TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/31 W187 2190923-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2020
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Entscheidungsdatum

31.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2190923-1/15E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführerin sei am XXXX in Afghanistan in der Provinz Ghazni geboren, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Seine Familie sei nach wie vor in seinem Heimatland in der Provinz Ghazni aufhältig. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Es herrsche überall Krieg. Der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der Beschwerdeführer am XXXX unterzog. Dieses Röntgen ergab, dass sämtliche Epiphysenfugen (Wachstumsfugen) beim Beschwerdeführerin geschossen sind.

4. Am XXXX unterzog sich der Beschwerdeführer auf Anordnung durch die belangte Behörde einer Untersuchung zur Volljährigkeitsbeurteilung durch einen medizinischen Sachverständigen. Laut Sachverständigengutachten vom XXXX sei das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX anzunehmen. Es könne zum Zeitpunkt der Antragstellung von einem Mindestalter von XXXX Jahren ausgegangen werden. Eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Asylantragstellung könne nicht mit dem höchstmöglichen Beweismaß ausgeschlossen werden.

5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX stellte die belangte Behörde die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Asylantragszeitpunkt fest und legte das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX fest.

6. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer zunächst an, er habe keine physischen oder psychischen Probleme. Nach Krankheiten gefragt, gab er an, Schmerzen an der linken Hüfte von Schlägen in Afghanistan während einer zweimonatigen Gefangenschaft zu haben. Er befinde sich jedoch nicht in medizinischer bzw. ärztlicher Behandlung. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer keine Schule besucht und mit seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, er sei Mandelbauer gewesen und habe die Erträge in Ghazni am Bazar verkauft. Auf der Rückfahrt von Ghazni in seinen Heimatdistrikt XXXX sei er mit anderen Hazara von den Taliban angehalten und festgenommen worden. Die Taliban hätten die Gefangenen auf drei Autos verladen und in die Provinz Zabul in den Distrikt XXXX gebracht. Dort sei der Beschwerdeführer mit den anderen Gefangenen zwei Monate lang festgehalten worden. Die Taliban hätten ihnen vorgeworfen, die Hazara aus dem Distrikt XXXX würden mit der Regierung und den Amerikanern zusammenarbeiten. Einem Mann, der Armee-Unterwäsche getragen habe, hätten die Taliban die Kehle vor den Augen der anderen Gefangenen durchgeschnitten. Die Gefangenen seien immer wieder befragt, misshandelt und geschlagen worden. Man habe ihnen nur wenig zu essen gegeben. In Ghazni und Kabul sei es schließlich zu Demonstrationen wegen der Anhaltung des Beschwerdeführers und der Mitgefangenen durch die Taliban gekommen. Nach zwei Monaten seien von den insgesamt 31 Gefangenen nur noch 24 Personen – darunter der Beschwerdeführer – am Leben gewesen. Die Taliban hätten die Gefangenen in zwei Gruppen aufgeteilt. 19 Personen seien freigelassen worden, die restlichen fünf Personen seien als Geiseln zurückgeblieben. Auch der Beschwerdeführer sei freigelassen worden. Die Taliban hätten ihnen untersagt, Interviews zu geben oder sich über die Folterungen öffentlich zu äußern. Widrigenfalls würden sie die restlichen Gefangenen töten. Weiter habe man ihnen gedroht, sie zu exekutieren, sollten die Taliban die freigelassenen Personen nochmals festnehmen. Der Beschwerdeführer habe daraufhin den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen. Drei bis vier Wochen nach seiner Freilassung habe er sein Heimatdorf verlassen.

7. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für den Beschwerdeführer eine günstigere Entscheidung erzielt worden wäre.

9. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

10. Am XXXX langte eine Vollmachtbekanntgabe des MigrantInnenvereins St. Marx beim erkennenden Gericht ein.

11. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.

12. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellem Gründen nicht möglich sei und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.

13. Mit Schreiben vom XXXX informierte die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe das Bundesverwaltungsgericht über die Zurücklegung der erteilten Vollmacht.

14. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, zur Länderberichtslage in Afghanistan beim Bundesverwaltungsgericht ein.

15. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, es geht mir gut.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ich habe die Wahrheit gesagt.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Am XXXX wurde ich in Afghanistan, in Ghazni, geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Dari ist meine Muttersprache. Ich spreche Dari. Ich verstehe auch etwas Farsi, auch Deutsch verstehe ich ein wenig, aber nicht viel.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich stamme aus Afghanistan, bin Hazara und Schiite. Ich bin ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe immer in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX , gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: In unserem Haus.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe gemeinsam mit meinem Vater gearbeitet. Ich habe in der Landwirtschaft gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Eltern sind verstorben, mein Bruder ist in den Iran geflüchtet, meine zwei Schwestern leben noch in Afghanistan.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Nach dem Tod meiner Eltern haben wir Geschwister keinen Kontakt mehr zu einander. Meine beiden Brüder sind in den Iran gegangen.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits, dieser ist bereits verstorben. Ich habe eine Tante väterlicherseits, diese ist in den Iran geflüchtet. Sonst habe ich in Afghanistan niemanden.

Richter: Wollen Ihre Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Ich habe keinen Kontakt zu ihnen. Meine Schwestern sind verheiratet, ihnen wird nicht erlaubt jemanden anzurufen. Ich weiß nichts von ihnen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich arbeite hier, ich besuche einen Deutschkurs, ich betreibe Sport. Ich gehe täglich laufen und betreibe Sport. Auch besuche ich einen Deutschkurs. Eine Zeitlang habe ich für die Gemeinde gearbeitet. Seit einem Jahr arbeite ich in einem Altenheim.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe viele Bekanntschaften mit Österreichern, die meisten habe ich beim Deutschkurs kennengelernt.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein. Ich gehe nur ins Fitness Center und laufen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein, ich hatte bisher noch keine Probleme mit der Polizei und dem Gericht. Einmal hatte ich keine Fahrkarte, weil ich es sehr eilig hatte, bin ich nicht dazu gekommen mir ein Ticket zu kaufen. Ich wurde dann zum ersten Mal angehalten, aber ich habe keine Strafe bezahlt.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich selbst war Landwirt. Ich habe 300 kg Mandeln nach Ghazni gebracht, dort habe ich die Ware verkauft. Auf dem Heimweg nach XXXX haben die Taliban sich uns in den Weg gestellt. Sie waren mit sieben oder acht Fahrzeugen unterwegs. Wir waren 31 Personen, wir wurden von den Taliban mitgenommen, wir wurden auf drei Fahrzeuge aufgeteilt und Richtung XXXX gebracht. Wir wurden dann auf drei Räume aufgeteilt. Einer von uns hatte ein behördliches T-Shirt an, er wurde sofort auf der Stelle erschossen. Es war ein T-Shirt aus der Armee, er wurde getötet. Viele von uns wurden sehr nervös, es gab Auseinandersetzungen, zwei weitere Personen von uns wurden dort auch getötet. Wir waren zwei Monate in Haft. Während der Gefangenschaft wurden wir geschlagen, wir haben kein Essen bekommen. Wir hatten große Angst und Furcht, wir waren abgemagert. Zwei ältere Männer sind auch dort verstorben, sie sind aus Angst und Furcht verstorben, sie sind verhungert. Wir wurden einvernommen, uns wurde vorgeworfen, dass wir die Behörden unterstützen und die Taliban, die in unserer Region sind, nicht mithelfen. Sie haben uns fotografiert, dann sind hochrangige Kommandanten gekommen, sie haben mit uns gesprochen und uns gefragt, warum wir die Amerikaner in unserer Region unterstützen und warum wir sie von dort nicht vertreiben. Sie haben uns gewarnt und uns gesagt, dass sie uns dieses Mal freilassen werden aber, wenn wir irgendetwas über sie verraten sollten, werden sie uns das zweite Mal nicht am Leben lassen. 19 Personen wurden freigelassen, darunter waren Frauen und Kinder. In Ghazni und in XXXX fanden viele Demonstrationen statt, warum wir nicht freigelassen werden. Letztendlich wurden wir freigelassen. 19 Personen von uns wurden freigelassen, die anderen wurden noch festgehalten. Sie wollten sich vergewissern, ob diese 19 Personen sie verraten werden oder nicht. Wir wurden freigelassen, ich bin dann nach XXXX gegangen. Vier von uns wurden dann von den Behörden nach Kabul bestellt, um eine Einvernahme zu machen. Ich selbst bin dann nicht nach Kabul gegangen, die anderen waren in Kabul. Nach diesem Vorfall habe ich dann den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen. Ich habe mit meinem Vater und meiner Mutter gesprochen, dass ich die Absicht habe Afghanistan zu verlassen. Meine Eltern waren einverstanden und sagten, dass ich weggehen soll. Ich habe Geld bekommen und habe daraufhin Afghanistan verlassen. Ich bin in den Iran gereist. Zwei Monate blieb ich dort, danach ging ich weiter in die Türkei, ich blieb zwei Wochen dort. Ich hatte meine Tazkira und auch andere Unterlagen in einer Tasche mit. Bei der Überfahrt ist das Boot kaputt gegangen und alles fiel ins Wasser. Danach reiste ich nach Griechenland, nach Mazedonien, dann bin ich nach Kroatien und weiter über Slowenien nach Österreich. Ich bin teilweise zu Fuß marschiert und teilweise mit dem Bus gefahren. Hier habe ich um Asyl angesucht, da Österreich ein gutes Land ist. Ich habe viel Unglück und Elend erlebt, deswegen bin ich hier geblieben. Ich war dann in einem Flüchtlingslager und bin seitdem hier in Österreich aufhältig.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Die Taliban haben mich während dieser Zeit geschlagen und misshandelt. Ich hatte Verletzungen im Nierenbereich, in diesem Moment waren mir die Beschwerden nicht bewusst. Drei Monate später hat sich herausgestellt, dass ich Beschwerden mit den Nieren habe. In Afghanistan ist das eine Straftat Hazara und Schiit zu sein. Täglich werden Hazara getötet, sie können von einem Ort nicht zum nächsten gehen. Sie werden verbrannt. Wegen der Religion und warum man Hazara ist. Ja, ich war auch ein anderes Mal in Gefangenschaft der Taliban, gegen Bezahlung von Geld wurde ich freigelassen. Vor etwa acht Jahren war ich etwa eine Woche in Gefangenschaft der Taliban. Sie haben mich auf dem Weg von Ghazni nach XXXX angehalten. Damals wurden keine Fotos von mir angefertigt, mir wurde gesagt, dass ich Geld zahlen soll und wenn ich kein Geld bezahle, werden sie mir etwas antun. Ich hatte Glück, dass ich freigelassen wurde. Ich hatte nicht daran gedacht, auf derselben Strecke, von ihnen angehalten zu werden. Nach dem zweiten Mal habe ich dann den Entschluss gefasst von dort weg zu gehen, da Afghanistan für mich nicht mehr sicher ist. Afghanistan war nicht mehr sicher für mich. Bei der zweiten Anhaltung wurden Fotos gemacht und ich bin sicher, wenn man mich das dritte Mal angehalten hätte, dass man mich nicht am Leben gelassen hätte.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Beschwerdeführer: Hier fühle ich mich sicher. Ich kann hier ruhig atmen, mit einem ruhigen Gewissen Sport betreiben und leben. Ich kann ohne Probleme von einer Stadt in die nächste reisen, keiner hat irgendetwas dagegen oder hindert mich daran. Ich fühle mich hier sehr wohl, ich kann hier alles machen was ich möchte. Ich kann von einer Stadt in die andere reisen.

Richter wiederholt die Frage.

Beschwerdeführer: Überall in Afghanistan sind die Taliban. Vier von unseren Leuten haben beim Fernsehen ein Interview abgegeben, sie haben die Gefangenschaft geschildert. Überall in Afghanistan, auf allen Routen sind die Taliban, wenn sie mich festnehmen, lassen sie mich nicht am Leben.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich habe hier die Wahrheit angegeben. Ich habe Probleme in Afghanistan. Ich habe die Wahrheit erzählt, ich habe das erzählt, was mir wiederfahren ist. Deswegen habe ich die Beschwerde gemacht.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wenn ich jetzt nach Afghanistan zurückkehren sollte, muss ich Richtung Ghazni aufbrechen und dann nach XXXX gehen. Man wird mich nicht am Leben lassen. Wo anders in Afghanistan habe ich nicht gelebt und kenne mich auch nicht aus. Ich werde mich dort nicht sicher fühlen. Vielleicht eine Woche später oder sogar nach zwei Tagen wird man mich töten und nicht am Leben lassen. In jeder Stadt, in jeder Region sind die Taliban. Die Route, die ich passiere, sind die Taliban.

Rechtsvertreter: Welches Interesse haben die Taliban an Ihnen persönlich?

Beschwerdeführer: Ich war in Gefangenschaft der Taliban, sie kennen mich. Ich habe über die Taliban gesprochen, ich habe veröffentlicht, dass die Taliban gnadenlos sind, dass sie wild sind. Bei den Taliban ist es so, wenn sie jemanden einmal entführt haben oder gefangen gehalten haben, diese Person findet dann keine Ruhe mehr. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl, die Taliban haben mich misshandelt. Ich hatte bis vor zwei Jahren noch Alpträume davon, ich habe im Schlaf geschrien, mein Zimmerkollege hat mich aufgeweckt und gefragt, was mit mir los ist. Wenn jemand verprügelt wurde oder erschossen wurde und ein anderer sich eingemischt hat, wurde dieser auch gleich erschossen. Sogar jetzt habe ich noch von dieser Situation Alpträume. Die Taliban haben kein Gewissen, sie fühlen nicht mit, sie wissen nicht was Menschlichkeit bedeutet.

Rechtsvertreter: Falls Sie in Österreich bleiben dürfen, was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Beschwerdeführer: Ich möchte hier arbeiten, eine Ausbildung machen, ich möchte mich mit den Bestimmungen und den Regeln des Landes auskennen und etwas Gutes tun.

[…]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja.“

Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer vor. Diese Unterlagen wurden in Kopie zum Akt genommen.

16. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom XXXX das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Stand 21.7.2020) zur Stellungnahme.

17. Die belangte Behörde äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX . Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist Analphabet und kann diese Sprache weder lesen noch schreiben. Weiter spricht er ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Heimatdorf in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus gemeinsam mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Der Beschwerdeführer lebte dort bis zu seiner Ausreise Richtung Europa im XXXX .

Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan keine Schule und arbeitete gemeinsam mit seinem Vater und seinen Brüdern in der familieneigenen Landwirtschaft.

Die Eltern des Beschwerdeführers und ein Onkel väterlicherseits sind zwischenzeitlich verstorben. Seine beiden Brüder und eine Tante väterlicherseits haben Afghanistan verlassen und leben derzeit im Iran. Die Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und nach wie vor in Afghanistan aufhältig. Sonstige (allenfalls entfernte) Verwandte des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan. Es besteht kein Kontakt des Beschwerdeführers zu seinen Geschwistern oder sonstigen Personen in Afghanistan. Der Beschwerdeführer verfügt daher über kein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk in seinem Herkunftsstaat.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er nahm seit seiner Einreise an mehreren Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskursen teil. Derzeit besucht der Beschwerdeführer seit XXXX das Deutschtraining auf Niveau „leicht fortgeschritten“ des Vereins „ XXXX “. Er hat jedoch noch keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen abgelegt. Im XXXX und XXXX , sowie von XXXX bis XXXX arbeitete der Beschwerdeführer gemeinnützig für die Gemeinde XXXX im Bereich der Landschaftspflege in der Betreuung der gemeindeeigenen Anlagen. Seit XXXX ist der Beschwerdeführer bei der XXXX in der Einrichtung Wohnheim XXXX ehrenamtlich tätig und erledigt Hilfstätigkeiten im Bereich der Küche / Abwasch. Sein Aufgabenbereich umfasst zudem die Reinigung des allgemeinen Kaffeeraumes, der Büroräume, des allgemeinen Waschraumes und des Veranstaltungssaales. Im XXXX unterzog sich der Beschwerdeführer im Rahmen des Projektes „ XXXX “ der XXXX dem XXXX -Verfahren, einem Testverfahren zur Erfassung und Förderung praktischer beruflicher Kompetenzen für Bildung und Arbeit. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein, hat jedoch in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit treibt der Beschwerdeführer gerne Sport, geht täglich laufen oder besucht ein Fitnessstudio.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung durch die Taliban wegen seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, wegen (unterstellter) politischer Gesinnung und Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der jungen wehrfähigen Männer, mit Verfolgung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer wurde nicht von den Taliban angehalten und festgenommen. Er befand sich nie in der Gefangenschaft der Taliban und wurde von diesen weder geschlagen, misshandelt noch bedroht. Die Taliban warfen dem Beschwerdeführer (und anderen Gefangenen) auch nicht vor, dass Hazara im Distrikt XXXX mit der Regierung und den Amerikanern zusammenarbeiten würden. Dem Beschwerdeführer und anderen Gefangenen wurde daher durch die Taliban auch nicht untersagt, Interviews zu geben oder sich über Folterungen zu äußern. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen, Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch die Taliban etwa aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, aufgrund unterstellter politischer Gesinnung oder aufgrund seiner Eigenschaft als junger wehrfähiger Mann ausgesetzt wäre, ist nicht zu erwarten.

Dem Beschwerdeführer drohen wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine Verfolgung oder Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Ebenso wenig drohen dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Ghazni) zählt zu den volatilen, stark vom Konflikt betroffenen Provinzen Afghanistans. Aufständische sind in einigen Distrikten aktiv und versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Taliban und Sicherheitskräften. Militärische Operationen werden regelmäßig durchgeführt; es finden Luftangriffe statt. Die Taliban konnten seit 2001 an Einfluss gewinnen. Im November 2018 erfolgten Angriffe der Taliban in den Distrikten XXXX und Malistan. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus XXXX und Malistan vertrieben.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Es werden Anschläge auf hochrangige Ziele ausgeführt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Mazar-e Sharif-e Sharif gilt als Import-/Exportdrehkreuz sowie als regionales Handelszentrum. Die Stadt steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughaben, über den sie sicher erreicht werden kann.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh war von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Wegen der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Derzeit sind die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor auf sechs Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt. In den Städten ist die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 zurückgegangen. Die afghanische Regierung ist im Rahmen des Dastarkhan-e-Milli-Programms bemüht, Haushalte zu unterstützen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Im Fall einer Rückführung des – gesunden und volljährigen – Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist ein junger Mann von XXXX Jahren, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut und verfügt über mehrjährige Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft sowie aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten in Österreich im Bereich der Landschaftspflege und als Reinigungskraft. Zudem spricht er eine Sprache des Herkunftsstaates (Dari) muttersprachlich, verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im XXXX in Afghanistan und wurde dort im afghanischen Familienverband sozialisiert. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in der Stadt Mazar-e Sharif ist ihm, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 21.7.2020, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

1.4.1.1.1 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter – noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.4.1.1.2 Stand 29.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

1.4.1.1.2 Stand 18.5.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: Nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Pati-ent/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor „harten Maßnahmen“ der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der n

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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