TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W137 2228886-7

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

W137 2228886-7/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter Hammer als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1256236504/191308137, über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit Algerien, in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer reiste (nach eigenen Angaben) spätestens am 21.12.2019 von Ungarn kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am selben Tag versuchte er wiederum illegal mit dem Zug nach Deutschland weiterzureisen. Aufgrund fehlender Reisedokumente wurde der Beschwerdeführer von den deutschen Behörden an der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gehindert und nach Österreich zurückgestellt.

2. Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthaltes wurde der Beschwerdeführer festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum eingeliefert.

3. Am 22.12.2019 wurde der Beschwerdeführer zur Prüfung einer angemessenen Sicherungsmaßnahme zur Außerlandesbringung seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, von Ungarn kommend mit dem Zug in Österreich eingereist zu sein. Als Zweck des Aufenthaltes bzw. als Reiseziel gab er explizit die Weiterreise nach Frankreich, wo sich seine Verwandten aufhalten würden, an. In Österreich oder in einem Mitgliedstaat habe er keinen Wohnsitz. Auch habe er in Österreich keine Familienangehörigen, er habe nur Verwandte in Frankreich. In Österreich befänden sich keine Personen, bei denen er während eines fremdenpolizeilichen Verfahrens wohnen könne. Er verfüge lediglich über Barmittel in der Höhe von € 15, einiger serbischer Dinar sowie ungarischer Forint in bar. Es gebe auch keine Personen, bei denen er sich während des fremdenpolizeilichen Verfahrens Geld ausleihen könne. Er habe in keinem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt. Auch besitze er keinen Aufenthaltstitel in einem anderen Mitgliedstaat. Die Frage, wo er sich nach Entlassung aus der Anhaltung hinbegeben würde, beantwortete der Beschwerdeführer dahingehend, dass er sofort nach Frankreich weiterreisen würde. In Schubhaft möchte er nicht angehalten werden.

4. Mit Bescheid der belangen Behörde vom 22.12.2019, Zl. 1256236504 - 181308137/ BMI-BFA_SZB _RD, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 22.12.2019, um 12.20 Uhr, durch persönliche Übergabe zugestellt.

Die belangte Behörde stützte die Fluchtgefahr in ihrem Bescheid dabei auf § 76 Abs. 3 Z. 1 und 9 FPG. Die Anordnung eines gelinderen Mittels sei aufgrund der finanziellen Situation des Beschwerdeführers und des beträchtlichen Risikos des Untertauchens aufgrund der persönlichen Lebenssituation des Beschwerdeführer sowie seines bisherigen Verhaltens zu versagen gewesen. Verhältnismäßigkeit sei in Hinblick auf die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers gegeben. Darüber hinaus sei von der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen gewesen.

5. Am 23.12.2019 stellte der Beschwerdeführer im Stande der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde seitens der Behörde ein Aktenvermerk zur Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufgenommen. Dabei wurde festgehalten, dass Gründe zur Annahme bestünden, dass der am 23.12.2019 gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei. Begründend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Befragung am 22.12.2019 im Polizeianhaltezentrum Salzburg angab, nach Frankreich reisen zu wollen. Einen Asylantrag habe der Beschwerdeführer nicht stellen wollen. Wäre der Zweck der nunmehrigen Asylantragsstellung nicht bloß die Verzögerungsabsicht, so hätte sich der Beschwerdeführer vor seinem Aufgriff bei der Polizei gestellt bzw. spätestens im Zuge des Aufgriffs einen Asylantrag gestellt. Aufgrund von vorhandenen Reisepassdaten sei auch mit einer raschen Abschiebung des Beschwerdeführers nach Abschluss des Asylverfahrens zu rechnen.

Der Aktenvermerk wurde dem Beschwerdeführer durch persönliche Übergabe am 23.12.2019 zugestellt.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.01.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, wobei festgestellt wurde, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde nicht gewährt. Darüber hinaus wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 10.02.2020 durch persönliche Übergabe zugestellt.

7. Gegen den Mandatsbescheid, die Schubhaftanordnung sowie die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhob der Beschwerdeführer am 24.02.2020 Beschwerde. Dabei ging die Beschwerde davon aus, dass weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit vorliegen würden. In der Beschwerde wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.

8. Am 25.02.2020 legte die belangte Behörde die Verwaltungsakten vor. In der gleichzeitig erstatteten Stellungnahme wies die belangte Behörde zum Vorhalt der mangelhaften Begründung der Fluchtgefahr in der Beschwerde auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers im Umgang mit den Behörden sowie die Einhaltung bestehender Gesetzen und Normen hin. Hinsichtlich der Nichtanwendung des gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG wurde auf die Begründung im Schubhaftbescheid hingewiesen. Demzufolge liege in Anbetracht der Gesamtheit der individuellen Kriterien in diesem Einzelfall sowie dem Asylgesuch des Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde jedenfalls und mit gesteigertem Ausmaß auch weiterhin eine Notwendigkeit und Hinblick auf die erst relativ kurze Zeit der Anhaltung in Schubhaft und die für nach Rechtskraft des Antrages auf internationalen Schutz in weiterer Folge zu initiierende Abschiebung des Beschwerdeführers in dessen Herkunftsstaat Algerien auch eine Verhältnismäßigkeit zur Sicherung der Abschiebung vor.

Am Ende der Stellungnahme beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde sowie den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft vorlägen, sowie den Ersatz der verzeichneten Kosten.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte im Schubhaftbeschwerdeverfahren am 28.02.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer und seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen.

10. Mit Erkenntnis vom 02.03.2020, W 154 2228886-1/9E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den die Schubhaft anordnenden Bescheid vom 22.12.2019 gemäß §76 Abs. 2 Z2 FPG und §76 Abs. 6 FPG ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen.

11. Im März 2020 erwuchs der negativ über den Antrag auf internationalen Schutz absprechende Bescheid vom 24.01.2020 in Rechtskraft.

12. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.04.2020, W279 2228886-2/2E, vom 19.05.2020, W154 2228886-3/3E, vom 17.06.2020, W154 2228886-4/3E, vom 15.07.2020, W154 2228886-5/3E und vom 11.08.2020, W140 2228886-6/3E wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

13. Am 01.09.2020 legte das BFA den Verwaltungsakt erneut gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. In der erstatteten Stellungnahme führte das Bundesamt nach Darlegung des maßgeblichen Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass die bereits bei der Anordnung der Schubhaft festgestellten Fakten betreffend akuter Fluchtgefahr auch weiterhin vorliegen würden. Des Weiteren wurde auf die Nichtmitwirkung des Beschwerdeführers bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten sowie die versuchte Verschleierung der wahren Identität durch den Beschwerdeführer hingewiesen. Der Beschwerdeführer könne deshalb noch nicht abgeschoben werden, weil dessen Identität noch nicht letztgültig habe geklärt werden können und demzufolge die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes noch nicht möglich gewesen sei. In der Stellungnahme wurde auch darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates der Beschwerdeführer am 18.09.2020 zu einem Einvernahmetermin bei Vertretern der algerischen Botschaft vorgeführt werden wird.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Algerien. Er verfügt über keine Personal oder Reisedokumente. Betreffend den Beschwerdeführer liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung (aus 2020) hinsichtlich seines Herkunftsstaates Algerien vor. Der Beschwerdeführer hat am 18.09.2020 einen Delegationstermin bei den Vertretern der algerischen Botschaft im Zuge der Rückkehrvorbereitungen (HRZ-Verfahren).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 22.12.2019 in Schubhaft. In der Zeit von 12.01.2020 bis 13.01.2020, von 10.05.2020 bis 12.05.2020 sowie von 02.08.2020 bis 04.08.2020 trat er in den Hungerstreik. Den Hungerstreik beendete der Beschwerdeführer jedes Mal freiwillig. Er ist insgesamt nicht vertrauenswürdig.

Das Bundesamt hat die gesetzlich vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt und entsprechende Aktenvermerke verfasst.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Im Anschluss an einen Delegationstermin kann ein Heimreisezertifikat ausgestellt werden (oder es können einschlägige weitere Verfahrensschritte im Herkunftsstaat gesetzt werden), womit eine Abschiebung nach Algerien weiterhin realistisch möglich ist.

Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers vorausgesetzt – mit wenigen Monaten einzustufen. Eine zeitnahe Abschiebung – innerhalb der gesetzlichen Frist – ist damit jedenfalls realistisch. Das Erfordernis einer HRZ-Ausstellung und die dadurch bedingte Anhaltedauer sind allein dem Beschwerdeführer zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig kein Asylwerber. Der aus dem Stande der Schubhaft gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 24.01.2020 abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig. Er ist in Österreich nicht integriert und verfügt weder über familiäre, berufliche noch über substantielle soziale Bindungen in Österreich. Er ist nahezu mittellos und ging in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nach. Der Beschwerdeführer verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich und war in Österreich noch nie meldeamtlich erfasst. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig sowie jedenfalls haftfähig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren. Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage. Die Zeiten des Hungerstreiks sind der Anhaltedatei entnommen. Aus diesen Umständen ergibt sich wiederum zweifelsfrei die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen betreffend das Asylverfahren und die Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG ergeben sich aus der Aktenlage. Die entsprechenden Dokumente wurden dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

1.2. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Ein Heimreisezertifikat kann nach einer Identitätsfeststellung für den Beschwerdeführer ausgestellt werden. Abschiebungen fanden vor Ausbruch der CoVid-19-Pandemie regelmäßig statt. Eine Identifizierung seitens der algerischen Vertretungsbehörde ist am 18.09.2020 angesetzt. Danach kann der Beschwerdeführer - nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die algerischen Behörden – außer Landes gebracht werden. Wie sich aus den derzeit laufend stattfindenden Aufhebungen der zuvor wegen der Pandemie getroffenen CoVID-19-Maßnahmen und vor allem der Wiederaufnahme des zuvor in Österreich eingestellten Flugverkehrs ableiten lässt, besteht die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Höchstdauer der Schubhaft; voraussichtlich sogar noch im gegenständlichen Kalenderjahr. Allfällige, der Pandemie geschuldete, vorübergehende Einschränkungen des Reise- und Luftverkehrs können daran nichts ändern.

1.3. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße geminderte Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer bewusst getätigten falschen Angaben zu seiner Person, dem wiederholten Antritt eines Hungerstreiks sowie der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz aus dem Stande der Schubhaft zur bloßen Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu A. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 22.12.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete (Ziffern 1 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG), haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Auch besteht gegen den Beschwerdeführer einen durchsetzbare aufenthaltsbeende Maßnahme, weshalb § 76 Abs. 3 Ziffer 3 FPG gegeben ist. Hinzugekommen ist zwischenzeitlich auch das Kriterium der Ziffer 5 in der qualifizierten Form (Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz während der Anhaltung in Schubhaft) – was im Übrigen ebenso aktenkundig wie unstrittig ist.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu auch die Nutzung falscher Identitätsangaben – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Vielmehr kümmert sich das Bundesamt um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates und ist eine geplante Vorführung vor die algerische Vertretungsbehörde am 18.09.2020 angesetzt.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen. Festzuhalten ist dabei auch, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig etwas mehr als acht Monate in Schubhaft nagehalten wird, womit erst etwas mehr als die Hälfte der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer ausgeschöpft worden ist. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer – der ohne Dokumente einreiste und falsche Angaben zu seiner Identität machte – allein verantwortlich für das Erfordernis der Beschaffung eines Heimreisezertifikats. Dass dieses durch die aktuelle Pandemiesituation zusätzlich verzögert wird, ist jedenfalls dem Bundesamt nicht anzulasten.

Es kann gegenwärtig auch keine erhöhte Infektionsgefahr hinsichtlich Covid-19 während der laufenden Anhaltung in Schubhaft festgestellt werden. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß §76 Abs. 6 FPG. Die Abfassung des einschlägigen Aktenvermerkes ist belegt, womit die Umstellung der Rechtsgrundlage erfolgt ist. Dieser Aktenvermerk verfügt auch über eine – zumindest grundsätzlich – nachvollziehbare Begründung.

Zu B (Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Haftfähigkeit Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2228886.7.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten