Versorgung verwehrt wäre, ist auszuschließen und sie ist für ihn innerhalb von Mazar-e Sharif oder Herat auch erreichbar. Selbst wenn eine grundsätzlich verfügbare Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, so führt ein solcher Umstand im Falle seines Vorliegens vor dem Hintergrund der oben angeführten Judikatur zu keinem anderen Ergebnis für den BF. Bei den dargestellten Erkrankungen liegt außerdem aus Sicht des erkennenden Gerichts kein akut lebensbedrohlicher Krankheitszustand vor bzw. wäre im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist. Die Rückverbringung des BF nach Afghanistan steht daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb dem BF nach den genannten Bestimmungen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen ist.

Die reale Gefahr, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, kann somit nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, sind ebenfalls nicht erkennbar, weswegen die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ebenfalls abzuweisen war.

II.3.4. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides – Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG:

[…]

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen.

II.3.5. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides – Zur Rückkehrentscheidung:

[…]

II.3.5.1.1. Zum Familienleben

[…]

Der Cousin des BF, dessen Ehefrau und dessen vier Kinder leben als Asylberechtigte in Österreich. Seine Tante väterlicherseits hat den Status einer subsidiär Schutzberechtigten. Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung, eine finanzielle Abhängigkeit zwischen ihm und seinen Familienangehörigen konnte nicht festgestellt werden. Auch eine sonstige Abhängigkeit zwischen ihnen ist nicht hervorgekommen. Der BF behauptete außerdem keine gemeinsamen Aktivitäten mit seinen Familienangehörigen, die auf ein besonderes schützenswertes persönliches Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis schließen lassen. Dass der BF mit seinen Familienangehörigen in persönlichem Kontakt steht und seine Tante ihn zur Beschwerdeverhandlung begleitet hat, begründet eine über die Verwandtschaft hinausgehende engere Bindung zwischen ihnen, die die von der Judikatur geforderte besondere Intensität aufweist, nicht. Daher bedeutet ein Eingriff in diese verwandtschaftliche Beziehung, keine Verletzung des Rechtes auf Familienleben iSd. Art. 8 EMRK. Eine iSd.
Art. 8 EMRK schützenswerte familiäre Bande besteht mit den im Bundesgebiet aufhältigen Brüdern nicht.

II.3.5.1.2. Zum Privatleben

[…]

Im gegenständlichen Fall ist der BF unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er hält sich seit seiner Antragstellung am 29.12.2015, somit seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet auf. Der bisherige Aufenthalt des BF in Österreich ist ausschließlich auf seinen Antrag auf internationalen Schutz gestützt, wodurch er nie über ein Aufenthaltsrecht abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund seiner Anträge auf internationalen Schutz, verfügt hat. Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ scheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09).

Der BF hat im Schuljahr XXXX den Lehrgang XXXX mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch besucht. Er hat das ÖSD-Zertifikat für das Sprachniveau A1 und A2 gut bestanden. Er hat sich bereits gute Deutschkenntnisse angeeignet. Derzeit besucht er den Lehrgang „Pflichtschulabschluss nachholen“ beim XXXX . Die ersten beiden Teilprüfungen „Gesundheit und Soziales“ sowie „Natur und Technik“ hat er bereits positiv absolviert. Er hat auch an einer Exkursion zur Messe für Jugend und Beruf teilgenommen. Er hat gemeinnützige Arbeiten für seine Wohnsitzgemeinde beim Bauhof verrichtet. Er verbringt seine Freizeit im Jugendzentrum, wo er Billard und Fußball spielt sowie sich auch bei Workshops anlässlich des Weltflüchtlingstages engagiert hat. Er war als freiwilliger Helfer bei der Eröffnung eines Hofladens eines Vereins im Einsatz. Er ist Mitglied in einem Boxverein, wo er zwei- bis dreimal pro Woche trainiert und sich im Team engagiert. Er hat freundschaftliche Kontakte zu seinen Mitschülern und den Jugendarbeitern des Jugendzentrums geknüpft.

Der BF geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern bezieht die staatliche Grundversorgung. Er hat eine, durch die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bedingte, Einstellungszusage eines Unternehmens. In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach selbst der Ausübung einer Beschäftigung sowie eine etwaige Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt, keine wesentliche Bedeutung zukommen (VwGH 22.02.2011/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/016; 29.06.2010, 2010/18/0195, mwN). Dabei kommt es nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob dem Betroffenen ein „Vorwurf“ im Hinblick auf eine unterlassene Integration am Arbeitsmarkt zu machen ist, sondern darauf, ob sie ihm gelungen ist oder nicht (VwGH 19.04.2012, 2010/21/0242).

Der BF ist nie selbsterhaltungsfähig gewesen. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF vor diesem Hintergrund nicht gelungen. Insgesamt ist nicht von einer besonderen, im Entscheidungszeitpunkt berücksichtigungswürdigen Integration des BF auszugehen.

Die – nicht schwerwiegende und nicht lebensbedrohliche – Erkrankung des BF begründet kein berücksichtigungswürdiges Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet (vgl VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005). In Österreich wird seine episodische Migräne medikamentös behandelt. Er stand schon in Afghanistan wegen seiner Kopfschmerzen in Behandlung. In Mazar-e Sharif und in Herat besteht sowohl Zugang zu medizinischen Einrichtungen als auch zu Medikamenten. Er leidet an keiner sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankung.

Auch ein Vergleich seiner Lebensumstände im Herkunftsstaat zeigt keine unzumutbaren Härten auf. Bei dem BF handelt es sich um einen volljährigen Mann, welcher an keinen sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankungen leidet. Der BF verbrachte den Großteil seines Lebens in seiner Herkunftsprovinz XXXX . Er ist nach den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sozialisiert. Er hat sechs Jahre lang die Schule besucht und nebenbei auf der familieneigenen Landwirtschaft ausgeholfen. Vor dem Hintergrund seiner individuellen Umstände sind keine Gründe erkennbar, welche einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat und eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts entgegenstehen würden.

Der BF spricht außerdem Dari als Muttersprache. Die Kenntnis einer Sprache des Herkunftsstaats ist – im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse – ein bedeutsamer Umstand (vgl. EGMR 26.03.1993, Beldjoudi vs. France, Nr. 12083/86). Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188).

Schließlich ist der Zeitraum des Aufenthalts des BF mit etwa vier Jahren im Sinne der Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen als eher kurz zu werten.

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seiner privaten Kontakte ist dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der BF durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des BF am Verbleib in Österreich.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

II.3.5.2. Zum Aufenthaltstitel plus gemäß § 55 Abs 1 AsylG

[…]

Obigen Erwägungen zufolge sind daher auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor. Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Der BF hat weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen, noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. als unbegründet abzuweisen

II.3.6. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides – Zulässigkeit der Abschiebung:

[…]

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG auf Grund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneint (siehe Punkt II.3.3.2.).

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint (siehe Punkt. II.3.2.1.).

Die Abschiebung ist nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

Die Abschiebung des BF nach Afghanistan ist daher zulässig. Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt V. als unbegründet abzuweisen.

II.3.7. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides – Ausreisefrist:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt VI. als unbegründet abzuweisen ...“

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 04.03.2020, Ra 2020/18/0065-5, wurde eine vom Rechtsanwalt des Beschwerdeführers gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts eingebrachten außerordentliche Revision zurückgewiesen.

Nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern blieb illegal in Österreich.

2. gegenständlicher zweiter Antrag auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer stellte während seines illegalen Aufenthaltes in Österreich am 29.05.2020 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Noch am selben Tag fand eine Erstbefragung, in Gegenwart eines Dolmetschers, statt und der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, dass er seit rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens illegal in Österreich gelebt habe. Seine bereits im ersten Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründe bzw. seine damals vorgebrachte Angst vor den Taliban sei nach wie vor aktuell und er sei von den Taliban gewarnt worden, weshalb er nicht zurückkönne. Außerdem habe er dort Angst vor Corona. Zudem sei seine Tante in Österreich sehr krank, weshalb der Beschwerdeführer nicht nach Afghanistan zurückkehren könne. Der Beschwerdeführer könne zwar ohne seien Tante leben, diese aber nicht ohne ihn. Auf Grund einer Fußverletzung brauche er seine Tante und diese brauche den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer habe nach wie vor viele Freunde in Österreich, sei immer noch im Sportverein und gehe in die Schule. Da er seit vier oder fünf Jahren in Österreich sei, kenne er das Leben hier besser, als in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer wurde am 19.06.2020 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in Gegenwart eines Dolmetschers, niederschriftlich zu den Gründen für seine zweite Asylantragstellung befragt. Dabei gab er zusammengefasst an, dass er nach wie vor weder seine Identität noch seinen Wohnort im Herkunftsstaat nachweisen könne, da seine Identitätsdokumente bei seinen Eltern geblieben seien.

Die im ersten Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht, für den Beschwerdeführer bestehe wegen der Taliban nach wie vor Lebensgefahr in Afghanistan, die in einem damaligen Ultimatum erklärt hätten, den Beschwerdeführer umzubringen. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dieses Ultimatum sei nicht neu, sondern bereits vor seiner Ausreise ausgesprochen worden. Ein weiterer Grund für die zweite Asylantragstellung sei die Corona Situation in Afghanistan, weil man dort die Krankheit nicht so ernst nehme, der Beschwerdeführer fürchte durch eine Infektion und wegen der allgemein fehlenden medizinischen Versorgung in Afghanistan in Lebensgefahr gebracht zu werden. Zudem brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, er fürchte, dass Minderjährige oder Jugendliche in Afghanistan beim Kartenspiel gewonnen würden und die Gewinner danach alles mit ihnen machen dürfen. Davon habe er erst in Österreich über soziale Medien und von drei afghanischen Freunden in der Asylwerberunterkunft in Österreich, nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens, erfahren. Gefragt, warum der Beschwerdeführer das in der Erstbefragung am 29.05.2020 nicht angegeben habe, meinte er, weil er nicht so detailliert gefragt worden sei.

Der Beschwerdeführer habe keine Verwandten in Afghanistan. Er leider immer noch, an der bereits im ersten Asylverfahren genannten episodischen Migräne und sei deswegen nach wie vor in Behandlung. Dazu brachte der Beschwerdeführer aber nur seine bereits im ersten Asylverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen in Vorlage (siehe dazu Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.01.2020, Zahl W276 2200697-1/13E). Der Beschwerdeführer habe zudem seit ca. XXXX eine Fraktur des Sprunggelenks und derzeit deswegen einen Gips. Weiters sei er in den vergangenen vier oder fünf Monaten zwei Mal in psychiatrischer Behandlung gewesen, weil er immer traurig gewesen sei (dazu wurden zwei Bestätigungen der XXXX , vom XXXX , vorgelegt aus denen hervorgeht, dass es an diesem Tag im XXXX ein Erstgespräch gab); die psychischen Probleme hab der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise vor vier oder fünf Jahren, deswegen aber noch nie Medikamente genommen.

An seiner familiären Situation in Österreich habe sich seit seiner ersten Asylantragstellung nichts geändert. Der Beschwerdeführer habe immer noch keine Freundin und sei kinderlos. In Österreich lebe nach wie vor seine ca. XXXX - bereits zum Zeitpunkt der gemeinsamen Einreise - kranke Tante väterlicherseits, die subsidiär Schutzberechtigte sei. Für den Beschwerdeführer sei diese Tante wie eine Mutter. Da der Beschwerdeführer für die kranke Tante dolmetschen und sie beim Einkaufen und Behördengängen begleiten müsse, könnten sie ohne einander nicht leben. Die Tante werde immer wieder von jemand anderem in ihrer Unterkunft betreut. Diese Tante und der Beschwerdeführer seien finanziell voneinander abhängig, da sie das Geld, welches sie in Österreich zur Verfügung gest

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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