TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W215 1315215-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W215 1315215-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 20.06.2018, Zahl 742308106-180048261, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid gemäß § 9 Asylgesetz 2005,
BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017,
§ 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, ersatzlos behoben.

II. Die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter von XXXX wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2013, um zwei Jahre verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste zusammen mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und seine Eltern stellten für sich, den Beschwerdeführer und dessen Geschwister am 12.04.2004 Anträge auf internationalen Schutz. Die Eltern behaupteten, dass der Beschwerdeführer XXXX heiße.

Der Antrag des Beschwerdeführers wurde zuletzt unter dem Namen XXXX mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.06.2008, Zahl 315.215-1/2E-V/14/07, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation nicht zulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.06.2009 erteilt. In den Verfahren der Eltern und Geschwister wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

2. Der Beschwerdeführer wurde unter dem Namen XXXX mit Urteil des XXXX , wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch teils als Beteiligter nach § 127, § 129 Z 3,
§ 130 1. Fall, § 12 3. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des XXXX , wurde der Beschwerdeführer, unter dem Namen XXXX , wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 1. Fall StGB iVm § 5 JGG, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf der mit Urteil des XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Im Rahmen eines Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde zusammen mit dem Antrag vom 18.05.2016, welcher unter dem Namen XXXX gestellt wurde, ein Duplikat der russischen Geburtsurkunde des Beschwerdeführers vorgelegt, aus der jedoch hervorgeht, dass der Beschwerdeführer tatsächlich XXXX heißt und ihm ein russischer Reisepass der Serie XXXX ausgestellt wurde (siehe dazu Akt des Bundesasylamtes, Zahl 04.23 081-BAL, Seiten 577 bis 581).

Am 23.05.2016 langte ein Schreiben der Eltern des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein die für sich, den bereits volljährigen Beschwerdeführer und dessen Geschwister bekannt gaben, dass sie bei den Asylantragstellungen falsche Namen genannt hatten und auch der Beschwerdeführer tatsächlich XXXX heißt (siehe dazu Akt des Bundesasylamtes, Zahl 04.23 081-BAL, Seite 607f).

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2016, Zahl 742308106-2678526, unter dem Namen XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 09.06.2018 erteilt.

Er wurde unter dem Namen XXXX mit Urteil des XXXX
XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach
§ 127, § 129 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Strafe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Zudem wurde für den Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet. Vom Widerruf der mit Urteil des XXXX sowie mit Urteil des XXXX , jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit zur letzten Verurteilung, XXXX , auf fünf Jahre verlängert.

Mit Urteil des XXXX , wurde der Beschwerdeführer, wieder unter dem Namen XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127, § 129 Abs. 1 Z 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vom Widerruf der mit Urteilen des XXXX , des XXXX sowie des XXXX jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit zur letzten Verurteilung, XXXX , auf fünf Jahre verlängert.

3. Der Beschwerdeführer brachte mit Schreiben vom 30.04.2018 am 24.05.2018 einen Antrag auf Verlängerung seiner subsidiären Schutzberechtigung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein und legte eine Lehrzeitbestätigung an der Facharbeiterausbildung zum XXXX vor.

Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018, wurde dem Beschwerdeführer die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens unter dem Namen XXXX zur Kenntnis gebracht. Im erstinstanzlichen Akt liegt die Kopie des Duplikats der russischen Geburtsurkunde des Beschwerdeführers ein, wonach der Beschwerdeführer tatsächlich XXXX heißt und ihm ein russischer Reisepass der Serie XXXX ausgestellt wurde (erstinstanzlicher Akt Seiten 107 bis 110 und 115 bis 118).

In einer persönlichen Stellungnahme vom 07.06.2018 gab der Beschwerdeführer jedoch unter anderem an XXXX zu heißen bzw. dass seine Familienmitglieder den Familiennamen XXXX führen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2018, Zahl
742308106-180048261, wurde dem Beschwerdeführer unter Namen XXXX der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.06.2008, Zahl 315.215-1/2E-V/14/07, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer die mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2016, Zahl 742308106-2678526, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. In Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). In Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). In Spruchpunkt VII. wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer in Strafhaft zugestellt und mit Verfahrensanordnung vom 21.06.2018 wurde ihm ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2018, Zahl 742308106-180048261, zugestellt am 25.06.2018, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 11.07.2018 die gegenständliche Beschwerde.

4. Die Beschwerdevorlage vom 26.07.2018 langte am 27.07.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 03.08.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in Gegenwart einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch, anberaumt. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erschien nicht, dafür aber der Beschwerdeführer und seine Rechtsberaterin bzw. zugleich Vertreterin. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

Bis dato langten keine Stellungnahmen der Parteien im Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Beschwerdeführer heißt XXXX , ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist moslemischem Glaubens.

Die Eltern des damals XXXX Beschwerdeführers reisten mit ihm illegal nach Österreich und stellten für ihn am 12.04.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, der zuletzt mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.06.2008, Zahl 315.215-1/2E-V/14/07, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde. Gemäß
§ 8 Abs. 1 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation nicht zulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.06.2009 erteilt.

Der Beschwerdeführer wurde unter dem behaupteten Namen XXXX mit Urteil des XXXX wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch teils als Beteiligter nach § 127, § 129 Z 3,
§ 130 1. Fall, § 12 3. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des XXXX wurde der Beschwerdeführer, unter dem angeblichen Namen XXXX , wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 1. Fall StGB iVm § 5 JGG, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf der mit Urteil des XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der Beschwerdeführer wurde unter dem Namen XXXX mit Urteil des XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127, § 129 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Strafe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Zudem wurde für den Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet. Vom Widerruf der mit Urteil des XXXX sowie mit Urteil des XXXX jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit zur letzten Verurteilung, XXXX , auf fünf Jahre verlängert.

Mit Urteil des XXXX , wurde der Beschwerdeführer, unter dem Namen XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127, § 129 Abs. 1 Z 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vom Widerruf der mit Urteilen des XXXX, des XXXX sowie des XXXX jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit zur letzten Verurteilung, XXXX , auf fünf Jahre verlängert.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2018, Zahl
742308106-180048261, wurde der dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.06.2008, Zahl 315.215-1/2E-V/14/07, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer die mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2016, Zahl 742308106-2678526, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. In Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). In
Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). In Spruchpunkt VII. wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer in Strafhaft zugestellt und mit Verfahrensanordnung vom 21.06.2018 wurde ihm ein Rechtsberater gemäß
§ 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

2. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat mehr als 141,7 Millionen Einwohner und ist schätzungsweis ca. 1,8 Mal so groß wie die die U.S.A. (CIA Factbook 30.03.2020, abgefragt am 07.05.2020).

Wladimir Putin ist das Staatsoberhaupt, Michail Mischustin Regierungschef. Die dritte Präsidentschaft Putins zeichnete sich durch politische Kontinuität aus. Die Modernisierungsagenda von Medwedew wurde weiterverfolgt. Gleichzeitig hat Putin den Sozialstaat weiter ausgebaut und den Verteidigungssektor gestärkt. Am 15.01.2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Der Ministerpräsident und die Kabinettsmitglieder bekommen per Verfassungsänderung künftig mehr Macht. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Die für das 12.04.2020 geplante Abstimmung wurde wegen Ausbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 verschoben. Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie. Das Zweikammerparlament besteht aus Staatsduma und Föderationsrat. Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (LIP Geschichte und Staat April 2020, abgefragt am 07.05.2020).

Die Russische Föderation ist der Staat mit der weltweit größten Fläche. Sie ist Atommacht und Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig. Die Föderationsversammlung besteht aus zwei Kammern. Im Föderationsrat sitzen je zwei Vertreter jedes Föderationssubjekts. Dazu kommen vom Staatspräsidenten ernannte Vertreter der Russischen Föderation, deren Anteil nicht mehr als zehn Prozent betragen darf. Die Staatsduma besteht aus 450 Abgeordneten, die in Wahlen bestimmt werden. OSZE-Wahlbeobachter bestätigten mehrfach Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung von Wahlen. Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht die de-facto alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Er kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA Politisches Porträt Stand 02.03.2020, abgefragt am 07.05.2020).

Durch Präsidialdekret vom Juli 2000 wurden die zunächst sieben, ab Februar 2010 acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.03.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt (LIP Geschichte und Staat April 2020, abgefragt am 07.05.2020).

(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Russland, last update 30.03.2020, abgefragt am 07.05.2020, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Politisches Porträt, Stand 02.03.2020, abgefragt am 07.05.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung April 2020, abgefragt am 07.05.2020, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat)

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; AA 13.02.2019; FH 04.03.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; AA 13.02.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 04.03.2020; AA 13.02.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 04.03.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 03.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.01.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junusbek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.06.2019).

(FH, Freedom House, Freedom in the World 2020, Russland, 04.03.2020, https://freedomhouse.org/country/russia/freedom-world/2020

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, März 2018, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf

NZZ, Neue Zürcher Zeitung, Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, 29.06.2019, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435

HRW, Human Rights Watch, World Report 2020, Russia, 14.01.2020, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/russia)

Sicherheitslage

Präsident Putin verkündete am 25.03.2020 die Verschiebung des für den 22.04.2020 geplanten Referendums über weitreichende Verfassungsänderungen. Um eine Gefährdung von Wählern durch das Coronavirus zu vermeiden, werde ein neuer Termin gemäß der Expertise von Gesundheitsexperten bestimmt werden. Stimmen bei dem Referendum mehr als die Hälfte der Wähler den Verfassungsänderungen zu, sollen diese in Kraft treten. Putin könnte dann 2024 erneut als Kandidat antreten und bei einer Wiederwahl bis 2036 im Präsidentenamt bleiben (BAMF 30.03.2020).

Bei der Einreise in die Russische Föderation besteht bis zur Stabilisierung der COVID-19 Situation ein Einreiseverbot für Ausländer mit wenigen Ausnahmen (ausländische Staatsangehörige, welche Maschinen und technisches Equipment in Russland warten; Ehepartner/Ehepartnerinnen von russischen Bürgerinnen/ Bürgern; Diplomatinnen/ Diplomaten [BMEIA Stand 07.05.2020]).

In Wladikawkas versammelten sich am 20.04.2020 ca. 2.000 Menschen bei einer Demonstration gegen Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus und forderten den Rücktritt des Gouverneurs der Teilrepublik Nordossetien-Alanien. Die Polizei trieb die Teilnehmer gewaltsam auseinander und nahm Dutzende von ihnen fest. Am 21.04.2020 befand ein Gericht der Stadt 13 Personen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration, des Widerstands gegen Polizisten sowie der Organisierung eines öffentlichen Ereignisses, das zur Störung der öffentlichen Ordnung geführt habe, für schuldig und verurteilte sie zu Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Tagen. Der Opernsänger Vadim Cheldiyev hatte im Internet zu der Kundgebung aufgerufen. Cheldiyev, der den Behördenleitern der Region eine Übertreibung der Virusgefahren zum Zweck der Selbstbereicherung vorgeworfen hatte, wurde am 21.04.2020 zu einer Geldstrafe von umgerechnet 928 Euro wegen der Verbreitung falscher Informationen über das Virus verurteilt (BAMF 27.04.2020).

Die Ausbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 führt auch in der Russischen Föderation zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen mit Temperaturmessungen und Einreisesperren. Die Einreise von Ausländern ist derzeit stark eingeschränkt. Es dürfen nur akkreditierte Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen und konsularischer Einrichtungen ausländischer Staaten und deren Familienangehörige, Kraftfahrer im internationalen Kraftverkehr, die Besatzungen von Luftfahrzeugen, See- und Binnenschiffen, Zugpersonal im internationalen Eisenbahnverkehr, Mitarbeiter des Kurierdienstes zwischen den Regierungen und Mitglieder offizieller Delegationen, sowie Personen mit diplomatischen, dienstlichen oder regulären privaten Visa, die im Zusammenhang mit dem Tod eines nahen Verwandten ausgestellt wurden, einreisen. Weiter ausgenommen sind Personen, die als Familienangehörige (Eheleute, Eltern, Kinder, Adoptiveltern oder -kinder), Vormünder oder Pfleger von russischen Staatsangehörigen mit in dieser Eigenschaft anerkannten Identitätsdokumenten mit Visa einreisen, und Personen, die einen ständigen Wohnsitz in der Russischen Föderation haben. In vielen Landesteilen gelten umfassende Ausgangsbeschränkungen, kombiniert mit elektronischen Monitoringsystemen. In Moskau darf bis zum 11.05.2020 die gemeldete Wohnung nicht verlassen werden, außer im medizinischen Notfall. Weitere Ausnahmen gelten für den Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs am nächstgelegenen Ort. In der Öffentlichkeit ist ein Abstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten, dies gilt nicht in Taxis. Für die Benutzung aller Verkehrsmittel werden digitale Passierscheine benötigt. Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Seien Sie weiterhin insbesondere an belebten Orten, bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel besonders aufmerksam. Insbesondere in Moskau und St. Petersburg, aber auch in anderen großen Städten kann es zu angemeldeten und genehmigten Kundgebungen und Demonstrationen kommen, die meist friedlich verlaufen. Im Zusammenhang mit unerlaubten Protestaktionen kann es zu einem massiven Vorgehen der Sicherheitskräfte kommen. In den touristischen Zentren russischer Städte sowie in größeren Menschenansammlungen und in öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Metro kommt es zu Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl. Wie auch in anderen Großstädten kann es in Bars und Clubs russischer Großstädte zu Straftaten und vereinzelt dem Einsatz von K.o.-Tropfen kommen. Bewusstlose Personen können Opfer sexueller Gewalt werden oder sich im Freien wiederfinden, was in den Wintermonaten lebensgefährlich sein kann. In nur offiziell aussehenden, aber nicht lizensierten Taxis sind Touristen Opfer von Straftaten geworden (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 07.05.2020).

(BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 30.03.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027826/briefingnotes-kw14-2020.pdf

BMEIA, Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Russische Föderation, unverändert gültig seit 08.04.2020, Stand 07.05.2020, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 27.04.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029418/briefingnotes-kw18-2020.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 04.05.2020, Stand 07.05.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536)

Nordkaukasus

Weiterhin angespannt bleibt die Menschenrechtslage im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien unter dem Regime von Ramsan Kadyrow. Dagegen hat sich die Sicherheitslage insgesamt betrachtet wesentlich verbessert und stabilisiert. Seit 2013 ist die Zahl der Toten durch Anschläge und Kämpfe im Nordkaukasus stark rückläufig. So starben im Jahr 2017 bei Anschlägen und Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und separatistischen bzw. islamistischen Aufständischen nach offiziellen Angaben 134 Personen (2016: 202; 2015: 208; 2014: 341; 2013: 529; 2012: 700). Im Jahr 2018 fiel die Zahl der Todesopfer zum ersten Mal unter 100. 2018 starben nach Angaben der russischen Internetzeitung Caucasian Knot insgesamt 82 Personen im Nordkaukasus. Nach ersten vorliegenden Informationen derselben Quelle von Anfang Februar 2020 sank die Zahl der Todesopfer im Jahr 2019 auf insgesamt 31. Die Hauptursache für den im Vergleich zu dem Jahr 2012 erheblichen Rückgang der Zahl der getöteten Personen in den vergangenen Jahren dürfte sein, dass sich seit Ende 2014 vermehrt Kämpfer aus dem Nordkaukasus der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak angeschlossen hatten und dort viele den Tod fanden (BAMF 10.02.2020).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend „Aufständische“ und Sicherheitskräfte (AA 13.02.2019).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23.06.2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Die Nachrichten-Website Caucasian Knot berichtete, dass gewalttätige Konfrontationen mit Sicherheitskräften, in der ersten Hälfte des Jahres 2019, zu mindestens 31 Toten führten. die am stärksten betroffene Region war Kabardino-Balkarien mit 10 Todesfällen in der ersten Hälfte des Jahres 2019, gefolgt von Dagestan, wo neun Menschen getötet wurden. Das gewaltsame Verschwinden von Personen aus politischen oder finanziellen Gründen setzte sich im Nordkaukasus fort. Es gab immer wieder Berichte über Entführungen in Zusammenhang mit mutmaßlichen Antiterrormaßnahmen im Nordkaukasus (USDOS 11.03.2020).

Im vierten Quartal 2019 gab es sechs Konfliktopfer im Nordkaukasus, alle sechs waren in Inguschetien, vier davon wurden verwundet und sechs getötet (Caucasian Knot 11.03.2020; 20.03.2020). Von 06.01. bis 01.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus (Caucasian Knot 13.01.2020; 20.01.2020; 27.01.2020; 03.02.2020; 10.02.2020; 17.02.2020; 03.03.2020). Zwischen 02. und 08.03.2020 wurde mindestens eine Person als Konfliktopfer im Nordkaukasus gemeldet, nachdem ein mutmaßlicher Kämpfer während einer Spezialoperation in Inguschetien getötet wurde (Caucasian Knot 09.03.2020). Von 09.03. bis 22.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus (Caucasian Knot 16.03.2020; 23.03.2020). Am 23.03.2020 wurde in der Republik Kabardino-Balkarien, nach Informationen bezüglich eines geplanten Terroraktes, zwei gebrauchsfertige Sprengsätze gefunden und beim Versuch der Festnahme drei Verdächtige während einer Schießerei von Sicherheitskräften getötet (Caucasian Knot 31.03.2020). Am 16.04.2020 wurde beim Versuch von Polizisten ein Auto in Dagestan anzuhalten, nachdem der Fahrer der Aufforderung nicht nachkam und das Feuer eröffneten, dieser erschossen; im Auto wurden Waffen und Sprengstoff gefunden (Caucasian Knot 21.04.2020). Von 27.04. bis 03.05.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus (Caucasian Knot 04.05.2020).

(BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 10.02.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025555/briefingnotes-kw07-2020.pdf

Caucasian Knot, für das vierte Quartal 2019 wurde sechs Konfliktopfer im Nordkaukasus gemeldet, 20.03.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50759/

Caucasian Knot, Statistik für das vierte Quartal 2019 im Nordkaukasus, 11.03.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/

Caucasian Knot, von 06. bis 12.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 13.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49675/

Caucasian Knot, von 13. bis 19.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 20.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49743/

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019

Caucasian Knot, von 20. bis 26.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 27.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49819/

Caucasian Knot, von 27.01. bis 02.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 03.02.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49889/

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf

Caucasian Knot, von 03.02 bis 09.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 10.02.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49959/

Caucasian Knot, von 10. bis 16.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 17.02.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50028/

Caucasian Knot, von 24.02. bis 01.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 03.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50174/

Caucasian Knot, von 02.03.2020 bis 08.03.2020 gab es mindestens ein Konfliktopfer im Nordkaukasus, 09.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50241/

USDOS, United States Department of State, Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/russia/

Caucasian Knot, von 09.03. bis 15.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 16.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50305/

Caucasian Knot, von 16.03. bis 22.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 23.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50381/

Caucasian Knot, zwischen 23.03.2020 und 29.03.2020 gab es mindestens drei Konfliktopfer im Nordkaukasus, 31.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50446/

Caucasian Knot, zwischen 13.04.2020 und 19.04.2020 gab es mindestens ein Konfliktopfer im Nordkaukasus, 21.04.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50658/

Caucasian Knot, von 27.04. bis 03.05.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 04.05.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50795/)

Tschetschenien

Weiterhin angespannt bleibt die Menschenrechtslage im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien unter dem Regime von Ramsan Kadyrow. Dagegen hat sich die Sicherheitslage insgesamt betrachtet wesentlich verbessert und stabilisiert (BAMF 10.02.2020).

Von nicht erforderlichen Reisen nach Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan und in die unmittelbare Grenzregion zur Ukraine im Rostovskaya Oblast wird abgeraten. Es besteht bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus sowie angrenzende Regionen eine erhöhte Sicherheitsgefährdung durch mögliche Anschläge mit terroristischem Hintergrund, bewaffnete Auseinandersetzungen und Entführungen (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 07.05.2020).

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 04.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 04.2017).

Im ersten Quartal 2019 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Tschetschenien drei Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon wurden zwei verwundet und eine Person getötet (Caucasian Knot 20.06.2019). Im zweiten Quartal 2019 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Tschetschenien drei Konfliktopfer, wobei zwei verwundet und eine Person getötet wurden (Caucasian Knot 14.09.2019). Im dritten Quartal 2019 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Tschetschenien mindestens vier getötete Personen (Caucasian Knot 18.12.2019). Im vierten Quartal 2019 wurde keine Konfliktopfer in Tschetschenien gemeldet (Caucasian Knot 21.02.2020; 11.03.2020). Von 06.01. bis 29.03.2020 gab es keine Konfliktopfer Tschetschenien (Caucasian Knot 13.01.2020; 20.01.2020; 27.01.2020; 03.02.2020; 10.02.2020; 17.02.2020; 03.03.2020; 09.03.2020, 16.03.2020; 23.03.2020; 31.03.2020). Zwischen 13.04.2020 und 19.04.2020 gab es keine Konfliktopfer in Tschetschenien (Caucasian Knot 21.04.2020). Von 27.04. bis 03.05.2020 gab es ebenfalls keine Konfliktopfer in Tschetschenien (Caucasian Knot 04.05.2020).

(BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 10.02.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025555/briefingnotes-kw07-2020.pdf

Caucasian Knot, Statistik für das vierte Quartal 2019 im Nordkaukasus, 11.03.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, erstes Quartal 2019, 20.06.2019, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/47554/

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, 04.2017, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Dagestan, Russlands schwierigste Teilrepublik, April 2015, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf

Caucasian Knot, für das dritte Quartal 2019 wurde sieben im Nordkaukasus gemeldet, 18.12.2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/

Caucasian Knot, für das vierte Quartal 2019 wurde keine Konfliktopfer in Tschetschenien gemeldet, 21.02.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50077/

Caucasian Knot, von 06. bis 12.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 13.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49675/

Caucasian Knot, von 13. bis 19.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 20.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49743/

Caucasian Knot, von 20. bis 26.01.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 27.01.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49819/

Caucasian Knot, von 27.01. bis 02.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 03.02.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49889/

Caucasian Knot, von 03.02 bis 09.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 10.02.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49959/

Caucasian Knot, von 10. bis 16.02.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 17.02.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50028/

Caucasian Knot, von 24.02. bis 01.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 03.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50174/

Caucasian Knot, von 02.03.2020 bis 08.03.2020 gab es mindestens ein Konfliktopfer im Nordkaukasus, 09.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50241/

Caucasian Knot, von 09.03. bis 15.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 16.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50305/

Caucasian Knot, von 16.03. bis 22.03.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 23.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50381/

Caucasian Knot, zwischen 23.03.2020 und 29.03.2020 gab es mindestens drei Konfliktopfer im Nordkaukasus, 31.03.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50446/

Caucasian Knot, zwischen 13.04.2020 und 19.04.2020 gab es mindestens ein Konfliktopfer im Nordkaukasus, 21.04.2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50658/

Caucasian Knot, von 27.04. bis 03.05.2020 gab es keine Konfliktopfer im Nordkaukasus, 04.05.2020, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50795/

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 04.05.2020, Stand 07.05.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536)

Justiz

Höchste Rechtsinstanz in Russland ist der Oberste Gerichtshof, daneben gibt es einen Obersten Schiedsgerichtshof. Die Richter dieser Gerichte werden durch den Föderationsrat auf Empfehlung des Präsidenten ernannt. 2003 haben Schwurgerichte ihre Arbeit aufgenommen (LIP Geschichte und Staat April 2020, abgefragt am 07.05.2020).

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 04.03.2020).

Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind (AA 13.02.2019). Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber Richter stehen unter dem Einfluss von Exekutive, Militär und anderen bewaffneten Einheiten, insbesondere in hochkarätigen oder politisch sensiblen Fällen und von Korruption. Die Ergebnisse mancher Prozesse scheinen vorbestimmt (USDOS 11.03.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019).

Das Gesetz verlangt die gerichtliche Genehmigung von Haftbefehlen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Inhaftierungen. Die Beamten erfüllen diese Anforderungen in der Regel, obwohl Bestechung oder politischer Druck manchmal die Verfahren zur Erlangung gerichtlicher Haftbefehle unterwanderten (USDOS 11.03.2020).

Ein Gericht in Jaroslawl verurteilte am 17.01.2020 einen russischen Gefängniswächter zu dreieinhalb Jahren Haft, weil er Gefängnisinsassen geschlagen habe. Der Mann gehört zu einer Gruppe von 17 ehemaligen Gefängniswächtern einer Strafkolonie, die 2018 festgenommen worden waren, nachdem ein publiziertes Video, das Wachmänner bei der Misshandlung eines Gefangenen zeigte, zu öffentlicher Empörung geführt hatte. Zwei Tage zuvor war ein anderer Gefängniswächter zu vier Jahren Haft verurteilt worden (BAMF 20.01.2020).

(USDOS, United States Department of State, Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/russia/

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 20.01.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025544/briefingnotes-kw04-2020.pdf

FH, Freedom House, Freedom in the World 2020, Russland, 04.03.2020, https://freedomhouse.org/country/russia/freedom-world/2020

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung April 2020, abgefragt am 07.05.2020, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat)

Tschetschenien und Dagestan

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 09.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz‘. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 04.2015).

Im Gegensatz zu Tschetschenien können NROs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NRO „Komitee zur Verhinderung von Folter“ arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen. Der traditionelle Rechtspluralismus, d. h. das Neben- und Miteinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht, hat sich bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 90er Jahren nahm auch die Einrichtung von Sharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u. a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Zu den Sitten und Gebräuchen des Adat, die bis heute im immer noch durch die traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan befolgt werden, gehört auch die Blutrache. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf das Institut der Blutrache zu verzichten. Ob jemand durch einen Bluträcher bedroht wird, ist öffentlich bekannt und daher im Einzelfall ermittelbar (AA 13.02.2019).

Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben, und kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 12.2019).

Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zum Mord rechnen (AA 13.02.2019).

Das Gesetz verlangt, dass Verwandte von Terroristen für die Kosten, welche durch Angriffe verursacht werden, aufkommen, was von Menschenrechtsanwälten als Kollektivbestrafung kritisiert wird (USDOS 11.03.2020).

Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien "Ramzan sagt" lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 01.2020).

(Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Dagestan Russlands schwierigste Teilrepublik, 04.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf

EASO, European Asylum Support Office, Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), 09.2014, http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf

USDOS, United States Department of State, Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/russia/

CSIS, Centre for Strategic and International Studies, Civil Society in the North Caucasus, Jänner 2020, https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX)

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), der Untersuchungsausschuss, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist für die staatliche Sicherheit, den Kampf gegen Spionage, Terrorismusbekämpfung, Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption verantwortlich. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist für die Bekämpfung aller Straftaten zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den FSB Grenzschutz bei der Sicherung der Grenzen, administriert Waffenkontrolle, bekämpft Terrorismus und organisierte Kriminalität, schützt die öffentliche Ordnung und überwacht wichtige staatliche Einrichtungen. Die Nationalgarde beteiligt sich zudem, in Koordination mit dem Verteidigungsministerium, an der bewaffneten Verteidigung des Landes (USDOS 11.03.2020).

Nach dem Gesetz können Behörden einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung anhalten, sofern es Beweise für ein Verbrechen oder einen Zeugen gibt;

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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