Entscheidungsdatum
12.08.2020Norm
VwGG §25a Abs2 Z1Spruch
W266 2165273-1/31Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK (in Vertretung des Richters Mag. Stephan WAGNER gemäß § 10 Abs. 3 der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes 2020) über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Julia ECKER, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2019, W266 2165273-1/11E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, beschlossen:
Der Revision wird gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Text
Begründung:
1. Feststellungen:
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 06.06.2020 wurde die Behandlung der Beschwerde gegen das im Spruch angeführte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Mit Schriftsatz vom 11.08.2020 brachte die revisionswerbende Partei eine außerordentliche Revision gegen das oa. Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung führte die revisionswerbende Partei Folgendes an:
„Der RW ist unbescholten und hielt sich bisher mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber in Österreich auf. Das angefochtene Erkenntnis des BVwG ist einem Vollzug zugänglich, da nach Abschluss des Verfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den RW vollzogen werden können. Es muss daher jederzeit mit einer Abschiebung des RW nach Afghanistan gerechnet werden.
Der Vollzug wäre für den RW mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden, da er in weiterer Folge aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden könnte und den Ausgang des Verfahrens in Afghanistan abwarten müsste.
Durch die Abschiebung nach Afghanistan wäre der RW gerade jener Gefahr von Eingriffen in seine Rechte ausgesetzt, deren Prüfung Gegenstand dieses Verfahrens ist. Wie in der Revision dargelegt wurde, droht dem RW bei einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan das reale Risiko der Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Artikel 2 und 3 EMRK, dies vor allem aufgrund seines nach außen erkennbaren Abfalls vom Glauben und seinem Wunsch, seinen christlichen Glauben auch im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan weiter ausleben zu wollen.
In Hinblick auf Art 3 EMRK relevant ist nunmehr auch, dass die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie in Afghanistan aktuell verheerende Auswirkungen auf die sozioökonomische Situation im Staat zeigt, mit Auswirkungen bis hin zur fehlenden Verfügbarkeit zum Erfüllen von Bedürfnissen des täglichen Lebens.
Gerade in der Provinz Balkh, in die das BVwG eine Rückkehr des RW für möglich und zumutbar erachtet hat, wirkt sich die Pandemie besonders stark aus. In Teilen der Provinz herrscht Wasserknappheit, teilweise gibt es keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist anzunehmen, dass es gerade zum derzeitigen Zeitraum, nämlich zwischen Ende Juli und Anfang August 2020, zum Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan kommen wird, womit schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen seiner Bevölkerung zu erwarten sind. Vielen Menschen fehlen Einkommensquellen, Lebensmittelpreise steigen, Erwerbsmöglichkeiten sinken.
Beweis: - Auszüge des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 mit letzten Auszügen von 21.7.2020 (Blg ./4)
Mit dem Vollzug der hier angefochtenen Entscheidung wäre zudem ein schwerer Eingriff in das in Österreich geführte Privatleben des RW verbunden, da er in Österreich wie unter c) dargelegt wurde, intensive Bindungen begründet hat. Er ist ein aktives Kirchenmitglied und ist in sprachlicher und sozialer Hinsicht gut integriert. Durch seine diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist der RW auch in beruflicher Hinsicht gut vernetzt.
Eine Abschiebung nach Afghanistan würde den RW damit gerade jenen Eingriffen in seine Rechte aussetzen, deren Prüfung Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Während seines Aufenthalts in Österreich hat sich der RW keine Verstöße gegen die Rechtsordnung zu Schulden kommen lassen, sondern sich vielmehr herausragend integriert. Es besteht zwar ein öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, allerdings überwiegt in Anbetracht der dem RW in Afghanistan drohenden gravierenden Grundrechtseingriffe dessen persönliches Interesse am Verbleib in Österreich.
Zwingende öffentliche Interessen, die der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Eine Gefährdung öffentlicher Interessen durch seinen Aufenthalt in Österreich ist ebenfalls nicht zu befürchten. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 VwGG für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung liegen damit vor. 2
Zwingende öffentliche Interessen stehen einer Bewilligung der aufschiebenden Wirkung im konkreten Fall des Revisionswerbers jedenfalls nicht entgegen. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Umstand, dass der Revisionswerber, bis zum Abschluss des gegenständlichen Verfahrens, weiterhin im Bundesgebiet verbleiben kann, ist gerade auch auf Grund seines Wohlverhaltens vollkommen ausgeschlossen.
Aus all diesen Gründen wiegen bei Abwägung der verschiedenen Interessen die Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wesentlich schwerer, zumal die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise nach Afghanistan aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht notwendig ist.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung liegen damit vor.“
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 30 Abs. 2 VwGG lautet:
„Bis zur Vorlage der Revision hat das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.“
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt (vgl. VwGH 25.02.1981, VwSlg. 10.381A; uva.), hat der Revisionswerber – unabhängig vom Fehlen eines zwingenden öffentlichen Interesses – im Aufschiebungsantrag zu konkretisieren, worin für ihn ein unverhältnismäßiger Nachteil gelegen wäre, es sei denn, dass sich nach Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen lassen.
Im Hinblick auf die im angefochtenen Erkenntnis erlassene Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber samt der Feststellung, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und die im Antrag dargestellte Befürchtung der Abschiebung nach Afghanistan ist davon auszugehen, dass mit dem sofortigen Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil – durch den Verlust der Stellung als Asylwerber und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen (vgl. VwGH 15.10.2014 und VwGH 21.01.2016, Ra 2015/20/0300) – verbunden wäre.
Dass zwingende öffentliche Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstünden, ist im Hinblick auf die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers fallbezogen nicht ersichtlich.
Aus diesen Erwägungen war dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattzugeben.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung außerordentliche RevisionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W266.2165273.1.01Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020