TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/18 I419 2143787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2143787-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30.11.2016, Zl. 1094690706-151762904, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste 2015 illegal ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA mit dem bekämpften Bescheid betreffend den Status des Asylberechtigten abwies (Spruchpunkt I) und ihm den des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte (Spruchpunkt II). Unter einem erteilte es ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III), die es später bis 30.11.2021 verlängerte.

In der nur gegen Spruchpunkt I erhobenen Beschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer, der als Journalist tätig gewesen sei, habe sich zur Flucht gezwungen gesehen, da man ihn bedroht und nach ihm gesucht habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Anfang 30, Araber, Sunnit und Staatsangehöriger des Irak. Er ist ledig, gesund und arbeitsfähig.

Er stammt aus Bohroz (Buhriz) bei Bakouba (Ba‘aqubah) in der Provinz Diyala, wo weiterhin seine Eltern, Mitte 50 und ca. 50, sowie ein ca. 18-jähriger Bruder gemeinsam wohnen. Sein Vater arbeitet in Diyala für ein Ministerium im Bereich der Stromversorgung. Dort lebte der Beschwerdeführer bis Anfang Oktober 2015, als er sich zur Ausreise entschloss.

Im Herkunftsstaat hat er an einer technischen Schule eine Maschinenbauer-Ausbildung absolviert, 2008 maturiert und ab 2009 gearbeitet. Dort wohnen auch noch eine Tante, ein Onkel und ein Cousin des Beschwerdeführers, mit denen er etwa alle zwei Wochen Kontakt hat. Verwandte seines Vaters wohnen im Viertel Our (Ur) im Stadtbezirk Adhamiya in Bagdad.

1.2 Zum Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak auf Stand 08.04.2016 zitiert. Aktuell steht ein solches vom 17.03.2020 zur Verfügung. Im gegebenen Zusammenhang sind davon die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018). [...]

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019). […]

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018). […]

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). […]

1.2.2 Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).

Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).

Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).

1.2.3 Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt (AA 12.1.2019), Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 11.3.2020).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.1.2019). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 11.3.2020). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 4.2.2018).

Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 11.3.2020). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.1.2019).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 12.1.2019). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2019 auf Platz 156 von 180 (RSF 2020).

Journalisten sind häufig Opfer von bewaffneten Angriffen, Verhaftungen oder Einschüchterungen durch regierungsnahe Milizen und Sicherheitskräfte in allen Teilen des Landes. Morde an Journalisten bleiben ungestraft (RSF 2020). So wurden etwa auch im Zuge der am 1.10.2019 begonnenen Massenproteste im Südirak und Bagdad Journalisten durch willkürliche Verhaftungen, Belästigungen, Drohungen und die widerrechtliche Beschlagnahme von Equipment daran gehindert über die Demonstrationen zu berichten (UNAMI 10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Neun Journalisten gelten seit 2014 nach wie vor als vermisst. Zwei Journalisten wurden 2019 getötet (CPJ 2020). Zwei Journalisten, die in Basra über die Proteste berichteten, wurden am 10.1.2020 erschossen (CPJ 10.1.2020). Seit Mitte Oktober verließen die meisten internationalen Medien und viele lokale Journalisten Bagdad in Richtung Erbil und andere Oerte in der Kurdischen Region im Irak (KRI), nachdem berichtet wurde, dass die Sicherheitskräfte eine Liste von Journalisten und Aktivisten in Umlauf brachten, die verhaftet und eingeschüchtert werden sollten (USDOS 11.3.2020).

Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des „Committee to Protect Journalists“ zudem den weltweit drittletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 25 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.1.2019).

Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 4.3.2020). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 11.3.2020).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

1.3.1 Der Beschwerdeführer hat nach der Matura zunächst begonnen, bei Hochzeiten gegen Entgelt Foto- und Videoreportagen anzufertigen. Ab 2009 war er für die Bezirksverwaltung als technischer Mitarbeiter der Medienstelle tätig und bearbeitete eigenes und fremdes Videomaterial durch Schneiden und Montage.

1.3.2 Daneben arbeitete der Beschwerdeführer freiberuflich als Reporter und Kameramann für verschiedene Fernsehunternehmen, darunter Al Fayhaa und Al Sharqiya, sowie die Nachrichtenagentur Anadolu (türkisch für Anatolien, Kleinasien) Agency, die ein Büro in Erbil unterhielt, und das Nachrichtenportal Haberler.com, wo er auf dessen arabischsprachiger Seite über Kampfhandlungen in Diyala berichtete, unter anderem über das Massaker von Barwana, bei dem einen Monat zuvor staatliche Kräfte und PMF nach der Befreiung der Gegend vom Daesh 70 sunnitische Einwohner einer nordöstlich von Bakouba nahe bei Muqdadiyah gelegenen Siedlung ermordet haben sollen.

1.3.3 Weitere Themen, zu denen der Beschwerdeführer Berichte anfertigte, waren Anschläge und Aktivitäten des Daesh, die Zerstörung sunnitischer Moscheen, die Sicherheitslage in Diyala, wobei er für einen Bericht von einem Angehörigen der schiitischen Daawa-Partei gerügt wurde, und 2014 die Festnahme von Anwälten in Diyala, wobei er während der Dreharbeiten telefonisch zur Polizei geladen wurde, die ihm nahelegte, auf solche Berichte künftig zu verzichten, sonst könne er inhaftiert werden.

1.3.4 Der Beschwerdeführer beschränkte sich darauf insofern selbst, als er das Bildmaterial nur mehr mit Schlagwörtern lieferte und zudem darauf drang, anonym zu bleiben. Dennoch veröffentlichte die Nachrichtenagentur fallweise bei Berichten, die sie als weniger bedeutend einstufte, den Namen des Beschwerdeführers, beispielsweise über ein Buchfestival in Baquba. Seine Beiträge versandte der Beschwerdeführer von Diyala aus, ohne sich selbst regelmäßig zu den Abnehmern zu begeben.

1.3.5 Es kann nicht festgestellt werden, dass Milizangehörige im September 2015 im Haus des Beschwerdeführers dessen Vater nach ihm gefragt hätten. Es kann nicht festgestellt werden, dass Asa'ib Ahl al-Haqq oder eine andere Miliz nach dem Beschwerdeführer suchte oder sucht.

1.3.6 Der Beschwerdeführer steht den im Herkunftsstaat aktiven Milizen ablehnend gegenüber, die er für ebenso gefährlich wie den Daesh hält, und geht davon aus, dass Regierung und Behörden im Herkunftsstaat korrupt sind, worüber sie keine Berichte haben wollen.

1.3.7 Aus spezifischen Länderberichten ergibt sich im Zusammenhang mit der vorgebrachten Verfolgung und Bedrohung als Journalist (übersetzt) Folgendes:

Im August 2008 wurden in Mosul vier Mitarbeiter von Al-Sharqiya während ihres Einsatzes getötet. Der Nachrichtenchef des Senders, Ali Wajih, beschuldigte den al-Iraqiyyah-Kanal der irakischen Regierung und sagte, ihre „Verleumdungskampagne“ gegen den Sender sei „moralisch verantwortlich“ für die Morde. (Wikipedia, en.wikipedia.org/wiki/Al_Sharqiya)

Am 15. Juni 2014 wurden ein Reporter der al-Sharqiya-Nachrichten und sein Kameramann vom Bagdad Operations Command festgenommen. (UNAMI – UN Assistance Mission for Iraq: Report on Human Rights in Iraq: January – June 2014, August 2014; www.ecoi.net/en/file/local/1315235/1002_1433521234_unami-hro-ohchr-hr-report-jan-jun2014-eng-final-18dec14.pdf)

Unbekannte bewaffnete Männer erschossen am 12.01.2016 einen Reporter und einen Kameramann, beide angestellt beim privaten Satellitenfernsehkanal Al-Sharqiya, nachdem sie ihr Auto in der Nähe von Muqdadiyah, einer Stadt etwa 30 km außerhalb der Provinzhauptstadt, angehalten hatten. Sie waren auf dem Rückweg von einer Reise nach Muqdadiyah, wo sie von einem hochrangigen Sicherheitsbeamten begleitet worden waren, und waren am Vortag nach einem Angriff auf ein Café dorthin gegangen, um eine Reihe von Bränden in Moscheen und Häusern zu untersuchen. […] Al Sharqia hat seit dem Start 2003 bereits mehr als zehn Journalisten im Zusammenhang mit deren Arbeit verloren. (Reporters Without Borders, rsf.org/en/news/rsf-condemns-murder-two-journalists-diyala-province)

Im Oktober 2019 berichteten Journalisten, dass die Behörden Haftbefehle gegen 130 Aktivisten und Journalisten wegen Berichterstattung über die Demonstrationen erlassen hätten. Die Haftbefehle basierten auf dem Terrorismusgesetz. Der wahre Grund für die Haftbefehle war jedoch ihre Berichterstattung über die Demonstrationen in schiitisch dominierten Provinzen des Landes. (USDOS – US Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Iraq, 10. Juni 2020; www.ecoi.net/de/dokument/2031369.html)

UNAMI (Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, Anm.) hat die Meinungsfreiheit im Rahmen staatlicher Maßnahmen zur Reaktion auf die COVID-19-Pandemie genau überwacht. Journalisten wurden von der Ausgangssperre ausgenommen, damit sie sich bewegen und Medienberichte erstellen konnten. Die Unterstützungsmission erfuhr von Vorwürfen wegen mehrfacher Verhaftungen von Journalisten und Nutzern sozialer Medien in der Region Kurdistan und anderswo im Irak, die kritische Kommentare zur Reaktion der Regierung auf COVID-19 oder zur verhängten Ausgangssperre veröffentlicht hatten.“ (UN Security Council: Implementation of resolution 2470 [2019]; Report of the Secretary-General [S/2020/363], 6. Mai 2020; www.ecoi.net/en/file/local/2029812/S_2020_363_E.pdf)

Al Fayhaa TV ist ein pro-schiitischer Fernsehsender (BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Fernsehsender Hona Bagdad, 8. November 2017, www.ecoi.net/en/file/local/1417367/5209_1510213829_irak-mr-all-fernsehsender-hona-bagdad-2017-11-08-ke.doc). Er sendet ein Nachrichten-, Politik- und Kulturprogramm mit Nachsicht / Nachsichtigkeit („leniency“) gegenüber Schiiten, aber liberal (en.wikipedia.org/wiki/Al-Fayhaa_TV)

Am 6. Juli 2020 wurde Hisham al-Hashimi vor seinem Haus in Zayouna, Bagdad, von zwei nicht identifizierten bewaffneten Männern auf einem Motorrad schwer verwundet. Er war von Saddam Husseins Regime zu Gefängnis verurteilt und 2002 entlassen worden. Nach 2003 arbeitete er in der Presse, begann Berichte und Dokumentationen in ausländischen Zeitungen und Sendern zu schreiben und schrieb einen Blog zur Übersicht über die bewaffneten Gruppen im Irak. Am 1. Juli 2020 veröffentlichte er einen Bericht mit dem Titel „Der interne Streit innerhalb der Volksmobilisierungskräfte“, seine letzte Arbeit vor seiner Ermordung. (en.wikipedia.org/wiki/Hisham_al-Hashimi)

1.3.8 Die Erwägungen des UNHCR zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen, lauten auszugsweise (übersetzt):

Im gesamten Irak sind Journalisten und andere Medienschaffende zufolge dem Risiko von Belästigung, Einschüchterung, körperlichen Angriffen, Beschlagnahme oder Zerstörung von Ausrüstung, willkürlicher Verhaftung, Verfolgung (z. B. wegen Verleumdungsvorwürfen) und in manchen Fällen von Entführung und Tötung durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt, wie zentrale, regionale oder lokale Behörden, die ISF und damit verbundene Kräfte, Daesh sowie Politiker, Stammesangehörige und Geschäftsleute und deren Sicherheitspersonal. Es wird berichtet, dass Journalisten und andere Medienfachleute, die über Proteste berichten, kontroverse politische oder andere sensible Themen wie Korruption, Amtsmissbrauch, schwache Regierungskapazitäten oder mangelhafte Sicherheit untersuchen, oder als kritisch gegenüber Regierungsbeamten und mit der Regierung verbundenen Personen wahrgenommen werden, Speziell ins Visier genommen werden. […]

UNHCR ist der Ansicht, dass Journalisten und andere Medienfachleute, die sich kritisch mit politischen oder anderen sensiblen Themen befassen, aufgrund ihrer politischen oder unterstellten politischen Meinung, ihrer religiösen Ansichten und / oder anderer relevanter Gründe wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, abhängig von den individuellen Umständen des Falles. […]

(UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019; www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf [S. 83 f])

1.3.9 Dem Beschwerdeführer droht im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch Staatsorgane und staatsnahe Milizen, die Gegenstand der Berichte sind, welche er verfasst, und die veröffentlicht werden, also wegen seiner Tätigkeit als Journalist, dem die Verfolger, grundsätzlich zutreffend, eine ihnen gegenüber kritische Haltung zuschreiben. Das kann wie bei anderen Journalisten bereits geschehen, Haft oder Angriffe gegen Leib und Leben umfassen und trifft auf alle Teile des Herkunftsstaats zu.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben im Rahmen der Verhandlung, wo der Beschwerdeführer als Partei befragt wurde, und durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers, ferner in die die Beschwerde (AS 137 ff) und den darin zitierten Bericht auf der Nachrichtenseite Haberler.com und die auch in der Beschwerde zitierte Meldung des „Guardian“ über die Tötung zweier Mitarbeiter des Senders Al-Sharqiya.

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsakts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Glaubenszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und die Feststellungen des bekämpften Bescheids, ebenso zur Ausbildung und Tätigkeit des Beschwerdeführers, jeweils aktualisiert durch die jüngsten Angaben, zuletzt bei der Verhandlung.

2.3 Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung zu den Länderfeststellungen angegeben, dieser berichte zwar über die Lage im Irak, was man aber dort erlebe sei immer anders, vor allem für Journalisten, Ärzte und Anwälte. Wenn ein Journalist ermordet werde, gebe es keine Organisation, die etwas tun könne. Man schreibe einfach Berichte. So sei auch der Sicherheitsexperte Hisham al-Hashimi ermordet worden. Solange es dort Milizen gebe, sei das Leben, vor allem von Reportern und Journalisten in Gefahr.

Damit hat er die Länderfeststellungen ergänzt und interpretiert, ist ihnen jedoch nicht qualifiziert entgegengetreten.

2.4 Zum Fluchtvorbringen:

2.4.1 Die Feststellungen 1.3.1 bis 1.3.4 zum Beschwerdeführer, seiner Berufstätigkeit und dem Inhalt seiner Berichterstattung folgen seinem – insoweit – konsistenten und auch in der mündlichen Verhandlung plausiblen Vorbringen, das sich außer durch die vorgelegten Mitarbeiterausweise auch mit den im Internet auffindbaren Textbeiträgen des Beschwerdeführers stützen lässt.

Dabei kann die angegebene Vorgehensweise des Beschwerdeführers, wonach er auf die Situation mit Zurückhaltung und dem Versuch reagierte, anonym zu veröffentlichen, als Erklärung für die im Einzelfall wenig provokant klingenden Texte dienen, die sich bei Suchen nach dem (arabisch geschriebenen) Namen des Beschwerdeführers mit dem weiteren Stichwort „Diyala“ (ebenso arabisch geschrieben) finden lassen, wie etwa zu dem Buchfestival in Baquba „mit dem Ziel, Ideen zu entwickeln und eine Kultur der Toleranz in einem Land zu schaffen, das fast von Kriegen, sektiererischen und ethnischen Krisen zerrissen ist.“ (ar.haberler.com/arabic-news-700817 vom 12.04.2015) Das entspricht zudem den Länderfeststellungen in 1.2.3 betreffend das Vorkommen von Selbstzensur.

Das Gericht geht auch deshalb davon aus, dass die Beiträge tatsächlich vom Beschwerdeführer stammen, weil dieser in der Verhandlung ohne Nachdenken, gleichsam „auf Anhieb“ die Strukturierung von Chronikberichten nach ihrem Fachbegriff und dem damit Gemeinten erklären konnte. Die Angaben zur Kritik an seiner Tätigkeit harmonieren zudem mit denen der Länderfeststellungen zu Journalisten im Irak.

2.4.2 Betreffend die angebliche Suche beim Beschwerdeführer zuhause nach diesem durch mehrere Bewaffnete ergab sich die Negativfeststellung aus den folgenden Erwägungen:

Der Beschwerdeführer hat erstbefragt angegeben, er sei vonseiten „der schiitischen Miliz“ bedroht worden. „Man“ habe ihm mit dem Tod gedroht und seine Adresse aufgesucht. (AS 17)

Beim BFA gab er an, im September 2015 sei er in Bagdad beim TV-Sender Al Fayhaa gewesen. Sein Vater habe ihm telefonisch mitgeteilt, drei von mehreren komplett schwarz gekleideten Bewaffneten mit zwei schwarzen Autos hätten nach ihm gefragt. Sie hätten nicht gesagt, welcher Miliz sie angehörten, aber bestimmt sei es eine irakische Miliz. Wenn solche Personen nach einem Journalisten fragten, werde dieser verhaftet oder verschwinde. (AS 65)

Dabei fällt auf, dass eine ausdrückliche Todesdrohung nicht mehr erwähnt wird, sondern nur ein Auftreten von Bewaffneten, die nach dem Beschwerdeführer fragen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach Angaben der Staatendokumentation schiitische Milizen (gemäß einem Bericht von 2015) Uniformen und Fahrzeuge übereinstimmend mit denen der Sicherheitskräfte verwendeten, Milizen an einem Checkpoint (berichtet Anfang 2017) aus Männern in Zivilkleidung und anderen in Militäruniform bestanden, teils mit PMF-Emblemen, und bei Entführungen und Ermordungen, die Milizen (2014) zugeschrieben wurden, Zivilkleidung und Militärfahrzeuge ohne Kennzeichentafeln zum Einsatz kamen. (BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung zu Irak: „Kleidung und Uniform von Milizen“, 19. Juni 2019, www.ecoi.net/en/file/local/2014162/IRAK_SM_MIL_Kleidung+und+Uniform+von+ Milizen_2019_06_19_KE.odt)

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung zur Frage der Kleidung angegeben, manche Milizen trügen z. B. schwarze T-Shirts mit einem Emblem darauf, etwa die Asa'ib Ahl al-Haqq. Sein Vater habe ihm gesagt, die Personen hätten „gleich wie Asa'ib Ahl al-Haqq“ ausgesehen und die gleichen Autos gehabt.

Damit hat er im Gegensatz zur Einvernahme beim BFA nun doch eine deutliche Angabe gemacht, um welche Miliz es sich gehandelt haben könnte, allerdings erst in der Verhandlung und nicht im Einklang mit der Auskunft der Staatendokumentation. Hätten wirklich Personen nach dem Beschwerdefüher gefragt, die „gleich wie Asa'ib Ahl al-Haqq“ ausgesehen und die gleichen Autos gehabt hätten, dann wäre die berichtete Auskunft nicht passend, sie hätten nicht gesagt, welcher Miliz sie angehörten, aber bestimmt sei es eine irakische Miliz gewesen.

Auf die Frage, welche Autos es gewesen seien, gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung zwei Bezeichnungen für allradbetriebene Fahrzeuge einer japanischen Marke an. (S. 12) Das würde zwar von der Antriebsart her mit „Militärfahrzeuge“ harmonieren, wie sie die Staatendokumentation nennt, allerdings nicht, wenn es um Fahrzeuge schwarzer Farbe geht, die mangels Eignung zur Tarnung bekanntermaßen selten militärisch Verwendung finden.

Schließlich hat er in der Verhandlung als Grund seiner Abwesenheit von zuhause und der Reise nach Bagdad angeführt (S. 6), in Bagdad sei er mit Freunden zu Besuch gewesen. Er sei früher öfter dorthin, um zu sehen, welche neuen Kameras udgl. neu auf dem Markt seien, und habe auch Verwandte besucht. Für Al Fayhaa, das den Sitz („Hauptbüro“) in Bagdad habe, sei er von Diyala aus tätig gewesen (S. 6). Später gab er den Sitz von Al Fayhaa dann korrekt mit Suleymaniyah an. (S. 8)

In dem Zusammenhang ist, neben dem Widerspruch zur Aussage beim BFA, auch beachtlich, dass die Aussage beim BFA – „Im September 2015 war ich in Bagdad beim TV Sender AL Fayhaa. Mein Vater hat mich angerufen […]“ – völlig frei als Beginn der Antwort auf die Frage nach den Fluchtgründen gemacht wurde. Es wäre anzunehmen, dass der Grund für die Ortsabwesenheit – die ja womöglich rettend für den Beschwerdeführer gewesen wäre – unverändert angegeben wird.

Nach all dem konnte eine konkrete Verfolgungshandlung im September 2015 oder die Suche einer Miliz nach dem Beschwerdeführer nicht festgestellt werden.

2.4.3 Die in 1.3.6 getroffene Feststellung betreffend die Haltung des Beschwerdeführers zur Regierung und den bewaffneten Kräften im Herkunftsstaat ergibt sich speziell aus dessen Aussagen beim BFA (AS 65, 67, 71) und in der Verhandlung (S. 13), vermittelt sich aber auch in der Art und Weise, wie er über das Verhältnis zwischen jenen und den Medienschaffenden spricht.

Aus den in 1.3.7 und 1.3.8 jeweils angegebenen Berichten und Veröffentlichungen im Internet ergaben sich die weiteren, auf das Fluchtvorbringen bezogenen spezifischen Länderfeststellungen.

2.4.4 Schließlich leitet sich aus den Feststellungen betreffend die journalistische Tätigkeit des Beschwerdeführers samt den bisherigen Reaktionen darauf, ferner denen zum Schicksal anderer Journalisten und Medienschaffender in jüngerer Zeit und jenen betreffend die generelle Situation von Journalisten im Herkunftsland eine Prognosefeststellung für den Fall einer Rückkehr ab (auch ohne, dass dem Beschwerdeführer bereits, wie behauptet, zuhause nachgestellt worden wäre). Diese beinhaltet, dass der Beschwerdeführer wegen einer ihm im Prinzip zu Recht unterstellten distanzierten und kritischen Haltung gegenüber den in 1.3.9 Genannten deren Missgunst wie bisher zu erwarten hat, weshalb ihm auch Konsequenzen über die bisherigen Ermahnungen und Warnungen hinaus drohen, weil solche Konsequenzen wie oben festgestellt, regelmäßig zu beobachten sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der Opfer und der Gefährdeten sich nicht auf wenige Personen beschränkt, die sich etwa inhaltlich extrem positioniert hätten, sondern sogar über die Gruppe der schreibenden Journalisten hinaus z. B. Kameraleute umfasst. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers hat dieser damit glaubhaft gemacht.

Unter diesen Umständen ist nicht nur von einer entfernten Möglichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers aus Gründen seiner Gesinnung auszugehen, sondern von einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihm bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung in der festgestellten Form droht. Das gilt wegen der flächendeckenden Anwesenheit von Regierungs- und Milizkräften, grundsätzlich im gesamten Staatsgebiet, in Kurdistan nach den Feststellungen (1.2.3) sinngemäß für die Regionalregierung und deren Apparat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe und Zuerkennung der Status eines Asylberechtigten:

Einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 dann der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn (der Antrag nicht zurückzuweisen und) glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) droht.

Als Flüchtling im Sinne dieser Bestimmung der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Für Staatenlose gilt das, wenn sie sich infolge der genannten Umstände außerhalb des Landes des gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, dorthin zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist zentraler Aspekt der laut GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. (25.05.2020, Ra 2019/19/0192 mwN)

Nachdem die dem Beschwerdeführer nach den Feststellungen drohende Verfolgung eine ist, die Eingriffe in die Freizügigkeit der Person sowie in die körperliche Integrität regelmäßig mit sich bringt, aber fallbezogen ihrerseits nicht gerechtfertigt ist, sondern sich gegen die Erwerbsausübung und Meinungsäußerung richtet, liegt der Intensität nach eine drohende solche Verfolgung vor.

Um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten, muss nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH dem Fremden bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (03.08.2020, Ra 2020/20/0034 mwN)

Die Asylbehörden haben dabei den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen. (VwGH 16.06.2020, Ra 2020/19/0064 mwN).

Die Feststellungen zur Vergangenheit des Beschwerdeführers und zur Entwicklung und Gegenwart im Herkunftsstaat legen es nahe, dass auch eine andere, vernunftbegabte Person in der Situation eines Journalisten sich vor einer Verfolgung durch die genannten Milizen oder die Behörden aus Gründen der Haltung gegenüber Regierung und Milizen, also im weiteren Sinn der politischen Gesinnung fürchten würde. Es handelt sich also um eine nachvollziehbare Furcht.

Die Flucht vor Verfolgung im Herkunftsstaat bringt es oftmals mit sich, dass der Asylwerber unvorbereitet nur die notwendigsten Dinge mit sich nehmen kann und daher auch nicht in der Lage ist, sein Fluchtvorbringen mit mitgenommenen schriftlichen Unterlagen oder anderen Beweisstücken zu belegen. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht schon damit Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 mwH).

Fallbezogen hat der Beschwerdeführer über seine Aussagen hinaus auch Urkunden vorgelegt, die die das Fluchtvorbringen belegen, und so im Lichte der Länderfeststellungen die gegenwärtige Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund seiner Berichterstattung als Journalist und der aus seinem dortigen Verhalten ableitbaren politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch Milizen oder Staatsorgane ausgesetzt sein werde, die im Herkunftsstaat und speziell auch in der Herkunftsregion beide voneinander ungehindert tätig sind, und im Hinblick auf diese Verfolgungsgefahr auch kein ausreichender Schutz durch die jeweils andere Einrichtung besteht.

Steht einem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm zumutbar, in einem Gebiet seines Heimatstaates Aufenthalt zu nehmen, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, dann liegt eine inländische Flucht- oder Schutzalternative vor, die eine Asylgewährung ausschließt. Eine solche Alternative, die nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 zur Abweisung des Asylantrags führt, hat der Beschwerdeführer nach den Feststellungen nicht.

Demnach war spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Nach § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Zuerkennung dieses Status mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden, also dem Beschwerdeführer, damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum Beweismaß beim Fluchtvorbringen, zur Verfolgungsintensität und -Wahrscheinlichkeit oder zur innerstaatlichen Fluchtalternative bei festgestellter asylrelevanter Verfolgung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Journalismus politische Gesinnung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2143787.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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