Entscheidungsdatum
31.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W239 2185335-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.12.2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 30.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.09.2015 gab der Beschwerdeführer zu seiner Person an, er sei traditionell verheiratet, bekenne sich zum Islam und gehöre zur Volksgruppe der Madhiban. Er habe keine Ausbildung und sei Analphabet. In seinem Herkunftsland seien seine Ehefrau sowie seine fünf Söhne, seine Tochter und seine Mutter aufhältig. Sein Vater sei 2014 verstorben. Zu seiner letzten Wohnsitzadresse führte er aus, er stamme aus XXXX (Region Lower Shabelle) in Somalia.
Als Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor: „Ich habe mein Heimatland verlassen, da meine Volksgruppe der Madhiban diskriminiert wird und die Angehörigen der Volksgruppe in Somalia nicht sicher sind.“
2. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer für den 26.07.2017 zu einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) geladen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er gerne einen Rechtsanwalt oder Berater hätte. Diesbezüglich wurden ihm entsprechende Informationen ausgehändigt. Des Weiteren kam es zu Problemen bei der Übersetzung, da der anwesende Dolmetscher, bestellt für die Sprache Somalisch, seiner Aufgabe offenbar nicht gewachsen war. Sodann wurde dem Beschwerdeführer ein neuerlicher Termin zur Einvernahme in Aussicht gestellt und zu diesem ein anderer Dolmetscher geladen.
Am 06.09.2017 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit einer Vertrauensperson und einem Dolmetscher für die Sprache Somalisch vor dem BFA erneut niederschriftlich einvernommen.
Zu Beginn erklärte der Beschwerdeführer über Nachfrage, er sei gesund, er benötige keine Medikamente und er habe bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt; alles sei korrekt protokolliert worden. Er wolle sein bisheriges Vorbringen nicht von selbst ergänzen, sondern wolle die Fragen abwarten. Befragt, wann er den Entschluss zur Ausreise gefasst habe, gab der Beschwerdeführer an, „nach dem Vorfall“. Näher dazu befragt, erklärte er, dass er einer Minderheit angehöre, die in Somalia diskriminiert und ausgegrenzt werde. Seine Frau sei vor seinen Augen vergewaltigt worden. Außerdem sei ihm das Feld, das er von seinem Vater geerbt habe, weggenommen worden. Er sei mit Gewehrkolben geschlagen und mit einem Messer verletzt worden und habe Narben an der Schläfe und am Kopf. Der Vorfall sei im Juni 2015 passiert und das sei der Vorfall gewesen, der ihn zur Ausreise bewogen habe. Er habe auf seinem eigenen Feld gearbeitet und Mais und andere Gemüsearten angesetzt. Sein letzter Arbeitstag sei der Tag gewesen, an dem er geschlagen worden sei, im Juni 2015. Ausgereist sei er im Juni 2016. Vorgehalten, dass vom Entschluss zur Ausreise bis zur tatsächlichen Ausreise somit noch ein Jahr vergangen sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass das ein Missverständnis gewesen sei. Er habe Juni 2015 gemeint und sei auch im Juni 2015 ausgereist.
Der Beschwerdeführer sei nie zur Schule gegangen und habe auch keine Berufsausbildung. Er habe auf dem Feld gearbeitet, das er geerbt habe, habe Gemüse angebaut und das Gemüse dann verkauft. Zuletzt habe er an dem Tag gearbeitet, als er geschlagen worden sei, im Juni 2015.
Zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit gab der Beschwerdeführer an, dem Clan der Madhiban anzugehören. Er sei Muslim sunnitischen Glaubens, stamme aus dem Dorf XXXX in der Provinz Shabeellaha Hoose (Lower Shabelle) und habe dort bis zu seiner Ausreise mit seiner Mutter, seiner Ehefrau, seinen fünf Söhnen und seiner Tochter gelebt. Sein Vater sei bereits 2014 verstorben. Aktuell habe er wegen der Dürre keinen Kontakt zu seiner Familie; er erreiche sie nicht mehr, wenn er sie anrufe. Die Dürre sei 2016 gewesen. Er wisse nicht, ob die Angehörigen noch am Leben seien. Besitztümer habe er in Somalia keine mehr.
Genauer zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er Somalia aufgrund von Clan-Problemen verlassen habe. Er sei wegen seiner Clanzugehörigkeit in Somalia diskriminiert worden. Eines Morgens seien Leute zu ihm auf sein Feld gekommen und hätten ihn mit Gewehrkolben geschlagen und mit einem Messer verletzt. Durch die Schläge sei er bewusstlos geworden. Ein Mann, der das Nachbarfeld bewirtschaftet habe, habe ihn am Boden liegen gesehen, ihn in einem Auto nach Mogadischu gebracht und dort zum Arzt gebracht. Er sei zwei Nächte lang im Krankenhaus gewesen. Danach habe der Mann seine Familie kontaktiert und seine Tanten hätten Geld aus Saudi-Arabien geschickt. Mit Hilfe eines somalischen Schleppers habe er Somalia verlassen. Er sei alleine gereist und habe seine Familie nicht mitgenommen, weil er sein eigenes Leben retten habe müssen. Die Männer, die ihn auf dem Feld geschlagen hätten, Männer aus seinem Dorf, hätten einem anderen Clan angehört und seien stärker als er gewesen. Es seien drei Männer gewesen. Auf die Frage, warum die Männer ihn geschlagen hätten, erklärte der Beschwerdeführer, dass diese einem höheren Clan angehören würden und ihm das Feld wegnehmen hätten wollen. Einen der Männer, die ihn geschlagen hätten, habe er gekannt. Er habe ihm zuvor mehrmals Schutzgeld zahlen müssen, damit ihm nichts passiere. Nach dem Vorfall sei er nicht mehr nach Hause zurückgekehrt.
Darauf hingewiesen, dass er zu Beginn der Einvernahme erzählt habe, seine Frau sei vergewaltigt worden, und nachgefragt, wann und wo das passiert sei, gab der Beschwerdeführer den Juni 2015 zu Protokoll und erklärte, dass dies schon zwei Nächte zuvor bei ihnen im Haus passiert sei. Es seien nicht dieselben Männer gewesen, die ihn geschlagen hätten, er habe diese Männer nicht gekannt. Seine Frau sei vergewaltigt worden, weil sie auch einem Minderheitenclan angehöre. Zuvor seien solche Dinge, wie die Vergewaltigung oder diese Schläge gegen ihn, nie passiert. Seine Frau sei von zwei Männern vergewaltigt worden; auch er sei von ihnen bedroht worden. Sie hätten ihm gesagt, dass er umgebracht werde, wenn er sich einmische. Das sei untertags passiert. Er sei zur Polizei gegangen, habe aber keine Hilfe bekommen, da die Polizei, ebenso wie diese Männer, dem Clan der Rahanweyn angehöre. Die Narben in seinem Gesicht und an seinem Kopf würden von dem Vorfall auf dem Feld stammen.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 12.01.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.) und festgehalten, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage betrage (Spruchpunkt VI.)
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Vertretung am 01.02.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.
Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Er gehöre einem Minderheitenclan an und sei als Angehöriger dieses Clans vielfacher Diskriminierung in seinem Heimatland ausgesetzt gewesen und habe Schutzgeld zahlen müssen. Seine Frau sei vergewaltigt worden und er selbst sei von drei Männern auf seinem Feld angegriffen und verletzt worden. Hätte die belangte Behörde die Länderberichte herangezogen, so hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass den Madhiban als Minderheit in ganz Somalia Verfolgung drohe sowie dass die Sicherheitslage in Somalia äußerst instabil sei. Darüber hinaus sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Somalia Gefahr laufe, aufgrund der vorherrschenden Dürrekatastrophe in eine aussichtslose Lage zu geraten.
6. Am 12.04.2018 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine Kursbestätigung (112-stündiges Modul im Rahmen der Basisbildung) vom 29.03.2018 vor.
Mit Schreiben vom 22.05.2018 informierte die zuständige Staatsanwaltschaft über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen §§°83 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB.
7. Am 17.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein der Vertretung des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung statt; das Protokoll lautet auszugsweise wie folgt [Schreibfehler korrigiert]:
„(…)
Zur Person und zur Abstammung:
R: Wie heißen Sie?
BF: Ich heiße XXXX mit Vornamen, XXXX ist der Name meines Großvaters, XXXX ist der Name meines Vaters.
R: Wann sind Sie geboren?
BF: Ich bin XXXX geboren, am XXXX .
R: Wo sind Sie geboren?
BF: In Lower Shabelle. Im Dorf XXXX .
R: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?
BF: Ich bin somalischer Staatsbürger.
R: Können Sie heute Dokumente oder andere Beweismittel vorlegen, die Ihre Angaben zu Ihrer Identität belegen (z.B. Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde)?
BF: Nein.
R: Das heißt, Sie hatten auch nie so etwas?
BF: Nein, noch nie.
R: Sind Sie verheiratet oder leben Sie mit jemandem in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Ich bin verheiratet.
(…)
R: Haben Sie Kinder?
BF: Ja.
(…)
R: Wo leben Ihre Frau und Ihre Kinder derzeit? Bzw. wo haben sie zuletzt gelebt?
BF: Momentan leben sie in Äthiopien.
R: Seit wann leben sie in Äthiopien?
BF: Seit 2016.
R: Sind Ihre Eltern noch am Leben? Wenn ja, wo leben sie?
BF: Meine Mutter ist noch am Leben. Sie lebt mit meinen Kindern und meiner Ehefrau in Äthiopien.
R: Sind Ihre Großeltern noch am Leben? Wenn ja, wo leben sie?
BF: Nein.
R: Haben Sie Onkeln und Tanten? Wenn ja, wo leben diese?
BF: Ich habe keine, alle sind gestorben. Ich habe zwei Tanten mütterlicherseits. Sie leben in Saudi-Arabien.
R: Haben Sie sonst noch irgendwelche anderen Verwandten (Cousins und Cousinen etc.)? Wenn ja, wo leben diese?
BF: Ja, ich habe Cousins. Die leben auch in Saudi-Arabien.
R: Gibt es noch irgendwelche Verwandte, die noch nicht erwähnt wurden?
BF: Nein.
(…)
R: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie in Äthiopien?
BF: Ja, sie rufen mich einmal oder zweimal im Monat an. Dort, wo sie aufhältig sind, gibt es keine Internetverbindung.
R: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass Sie seit der Dürre 2016 keinen Kontakt mehr zu Ihrer Ehefrau haben. Inwiefern besteht ein Zusammenhang bzw. warum ist der Kontakt abgerissen?
BF: Das stimmt, das habe ich gesagt.
R: Wie lange war dann kein Kontakt zu Ihrer Familie?
BF: Von 2015 bis Juni 2018 hatte ich keinen Kontakt mit meiner Familie. Der erste Kontakt, den ich wiederaufgenommen habe, war im Juni 2018.
R: Wissen Sie, wie es Ihrer Frau und den Kindern momentan geht?
BF: Es geht ihnen gut. Als ich mit meiner Familie keinen Kontakt mehr hatte, hatte ich viel Angst. Ich habe mir viele Sorgen um meine Familie gemacht, aber seitdem ich mit meinen Kindern und der Frau Kontakt habe, fühle ich mich besser.
R: Wo haben Sie von Geburt an bis zu Ihrer Ausreise gelebt? Geben Sie bitte chronologisch alle Orte an, an denen Sie jemals (auch kurzfristig) gewohnt haben.
BF: Ich bin XXXX geboren, dort aufgewachsen und bin bis zu meiner Ausreise dort gewesen.
R: Das heißt, Sie sind von XXXX aus nach Europa gekommen?
BF: Ja.
R: Können Sie die Adresse in XXXX noch genauer nennen?
BF: Es gibt keine richtige Adresse, es ist ein kleines Dorf.
R: Schildern Sie mir, wie es in XXXX aussieht. Was gibt es für Gebäude in diesem Ort?
BF: Was meinen Sie damit?
R: Wo ist die nächste Schule, die nächste Moschee, das nächste Krankenhaus und die nächste Polizeistation?
BF: Es gibt eine Moschee. Es gab eine kleine Schule. Es gab auch eine kleine Polizeistation.
R: Gab es ein Krankenhaus?
BF: Es gab auch ein kleines Spital in XXXX . Es ist kein richtiges Spital, es war nur eine Apotheke.
R: Wer hatte in XXXX die Kontrolle? Gab es dort AMISOM Truppen?
BF: Ich habe die Frage nicht verstanden.
Die D wiederholt die Frage.
BF: Ich habe die Frage wieder nicht verstanden.
R: Wissen Sie, wer in Ihrem Gebiet für Ordnung gesorgt hat oder wurde nicht für Ordnung gesorgt?
BF: Die Regierung.
R: Mit wem haben Sie in XXXX zusammengewohnt?
BF: Mit meiner Mutter, mit meiner Frau und mit meinen Kindern.
R: Wo haben Sie die letzte Nacht vor der Ausreise aus Somalia verbracht?
BF: In XXXX .
R: Wo ist das ungefähr? Ist das ein Nachbardorf von XXXX ?
BF: Es liegt bei Hargeysa. Das war mein Weg.
R: Wie war Ihr Weg zwischen dem Heimatdorf und dem Tag, als sie ausgereist sind. Sind Sie in Somalia herumgefahren?
BF: Von XXXX bin ich nach Mogadischu gegangen. Dann war ich in Hargeysa, danach in XXXX . Dann bin ich nach XXXX und weiter nach Adis Abeba.
R: Ich habe Sie vorher gefragt, wo Sie überall gewohnt haben, auch kurzfristig. Sie haben nur gesagt, dass Sie in XXXX gewohnt haben. Bitte hören Sie meinen Fragen gut zu.
BF: Ich habe in diesen Städten nicht gelebt, sondern war nur auf der Durchreise. Ich bin durch alle Städte durchgefahren. In manchen Städten bin ich fünf Tage geblieben und in machen sieben Tage, aber ich habe in diesen Städten nicht gewohnt.
R: Haben Sie in Somalia eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe nicht die Schule besucht.
R: Waren Sie in der Koranschule?
BF: Nein.
R: Haben Sie in Somalia gearbeitet bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Ich habe in einem Garten gearbeitet.
R: Was meinen Sie mit Garten? Was haben Sie dort gearbeitet?
BF: Ich habe dort Getreide angepflanzt, wie Mais und Hirse.
R: Wo war dieser Garten?
BF: In XXXX .
R: Haben Sie dort direkt gewohnt, war das direkt neben Ihrem Haus?
BF: Ja.
R: Kann ich mir es so vorstellen, dass in der Mitte das Haus steht und rundherum haben sie das Getreide angebaut? Können Sie mir genauer beschreiben, wie das ausgesehen hat?
BF: Meine Wohnung war ca. zwei Meter entfernt von dem Garten.
R: Haben Sie das Getreide für die Familie angebaut oder haben Sie das auch verkauft?
BF: Teilweise habe ich es verkauft und teilweise habe ich meine Familie ernährt.
R: Beschreiben Sie bitte die finanzielle Situation Ihrer Familie.
BF: Es war gut. Wir haben unseren Lebensunterhalt von dem Garten bekommen und uns ging es gut.
R: Gab es in der Familie irgendwelche Besitztümer? (z.B. Elternhaus, Landwirtschaft)
BF: Ja, wir hatten eine Landwirtschaft und das Grundstück, wo meine Familie wohnte.
R: Gibt es diese Besitztümer noch immer?
BF: Nein. Sie haben es weggenommen.
R: Wo war die Landwirtschaft, von der Sie gesprochen haben?
BF: In XXXX .
R: Direkt angrenzend oder weiter weg? Bitte erzählen Sie es so, damit ich es verstehen kann.
BF: Es lag ein bisschen außerhalb des Dorfes. Es gab auch mehrere Landwirtschaften, wo meine Landwirtschaft lag war ein landwirtschaftliches Gebiet.
R: Wer hat dieses Grundstück bewirtschaftet?
BF: Ich habe das von meinem Vater geerbt.
R: Wer hat dort etwas angebaut?
BF: Dort habe ich selber gearbeitet.
R: Ich habe Sie vorher gefragt, wo Sie gearbeitet haben. Sie haben gesagt, Sie hätten im Garten gearbeitet. Was ist jetzt mit der Landwirtschaft, haben Sie dort auch gearbeitet?
R ermahnt den BF, den Fragen gut zuzuhören.
BF: Ich meine, dass ich in der Landwirtschaft gearbeitet habe, es gab mehrere Landwirtschaften, die neben mir waren.
R: Was würden Sie sagen, war Ihre Haupteinnahmequelle? Woher ist das Geld gekommen, mit dem Sie Ihre Familie ernährt haben?
BF: Von der Landwirtschaft.
R: Was ist auf der Landwirtschaft angebaut worden?
BF: Getreide.
R: War der Ertrag nur für den Eigenbedarf oder haben Sie auch verkauft?
BF: Ich habe es verkauft.
R: Beschreiben Sie mir, wie es dort ausgesehen hat (z.B. flache oder hügelige Landschaft, bewaldetes Gebiet, Sumpfgebiet).
BF: Es war ein flaches Gebiet. Es gab auch einen Zaun, der aus Holz ist. Neben mir gab es auch mehrere Landwirtschaften. Zwischen den Landwirtschaften gab es Begrenzungshügel um die Felder voneinander abgrenzen zu können.
R: War ein Fluss in der Nähe?
BF: Ja.
R: Welcher?
BF: Shabelle.
R: Lag das Feld in unmittelbarer Nähe des Flusses Shabelle? Habe ich das richtig verstanden?
BF: Der Fluss Shabelle war ungefähr 5 bis 6 km entfernt.
R: Könnten Sie bei einer Rückkehr nach Somalia bei Ihren Verwandten, die Ihnen dabei geholfen haben, Ihre Familie wiederzufinden, wohnen?
BF: Nein, ich kann nicht mit diesen leben. Dort habe ich viele Probleme bekommen und dann wurde ich gezwungen zu flüchten.
R: Könnte Sie irgendjemand aus der Familie oder Verwandtschaft bei einer Rückkehr finanziell unterstützen?
BF: Nein.
R: Könnten Sie von den Tanten in Saudi-Arabien, die angeblich auch Ihre Ausreise finanziert haben, eine Starthilfe bekommen, um sich in Somalia wieder ein Leben aufzubauen?
BF: Ich kann nicht in meinen Heimatort zurückkehren, dort habe ich Probleme bekommen. Es ist egal, ob meine Tante mich finanziell unterstützt oder nicht. Ich kann dort nicht zurückkehren.
R: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?
BF: Ich bin Muslim.
R: Sind Sie aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit individuell, konkret verfolgt oder bedroht worden?
BF: Nein.
R: Welcher Volksgruppe bzw. welchem Clan gehören Sie an? Nennen Sie mir bitte Ihre Abstammungslinie.
BF: Ich bin Madhiban, Subclan XXXX , Subsubclan XXXX , Subsubsubclan XXXX , Subsubsubsubclan XXXX , Subsubsubsubsubclan XXXX .
R: Würden Sie sagen, dass die Clanzugehörigkeit in Ihrem bisherigen Leben eine große Rolle gespielt hat?
BF: Was meinen Sie damit?
R: Ist es für Sie wichtig, dass Sie Madhiban sind, oder ist es egal, weil es keine Rolle spielt, welchem Clan man angehört?
BF: Es war schwer, ein Madhiban zu sein.
R: Warum war das schwer?
BF: Weil ich Diskriminierung erlebt habe.
R: Was meinen Sie damit?
BF: Ich wurde oft beschimpft, erniedrigt.
R: Gab es einen konkreten Vorfall?
BF: Ja, meine Frau ist vergewaltigt worden und ich wurde geschlagen. Sie haben meine Landwirtschaft weggenommen.
R: Wo ist Ihr Clan verbreitet?
BF: Sie sind in ganz Somalia verstreut.
R: Welcher Clan war der Mehrheitsclan in Ihrem Heimatort XXXX ?
BF: Rahanweyn.
R: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?
BF: Nein.
R: Hatten Sie aufgrund Ihrer politischen Gesinnung jemals irgendwelche Probleme?
BF: Nein.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
(…)
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
R: Nennen Sie jetzt bitte der Reihe nach abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, aus denen Sie Ihren Herkunftsstaat Somalia verlassen haben. Geben Sie bitte auch an, warum Sie denken, nicht mehr nach Somalia zurückkehren zu können (Fluchtgründe). Versuchen Sie, die Gründe so zu schildern, dass sie für eine außenstehende Person (also für die Richterin) nachvollziehbar sind. Sie haben dafür nun ausreichend Zeit. Ihre freie Erzählung ist für mich sehr wichtig.
BF: Eines Tages war ich bei mir zu Hause. Ich war nicht alleine, meine Frau, meine Kinder und meine Mutter waren auch zu Hause. Es kamen zwei Männer zu uns. Ich war in der Wohnung und meine Frau war vor der Wohnung. Meine Kinder waren auch zu Hause. Manche haben geschlafen und manche waren noch wach. Die beiden Männer waren bewaffnet. Sie haben meine Frau angesprochen und gesagt, dass sie von ihr Geschlechtsverkehr haben wollen, aber sie hat das abgelehnt. Beide Männer standen an der Seite von meiner Frau. Einer hat ihr Kleid zerrissen und einer hat ihre Brust gehalten. Ich habe ihre Schreie gehört und bin rausgekommen. Als ich rauskam und sah, was passiert ist, hat einer von den Männern sein Gewehr auf meinen Kopf gehalten und gesagt, wenn ich mich bewege, dann wird er mich erschießen. Der andere hat meine Frau vergewaltigt. Als der erste Mann fertig war, kam er zu mir und hat das Gewehr an meinen Kopf weitergehalten und der zweite Mann hat auch meine Frau vergewaltigt. Niemand ist zu uns gekommen und sie haben mich nicht erschossen, aber meine Frau hat geschrien und meine Kinder haben das mitbekommen. Auch meine Mutter, meine Mutter hat sehr große Angst bekommen. Dann sind die Männer weggegangen. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich habe mir sehr große Sorgen um meine Frau und um meine Familie gemacht. Ich konnte nicht schlafen. Ich wusste nicht, wohin ich meine Familie hinbringe. Nach zwei Tagen war ich bei meiner Landwirtschaft. Es kamen drei Männer zu mir und sie sagten, ich solle Geld zahlen. Ich habe immer diese Männer bezahlt, auch als mein Vater am Leben war, hat er diese Männer bezahlt. Sie standen vor mir und neben mir und sie sagten, ich soll an sie zahlen, ansonsten werden sie mich töten. Ich habe gesagt, dass ich kein Geld habe und sie wiederholten, wenn ich ihnen nicht zahle, dann werden sie mich töten. Es waren drei Männer, zwei von diesen standen auf der Seite von mir und einer stand vor mir. Der mich angesprochen hat, stand vor mir. Er hat gesagt, sie sollen mich töten. Der Mann, der auf der linken Seite von mir gestanden hat, hat ein Messer rausgenommen und hat meinen Daumen geschnitten. Man kann die Narbe sehen. Auch in die linke Wange. Der Mann, der rechts von mir gestanden hat, hat einen Gehwehrkolben an meine rechte Schläfe geschlagen und ich bin ohnmächtig geworden. Ich bin auf den Boden gefallen. Dann kam ein Mann von der Nachbarslandwirtschaft, dieser hat mir geholfen. Er brachte mich nach Mogadischu in ein Spital. Dort war ich zwei Tage und ich bin behandelt worden. Nach zwei Tagen habe ich meine Tanten angerufen und meine Probleme erzählt. Meine zwei Tanten haben mir Geld geschickt, dann habe ich mit meiner Frau telefoniert und erzählte den Vorfall und ich habe zu ihr gesagt, dass ich nicht zurückkommen kann. Ich habe zu meiner Frau gesagt, dass sie nach Äthiopien gehen soll, damit wir uns dort treffen. Ich bin von Mogadischu nach Hargeysa geflogen. Der Schlepper hat meine Reise organisiert. Ich wusste nicht, welche Route ich nehmen muss. Dann von Hargeysa bin ich einen Bus gestiegen und nach XXXX gegangen und weiter nach XXXX . Dann bin ich in Adis Abeba angekommen. Für diese Wege gab es mehrere Schlepper und zwar wie eine Kette, jeder Schlepper kennt den anderen. Als ich in Adis Abeba war, habe ich mit meiner Frau telefoniert, aber ihre Telefonnummer funktionierte nicht. Ich konnte meine Frau nicht mehr erreichen und der Schlepper hat mir gesagt, wenn ich in Adis Abeba weiterverbleibe, kann es sein, dass ich verhaftet werde, weil ich illegal dort bin. Sie sagten, ich solle weggehen. Dann bin ich in einen Bus gestiegen und bin in den Sudan gefahren.
R: Haben Sie jetzt alle Fluchtgründe genannt oder möchten Sie noch etwas ergänzen?
BF: Nein, ich habe alles erzählt, was in Somalia geschehen ist.
R: Abgesehen von diesen beiden Vorfällen: Wie ist ihr Alltag in XXXX zuvor verlaufen? Gab es früher schon Vorkommnisse?
BF: Die letzten drei Männer haben mir ständig Probleme gemacht. Sie wollten immer Geld von mir haben. Auch mein Vater hat mir erzählt, dass diese Männer meinem Vater viele Probleme gemacht haben.
R: Kannten Sie diese Männer persönlich?
BF: Ich kannte einen.
R: Wer war das?
BF: Wollen Sie seinen Namen oder seinen Clan?
R: Alles, was Sie von ihm wissen.
BF: Er heißt XXXX . Sein Clan war Rahanweyn. Er war der einzige, der regelmäßig zu mir gekommen ist, aber jedes Mal haben andere Männer ihn begleitet. Ich weiß nur das.
R: Gab es vorher schon Bedrohungen von dieser Person?
BF: Ja. Vor diesen Vorfällen habe ich öfters überlegt, wohin ich übersiedeln kann, dass ich ohne Probleme leben kann.
R: Was für Bedrohungen waren das? Was wurde gesprochen bzw. was waren es für Situationen?
BF: Jedes Mal sagten sie zu mir, dass sie mich umbringen, weil ich ein Madhiban bin und nichts wert bin.
R: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass Sie vor diesen Vorfällen sonst nie bedroht worden sind. Wie passt dies zusammen?
BF: Ich wurde gefragt, ob ich andere Probleme bekommen habe, ich habe dies verneint. Ich wurde nicht gefragt, ob ich bedroht wurde.
R: Würden Sie sagen, eine Bedrohung ist ein Problem?
BF: Es wurde gesagt, aber nicht getan. Für mich, wenn jemand sagt, er bringt mich um, dann ist es nur eine Bedrohung, und wenn er es tatsächlich tut, dann ist es ein Problem.
R: Können Sie die Vorfälle, die Sie mir heute geschildert haben (Vergewaltigung der Frau, Schlägerei am Feld, Aufenthalt in Mogadischu, tatsächliche Ausreise), insgesamt zeitlich noch näher einordnen? Wann war das und wie viel Zeit war da jeweils dazwischen?
BF: Als meine Frau vergewaltigt worden ist und die Männer zu mir kamen, da waren zwei Tage dazwischen. Soll ich auch sagen, wann ich das Land verlassen habe?
R: Sie sollen mir alles sagen, was Sie wissen. R wiederholt die Frage.
BF: Als meine Frau vergewaltigt wurde und die Männer am Feld zu mir kamen, vergingen zwei Tage dazwischen und als ich nach Mogadischu gebracht wurde, waren wir einen Tag unterwegs und am nächsten Tag bin ich in Mogadischu angekommen. Ich war in Mogadischu zwei Tage. Dann bin ich nach Hargeysa geflogen.
R: Wo haben Sie sich in Mogadischu aufgehalten?
BF: Ich weiß es nicht, ich war nur im Spital.
R: Haben Sie woanders, außer dem Spital auch übernachtet?
BF: Nein, ich war nur im Spital. Als ich entlassen wurde, bin ich nach Hargeysa geflogen.
R: Ist zwischen dem Vorfall mit der Frau und dem Vorfall am Feld, sonst noch etwas Wichtiges passiert? Was ist in diesen zwei Tagen passiert?
BF: Während dieser zwei Tage habe ich nur viel nachgedacht und mich gefragt, wohin kann ich meine Familie übersiedeln und was kann ich für meine Familie tun.
R: Hatten Sie damals einen konkreten Plan, wie es weitergehen soll?
BF: Nein, ich habe nur viel nachgedacht, mich aber nicht entschieden.
R: Haben Sie irgendwo Hilfe gesucht, wegen dem Vorfall mit Ihrer Frau?
BF: Ich war bei der Polizei und es wurde mir nicht geholfen.
R: Vorher sagen Sie mir, Sie denken nur nach und jetzt sagen Sie mir, Sie waren bei der Polizei in diesen zwei Tagen. Verstehen Sie meine Fragen? Für mich ist ein großer Unterschied zwischen Ihren beiden Antworten.
BF: Die Frage habe ich nicht genau verstanden.
R: Warum haben Sie die konkreten Vorfälle bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt?
BF: Ich wurde nicht danach gefragt.
R: Sie wurden gefragt, warum Sie aus Somalia ausgereist sind bei der Erstbefragung.
BF: Ja, ich wurde gefragt, aber ich wurde nicht detailliert gefragt. Ich habe nur gesagt, dass ich wegen Probleme mein Heimatland verlassen habe.
R: Zum Vorfall mit Ihrer Frau: Kannten Sie die Männer schon vorher?
BF: Nein.
R: Das heißt, Sie wissen auch nicht, zu welcher Volksgruppe diese gehören bzw. woher diese kommen?
BF: Ich vermute, dass sie entweder Rahanweyn oder Hawiye waren.
R: Warum vermuten Sie das?
BF: Weil das die Mehrheitsclans in meinem Dorf sind.
R: Ist dieses Dorf eher ein kleines Dorf, so dass man sich kennt, oder eher ein großes Dorf?
BF: Es war ein kleines Dorf.
R: Das heißt, grundsätzlich kannten Sie die Leute, die dort leben oder nicht? R erklärt den Unterschied von Städten und Dörfern anhand von Neukirchen und Wien.
BF: Es war ein kleines Dorf und ich kannte die Mehrheit der Bewohner.
R: Bei dem Vorfall Ihrer Frau: Wurden konkrete Forderungen gestellt oder Gründe für den Übergriff genannt?
BF versteht die Frage nicht.
D wiederholt die Frage.
BF: Ich wusste nicht, ob es einen Grund gegeben hat, aber für mich war es plötzlich.
R: Haben der Vorfall mit Ihrer Frau und der Vorfall am Feld irgendetwas miteinander zu tun?
BF: Ich glaube, ja.
R: Aber es waren nicht dieselben Männer oder schon?
BF: Nein, es waren nicht dieselben Männer.
R: Zum Vorfall auf dem Feld: Sie haben angegeben, dass Sie durch die Schläge das Bewusstsein verloren haben. Was ist das erste, an das Sie sich wieder erinnern können?
BF: Als ich im Spital in Mogadischu war, das war das erste.
R: Das heißt, die Reise dorthin haben Sie nicht mitbekommen?
BF: Ja, die habe ich nicht mitbekommen.
R: Wer hat Ihre Behandlungskosten im Spital übernommen?
BF: Meine Tante hat mir Geld geschickt.
R: Wie konkret sind Sie zu diesem Geld Ihrer Tanten gekommen?
BF: Als ich mit meinen Tanten telefonisch geredet habe und meine Probleme erzählt habe, haben sie gesagt, dass sie mir 4.000 schicken wollen und der Mann, der mir geholfen hat und mich nach Mogadischu gebracht hat, hat das Geld bekommen und mir gegeben.
: Ihre Tanten sind in Saudi-Arabien, Sie sind im Spital. Wie funktioniert das?
BF: Über Xawaalad.
D: Das funktioniert ähnlich wie Western Union.
R: Wird man in Somalia im Spital behandelt, ohne zuvor zu bezahlen? Muss man zuvor oder am Ende bezahlen?
BF: Nach der Behandlung.
R: Können Sie mir sagen, was Sie genau getan haben, nachdem Sie aus dem Spital gekommen sind. Wie haben Sie die Ausreise organisiert?
BF: Als ich vom Spital entlassen wurde, war ich nicht alleine. Der Mann, der mir geholfen hat, war auch mit mir. Ich habe ihn gefragt, ob er Schlepper kennt. Dann suchten wir einen Schlepper. Er kannte einen Schlepper. Wir haben den Schlepper angesprochen, ich habe sie bezahlt. Dann brachten sie mich in ein Haus. Sie haben meine Reise organisiert und ich bin von Mogadischu nach Hargeysa geflogen.
R: War das in der Früh, am Abend, zu Mittag?
BF: Meinen Sie, als ich von Mogadischu geflogen bin? Das war ein Vormittag.
R: Wann wurden Sie aus dem Spital entlassen, in der Früh oder zu Mittag oder am Abend?
BF: Das war am Nachmittag.
R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat Somalia zurückkehren müssten?
BF: Sie werden mich töten.
R: Wer?
BF: Die Leute, die mir Probleme gemacht haben.
R: Wer hat denn jetzt dieses Grundstück?
BF: Die Männer, die mich geschlagen haben.
R: Aber dann haben doch die Männer das bekommen, was sie wollten, das Grundstück, oder?
BF: Ja.
R: Wissen Sie darüber Bescheid, ob bzw. inwiefern Ihr Heimatort XXXX derzeit von Dürre oder Flut betroffen ist?
BF: Ja, es ist überflutet.
R: Woher haben Sie diese Informationen? Schauen sie da regelmäßig irgendwo nach?
BF: Ich höre somalische BBC.
R gibt der BFV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.
BFV: Könnten die Männer Sie wieder wegen Schutzgeld bedrohen oder Ihre Frau oder Töchter vergewaltigen? Gebe es noch Gefahr, wenn Sie wieder zurückkehren müssten?
BF: Können Sie die Frage wiederholen?
BFV: Können Sie ausschließen, dass Ihre Frau oder einer Ihrer Töchter nochmal missbraucht werden, obwohl die Männer jetzt Ihre Felder haben?
BF: Ja, ich glaube es.
BFV: Sie glauben, dass weiterhin Gefahr besteht?
BF: Ja.
BFV: Wie lange haben Sie den Männern Schutzgeld bezahlt und wie oft ist es vorgekommen bzw. wie hoch war das Schutzgeld?
BF: Ich habe keinen bestimmten Betrag bezahlt. Ich habe ca. ein Jahr bezahlt.
BFV: Hat Ihnen Ihre Frau erzählt, wann sie XXXX mit Ihren Kindern verlassen hat?
BF: Ja, das war im Jänner 2016.
BFV: Hätten Sie mit Ihrer Familie nicht irgendwo anders in Somalia leben können?
BF: Nein. Können Sie die Frage wiederholen?
BFV: Wenn sie in Ihrem Heimatort Probleme haben, könnten Sie nicht woanders in Somalia wohnen?
BF: Nein, überall in Somalia gibt es nur Probleme.
(…)“
Im Zuge der Verhandlung wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichts folgende Berichte zum Akt genommen und dazu eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme gewährt:
- LIB Somalia, Gesamtaktualisierung am 17.09.2019
- FSNAU Food Security & Nutrition, Quarterly Brief, 29.04.2019
- FSNAU Somalia Food Security Outlook, June 2019 to January 2020
- OCHA, Humanitarian Bulletin, Somalia, 01.08.-31.08.2019
Seitens der Vertretung wurden folgende Integrationsunterlagen vorgelegt:
- Teilnahmebestätigung „Deutschkurs für Anfänger“ vom 16.01.2018
- Teilnahmebestätigung „Basisbildung Modul 1“ vom 27.02.2018
- Kursbestätigung „112-stündiges Modul im Rahmen der Basisbildung“ vom 29.03.2018
- Zeitbestätigung, Besuch einer Informationsveranstaltung des ÖIF vom 27.06.2018
- Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit in einem Sozialmarkt von Anfang Juli 2018 bis Ende September 2018 in den Bereichen „Lagerarbeiten“ und „Vorbereitung der Frischware für den Verkauf“ vom 05.10.2018
Eine Stellungnahme zu den Berichten zur Lage in Somalia langte bis dato nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, ist sunnitischer Moslem und gehört zum Clan bzw. zur berufsständischen Gruppe der Madhiban, Subclan XXXX , Subsubclan XXXX , Subsubsubclan XXXX , Subsubsubsubclan XXXX , Subsubsubsubsubclan XXXX . Er stammt aus dem Dorf XXXX in der Region Lower Shabelle im Süden Somalias und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Der Ort liegt in sumpfigem Gebiet am Unterlauf des Flusses Shabelle. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine Schul- noch über eine Berufsbildung und hat in der Heimat in der Landwirtschaft gearbeitet, um den Lebensunterhalt der Familie zu erwirtschaften.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat fünf Söhne und eine Tochter. Seine Ehefrau, die Kinder und seine Mutter leben mittlerweile in Äthiopien. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. In seiner Herkunftsregion verfügt der Beschwerdeführer noch über entfernte Verwandte.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr läuft, in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit verfolgt zu werden. Auch sonst droht dem Beschwerdeführer in der Heimat keine asylrelevante Verfolgungsgefahr.
Ob der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seinen entfernten Verwandten in Somalia hat, kann nicht festgestellt werden. Zu seinen nahen Angehörigen, die mittlerweile in Äthiopien leben, besteht regelmäßiger telefonischer Kontakt. Eine finanzielle Unterstützung durch seine Angehörigen ist bei einer Rückkehr nach Somalia nicht zu erwarten. Bei einer Rückkehr nach Somalia und einer Ansiedlung in seinem Heimatort XXXX in der Region Lower Shabelle - ebenso wie bei einer Ansiedlung außerhalb seines Heimatortes - läuft der Beschwerdeführer Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich (auszugsweise) auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung: 17.09.2019):
Politische Lage
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der
ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen:
-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
-AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019
-AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail