TE Bvwg Beschluss 2020/8/18 W200 2231341-1

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Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W200 2231341-1/3E

B E S C H L U S S

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen die festgestellte Höhe im Behindertenpass des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich vom 22.04.2020, Zl. 71479528900010 zu Recht beschlossen:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ, zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 05.03.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und nannte dabei als Gesundheitsschädigungen „Vorschädigungen sh. Unterlagen des Landesinvalidenamtes Wien, zweimalige tiefe Beinvenenthrombosen samt Pulmonalembolie, subretinale Blutung im rechten Auge und beidseitige Makuladegeneration mit Sehbehinderung“. Dem Antrag angeschlossen waren augenfachärztliche Unterlagen.

Das Sozialministeriumservice holte ein augenfachärztliches Gutachten vom 26.03.2020 basierend auf der Aktenlage ein, das einen Grad der Behinderung von 40 v. H. ergab (Myope choroidale Neovaskularisation rechts, trockene Maculadegeneration links, hohe Kurzsichtigkeit rechts, incipiente Cataract beidseits, Pos. Nr. 11.02.01, Wahl dieser Richtsatzposition bei Minderung der Sehschärfe beider Augen, fixer Rahmensatz gemäß Tabelle Kolumne 7, Zeile 3; 40%). Weiters wurde darauf hingewiesen, dass kein Vorgutachten vorliege.

Im gewährten Parteiengehör wurde moniert, dass das Landesinvalidenamt mit Bescheid vom 10.10.1989 wegen mehrfacher Gesundheitsschädigung einen Behinderungsgrad von 50% festgestellt hätte. Die damals festgestellten Behinderungen seien nicht weggefallen. Auch die zwischenzeitliche Schädigung durch zweimalige tiefe Beinvenenthrombose und Verminderung der Lungenfunktion sei nicht berücksichtigt worden. Er erklärte sich auch mit der Einstufung des Grades der Behinderung durch den Augenfacharzt nicht einverstanden.

Der Akt des Landeninvalidenamtes wurde bereits skartiert.

Nach Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen sowie des Beiblattes zum Bescheid des Landesinvalidenamtes holte das Sozialministeriumservice abermals ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Augenheilkunde und Arztes für Allgemeinmedizin - basierend auf der Aktenlage - ein. Das Gutachten vom 17.04.2020 ergab einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 v. H. und gestaltete sich wie folgt:

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Entlassungsbrief der Dermatologie des Wilhelminenspitals vom 20.10.1997:

Beinvenenthrombose rechts, asymptomatische Pulmonalembolie, Diverticulose, St. p. Cholecystektomie 1982

Fragmintherapie, überlappend Marcoumar

DU - kein Malignom

Marcoumar für 3 Monate

Ambulanzbrief der Dermatologie des Wilhelminenspitals vom 25.1.2002: Beinvenenthrombose links, anbehandelt,

Zustand nach Beinvenenthrombose rechts und Pulmonalembolie Lovenox, Umstellung auf Marcoumar für 12 Monate stat. Aufnahme gg. Revers abgelehnt

Beiblatt zum Bescheid des Landesinvalidenamtes W, NÖ, Bgld. vom 10.10.1989: Schielschwachsichtigkeit rechts, links normal     VI/b/614  30 %

St. p. Gallenblasenentfernung       III/e/368 20 %

Oberer Rahmensatz, da Funktionsstörung feststellbar ist.

Spondylolisthese L5 und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule  g.Z. I/f/188  30 %

Gesamt-GdB 50 %

E-Mail von Herrn XXXX vom 7. April 2020:

... Zusätzlich habe ich noch einen Blutbefund des AKH aufgefunden, der im Zuge der Nachuntersuchungen nach der 1. Beinvenenthrombose erhoben wurde. Da er für sich allein nichts weiter dokumentiert und ich keine zusätzlichen Befunde nach den Beinvenenthrombosen besitze, habe ich die betreffenden Entlassungsschreiben ebenfalls beigefügt (Entlassungsbrief 1 und 2, sowie Blutbefund nach der 1. Entlassung). Das ist alles, was ich zu den daraus entstandenen Konsequenzen der Marcoumar-Pflicht samt ständigem Tragen von Kompressionsstrümpfen und erhöhter Verletzbarkeit der Unterschenkel beitragen kann. Wie schon angeführt, könnte man nur noch amtswegig beim Wilhelminenspital der Stadt Wien nachforschen.

Befund der 1. Med. Klinik des AKH Wien vom 23.3.1998: APC-Resistenz, Faktor V Leiden heterozygot

Schreiben von Herrn XXXX im Rahmen des Parteiengehörs vom 4.4.2020:

(…)

Augenärztliches Vorgutachen vom 26.03.2020:

Myope choroidale Neovaskularisation rechts, trockene Maculadegeneration links, hohe Kurzsichtigkeit rechts, incipiente Cataract beidseits

Wahl dieser Richtsatzposition bei Minderung der Sehschärfe beider Augen, 11.02.01 fixer Rahmensatz gemäß Tabelle Kolumne 7, Zeile 3; 40 %

kein Vorgutachten vorliegend keine ZE

(…)

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd.

Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Myope choroidale Neovaskularisation rechts, trockene Maculadegeneration links, hohe Kurzsichtigkeit rechts, incipiente Cataract beidseits

Wahl dieser Richtsatzposition bei Minderung der Sehschärfe beider Augen, fixer Rahmensatz gemäß Tabelle Kolumne 7, Zeile 3.

11.02.01

40

2

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Wahl dieser Richtsatzposition bei maßgeblichen morphologischen Veränderungen, unterer Rahmensatz bei fehlender Dokumentation von relevanten neurologischen Ausfällen oder einer schweren Bewegungseinschränkung, analog zum Vorgutachten.

02.01.02

30

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Die führende funktionelle Einschränkung wird durch die anderen funktionellen Einschränkungen um 1 Stufe erhöht, da sich durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung des Gesamt-Grades der Behinderung ergibt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Zustand nach Tiefer Beinvenenthrombose rechts 1997, links 2002, angegebene laufende Marcoumartherapie, APC-Restistenz

Zustand nach Entfernung der Gallenblase bei gutem Ernährungszustand laut Foto angegebene verminderte Lungenfunktion ohne Befunde

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Beiblatt des Bescheides des Landesinvalidenamtes W, NÖ, Bgld. vom 10.10.1989:

1.       erhöht um 1 Stufe bei Verschlechterung

2.       unverändert Gesamt-GdB unverändert

Der Zustand nach Entfernung der Gallenblase bedingt nach Änderung der gesetzlichen Einschätzungsgrundlage keinen Grad der Behinderung mehr.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung: keine Änderung

Dauerzustand“

In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer am 22.04.2020 ein Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v. H. ausgestellt.

In der Beschwerde gegen die Höhe des festgestellten Behinderungsgrades von 50 v. H. wiederholte der Beschwerdeführer seine seit langem unveränderten bestehenden Behinderungen durch Schielschwachsichtigkeit und der Gallenkrankheit sowie, dass bereits 1989 vom Landesinvalidenamt ein Behinderungsgrad von 50% festgestellt worden sei. Darin seien unter anderen die Behinderung nach Gallenblasenentfernung festgestellt und eine Diät anerkannt worden. Weiters sei im Bescheid aus 1989 die Schielschwachsichtigkeit nach zwei erfolglosen Schieloperationen festgestellt worden, die weiterbestehe. Diese hätte bei der Beurteilung der neu hinzugekommenen Sehbehinderungen durch beidseitige Makuladegeneration und durch Narbenbildung nach Makulablutung im rechten Auge mitberücksichtigt werden müssen und den Grad der Sehbehinderung erhöhen müssen. Die neu beigebrachten Befunde würden lediglich auf den neu hinzugekommenen Behinderungen eingehen und die schon vorhandene Schielschwachsichtigkeit nicht erwähnen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)

Wie im Verfahrensgang ausgeführt war der Beschwerdeführer im Besitz eines Behindertenpasses mit einem GdB von 50%. Der Akt des Landeninvalidenamtes wurde skatiert, dem SMS liegen keine Unterlagen mehr darüber vor.

Aus diesem Grund hat das SMS den Beschwerdeführer ersucht, das Gutachten aus dem Jahr 1989 vorzulegen. Dieser besitzt jedoch nur noch das Beiblatt zum im Jahr 1989 erlassene Bescheid.

Die belangte Behörde hat es unterlassen ein allgemeinmedizinisches und augenfachärztliches Gutachten basierend auf einer Untersuchung einzuholen.

Dem SMS liegt kein Gutachten – auch nicht aus dem Jahr 1989 – vor, dem eigene Wahrnehmungen eines Sachverständigen zu Grunde liegen.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über den Antrag ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS rudimentäre Ermittlungen getätigt.

Im weiteren Verfahren wird daher der Beschwerdeführer jedenfalls zu einer Untersuchung zu einem Augenfacharzt und zu einem Arzt für Allgemeinmedizin zu laden sein, der ein ua auch auf der Untersuchung basierendes Gutachten zu erstellen haben wird.

Weiters wird der Beschwerdeführer vom SMS in der Ladung zu den Untersuchungen aufzufordern sein, im Rahmen der Untersuchungen seine sämtlichen – auch die auf den von ihm vorgelegten Beiblatt erwähnten – Erkrankungen belegenden medizinischen Unterlagen vorzulegen.

Auf Basis dieser beiden Gutachten wird eine Zusammenfassung der Gutachten zu erfolgen haben. Nach Gewährung des Parteiengehörs an den Beschwerdeführer hat das SMS die Entscheidung zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung zu treffen.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.


Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2231341.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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