TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/12 W279 2160936-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W279 2160936-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX .1999, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2018, Zl 1086010507/180770137, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.07.2020, zu Recht:

I.

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 Asylg 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.

Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.

Gemäß § 8 Abs. IV AsylG 2005 idgF wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 11.08.2021 erteilt.

IV.

Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erster Antrag auf internationalen Schutz

1.1.    Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.09.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz.

1.2.    In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er zwar in Afghanistan geboren worden, jedoch im Iran aufgewachsen sei. Er sei bei der Übersiedelung in den Iran ein Jahr alt gewesen. Er habe keine Rechte im Iran gehabt, weil er sich dort illegal aufgehalten habe. Es habe dort keine Möglichkeit bestanden, sich weiterzubilden.

1.3.    Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 09.03.2017 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen erneut befragt zusammengefasst an, dass er als Afghane im Iran nicht akzeptiert worden sei. Zudem habe man ihm empfohlen, am Krieg in Syrien teilzunehmen. Seine Familie habe ihm daraufhin die Ausreise nahegelegt.

1.4. Mit Bescheid des BFA vom 12.05.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer keine aktuelle und konkrete Verfolgung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe drohe sowie, dass im gegenständlichen Fall keine Anhaltspunkte hervorgekommen seien, aufgrund derer darauf zu schließen sei, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einem erhöhten Gefährdungsrisiko in Hinblick auf die Verletzung einer Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein werde. Die Ausweisungsentscheidung gemäß Spruchpunkt III. wurde mit einer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK begründet.

1.5.    Gegen den Bescheid der belangten Behörde wurde am 02.06.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht wurden, mit dem Begehren dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. in eventu jenen eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zuzuerkennen bzw. in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die gefällte Rückkehrentscheidung bzw. die Abschiebung aufgehoben werde bzw. in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen bzw. in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die einzigen Verwandten des Beschwerdeführers in Afghanistan seine Tanten mütterlicherseits seien, die der Beschwerdeführer nicht kenne und zu denen er keinen Kontakt habe und die Kernfamilie des Beschwerdeführers im Iran aufhältig sei.

1.6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.09.2017, W123 2160936-1/9E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 12.05.2017 als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich das vom Beschwerdeführer erstattete Fluchtvorbringen ausschließlich auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Iran beziehe und schon aus diesem Grunde nicht von asylrechtlicher Relevanz sei. Betreffend eine allfällige Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sei festzuhalten, dass mangels eines entsprechenden Vorbringens keine individuelle Bedrohungssituation geltend gemacht werde. Auch in Bezug auf die Ausreise der Eltern des Beschwerdeführers aus Afghanistan (im Kleinkindalter des Beschwerdeführers) könne keine unmittelbare Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer erkannt werden, zumal das pauschale Abstellen auf die Sicherheitslage und die Arbeitslosigkeit des Vaters des Beschwerdeführers kein asylrelevantes Vorbringen darstelle.

1.7. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21.12.2017 wurde dem Antrag stattgegeben, der vom Beschwerdeführer erhobenen außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

1.8. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.04.2018 wurde die Revision zurückgewiesen.

2. Zweiter Antrag auf internationalen Schutz (erster Folgeantrag)

2.1. Am 14.08.2018 stellte der Antragsteller seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und führte im Zuge der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus, dass er sich bereits vor ungefähr einem Jahr dazu entschieden habe, Christ zu werden und sich dazu an einen Verein gewendet habe. Aufgrund seiner Konvertierung könne er nicht mehr in den Herkunftsstaat zurückkehren, da nach dem Koran für Christen Verfolgung und die Todesstrafe vorgesehen sei. Bei einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer die Verfolgung und Todesstrafe.

Im Rahmen der Befragung wurde vom BF ein Unterstützungsschreiben des Vereins Evangelisations- XXXX Gemeinschaft vom 13.08.2018 mitsamt mehreren Fotos in Vorlage gebracht.

2.2. Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 28.08.2018 vor dem BFA, gab der Antragsteller zusammenfassend an, dass er sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die Befragung zu absolvieren. Er nehme keine Medikamente ein und befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung. Auf Vorhalt, dass sein Verfahren bereits negativ abgeschlossen worden sei und auf die Frage, was sich nunmehr geändert habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er seit Februar 2018 zum protestantischen Glauben des Christentums konvertiert sei. Er sei noch nicht getauft und habe noch keinen Tauftermin, könne aber jederzeit getauft werden, da er bereits den Taufvorbereitungskurs abgeschlossen habe. Auf Nachfrage, wann er auf das Christentum aufmerksam geworden sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er bei Regen unter einer Kirche gestanden sei und ihm eine Person dazu motiviert habe, an einem Gottesdienst teilzunehmen. Nachdem er erneut in der Grundversorgung aufgenommen worden sei, sei er mit anderen Asylwerbern seiner Unterkunft in die Kirche gegangen. Befragt, wie er mit dem Verein Evangelisations- XXXX Gemeinschaft XXXX in Kontakt gekommen sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich anderen Jugendlichen angeschlossen habe, die ebenfalls in die Kirche gegangen seien. Die Frage, ob er religiös erzogen worden sei, wurde vom Beschwerdeführer bejaht. Zur Frage, ob er im Iran an Festlichkeiten teilgenommen habe, führte der Beschwerdeführer an, dass er vor seiner Familie nur vorgegeben habe, zu fasten. Sein Vater habe ihn dazu gezwungen, an religiösen Festlichkeiten teilzunehmen. Zu seinem Glauben im Iran befragt, erklärte der Beschwerdeführer, Atheist und kein Moslem gewesen zu sein. Er sei zudem auch ausgereist, da ihm bewusst gewesen sei, dass der Abfall vom Glauben im Iran strafbar sei. Zum Vorhalt, ob seine nunmehrigen Angaben im Vorverfahren der Wahrheit entsprechen würden, gab der Beschwerdeführer an, dass es sich bei diesem Grund lediglich um einen von mehreren kausalen Ausreisegrund handle. Auf weiteren Vorhalt, wieso er einen solch zentralen Fluchtgrund nie im Vorverfahren vorgebracht habe, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er Angst vor anderen Afghanen gehabt habe, die auch mit seinen Eltern in Kontakt stehen würden. Nachgefragt, ob er nunmehr auch keine Angst mehr habe, mit einer christlichen Gemeinschaft in Kontakt zu stehen, erklärte der Beschwerdeführer, dass er nach seiner zweiten negativen Entscheidung auf sich gestellt gewesen sei und er Eigeninitiative ergreifen müsse. Befragt, wieso er über zwei Jahre lang seinen eigentlichen Fluchtgrund verheimlichen sollte und plötzlich seine Meinung ändern sollte, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er alles verloren habe und ihm daher alles gleichgültig geworden sei, weshalb er oftmals die Kirche aufsuchen habe können. Auf die weitere Frage, wie sich sein Interesse für das Christentum entwickelt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er Gespräche mit anderen Jugendlichen geführt habe, die hilfsbereit seien und ihm vermittelt hätten, dass das Christentum anders sei als der Islam. Nachgefragt wie diese Personen zur Kirche gekommen seien, erklärte der Beschwerdeführer, dass ein Iraner zuerst in Kontakt mit der Kirche gekommen sei und in weiterer Folge die anderen Personen eingeladen habe. Auf erneute Nachfrage, wie sein Interesse für die Religion entstanden sei, führte der Beschwerdeführer an, dass man sich eigenständig für das Christentum entscheiden müsse, da es sich nicht um eine Zwangsreligion handle. Die Frage, ob er sich im Iran als gläubig bezeichnet hätte, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Vor seiner Einreise habe er eine andere Vorstellung von Religion gehabt. Zur Frage, ob ihm neben dem Zwang auch weitere Probleme mit den islamischen Glaubensinhalten gehabt habe, replizierte der Beschwerdeführer, dass ihm nicht gefallen habe, wegen Alkoholkonsums oder einer Beziehung ohne vorherige Eheschließung bestraft zu werden. Befragt, wie er den weiteren Glaubensinhalten, die keine Verbote beinhalten würden, gegenüberstehe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er an dieser Religion zu zweifeln begonnen habe, als ein Mullah zwar erklärt habe, nicht zu lügen, aber dennoch selbst gelogen habe. Nachgefragt, wieso er sich gerade zum protestantischen Zweig des Christentums bekenne, brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihm zu Beginn seiner Interessensbekundung nicht bewusst gewesen sei, dass es im Christentum mehrere Zweige gebe und da in dieser Kirche bereits mehrere seiner Freunde gewesen sei, habe er sich für die protestantische Richtung entschieden. Er kenne nur den katholischen und den protestantischen Zweig der Kirche. Auf die Frage, was ihn am Christentum so fasziniert habe, dass er sogar vorgehabt habe, sich taufen zu lassen, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass ihn fasziniert habe, wie ein Teil der Gemeinschaft behandelt zu werden. Bei der Taufe würde man wiedergeboren werden und man zudem von Sünden gereinigt werden. Auf Aufforderung, zu schildern, wie genau der Taufprozess ablaufe, erklärte der Beschwerdeführer, dass es ein zwei Meter großes Waschbecken gebe und man in das Waschbecken hineingehen müsse, bis das Wasser bis zur Brust stehe und anschließend die Hände über der Brust verschließen müsse. Danach werde die Frage gestellt, ob man von ganzen Herzen getauft werden wolle und falls man diese Frage bestätige, werde man ins Wasser getaucht. Ob Jesus ebenfalls getauft worden sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Auf die Frage, was ihm zu Seen in der Bibel einfalle, gab der Beschwerdeführer an, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt habe, den genauen Zeitpunkt, wann dies geschehen sei, wisse er jedoch nicht. Auf Nachfrage, brachte der Beschwerdeführer vor, dass Jesus drei Anhänger gehabt habe und diese drei Schüler Jesus Christus gewesen seien. Auf Aufforderung, seine Lieblingsstelle in der Bibel wiederzugeben, erklärte der Beschwerdeführer, dass an Jesus mehrere Personen herangetreten seien, die eine Frau und einen Mann bezichtigt hätten, unerlaubten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben und Jesus ihnen gesagt habe: „Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Der Beschwerdeführer habe die Bibel auf Farsi gelesen. Befragt, ob Jesus Geschwister gehabt habe und wer seine Eltern gewesen seien, führte der Beschwerdeführer aus, dass Jesus Christus Brüder, aber keine Schwester gehabt habe und seine Mutter Maria gewesen sei. Moses sei ein Prophet gewesen, der mit seinem Stock sogar Wasser teilen habe können, als er vor dem Pharao geflohen sei. Auf Nachfrage, wie Jesus gestorben sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er gekreuzigt worden und wiederauferstanden sei. Seine Füße seien angezündet worden. Die Begriffe Sakramente und Abendmahl kenne der Beschwerdeführer nicht. Er besuche die christliche Gemeinschaft nunmehr bereits seit ungefähr sechs Monaten. Auf die Frage, in wie viele Teile sich die Bibel gliedere, erwiderte der Beschwerdeführer, dass es über dreißig Sparten gebe. Befragt, ob es auch einen Teil gebe, der die Zeit vor der Geburt Jesus Christus schildere, replizierte der Beschwerdeführer, dass in der Bibel auch etwas über Ibrahim und Moses geschrieben werde. Die genauen Evangelisten sowie die zehn Gebote könne der Beschwerdeführer nicht wiedergeben. Das konkrete Datum, an dem die Geburt Christis gefeiert werde, wisse der Beschwerdeführer ebenfalls nicht. Befragt, wie er den christlichen Glauben im Alltag praktiziere, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er vor dem Schlafengehen ein paar Seiten in der Bibel lese.

2.3. Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.11.2018 führte der Beschwerdeführer zu den Lebensumständen in Österreich befragt, an, dass er sich in der Grundversorgung befinde und im Bundesgebiet weder Mitglied in einem Verein sei noch familiäre Anknüpfungspunkte habe. Er habe insgesamt zwei österreichische Freunde. Auf Aufforderung, einen Lebenslauf von sich anzugeben, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er 1999 in Herat geboren sei und Hazara und Christ sei, davor sei er schiitischer Moslem gewesen. Im Alter von sechs Monaten sei er mit seiner Familie in den Iran gezogen, wo er sechs oder sieben Jahre die Schule besucht habe. Anschließend habe er einige Jahre mit seinem Vater auf Baustellen gearbeitet und sei 2015 oder 2016 im Alter von 15 oder 16 Jahren nach Europa gereist. Auf Nachfrage, weshalb er Afghanistan verlassen habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass in Afghanistan eine schlechte Sicherheitslage sowie Krieg vorherrschend gewesen seien. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte mehr. Befragt, wo die Eltern seiner Mutter aufhältig seien, erwiderte der Beschwerdeführer, dass sich seine gesamte Verwandtschaft im Iran befinde. Nachgefragt, wie es seiner Familie gehe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass es seiner Familie nicht gut gehe, da sie ihren Sohn seit Jahren nicht mehr gesehen hätten. Er stehe jedoch lediglich mit seiner Mutter sowie seiner Schwester in regelmäßigen Kontakt. Die Frage, ob er in seinem Heimatland, in Österreich oder in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen habe, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Zum Folgeantrag befragt und auf Aufforderung, möglichst viele Details anzugeben, führte der Beschwerdeführer an, dass sich seine gesamte Familie im Iran befinde und er nicht wüsste, an wen er sich in Afghanistan wenden sollte. Zudem habe er vor 10 Monaten seine Religion gewechselt habe und getauft worden sei, obwohl dieser Vorgang in seiner Heimat mit der Todesstrafe geahndet werde. Die Frage, ob er bereits im Iran religiös gewesen sei, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Zur Frage, wie er seinen Glauben auslebe, führte der Beschwerdeführer an, dass er mittwochs und sonntags in die Kirche gehe. Auf Nachfrage, wieso er sich habe taufen lassen, obwohl er nur „normal“ gläubig sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er einen neuen Lebensabschnitt beginnen und sein altes Leben zurücklassen lassen habe wollen. Zudem wolle er, dass ihm seine Sünden vergeben werden. Auf die weitere Frage, weshalb er gerade Protestant geworden sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er Bekannte und Freunde habe, die ebenfalls diese Glaubensrichtung vertreten würden. In anderen Ländern könne man nicht frei über seine Religionszugehörigkeit entscheiden. Befragt, was er über das Christentum wisse, brachte der Beschwerdeführer vor, dass man einem deutschen Lied zufolge nach der Taufe Christ werde. Zur Frage, welche christlichen Feiertage er kenne, gab der Beschwerdeführer an, dass er die drei wichtigsten, nämlich, Weihnachten, Ostern und Pfingsten kenne. Die Begriffe Sakramente oder die Gebote kenne der Beschwerdeführer jedoch nicht. Die Bibel bestehe aus einem neuen und einem alten Teil und habe, der alte Teil umfasse 39 Kapitel und der neue Teil 27 Kapitel. Zu Weihnachten werde die Geburt Christis gefeiert, dem Sohn Gottes. Der Beschwerdeführer könne nicht wiedergeben, welches konkrete Fest zu Ostern gefeiert werde. Zu Pfingsten werde die Auferstehung Jesus Christus nach 50 Tagen gefeiert. Nach welchem genauen Zeitraum Jesus Christus nach seiner Auferstehung in den Himmel aufgestiegen sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Auf die Frage, was die Unterschiede zwischen Christentum und Islam seien, replizierte der Beschwerdeführer, dass man im Christentum im Gegensatz zum Islam Sünden verzeihe und bei der Taufe von allen Verfehlungen befreit werde. Zudem gefalle ihm an dieser Religion, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien.

Die Frage, ob er bereits einmal persönlich bedroht worden sei, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Er habe sich zuletzt im Alter von sechs Monaten im Herkunftsstaat aufgehalten. Bei einer Rückkehr befürchte er, bei einem Selbstmordanschlag zu sterben.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer ein Unterstützungsschreiben der Evangelisations-und Lebenshilfe Gemeinschaft vom 20.11.2018, mehrere Fotos, ein Schreiben bezüglich einer Verlegung vom 25.09.2018 und eine Taufurkunde über eine Taufe am 12.11.2018 in Vorlage gebracht.

2.4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf sein Heimatland Afghanistan keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht habe, da er im Iran aufgewachsen sei und somit keine eigenen Fluchtgründe für Afghanistan vorbringen habe können. Es habe festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer nicht aus innerster Überzeugung Christ geworden sei, da er wenig Wissen über das Christentum wiedergeben habe können und nur drei Feiertage angegeben habe. Zu den Feiertagen sei noch anzumerken, dass der Beschwerdeführer nicht gewusst habe, was man zu Ostern feiere, obwohl dies einen der wichtigsten Feiertage in der evangelischen Kirche darstelle. Auch als der Beschwerdeführer erklären habe sollen, was an Pfingsten gefeiert werden würde, habe er keine konkreten Antworten gegeben. Überdies sei anzumerken, dass gerade von einer Person, welche von einem Glauben so überzeugt sei, dass sie zu diesem konvertiert sei, zu erwarten sei, dass diese von sich aus darüber spreche und es ihr geradezu ein Anliegen sei, diesbezügliche Ausführungen zu machen und die Begeisterung kundzutun. Der Beschwerdeführer habe außerdem keine wirklichen Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum nennen können, sondern nur angegeben, dass man im Islam nicht wissen würde, ob Sünden verziehen werden würden. Die oberflächlichen Aussagen des Beschwerdeführers zu den Unterschieden seien nicht ausreichend, um davon auszugehen, dass er tatsächlich aus innerster Überzeugung konvertiert sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, habe der Beschwerdeführer seinen vermeintlich geänderten Glauben nicht einmal erwähnt, sondern diesen erst auf Nachfrage vorgebracht, was schon alleine zeige, dass er deswegen nichts zu befürchten habe, denn sonst hätte er dies sofort zu Protokoll gegeben. Eine andere Gefährdungslage für sein Heimatland oder andere Fluchtgründe habe er nicht vorgebracht, somit sei festzustellen, dass er für Afghanistan keine Gefährdungslage zu befürchten habe. Es habe also nicht festgestellt werden können, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine Verfolgung zu befürchten hätte, zumal der Beschwerdeführer in diesem nie bedroht worden sei und es nicht plausibel sei, dass ihn jemand bedrohen würde. Es könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr eine Bedrohung zu befürchten hätte. Da er niemals eine Bedrohung vorgebracht habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er nunmehr eine zu vergegenwärtigen hätte, da er eine vorgebrachte Konvertierung nicht glaubhaft machen habe können. Der Beschwerdeführer habe daher keine persönliche Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten. Der Beschwerdeführer könnte somit nach Herat zurückkehren, zumal er nicht glaubhaft machen habe können, in dieser Stadt eine Gefahr vor Verfolgung befürchten zu müssen.

2.5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ernsthaft und mit Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert sei. Ausgehend von den Länderberichten sei festzustellen, dass es dem Beschwerdeführer in Afghanistan nicht möglich wäre, seine nunmehrige christliche Glaubensüberzeugung nach außen hin zu bekunden und sich religiös zu betätigen. Im Falle der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit würde sich der Beschwerdeführer der beachtlichen Gefahr staatlicher Willkürmaßnahmen aussetzen. Daher sei für den Beschwerdeführer von Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und zwar aus religiösen und politischen Gründen auszugehen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass lückenhafte Angaben vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer treffenden, individuellen Umstände könne davon ausgegangen werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellen würde. Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers würden im Iran leben, in Afghanistan verfüge er weder über soziale noch über familiäre Anknüpfungspunkte. Zwar könne die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben für den Beschwerdeführer vorausgesetzt werden, doch sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass er ohne sozial-familiäre Kontakte kaum Teil des normalen Erwerbslebens in Afghanistan werde. Der Beschwerdeführer habe seine Heimatprovinz Herat im Alter von nicht einmal einem Jahr verlassen und sei im Iran aufgewachsen. Er sei aus infrastruktureller Sicht ein völlig anderes Leben im Iran gewohnt und würde im Falle einer Rückkehr aufgrund seines mangelnden Wissens Gefahr laufen, die Befriedigung der essentiellsten Lebensbedürfnisse nicht gewährleisten zu können, da er die für Afghanistan notwendigen Lebensregeln nicht kenne. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer auf ethnischer und religiöser Ebene einer Minderheit angehöre. Es sei anzunehmen, dass der Beschwerdeführer, der sich ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr ohnehin schwer reintegrieren könnte, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner neuen Religionszugehörigkeit im besonderen Maße gefährdet sei, zu den wesentlichen Grundleistungen keinen Zugang zu finden. Unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer betreffenden, oben geschilderten, individuellen Umstände könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

2.6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.07.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Auf Aufforderung, einen Lebenslauf zu schildern, führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Afghanistan geboren sei und im Alter von sechs Monaten in den Iran gezogen sei. Im Iran habe er sechs Jahre lang die Schule besucht und im Alter von ungefähr 12 Jahren drei bis vier Jahre mit seinem Vater auf Baustellen gearbeitet. Im Alter von 16 Jahren habe der Beschwerdeführer den Iran in Richtung Europa verlassen. Befragt, ob er in Österreich bereits gearbeitet habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er ein paar Mal für eine Gemeinde tätig gewesen sei und im Zuge dieser Tätigkeit die Straße gereinigt oder den Friedhof instandgehalten habe. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an. In seiner Freizeit setze sich der Beschwerdeführer mit der Bibel auseinander und habe gerade über die Taufe durch Petrus gelesen. Dieses Kapitel sei ein Teil des Inhaltes des Neuen Testaments. Auf die Frage, was der Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass sie gerade das Neue Testament lesen würden. Den Begriff „Dreifaltigkeit“ kenne der Beschwerdeführer nicht. Befragt, ob der Gott der Christen, der Juden und der Muslime ein und derselbe Gott sei oder ob es sich um verschiedene Götter handle, erwiderte der Beschwerdeführer, dass es sich um einen Gott handle, aber der Islam nicht die Meinung vertreten würde, dass Jesus der Sohn Gottes sei und er lediglich als Prophet akzeptiert werde. Auf Nachfrage, wann er den Glauben gewechselt habe und wie es dazu gekommen sei, brachte der Beschwerdeführer vor, dass dieser im Jahr 2018 erfolgt sei. Er habe sich in der Vergangenheit oftmals mit seinen Problemen alleine gelassen gefühlt und ihm ein Bewohner seines Flüchtlingsheims vorgeschlagen habe, mit ihm die Kirche zu besuchen und der Beschwerdeführer habe sich nach zwei Wochen dafür entschieden, die Kirche auch weiterhin zu besuchen. Zu Beginn sei er nervös gewesen und habe sich vor Ablehnung gefürchtet, die anwesenden Personen hätten ihn jedoch interessiert empfangen. Nachgefragt, wer Petrus gewesen sei, brachte der Beschwerdeführer vor, dass dieser einer der 12 Aposteln gewesen sei. Die genauen Namen der 12 Aposteln könne der Beschwerdeführer nicht aufzählen, er wisse auch nicht, welcher der Apostel Jesus Christus verraten habe. Befragt, wie oft er derzeit die Kirche besuche, erklärte der Beschwerdeführer, dass er es nur mehr einmal im Monat schaffe, in die Kirche zu gehen, da es in der Nähe keine Freikirche gebe. Auf Vorhalt, was der Unterschied zwischen katholischer Kirche und Freikirche sei, brachte der Beschwerdeführer vor, dass es bei der katholischen Kirche den Papst gebe. Weitere Divergenzen könne der Beschwerdeführer nicht angeben. Auf die Frage, was er über den Papst denke, entgegnete der Beschwerdeführer, dass dieser als Vater der Kirche qualifiziert werde und nicht heiraten dürfe. Martin Luther sei ebenfalls ein Apostel gewesen.

Befragt, wie er sich die Zukunft in Österreich vorstelle, führte der Beschwerdeführer an, dass er die Möglichkeit bekommen wolle, in Zukunft als Koch tätig zu sein. Er habe im Bundesgebiet seit acht Monaten eine Freundin, mit der er jedoch nicht zusammenwohne. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer seine Religion nicht verstecken und er würde mit den islamischen Zwängen nicht zurechtkommen. Der Beschwerdeführer wolle zentrale Lebensentscheidungen eigenständig treffen. Auf Nachfrage, wo seine Eltern und Geschwister derzeit wohnen würden, erwiderte der Beschwerdeführer, dass diese im Iran aufhältig seien. Er habe vier Schwestern und einen Bruder, seine Schwestern würden als Hausfrau bzw. Schneiderin tätig sein, sein Bruder arbeite gemeinsam mit seinem Vater auf Baustellen. Der Beschwerdeführer stehe mit seiner Familie in wöchentlichen telefonischen Kontakt und unterstütze seine Familienmitglieder mit Geldleistungen. Auf die weitere Frage, ob seine Familie über seinen Glaubenswechsel informiert sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass sein Vater mit ihm aus diesem Grund verstoßen habe und seiner Mutter sowie seiner Schwestern die Kontaktaufnahme untersagt habe. Erst nach einiger Zeit hätten diese den Beschwerdeführer wieder verständigen dürfen.

Ein einvernommener Zeuge gab zu Protokoll, dass es sich bei der Freikirche, der der Beschwerdeführer angehöre, um einen Verein handle, der nicht dem Bund evangelikaler Kirchen angehöre. Der Beschwerdeführer sei von ihm am 12.11.2018 getauft worden. Auf die Frage, wie oft er den Beschwerdeführer sehe, entgegnete der Zeuge, dass er ihn sporadisch bei Gottesdiensten gesehen habe.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer mehrere Fotos, zwei Empfehlungsschreiben, eine Einstellbestätigung vom 29.06.2020 über eine Beschäftigung als Küchenhilfe nach Erhalt eines Aufenthaltstitels sowie ein weiteres Empfehlungsschreiben vom 27.06.2020 über die regelmäßige Teilnahme des Beschwerdeführers an Anlässen der Evangelikalen Freikirche Hollabrunn in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, stammt ursprünglich aus der Stadt Herat und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer ist im Alter von sechs Monaten mit seiner Familie in den Iran gezogen und hat dort sechs Jahre die Schule besucht. In weiterer Folge war er im Alter von 12 Jahren als Hilfsarbeiter auf Baustellen tätig. Der Beschwerdeführer hat weder in Afghanistan noch im Iran eine Berufsausbildung absolviert. Er ist mit den örtlichen und sozialen Gegebenheiten in Afghanistan nicht vertraut und hat – abgesehen von seiner Staatsbürgerschaft - keinerlei Berührungspunkte mit seinem Herkunftsstaat.

In Afghanistan verfügt der Beschwerdeführer über keine Angehörigen, seine Eltern und Geschwister leben im Iran und der Beschwerdeführer steht mit diesen in regelmäßigen telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Kernfamilie durch Geldleistungen.

Der Beschwerdeführer stellte nach irregulärer Einreise am 07.09.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, der mit Bescheid des BFA vom 12.05.2017 in allen Spruchpunkten abschlägig entschieden wurde. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.09.2017, W123 2160936-1/9E, als unbegründet abgewiesen und erwuchs mit 29.09.2017 in Rechtskraft. Am 14.08.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen, gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter. Der BF leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

Der strafrechtlich unbescholtene BF ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer besucht seit Februar 2018 regelmäßig Gottesdienste der freikirchlichen christlichen Gemeinde und wurde am 12.11.2018 getauft. Der Beschwerdeführer hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 gut bestanden und im Jahr 2015 die internationale Vorbereitungsklasse eines Stiftsgymnasiums und im Jahr 2016 die Übergangsstufe einer Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule besucht. Zudem hat er von 03.02.2017 bis zum 06.02.2017 an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage als Küchenhilfe in einem mexikanischen Restaurant.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf. Der Beschwerdeführer hat seit etwa Februar 2018 Bibelstunden und Gottesdienste der freikirchlichen christlichen Gemeinde besucht. Am 12.11.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Pastor dieser freikirchlichen christlichen Gemeinde getauft.

Der Beschwerdeführer hat einen christlichen Glauben nicht verinnerlicht. Ein christlicher Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität oder der Persönlichkeit des Beschwerdeführers geworden. Er tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf, der Beschwerdeführer ist nicht vom Islam abgefallen. Der Beschwerdeführer ist noch immer schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer gab in Europa an, Christ zu sein, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen, nachdem über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz negativ entschieden wurde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer seinem behaupteten Interesse für den christlichen Glauben nicht mehr nachkommen oder dieses nach außen zur Schau tragen.

Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund des in Österreich behaupteten Interesses für den christlichen Glauben keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgrund seines Aufenthaltes im Iran und Europa keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt.

1.3.    Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer ist eine Überstellung in seine Heimatstadt Herat aufgrund seiner individuellen Umstände in Zusammenschau mit den COVID-19 Pandemie bedingten wirtschaftlichen Situation und den damit für Rückkehrer verbundenen Einschränkungen in den Städten Mazar-e Sharif und Herat aktuell nicht zumutbar.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz – Herat (Stadt) – ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Aufgrund der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) zwar vorhanden, jedoch beschränkt. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns wegen des Corona-Virus kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt zusätzlich eingeschränkt sein. Die Versorgungslage ist angespannt und der Zugang zum Arbeitsmarkt ist aufgrund der herrschenden COVID-19-Pandemie zusätzlich beschränkt.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) jedoch nicht möglich, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, so wie es auch seine Landsleute führen können. Der Beschwerdeführer gehört der Minderheitenvolksgruppe der Hazara an, hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, verfügt nur über wenige Jahre Schulbildung und lediglich über Arbeitserfahrung als Hilfskraft auf Baustellen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ist die Arbeitsmarktsituation äußerst angespannt, viele Tagelöhner finden keine bzw. nur unzureichende Arbeit. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Vermögen und ist mittellos. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer über kein Unterstützungsnetzwerk in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) verfügt, welches ihn allenfalls zu Beginn unterstützen könnte. Im Fall einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) liefe der Beschwerdeführer, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell bestehenden COVID-19-Pandemie, Gefahr, mangels sozialer und familiärer Unterstützung sowie mangels ausreichender (leistbarer) Unterkunftsmöglichkeiten grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Auch wäre die ärztliche Behandlung des Beschwerdeführers im Fall einer Infektion mit COVID-19 nicht gewährleistet.

Der Beschwerdeführer lebte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im Iran und verfügt in Afghanistan über kein tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk, mit dessen Unterstützung er sich eine Existenzgrundlage aufbauen könnte. Er hat insbesondere auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat keine unterstützungswilligen Verwandten. Der Beschwerdeführer ist zwar in Afghanistan geboren, hat das Land aber als Säugling verlassen und hat nie alleine und auf sich gestellt in Afghanistan gelebt. Er hat zudem im Iran als Minderjähriger nur Hilfsarbeiten auf Baustellen verrichtet.

Im Falle einer Rückkehr wird der Beschwerdeführer zu Beginn nur Gelegenheits- oder Hilfsarbeiten annehmen können. Durch die COVID-19 bedingten Lock-downs in den Städten Herat und Mazar-e Sharif ist es gerade für Gelegenheitsarbeiter besonders schwierig, Arbeit und Unterkunft zu finden. Die Nahrungsmittelpreise sind in den letzten Monaten massiv gestiegen.

Aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan insbesondere bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz oder einer Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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