TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/13 I422 2233779-1

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Veröffentlicht am 13.08.2020
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Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I422 2233779-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA Polen, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2020, Zl. 12135804/190018025, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm kein Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte sie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot zugleich die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Bescheid eine unzureichende Begründung aufweise. Es handle sich beim Beschwerdeführer um eine EWR-Bürger, der seit rund 18 Jahren in Österreich aufhältig und erwerbstätig sei, weshalb im Hinblick auf seine Person der qualifizierte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung komme. Allerdings sei aus der Entscheidung der belangten Behörde nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und könne im gegenständlichen Fall nicht von einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung ausgegangen werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet durchgehend seit 01.10.2002 melderechtlich erfasst.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er ist an einer HIV-Infektion erkrankt und befindet sich dahingehend in einer aufrechten medizinischen Behandlung. Zudem ist der Beschwerdeführer drogensüchtig und unterzieht sich seit 2019 einer Drogentherapie.

Der Beschwerdeführer wurde in Chmielnik/Polen geboren. Die Eltern des Beschwerdeführers leben in Polen. Zu ihnen hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt.

In Österreich weist der Beschwerdeführer mehrfache Beschäftigungsverhältnisse auf und war er zuletzt mit einer kurzen dreimonatigen Unterbrechung von 01.01.2008 bis 31.12.2019 selbständig erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf:

Erstmalig wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.12.2015, zu 071 Hv 92/15s rechtskräftig wegen des Vergehens nach § 22a Abs. 1 Z 1, Abs. 4 Z 2 und Abs. 5 erster Fall des Anti-Dopings-Bundesgesetztes 2007, des Vergehens nach § 22a Abs. 2 Anti-Doping-Bundesgesetztes 2007 und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2 SMG sowie des Vergehens nach § 4 Abs. 1 NPSG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten, davon 16 Monate bedingt und eine Probezeit von drei Jahren.

Der Verurteilung fußt auf der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Wien

I.)      zu Zwecken des Dopings im Zusammenhang mit jeglicher sportlicher Aktivität

A.)      für alte Sportarten verbotene Wirkstoffe gemäß Referenzliste der Anti-Doping-Konvention (Verbotsliste), soweit diese nicht Suchtmittel im Sinne des Suchtmittelgesetzes sind, in Verkehr gesetzt, indem er die nachgenannten Dopingmittel an nachgenannte Personen verkaufte, wobei er innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Tat zumindest drei solche Taten begangen und in der Absicht gehandelt hat, sich durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen

1.)      von zumindest 1. Jänner 2015 bis März 2015

(a)      mehrere Ampullen mit dem Wirkstoff Testosteron ENANTAT in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl in einer nicht mehr feststellbaren Milliliteranzahl an nicht mehr feststellbare Abnehmer;

(b)      5 Ampullen mit dem Wirkstoff Testosteron ENANTAT zu je 10 Milliliter an Christian BODOR zu einem Gesamtpreis von zumindest 175 Euro;

(c)      Ampullen mit dem Wirkstoff Testosteron ENANTAT zu je 10 Milliliter und zwar 2 Stück der Firma „Diamond Pharma" und 4 Stück der Firma „Galenika" an Ludovit S[...] zu einem nicht mehr feststellbaren Kaufpreis, indem der Kaufpreis von seinem Monatslohn in Abzug gebracht wurde;

2.)      im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (S 12 StGB) mit Szilard B[...] Anabol-Tabletten beinhaltend den Wirkstoff Stanozol

(a)      am 04.03.2015 200 Stück zu jeweils 10 Milligramm pro Tablette zu einem Kaufpreis von insgesamt EUR 90,- an verdeckte Ermittler;

(b)      zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Anfang März 2015 eine nicht mehr feststellbare Menge Stanozol an einen nicht mehr feststellbaren Abnehmer wobei der Beschwerdeführer die Straftat nach Abs. 4 in Bezug auf in der Verbotsliste genannten anabole Substanzen beging;

B.)      in der Verbotsliste genannte anabole Substanzen, Hormone und Stoffwechselmodulatoren vorschriftswidrig in einer die Grenzmenge (§ 22a Abs. 7 ADBG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass sie zu Zwecken des Dopings im Zusammenhang mit jeglicher sportlicher Aktivität in Verkehr gesetzt oder bei Sportlern oder bei anderen angewendet werden, wobei insgesamt die unten genannten Grenzmengen um den Faktor 42.2 überschritten wurden, nämlich

1.)      55 Durchstechflaschen Deca-Durabolin, beinhaltend 536 mg des Wirkstoffes Testosteronpropionat und 655 mg des Wirkstoffes Nandrolondecanoat (Grenzmengenüberschreitung 15.4);

2.)      200 Tabletten Mesterolone, beinhaltend 1.800,00 mg des Wirkstoffes Mesterolon (Grenzmengenüberschreitung 1.2);

3.)      eine Durchstechflasche Tri-Trenabol, beinhaltend 234 mg des Wirkstoffes Testosteronpropionat und 140 mg des Wirkstoffes Trenbolonenantat (Grenzmengenüberschreitung 1.3);

4.)      sechs Ampullen Sustanon, beinhaltend 144 mg des Wirkstoffes Testosteronpropionat und 126 mg des Wirkstoffes Testosteronenantat (Grenzmengenüberschreitung 04);

5.)      eine Durchstechflasche Testosteron ENANTAT beinhaltend 219 mg des Wirkstoffes Testosteronpropionat und 300 mg des Wirkstoffes Testosteronenantat (Grenzmengenüberschreitung 0.8);

6.)      30 Tabletten Nolvadex beinhaltend 228 mg des Wirkstoffes Tamoxifen (Grenzmengenüberschreitung 0.4);

7.)      eine Ampulle Winstrol, beinhaltend 34 mg des Wirkstoffes Stanozolol (Grenzmengenüberschreitung 0.3);

8.)      15 Ampullen Deca-Durabolin beinhaltend 113 mg des Wirkstoffes Testosteronpropionat und 181 mg des Wirkstoffes Nandrolondecanoat (Grenzmengenüberschreitung 4.2);

9.)      1.000 Tabletten Danabol bzw Methandostenolone, beinhaltend 1.980,--mg des Wirkstoffes Methyltestosteron und 1.830,00 mg des Wirkstoffes Metandienon (Grenzmengenüberschreitung 16.6);

10.)    120 Tabletten Zitazonium, beinhaltend 911 mg des Wirkstoffes Tamox (Grenzmengenüberschreitung 1.5);

II.)    vorschriftswidrig Suchtgift

A.)      durch gewinnbringenden Verkauf überlassen und zwar

1.)      Ecstasy-Tabletten beinhaltend den Wirkstoff MDMA mit einem straßenüblichen Reinsubstanzgehalt von 0,025g pro Tablette

2.)      in einem Zeitraum von Juli 2013 bis Februar 2014 an den abgesondert verfolgten Firat Ö[...] in mehreren Angriffen zu einem Stückpreis von zumindest EUR 8,—

3.)      zumindest 217 Stück;

B.)      im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Rodi L[...] als Mittäter zumindest 210 Stück;

C.)      im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Ludovit S[...] als Mittäter 50 Stück;

D.)      im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Rodi L[...] als Mittäter eine nicht mehr feststellbare Menge an Mephedron (beinhaltend den Wirkstoff 4-Methylmethcathinon) sowie Speed (beinhaltend einen durchschnitttichen Wirkstoffgehatt von 10% Amphetamin) an nicht mehr feststellbare Abnehmer;

E.)      im Zeitraum zwischen August 2014 bis März 2015 zumindest 32 Gramm Mephedron (beinhaltend den Wirkstoff 4-Methylmethcathinon) unentgeltlich an Marin S[...];

F.)      im Zeitraum Februar bis Ende Juli 2014 20 gr Mephedron (beinhaltend den Wirkstoff 4-Methytmethcathinon) unentgeltlich an Anna K[...]

wobei der Beschwerdeführer die II./A) genannten strafbaren Handlungen in einer die Grenzmenge übersteigenden, nicht jedoch das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge beging;

G.)      am 04.03.2015 Speed (beinhaltend den Wirkstoff Amphetamin) zum Eigenkonsum besessen;

III.)   zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, eine mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß § 3 definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanz, mit dem Vorsatz überlassen, dass sie von dem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet werden, und zwar im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Ludovit S[...] zumindest zweimal 30 Milliliter Liquid-Ecstasy (beinhaltend den Wirkstoff Gammabutyrolacton) an Firat Ö[...].

In seiner Entscheidung wertete das Strafgericht das teilweise Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel, die teilweise Sicherstellung der anabolen Substanzen und des Suchtgiftes als mildernd, wohingegen es das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, die mehrfache Tatbegehung und den langen Tatzeitraum als erschwerend berücksichtigte.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.04.2019, zu 064 Hv 17/19s wegen des Verbrechens des Suchtgifhandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG, des Vergehens nach § 4 Abs. 1 NPSG und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.

Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in Wien

A.)      vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Mephedron (beinhaltend den Wirkstoff 4-Methylmethcathinon) in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen hat, und zwar

I.)      von einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Mitte 2017 bis zumindest Mitte November 2018 Stephan S[...] in mehrfachen Angriffen insgesamt zumindest 75 Gramm;

II.)    ab Mitte 2017 bis zuletzt Ende November 2018 Michael D[...] in mehrfachen Angriffen insgesamt zumindest drei Gramm;

III.)   von Mai 2018 bis zuletzt Dezember 2018 Christian R[...] in mehrfachen Angriffen zumindest 25 Gramm;

IV.)    zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2016 bis 13.12.2018 einer Vielzahl von unbekannten Abnehmern, sowie Daniel S[...] (20 bis 25 Gramm), insgesamt zumindest 1.397 Gramm;

B.)      mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, eine mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß § 3 definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanz anderen mit dem Vorsatz überlassen, dass sie von einem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet wird, und zwar am 13.12.2018 einem verdeckten Ermittler 250 Gramm einer Neuen Psychoaktiven Substanz (beinhaltend den Wirkstoff 4-Chloroethcathinon).

C.)      am 26.02.2019 RInsp. Andre K[...] dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung falsch nämlich des Missbrauchs der Amtsgewalt, indem RInsp. K[...] im Zuge seiner Einvernahme seine Aussage falsch protokolliert haben soll und ein richtiggestelltes Protokoll nicht an die Staatsanwaltschaft Wien weitergeleitet haben soll, obwohl er wusste, dass diese Verdächtigung falsch war.

Zugleich wurde im besagten Strafurteil mit Beschluss vom Widerruf der zu hg 074 Hv 92/15s gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Das Strafgericht berücksichtigte in seiner Entscheidung das überschießende Geständnis des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren und die Sicherstellung der Substanzen als mildernd. Erschwerend wertete es das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, die Tatbegehung während des Strafverfahrens, die Vorstrafen und die Tatbegehung während der Probezeit.

Gegenwärtig verbüßt der Beschwerdeführer seine Freiheitsstrafe in einer österreichischen Justizanstalt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung einer schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 20.02.2020, des bekämpften Bescheides und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Verbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-Web) und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Durch eine sich dort einliegende Kopie seines Führerscheins ist die Identität des Beschwerdeführers belegt.

Aus der Einsichtnahme in das ZMR gründen die Feststellungen über den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Dass der Beschwerdeführer über eine Anmeldebescheinigung verfügt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zu seinem Familienstand und seinem Gesundheitszustand sowie seiner Herkunft und dem fehlenden Kontakt zu seinen dort lebenden Eltern ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Ausführungen. So brachte er in seiner Beschwerde vom 30.07.2020 vor, dass er homosexuell sei und er sich in Österreich eine HIV-Infektion zugezogen habe und er zudem drogensüchtig sei und er sich diesbezüglich in einer Therapie befinde. Aus seiner Stellungnahme vom 20.02.2020 verwies der Beschwerdeführer in Bezug auf seine HIV-Erkrankung, dass er sich einer medizinischen Betreuung und regelmäßigen Kontrollen im AKH Wien unterziehe. Ebenso führte er in seiner Stellungnahme vom 20.02.2020 glaubhaft aus, dass er sich um eine Kontakt mit seinen Eltern bemüht sei, diese allerdings zu ihm keinen Kontakt pflegen wollen.

Auf der Einsichtnahme in das AJ-Web basieren die Feststellungen zu seiner beruflichen Tätigkeit in Österreich.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind durch einen aktuellen Auszug des Strafregisters sowie den sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen belegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Aufgrund seines seit 01.10.2020 durchgehenden und somit mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich, kommt der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung. Demzufolge ist zu beurteilten, ob vom Verbleibt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich ausgeht.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf.) Hat der Fremde "mehrfach Probezeiten bestanden", ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei "kein professionell strukturierter Suchtgifthandel" vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Es ist der belangten Behörde dahingehend vollinhaltlich zuzustimmen, dass es sich bei der Suchtgiftkriminalität um ein besonders sozialschädliches und ein die öffentlichen Interessen besonders gefährdendes Fehlverhalten handelt. Durchaus lässt das erkennende Gericht auch nicht außer Acht, dass der Beschwerdeführer durch seine einschlägige Vorstrafe, der Tatbegehung während eines laufenden Strafverfahrens sowie während der Probezeit und dem Umstand, dass er mit Suchtgifthandel eine wiederkehrende Einnahmequelle lukrierte auch hinkünftig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich") ist jedoch trotz der Schwere der von ihm zu verantwortenden Kriminalität nicht erfüllt, auch wenn die besondere Gefährlichkeit von Suchtgiftdelikten berücksichtigt wird.

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um die zweite strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers. Diese Verurteilung erfolgte nach einer Wohlverhaltensphase von rund dreieinhalb Jahren. Ein professionell strukturierter oder organisierter Suchtgifthandel lässt sich weder aus seiner ersten noch aus seiner zweiten Verurteilung ableiten. Es ist des Weiteren auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren ein überschießendes Geständnis abgab und die Substanzen sichergestellt wurden. Somit kann trotz der Verwirklichung seines mehrfachen Suchtgifthandels im gegenständlichen Fall noch nicht von „außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der von ihm begangenen Straftat gesprochen werden (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).

Überdies ist gemäß § 9 BFA-VG angesichts des jahrelangen rechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers, seiner privaten, sozialen und beruflichen Integration am Arbeitsmarkt von einem unverhältnismäßigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK durch das Aufenthaltsverbot auszugehen.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer somit nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgabe der Beschwerde zu beheben. Sollte der Beschwerdeführer hinkünftig erneut straffällig werden – insbesondere bei einem entsprechend schwerwiegenden Rückfall in Bezug auf Suchtgiftdelikte –, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik des Vorliegens einer "nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung“ in Bezug auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2233779.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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