TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/11 I422 2232069-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.08.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
StGB §105 Abs1
StGB §127
StGB §128 Abs1
StGB §130
StGB §146
StGB §229
StGB §88
StGB §89
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I422 2232069-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Tunesien, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Florian KREINER, Friedrich-Schmidt-Platz 7/14, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2020, Zl. IFA 1052811309/181116630/BMI-BFA, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 31.01.2002, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. zu lauten hat:

„Gemäß § 55 Abs. 2 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung mit 14 Tagen festgelegt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

Aufgrund des strafrechtlich relevanten Verhaltens erließ die belangte Behörde über den Beschwerdeführer, einem tunesischen Staatsangehörigen, eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), erklärte seine Abschiebung nach Tunesien für zulässig (Spruchpunkt II.) und gewährte ihm keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III.). Zugleich erkannte sie einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und sprach über ihn ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von sechs Jahren aus (Spruchunkt V.). Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit der Notwendigkeit der sofortigen Ausreise des Beschwerdeführers begründet. In Zusammenschau seines Gesamtverhaltens ergebe sich, dass der Beschwerdeführer dem Rechtsstaat Österreich gegenüber ablehnend eingestellt sei und sei auch im Hinblick auf sein bisheriges Fehlverhalten keine positive Zukunftsprognose auszustellen.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerechte Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und dem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung in enventu der Behebung und Zurückverweisung des Bescheides an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung. Der Beschwerdeführer brachte dazu zusammengefasst vor, dass der Vollzug der Rückkehrentscheidung für den Beschwerdeführer mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre. Er halte sich seit fünf Jahren in Österreich auf und würden sich im Bundesgebiet seine gesamten sozialen Kontakte befinden. Eine sofortige Ausreise würde eine extrem hohe Belastung für ihn und seine in Österreich lebende Familie darstellen. Aufgrund seines bereits schweren Vorlebens und der Trennung von seiner Familie sowie der Abschiebung in ein für ihn weitgehend unbekanntes Land, sei dies auch mit nicht wiedergutzumachenden Konsequenzen – auch in gesundheitlicher Hinsicht – verbunden.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht mit dem Antrag vor, diese als unbegründet abzuweisen.

Mit Teilerkenntnis vom 23.06.2020, GZ: I422 2232069-1/3Z erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu und erfolgte am 27.07.2020 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie seiner Mutter und seines Adoptivvaters eine mündliche Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist tunesischer Staatsangehöriger und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Er wurde als Sohn tunesischer Eltern in Mahdia/Tunesien geboren. Seine Eltern ließen sich scheiden, als der Beschwerdeführer etwa ein Jahr alt war und wuchs er daraufhin bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. Seine Mutter lernte einen neuen Lebensgefährten kennen und zog sie mit diesem nach Österreich, als der Beschwerdeführer etwa sieben Jahre alt war. Der Beschwerdeführer verblieb in Tunesien und wuchs anschließend bei seinen Großeltern auf. In Tunesien besuchte der Beschwerdeführer den Kindergarten und die Grundschule.

Auf Grundlage eines Visum C für den Schengener Raum reiste der Beschwerdeführer im Alter von rund dreizehn Jahren in das Bundesgebiet ein und zog seiner in Österreich wohnhaften Mutter nach. Hier wurde er am 13.03.2015 erstmals melderechtlich erfasst und hält er sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Sein rechtmäßiger Aufenthalt fußte zunächst ab dem 21.03.2015 auf dem Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“. Am 12.06.2017 erfolgte eine Zweckänderung seines Aufenthaltes und wurde ihm der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ erteilt, der eine Gültigkeit bis zum 12.06.2018 aufwies.

In Österreich absolvierte der Beschwerdeführer die vierte Klasse einer neuen Mittelschule und wechselte im Anschluss daran auf ein Gymnasium. Seine Schulausbildung beendete er nach rund einem Jahr und begann am 27.09.2017 zunächst eine Lehre als Friseur, die er am 18.10.2018 wieder beendete. Mit 04.12.2017 folgte eine Lehrausbildung in einer Systemgastronomie und war in diesem Ausbildungsverhältnis bis zum 31.10.2018 gemeldet. Seine Lehrausbildung in der Systemgastronomie schloss der Beschwerdeführer nicht ab und befand er sich in weiterer Folge auch in keinem weiteren Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis und war er somit ab dem 31.10.2018 beschäftigungslos.

Der Beschwerdeführer ist adipös und leidet an Gastritis (Antrum und Corpus). Letzteres wird medikamentös durch die Einnahme von Pantoprazol RTP behandelt. Ebenso resultieren aus einer attestierten chronischen Nikotinabhängigkeit psychische und Verhaltensstörungen. Zudem wurden dem Beschwerdeführer ein Alkohol- und Drogenproblem (Cannabis und Kokain) bescheinigt. Diesbezüglich nimmt er keine Psychopharmaka. Zur Behandlung seiner Suchtproblematik wurde eine therapeutische Behandlung in Aussicht gestellt. Er leidet somit an keiner derartigen psychischen oder physischen Beeinträchtigung die einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen und ist arbeitsfähig. Sein Familienstand ist ledig und kinderlos.

Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und ihres Ehegatten, der zugleich der Adoptivvater des Beschwerdeführers ist, sowie über zwei Halbbrüder. Mit ihnen lebte der Beschwerdeführer bis zu seiner Inhaftierung in einem gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer spricht deutsch. Während seiner Zeit in der Neuen Mittelschule war der Beschwerdeführer Mitglied in einem Fußballverein. In seiner Freizeit besuchte er vor seiner Inhaftierung ein Jugendzentrum und ging gerne schwimmen. Darüber hinaus konnten keine sonstigen maßgeblichen Integrationsmerkmale in sozialer, kultureller oder beruflicher Hinsicht festgestellt werden. Eine im Rahmen seiner Beschwerde vorgelegte Einstellungszusage eines Restaurants vom 27.04.2020 ist aufgrund der Unternehmensschließung obsolet. Der Adoptivvaters des Beschwerdeführers sicherte dem Beschwerdeführer im Anschluss an die Haft eine Wiedereinstellung in der Systemgastronomie zu.

Zu seinem Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor über Anbindungen. Er wuchs dort auf und besuchte die Grundschule, spricht arabisch und ist mit den lokalen Gebräuchen und Sitten des Landes vertraut. Zudem verfügt er mit seinen dort lebenden Großeltern sowie zweier Tanten mütterlicherseits auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte. Die Großeltern leben mittlerweile in einer Wohnung und weisen altersbedingte Erkrankungen auf. Mit ihnen steht der Beschwerdeführer nach wie vor in aufrechtem Kontakt. Ebenso leben die Eltern und die Schwester seines Adoptivvaters in Tunesien und hatte der Beschwerdeführer zu ihnen über Videotelefonie ebenfalls bereits Kontakt.

Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet drei strafgerichtliche Verurteilungen auf:

Erstmalig wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.09.2017, zu 144 Hv 55/17i wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall, 15 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, davon zwölf Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grund, dass

?        der Beschwerdeführer mit weiteren, zum Teil strafunmündigen, Mittätern am 14.01.2017 im Bereich der Stiegen zum Kaufpark „Alt Erlaa“ den Dawid G. einkreisten, ein Mittäter ihn aufforderte seine Geldbörse herzuzeigen – wobei der Beschwerdeführer dabei zur Unterstützung seiner Forderung ein Messer zog und dieses in Richtung des Dawid G. hielt – und als dieser sich weigerte einer der Mittäter dem Dawid G. eine E-Zigarette im Wert von € 100,- aus der Hand riss und der Beschwerdeführer im Anschluss daran die Oberbekleidung des Dawid G. nach Wertgegenständen durchsuchte und ihm anschließend einen Faustschlag versetzte.

?        der Beschwerdeführer mit weiteren, zum Teil strafunmündigen, Mittätern am 15.01.2017 im O-Bus der Linie „15A“ dem Jan R. Bargeld in Höhe von € 1,50 abnötigten, indem der Beschwerdeführer und ein weiterer strafunmündiger Mittäter diesen ansprachen und Geld forderten, wobei der strafunmündige Mittäter der Forderung durch das Vorzeigen eines Messers Nachdruck verlieh.

?        der Beschwerdeführer mit weiteren, zum Teil strafunmündigen, Mittätern am 15.01.2017 an einer näher bezeichneten Bushaltestelle in 1010 Wien, den Richard B. zunächst ansprachen, ihn aufforderten aus dem O-Bus auszusteigen, diesem dann folgten und einkreisten; ein Mittäter ein Messer und der Beschwerdeführer einen Elektroschocker zogen und sie unter Verwendung derselbigen das Handy des Richard B. forderten, wobei der Beschwerdeführer den Elektroschocker vor dem Körper des Richard B. betätigte und als sich Richard B. weigerte, sein Handy herauszugeben, diesem einen Faustschlag versetzte, woraufhin alle Mittäter auf Richard B. einschlugen und eintraten, wobei es Richard B. kurzfristig gelang zu fliehen, er jedoch vom Beschwerdeführe reingeholt und neuerlich mit Schlägen gegen den Kopf attackiert wurde, wobei es nur deshalb bei einem Versuch blieb, wie ein unbekannt gebliebener Fahrzeuglenker auf den Vorfall aufmerksam wurde.

Das Strafgericht wertete den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, er sich überwiegend geständig zeigte, bisher einen ordentlichen Lebenswandel aufwies sowie die teilweise Sicherstellung der Beute und die teilweise Schadensgutmachung in der Hauptverhandlung als mildernd. Erschwerend berücksichtigte es das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen, die Verletzung des Opfers beim Raub und die doppelte Qualifikation.

Mit Urteil rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 11.12.2018, zu 31 U 102/18d wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass

?        der Beschwerdeführer und ein Mittäter das behördliche Kennzeichen eines fremden Pkw abnahmen und auf den vom Mittäter gelenkten Pkw montierten und in weiterer Folge zu einer Filiale einer ENI-Tankstelle fuhren und die dortigen Mitarbeiter darüber täuschten, dass sie zahlungsfähige und -willige Kunden seien und sie diese dazu verleiteten eine Betankung zu dulden, wodurch sie die Tankstelle am Vermögen in der Höhe von € 65,17 schädigten.

Mildernd wurde das reumütige Geständnis des Beschwerdeführers gewertet, wohingegen das Zusammentreffen zweier Vergehen und eine einschlägige Vorstrafe erschwerend berücksichtigt wurden.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht mit Urteil vom 27.02.2020, zu 154 Hv 56/19p rechtskräftig wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1 und 2, 130 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB, des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 2 StGB, der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 As. 1 StGB, des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB sowie des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, Abs. 3 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass

?        der Beschwerdeführer hat den nachstehenden Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern weggenommen, wobei der Beschwerdeführer und zwei namentlich genannte Mittäter gewerbsmäßig in Bezug auf die Begehung von schweren Diebstähle durch Einbruch handelten, und zwar der Beschwerdeführer und ein namentlich näher bezeichneter Mittäter

?        am 23.10.2018 durch in die Werkstatt des Vizdhane S. Werkzeug

?        am 04.12.2018 den Pkw BMW des Nuridin A. im Wert von € 3.500 mittels eines widerrechtlich erlangten Schlüssels, den sie zuvor aus der Werkstatt des Musa T. stahlen;

?        zwischen 19.01.2019 und 20.01.2019 in Wien den Pkw Porsche Cayenne des Larbi E. im Wert von € 13.412,-, in dem sie zunächst in das Bürogebäude der Firma S. MOTORS durch Aufbrechen einer Fensterscheibe einstiegen und dort den Kfz-Schlüssel des Pkw an sich nahmen;

?        zwischen 23.01.2019 und 24.01.2019 in Wien dem Dragisa S. einen Autoreifen in noch festzustellendem Wert, indem sie auf den Autoabstellplatz auf der A. kletterten, dort den Kofferraum des Porsche Cayenne des Dragisa S. aufbrachen und den Reifen daraus an sich nahmen;

?        am 01.06.2019 in Oberwagram Gerhard A. durch Einbruch in das Firmengelände der Firma A. einen Pkw BMW 330d Touring im Wert von € 3.000,-;

?        zwischen 20.07.2019 und 21.07.2019 in Sieghartskirchen Danijel G. einen Pkw Range Rover der Elisabeth H. im Wert von € 25.000,- durch Einbruch in das Firmengelände der A..

?        Der Beschwerdeführer und zwei namentlich genannte Mittäter im bewussten und gewollten Zusammenwirken am 11.12.2018 in Wien dem Norbert K. ein Autoradio im Wert von € 250,-, in dem sie mit einem Hammer die Autoscheibe seines Pkw´s einschlugen;

?        Der Beschwerdeführer hat zwischen 01.08.2019 in Neudorf im Weinviertel Mag. Baha L. einen Pkw Renault Scenic im Wert von € 8.000,- durch Einbruch bzw. mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel mit dem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz weggenommen, indem er durch Einschlagen einer Fensterscheibe in den Verkaufscontainer der Firma A. einstieg, daraus den Fahrzeugschlüssel stahl und folglich damit das am Firmenparkplatz abgestellte Fahrzeug stahl.

?        der Beschwerdeführer schädigte vorsätzlich Dritte am Vermögen und zwar

?        indem er mit einem weiteren namentlich näher bezeichneten Mittäter am 04.10.2019 in Göttelsbrunn vorgab ein zahlungsfähiger und –williger Kunde zu sein, wodurch die Verfügungsberechtigten der OMV Tankstelle die Betankungen des Pkw mit dem entfremdeten Kennzeichen ND[] im Wert von € 105,87 duldeten;

?        indem er am 27.04.2109 in Wien durch die wahrheitswidrige Vorgabe, das entliehene Gut am nächsten Tag zurück gegeben zu wollen, Daniel D. zur Übergabe seines Bluetooth Lautsprechers im Wert von € 180,- an ihn verleitete.

?        Der Beschwerdeführer und ein jeweils namentlich näher bezeichneter Mittäter unterdrückten Urkunden, über die sie nicht oder nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, und zwar

?        zwischen 20.07.2019 und 21.07.2019 in Sieghartskirchen Danijel G. zwölf Typenschein, welche sie im Zuge des Einbruchs in das Firmengelände der Firma A. an sich nahmen;

?        am 06.09.2018 in Wien die Kennzeichentafel MD[] der Bianca K.;

?        am 11.09.2018 in Wien die Kennzeichen W[] der Violetta P.;

?        zwischen 03.10.2019 und 04.10.2019 in Jois die Kennzeichentafel ND[] der Viktoria A.;

?        zwischen 16.05.2019 und 17.05.2019 in Wien die Kennzeichentafel W[] im Autohaus des Danijel L und Dinko B.;

?        von einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis zum 05.04.2019 in Wien das Kennzeichen W [] des Murat S.;

?        der Beschwerdeführer zwischen 01.08.2019 und 02.08.2019 in Herrnbaumgarten die Kennzeichentafel ML [] indem er sie vom Pkw des Manfred A. abmontierte und am zuvor gestohlenen Pkw des Mag. Baha L. anbrachte.

?        Der Beschwerdeführer und ein weiterer namentlich näher bezeichneter Mittäter haben zwischen 13.06.2019 und 15.06.2019 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Stefan P. durch gefährliche Drohung mit dem Tod und mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, zur Übergabe von € 1.000,- an sie, somit zu einer Handlung, die diesen am Vermögen schädigen solle, zu nötigen versucht, indem sie ihn aufforderten, einen Kredit über seine Firma aufzunehmen und ihnen das Geld auf diese Weise zu besorgen, wobei der Beschwerdeführer, nachdem Stefan P. widersprach, die Forderung wiederholte, indem er eine Pistole zog, diese repetierte und sagte: „und, besorgst du uns jetzt das Geld?“ und ihm eine Ohrfeige gab, wobei sie Stefan P. längere Zeit hindurch, nämlich bis zum 15.06.2019 in einen qualvollen Zustand versetzten, indem sie ihn unter dem Eindruck der Bedrohung mit einer Waffe nötigten, in eine Wohnung mitzukommen, wo sie ihn mit einem Elektroschocker malträtierten und ihn erniedrigten, indem sie ihn zwangen, sich zu entkleiden und nackt zu tanzen, wobei sie ihn dabei filmten und zwei Tage hindurch zwangen, bei ihnen zu bleiben bzw. ihnen zu folgen, bis er schließlich bei einem Weg zu einer Trafik davon laufen konnte.

?        Der Beschwerdeführer in Wien nachstehende Personen durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich der Anzeigenerstattung bzw. Nennung seines Namens vor der Polizei gegen ihn zu nötigen versuchte, und zwar

?        am 04.05.2019 Daniel D anlässlich der zuvor aufgezeigten Straftat in Bezug auf die Übergabe seines Bluetooth Lautsprechers im Wert von € 180,-, indem er drohte ihn zu verprügeln und

?        am 14.02.2019 Ülkiye Z und Umut-Yasin Ö. durch die Äußerung, Umut-Yasin Ö. würde etwas passieren, wenn sie seinen Namen vor Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit einem Autodiebstahl zum Nachteil des Emre E. nennen würden.

?        Der Beschwerdeführer hat am 05.08.2019

?        die Polizeibeamten Insp. Paul J. und Asp. F mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Anhaltung des von ihm gelenkten durch die umseits beschriebene Tathandlung rund um den gestohlenen Pkw Renault Scenic des Mag. Baha L. im Rahmen einer Fahrzeugkontrolle, gehindert, indem er sich zunächst der Fahrzeugkontrolle entzog und sodann den Streifenwagen, er ihn verfolgte und schließlich seitlich neben ihm zu stehen kam, abdrängte und seine Fluchtfahrt fortsetzte;

?        grob fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit mehrerer Menschen herbeigeführt, indem er – ohne im Besitz einer Lenkberechtigung zu sein, mit weit überhöhter Geschwindigkeit (ca. 90 km/h) durch das Stadtgebiet fuhr, wobei er zwei rote Ampeln missachtete und Zebrastreifen nicht anhielt, obwohl Fußgänger diese gerade überqueren wollten, wobei er letztlich die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und in einen Lichtmasten krachte, wobei andere Verkehrsteilnehme, insbesondere Fußgänger, gerade noch durch Beiseite springen verhindern konnten, vom Fahrzeug erfasst zu werden;

?        grob fahrlässig seine beiden namentlich näher bezeichneten Beifahrer durch die zuvor beschriebene Tathandlung am Körper verletzte, wobei diese Prellungen und Hämatome erlitten.

In seiner Entscheidung beschloss das Landesgericht für Strafsachen Wien der mit Strafurteil des Bezirksgericht Fünfhaus vom 11.12.2018 zu 31 U 102/18d bedingten Nachsicht zu widerrufen und sah es vom Widerruf der mit Strafurteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12.09.2017 zu 144 Hv 55/14 gewährten Strafnachsicht ab.

Mildernd berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien in seiner Entscheidung das umfassende Geständnis und dass es teilweise bei einem Versuch geblieben ist. Erschwerend hingegen, die einschlägigen Vorstrafen, die Begehung innerhalt offener Probezeit, das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, der rasche Rückfall, die Tatwiederholung beim Einbruchsdiebstahl.

In Bezug auf die Strafzumessungsgründe hob das Strafgericht hinsichtlich des Beschwerdeführers hervor, dass unbedingte Freiheitsstrafen zu verhängen waren, um ihm das Unrecht seiner Straftaten nunmehr eindrucksvoll vor Augen zu führen, zumal dem Beschwerdeführer schon einmal eine bedingte Strafnachsicht zu Gute kam und ihn diese nicht von neuerlicher Delinquenz abhielt. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer relativ rasch erneut massiv straffällig wurde, obwohl ihm dabei schon der Vollzug einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe angedroht wurde, zeigte, dass die erneute Androhung im gegebenen Fall nicht ausreichen konnte um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Des Weiteren führte das Strafgericht aus, dass der Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsicht geboten war, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten und ihm das (wiederholte) massive Unrecht seiner Taten eindringlich vor Augen führen zu können. Der Beschwerdeführer habe bedauerlicherweise bisher kein Verhalten gezeigt, aus dem ein Bemühen, sich (wieder) sozial zu integrieren geschlossen werden konnte.

Neben den strafgerichtlichen Verurteilungen weist der Beschwerdeführer 66 rechtskräftige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf. Die Gesamtsumme der daraus resultierenden Geldstrafen belief sich zu diesem Zeitpunkt der Bescheiderlassung auf € 10.891,-. Zur Begleichung dieser Geldstrafen hat der Beschwerde ein Ratenansuchen gestellt.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 06.08.2019 durchgehend in Haft. Seine Haftstrafe verbüßte er zunächst vom 06.08.2019 bis zum 12.05.2020 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Dort war der Beschwerdeführer von 15.12.2019 bis 12.05.2020 in der Beamtenkantine der Justizanstalt Wien-Josefstadt tätig. Von der Justizanstalt Wien-Josefstadt wurde er am 12.05.2020 in die Justizanstalt Sonnberg überstellt. Dort ist der Beschwerdeführer ebenfalls in der Beamtenkantine als Kellner tätig und erfährt dadurch eine Lockerung seines Vollzuges. Aus dieser Tätigkeit erwirtschaftet der Beschwerdeführer ein monatliches Haftgeld in der Höhe von rund € 280,-. Zusätzlich überweisen ihm seine Eltern monatlich einen Betrag in der Höhe zwischen € 200,- und € 400,-. Eine mit Freiheit verbundene Vollzugslockerung ist auf Grund der massiven Delikte und in Ermangelung einer diesbezüglichen Therapie ist mittelfristig noch nicht vorgesehen. Auch der im Beschwerdeschriftsatz erwähnte Antrag auf Vollzug der Freiheitsstrafe in Form eines elektronisch überwachten Hausarrestes wurde bislang noch nicht gestellt. Während seiner Inhaftierung erhält der Beschwerdeführer regelmäßig Besuch von seinen Eltern. Von der Anstaltsleitung wurde ihm ein gutes Führungszeugnis ausgestellt.

1.2. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten-Verordnung und stellte sich die Situation im Wesentlichen wie folgt dar:

Sicherheitslage:

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde blieben der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch ca. 100 vermeintliche IS-Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen. Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere verletzt, darunter auch Zivilpersonen.

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt. Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten. Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) im Rest des Landes – bis auf die Touristenzonen.

Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte weiterhin andauernde Ausnahmezustand wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land und gewährt den Sicherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft durchaus kritisch beobachtet wird. Dies gilt insbesondere für ein entsprechendes Gesetzesprojekt zum „Schutz der Sicherheitskräfte“. Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit weiterhin zu rechnen. Der Notstandserlass ermächtigt die Behörden, Streiks oder Demonstrationen zu verbieten, die als Bedrohung der "öffentlichen Ordnung" gelten. Nach diesem Dekret haben die Behörden Hunderte von Tunesiern unter Hausarrest gestellt.

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet. Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt.

Zur Grundversorgung und Wirtschaftslage:

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut. Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor"). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert.

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst.

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind.

Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt. Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen.

Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn. Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar.

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite.

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet.

Zur medizinischen Versorgung:

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau und ist gewährleistet. Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema. Zwar gibt es in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen, diese sind jedoch trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand: es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten.

In Einzelfällen kann es, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich. Seit dem Sommer 2018 fehlt es überdies immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden.

Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität. Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet.

Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert. Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig – die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer, u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig: erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius weniger als 5 km zur Erlangung medizinischer Hilfe, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal: fehlende Spezialisten, Überbelegung, lange Wartezeiten, katastrophale sanitäre Zustände, geringe Anfangsgehälter für ausgebildete Ärzte sind Realität. Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar, also etwa 8-30 Euro. 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zur Caisse Nationale d’Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1 Milliarden Dinar hoch verschuldet – fehlende Beitragszahlungen und verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist.

Zur Situation von Rückkehrern:

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im Jahr 2017 ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten.

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden.

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und den Angaben im Beschwerdeschriftsatz sowie der Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Registers der Sozialversicherungsträger (AJ-Web), des Strafregisters der Republik Österreich eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Volljährigkeit und seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Identität des Beschwerdeführers gilt aufgrund seiner im Aufenthaltsverfahren vorgelegten identitätsbezeugenden Dokumente als gesichert.

Aus den im Verwaltungsakt einliegenden Unterlagen, insbesondere seiner Adoptionsunterlagen, resultieren in Zusammenschau mit den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers sowie seiner Mutter die Feststellungen zu seiner Herkunft und zu seiner Situation in Tunesien bis zu seiner Ausreise.

Die übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers mit der Einsichtnahme in das IZR führt zu den Feststellungen rund um seine Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet und wurden in der Beschwerde als solches auch nicht bestritten.

Glaubhaft werden auch die zuletzt Angaben des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Schul- und Berufsausbildung erachtet. Diese decken sich mit der Auflistung eines Auszuges des AJ-Web.

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes ließ sich das erkennende Gericht von der Justizanstalt den Gesundheitsakt des Beschwerdeführers übermitteln. Aus diesem sowie einem sich darin befindlichen Patientenbrief der Abteilung Innere Medizin I eines Wiener Krankenhauses, datierend vom 05.06.2020 sind die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers belegt. Dass er ein Alkohol- und Drogenproblem (Cannabis und Kokain) hat, er diesbezüglich jedoch keine Psychopharmaka nehme, gründet aus den ihm im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten aktuellen Vollzugsauskunft. Dies deckt sich auch im Wesentlichen mit den Angaben des Beschwerdeführers vor dem erkennenden Gericht, wonach er nicht drogensüchtig sei, er allerdings zwei, dreimal Drogen genommen habe und seine Therapeutin gemeint, habe, dass er deswegen eine Drogen- und Spieltherapie machen solle. Glaubhaft werden auch seine dahingehenden Angaben erachtet, wonach aufgrund freier Plätze eine derartige Therapie nicht stattfand, ihm nunmehr jedoch 03.08.2020 ein Therapieplatz und –beginn zugesichert worden sei. Aus den vorangegangenen Ausführungen sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zur Behandlung seiner Gastritis ein gängiges Magenschutzpräparat einnimmt und bislang keine therapeutische Behandlung in Anspruch nahm, folgt die Feststellung, dass er an keiner derartigen psychischen oder physischen Beeinträchtigung leidet, die einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen und er arbeitsfähig ist. Die Feststellungen zu seinem Familienstand ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben vor dem erkennenden Gericht.

Die Feststellungen zu seiner familiären Situation im Bundesgebiet ergeben sich unzweifelhaft aus dem Verwaltung und der Einsichtnahme ins ZMR sowie den Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugen und sind als solches unstrittig.

Der erkennende Richter konnte sich von den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers persönlich überzeugen. Die Angaben zu seiner privaten Verfestigung bestätigte der Beschwerdeführer nochmals in der mündlichen Verhandlung und ergibt sich aus der Tatsache, dass er während seines rund fünfjährigen Aufenthaltes zwei Jahre lang die Schule besuchte und eine Berufsausbildung begann, er sich während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet ein soziales Umfeld aufgebaut hat. Zuletzt bestätigte der Adoptivvater im Zuge der mündlichen Verhandlung, dass vorgelegte Einstellungszusage vom 27.04.2020 obsolet ist. Sein Adoptivvater sicherte im Zuge der mündlichen Verhandlung glaubhaft zu, dass er dem Beschwerdeführer im Anschluss an die Haft eine Beschäftigung in der Systemgastronomie verschaffen werde.

Dass der Beschwerdeführer nach wie vor über Anbindungen zu seinem Herkunftsstaat verfügt, gründet zunächst auf der Überlegung, dass er seinen Herkunftsstaat erst vor rund fünf Jahren im Alter von dreizehn Jahren verlassen hat. Die erste Sozialisierung und primäre Schulbildung erfolgte somit in seinem Herkunftsstaat. Aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seiner Mutter basiert die Feststellung, dass seine Großeltern und seine beiden Tanten mütterlicherseits nach wie vor in Tunesien leben. Zudem wurde die aktuelle medizinische Bestätigung eines tunesischen HNO-Arztes betreffend die Schwerhörigkeit der Großmutter in Vorlage gebracht und werden die Angaben des Beschwerdeführers, wonach der Großvater ein Nierenleiden hat, als glaubhaft erachtet. Zuletzt bestätigte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass er seine Großeltern rund zwei Mal im Monat anrufe. Auf den Angaben des Adoptivvaters in der mündlichen Verhandlung basieren die Feststellungen, dass dessen Eltern und Schwester ebenfalls in Tunesien wohnhaft sind und diese ebenfalls bereits in Kontakt mit dem Beschwerdeführer standen.

Die Feststellungen zu den drei strafgerichtlichen Verurteilungen gründen auf der Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers sowie den sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen.

Die Feststellungen zu den verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen fußen auf einer sich im Verwaltungsakt befindlichen Auskunft der Landespolizeidirektion Wien datierend vom 18.03.2020. Die Gesamtsumme der daraus resultierenden Geldstrafen belief sich zu diesem Zeitpunkt der Bescheiderlassung auf € 10.891,-. Dass er zur Begleichung dieser Geldstrafen bereits ein Ratenansuchen gestellt hat, brachte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor und erachtet das erkennende Gericht als glaubhaft.

Aus der Zusammenschau der Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugen in der mündlichen Verhandlung, der im Rahmen vorgelegten Vollzugsauskunft und des Führungszeugnisses, der vom erkennenden Gericht eingeholten Besucherliste sowie aus der Einsichtnahme in das ZMR gründen die Feststellungen rund um die Inhaftierung des Beschwerdeführers und sind als solches unstrittig.

1.2. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Dem Beschwerdeführer wurde vorab der mündlichen Verhandlungen der aktuelle Länderbericht zu Tunesien übermittelt und die wesentliche Situation im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Im Beschwerdeschriftsatz wurde auf die prekäre Sicherheitslage hingewiesen und dass diese nach wie vor von polizeilichen und militärischen Sicherheitsoperationen geprägt sei. Zudem erweise sich auch die wirtschaftliche Situation und die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie die daraus resultierende hohe Armutsrate als bedenklich. Ebenso mangle es an staatlicher Unterstützung im Falle einer Rückkehr.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung die Möglichkeit einer Stellungnahme zum Länderbericht eingeräumt. Seine Rechtsvertretung verwies im Wesentlichen auf das Vorbringen des Beschwerdeschriftsatzes. Sie wies auf die schlechte finanzielle Situation seiner dort lebenden Großeltern. Zudem gehe aus den Länderberichten eine hohe Arbeitslosigkeit hervor und stelle sich die wirtschaftliche Situation in Tunesien nicht gerade rosig dar. Zudem gebe es kaum Rückkehrhilfen, wodurch anzunehmen sei, dass der Beschwerdeführer in eine finanzielle Notlage geraten werde.

Mit diesen Ausführungen traten der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung allerdings weder dem Inhalt, noch den Quellen der Länderberichte substantiiert entgegen.

Das bloße Aufzeigen von spezifischen Problemlagen im Herkunftsstaat, vermag die Glaubwürdigkeit der Länderfeststellungen nicht zu erschüttern. Vielmehr sparen die Länderfeststellungen die im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vorherrschenden Schwierigkeiten und Probleme nicht nur nicht aus, sondern legen diese ebenfalls offen.

Es wurden somit im gesamten Verfahren keine Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat oder deren Quellen Zweifel aufkommen ließen.

Aus der Einsichtnahme in die Herkunftsstaaten-Verordnung resultiert die Feststellung, dass Tunesien ein sicherer Herkunftsstaat ist und wurden diesbezüglich keinerlei Einwendungen vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. des angefochtenen Bescheides):

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger Tunesiens Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er hielt sich gemäß § 31 Abs. 1 FPG aufgrund des seiner ihm erteilten Aufenthaltstitels nach dem NAG bislang rechtmäßig in Österreich auf.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn setzt daher gemäß § 52 Abs. 4 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, entgegengestanden wäre (Z 1) oder dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht (Z 4). Fallbezogen kommt dafür gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG in Betracht, dass der (weitere) Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Darüber hinaus ist unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), verfügen, unzulässig wäre.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung erweist sich dem Grunde nach als nicht korrekturbedürftig, weil der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich aufgrund seiner mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilung wegen (zum Teil gewerbsmäßiger) Vermögens- und Gewaltdelinquenz und der aufgrund seiner seit Ende Oktober 2018 anhaltenden Beschäftigungslosigkeit anzunehmenden Wiederholungsgefahr die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solche Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde gestützt auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Wie das in den Feststellungen aufgezeigte Verhalten des Beschwerdeführers zeigt, indiziert die wiederholte Begehung von – zum überwiegenden Teil schweren – Eigentums- und Gewaltdelikten gemeinsam mit der zum Teil festgestellten Gewerbsmäßigkeit und dem Fehlen eines regelmäßigen Einkommens, dass vom Beschwerdeführers auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehen wird. Durchaus lässt das erkennende Gericht in diesem Zusammenhang nicht die vorgelegte und zwischenzeitig obsolet gewordene Einstellungszusage bzw. die während der mündlichen Verhandlung ad hoc ausgesprochene Wiedereinstellungszusage des Adoptivvaters unberücksichtigt. Allerdings vermag aus einer Einstellungszusage per se nicht die Sicherung der eigenen Existenz abgeleitet werden (vgl. VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0035).

Auch wenn zuletzt in der mündlichen Verhandlung erneut darauf hingewiesen wurde, dass der Beschwerdeführer geläutert sei, er sich mittlerweile gebessert habe und ihm auch seitens der Justizanstalt eine positive Führung bescheinigt werde, ist diesbezüglich auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verweisen. Demzufolge ist ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden – etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall – manifestiert hat (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399). Aktuell kann dem sich nach wie vor in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer somit trotz einer familiär stabilen Situation keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.

Unzweifelhaft greift die Rückkehrentscheidung wesentlich in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein. Der Beschwerdeführer hält sich seit März 2015 im Bundesgebiet auf und beträgt seine Aufenthaltsdauer rund fünf Jahre. Sein Aufenthalt war aufgrund des ihm erteilten Visum C zur Einreise in den Schengener Raum und aufgrund der ihm in weiterer Folge erteilten Aufenthaltstitel rechtmäßig. Der Beschwerdeführer besuchte im Bundesgebiet rund zwei Jahr lang die Schule, begann eine Ausbildung und hat sich während der seines rund fünfjährigen Aufenthaltes ein soziales Umfeld aufgebaut.

Bei der nach § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung ist somit zu berücksichtigen, dass er ein erhebliches Interesse an einem Verbleib in Österreich hat, insbesondere, weil er über ein Familienleben in Form seiner hier lebenden nahe Angehörigen (Mutter, Adoptivvater und zwei Halbbrüder) verfügt mit denen er bis zu seiner Inhaftierung in einem gemeinsamen Haushalt lebte; Zudem hält er sich seit rund fünf Jahren im Bundesgebiet auf, ist sprachlich integriert, hat hier einen kurzen Teil seiner Schulzeit einen und Teil seiner Jugend verbrachte und hat sich auch einen Freundeskreis und ein soziales Umfeld aufgebaut. Eine nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt ist ihm jedoch nicht gelungen und war er – wie die Feststellungen zeigen – nur kurzfristig erwerbstätig.

Ungeachtet dessen bestehen aber auch nach wie vor Anbindungen an seinen Herkunftsstaat Tunesien, von dem er erst vor fünf Jahren ausgereist ist und wo der Beschwerdeführer bis zu seinem 13. Lebensjahr aufwuchs, seine Kindheit und den überwiegenden Teil der Schulzeit verbrachte. Er beherrscht die dort übliche Sprache und ist mit den Gepflogenheiten der maghrebinischen Kultur vertraut. Es wird dem inzwischen erwachsenen Beschwerdeführer daher möglich sein, sich ohne größere Probleme wieder in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates zu integrieren.

Eine der Behörde anzulastende überlange Verfahrensverzögerungen liegt ebenfalls nicht vor.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG wirken sich die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten entscheidungswesentlich zu seinem Nachteil aus, zumal es sich um keinen einmaligen Vorfall handelt, sondern der Beschwerdeführer insgesamt bereits drei Mal in regelmäßigen Abständen in den Jahren 2017, 2018 und zuletzt 2020 wegen schwerwiegender Vermögens- und auch Gewaltdelikte strafgerichtlich verurteilt wurde. Dies führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung. Dies obwohl es sich bei allen drei Verurteilungen des Beschwerdeführers um Jugendstraftaten handelt, er zunächst zur teilbedingt bzw. bedingt strafgerichtlich verurteilt wurde und seine Geständnisse als mildernd berücksichtigt wurden. Das mehrfache gerichtlich strafbare Fehlverhalten des Beschwerdeführers, sein rascher Rückfall und die Begehung innerhalb der offenen Probezeit bewirken in Zusammenschau mit der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit und der mangelnden Integration am Arbeitsmarkt eine so gravierende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten