TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/9 W171 2213723-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2020
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Entscheidungsdatum

09.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W171 2213723-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2018, XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2018, XXXX aufgehoben und die Anhaltung in Schubhaft von 26.11.2018 bis 18.12.2018 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 29.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch: BFA) vom 30.01.2017 abgewiesen. Zugleich wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen den BF erlassen und ausgesprochen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Dieser Bescheid erwuchs mit Erkenntnis des BVwG vom 09.03.2018 zweitinstanzlich in Rechtskraft.

1.2. Nach der abweislichen Entscheidung reiste der BF nach Frankreich aus, wo er am 24.04.2018 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Aufgrund der österreichischen Zuständigkeit für das Asylverfahren wurde er jedoch am 20.09.2018 auf Grundlage des § 28 Dublin III-VO nach Österreich rücküberstellt. Am selben Tag stellte er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der jedoch mit Bescheid des BFA vom 03.10.2018 aufgrund entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. In Einem wurde der BF erneut nach Afghanistan ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs mit 18.10.2018 erstinstanzlich in Rechtskraft.

1.3. Am 23.10.2018 wurde gemäß §§ 34 Abs. 5 und 47 Abs. 1 BFA-VG ein Festnahmeauftrag gegen den BF erlassen.

1.4. Am 26.11.2018 suchte der BF eine PI auf und stellte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Nach telefonischer Rücksprache mit dem BFA wurde er dort festgenommen und in ein PAZ verbracht, wo eine Erstbefragung zu seinem Folgeantrag durchgeführt wurde. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Seine Mutter sei krank, seine Frau und seine Kinder alleine. Er habe Schulden um die er sich in seinem Heimatland kümmern müsse. Er sei ausreisewillig, wolle dies sofort unterschreiben und nicht mehr länger warten. Sein einziges Bestreben sei nunmehr, alsbald zurück in sein Herkunftsland ausreisen bzw. abgeschoben werden zu können. Der BF habe in Österreich nicht gearbeitet, besäße keine Identitätsdokumente und verfüge derzeit über keine Barmittel. Seinen Aufenthalt in Österreich habe er sich durch Freunde finanziert.

1.5. Mit Mandatsbescheid vom selben Tage ordnete das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an. Im Wesentlichen führte die Behörde aus, der BF sei illegal in das Bundesgebiet eingereist, verhalte sich unkooperativ, sei seiner Ausreiseverpflichtung mehrfach nicht nachgekommen und bereits zweimal untergetaucht. Sein zuletzt gestellter Antrag auf internationalen Schutz sei als reine Verzögerungstaktik zu werten. Der BF sei in eine handgreifliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen und einzig zum Zweck einer illegalen Erwerbstätigkeit nachzugehen in das Bundesgebiet eingereist. Ein soziales Netz in Österreich oder finanzielle Mittel seien nicht vorhanden. Insgesamt sei daher von Fluchtgefahr auszugehen.

1.6. Am 27.11.2018 stellte der BF, unterstützt durch einen Verein, einen Antrag auf freiwillige Rückkehr aus „familiären Gründen“. Das BFA erteilte am 28.11.2018 die Zustimmung zur freiwilligen Ausreise.

1.7. Am 06.12.2018 wurde der BF ein weiteres Mal niederschriftlich zu seinem Folgeantrag einvernommen, wobei er angab, an seinen Fluchtgründen habe sich nichts geändert. Er wolle nunmehr jedoch freiwillig nach Hause zurückkehren, da ein Schuldeneintreiber seine Frau und seine Kinder – welche aufgrund der Krankheit seiner Eltern ganz alleine seien – bedrohe. Er müsse so schnell wie möglich nach Hause zurück um dieses Problem zu lösen. Er sei gesund. Dokumente habe er keine vorzulegen.

In der Einvernahme wurde mit mündlich verkündetem Bescheid des BFA vom 06.12.2018 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz den BF betreffend aufgehoben. Mit Beschluss des BVwG vom 11.12.2018 wurde die Aufhebung in zweiter Instanz rechtskräftig bestätigt.

1.8. Am 18.12.2018 wurde der BF zum Zweck der freiwilligen Rückkehr aus der Schubhaft entlassen. Am selben Tag reiste er unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus.

1.9. Mit Bescheid vom 23.01.2019 wurde über den zweiten Folgeantrag vom 26.11.2018 erstinstanzlich negativ abgesprochen.

1.10. Mit Schriftsatz vom 28.01.2019 erhob der BF durch seinen ausgewiesene Rechtsvertreter Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 26.11.2018. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass vom BF keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 76 Abs 2 Z 1 FPG ausgegangen sei. Auch seien im angefochtenen Bescheid aktenwidrige Feststellungen hinsichtlich der Fluchtgefahr des BF getroffen worden. Dieser habe ohnedies selbstständig ausreisen wollen, was die Behörde nicht in korrekter Weise berücksichtigt habe. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass der BF nach seiner Festnahme ehestmöglich einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt habe, welcher auch bewilligt worden sei. Der Ausschluss gelinderer Mittel sei nicht nachvollziehbar begründet worden. Überdies sei die Rechtsberatung nicht mittels Verfahrensanordnung von der Verhängung der Schubhaft verständigt worden, sodass der Bescheid auch aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet sei. Der BF beantragte die Rechtswidrigerklärung des Schubhaftbescheides und der darauf beruhenden Anhaltung sowie Kostenersatz.

1.11. Das BFA erstattete am 29.01.2019 eine Stellungnahme in welcher im Wesentlichen auf die Ausführungen im Schubhaftbescheid verwiesen wurde. Die Behörde beantrage die Abweisung der Beschwerde sowie Kostenersatz.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF reiste im Jahr 2015 erstmals illegal in das Bundesgebiet ein, ist Staatsangehöriger Afghanistans und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

1.2. Er stellte am 29.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der rechtskräftig abgewiesen wurde. Die beiden Folgeanträge wurden zurückgewiesen. Gegen den BF lag eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor.

1.3. Während des Aufenthalts in seiner ersten Asylunterkunft war der BF am 26.04.2017 in eine gewaltsame Auseinandersetzung mit einem Mitbewohner verwickelt. Dies brachte er selbstständig am selben Tag zur Anzeige. Er wurde in dem folgenden Verfahren als Beschuldigter geführt, jedoch nie verurteilt. Er ist im österreichischen Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten.

1.4. Der BF stellte zuletzt am 26.11.2018 im österreichischen Bundesgebiet einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 06.12.2018 wurde, den BF betreffend, der faktische Abschiebeschutz aufgehoben. Diese Entscheidung erwuchs zweitinstanzlich in Rechtskraft.

1.5. Am 28.11.2018 stellte der BF einen Antrag auf freiwillige Ausreise, welchem das BFA die Zustimmung erteilte.

1.6. Er verfügt über keine ausreichenden Barmittel um seinen Aufenthalt selbst bestreiten zu können.

1.7. Der BF befand sich von 26.11.2018 bis 18.12.2018 in Schubhaft. Die Schubhaft wurde erst nach der zuletzt erfolgten Antragstellung auf internationalen Schutz über den BF verhängt. Über den Antrag vom 26.11.2018 wurde mit Bescheid des BFA vom 23.01.2019 erstinstanzlich negativ abgesprochen.

1.8. Am 18.12.2018 wurde der BF zum Zweck der freiwilligen Ausreise aus der Schubhaft entlassen. Am selben Tag reiste er freiwillig aus.

1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach Österreich einreiste, um einer illegalen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die hiezu getroffenen Feststellungen (1.1 bis 1.9) ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts. Insbesondere ließen sich die Anzeige durch den BF sowie die Tatsache, dass es nie zu einer Verurteilung kam (1.3.) auf Basis des im Akt einliegenden Abschlussberichts einer LPD sowie eines Strafregisterauszugs problemlos feststellen.

Die Negativfeststellung in 1.9. war zu treffen, da die Behörde im angefochtenen Bescheid anführte, der BF sei lediglich zum Zweck der illegalen Erwerbstätigkeit eingereist. Dies da er in seiner letzten Einvernahme angab, er brauche Geld um nach Hause zurückzukehren. Die Argumentation der Behörde erscheint hier in sich nicht schlüssig, da der BF gerade zum Ende seines Aufenthaltes hin angab, Geld für die Heimreise zu brauchen. Warum dies darauf schließen lassen sollte, dass sein gesamter Aufenthalt zur Ausübung illegaler Erwerbstätigkeiten diente, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der BF tatsächlich Unterstützung für die Heimreise benötigte, da er keine finanziellen Mittel hatte. Aus dem gesamten Akteninhalt ergaben sich keine weiteren Anhaltspunkte für die Argumentation der Behörde, sodass eine entsprechende Negativfeststellung zu treffen war. Abgesehen von diesem Punkt stellte sich der gesamte entscheidungswesentliche Sachverhalt als unstrittig dar.

3. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen:
Von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.


3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet auszugsweise:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) […]“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet auszugsweise:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) […]“

Der mit „Aufenthaltsverbot und Rückkehrverbot“ betitelte § 60 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), in der (historischen) Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 lautet auszugsweise:

㤠60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1.         die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2.         anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder
1.         von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2.         mehr als einmal wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, i.V.m. § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, oder gemäß den §§ 9 oder 14 in Verbindung mit § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Übertretung dieses Bundesgesetzes, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
3.         im Inland wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen, mit Ausnahme einer Finanzordnungswidrigkeit, oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
4.         im Inland wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft oder im In- oder Ausland wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
5.         Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat;
6.         gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen;
7.         den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er wäre rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Inland mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen;
8.         von einem Organ der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG, der regionalen Geschäftsstelle oder der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen;
9.         eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat;
10.         an Kindes statt angenommen wurde und die Erlangung oder Beibehaltung der Aufenthaltsberechtigung ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat;
11.         binnen 12 Monaten nach Durchsetzbarkeit einer Ausweisung ohne die besondere Bewilligung nach § 73 wieder eingereist ist;
12.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat;
13.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
14.         öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(3) […]“

3.1.2. Judikatur:

Es ist ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0131, Rn. 8, mwN). [So zuletzt in VwGH vom 16.01.2020, Ra 2019/21/0360]

Gegen einen Fremden als Familienangehörigen einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin im Sinn des § 87 FrPolG 2005 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FrPolG 2005 nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei der Beurteilung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. VwGH vom 16.01.2007, 2006/18/0440).

3.1.3 Rechtlich folgt daraus:

Im gegenständlichen Fall stützte die belangte Behörde den angefochtenen Schubhaftbescheid auf § 76 Abs 2 Z 1 FPG. Dieser Tatbestand setzt für die Rechtmäßigkeit der Inschubhaftnahme neben Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Anhaltung zusätzlich das Vorliegen einer Gefährdung iSd § 67 FPG voraus. Prüft man die Voraussetzung der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG so zeigt sich, dass die geltende Bestimmung des § 67 FPG exakt der Vorläuferbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG (alt) entspricht und die hiezu ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes daher weiterhin Anwendung finden kann. Dabei kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG idF des BGBL I Nr. 99/2006 als „Orientierungsmaßstab“ zurückgegriffen werden. Hierbei hat eine Beurteilung des persönlichen Verhaltens zu erfolgen. Es muss von der betreffenden Person eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. § 60 FPG (alt) bietet einen Katalog an Beurteilungskriterien, die nunmehr auch für die Beurteilung des gegenständlichen Falles als Orientierungshilfe herangezogen werden.

Eine Prüfung der Kriterien des § 60 FPG (alt) hat ergeben:

Im angefochtenen Bescheid wird darauf hingewiesen, der BF sei in eine Handgreiflichkeit involviert gewesen. Zu einer Verurteilung aufgrund dieses Vorfalles – welcher vom BF selbst zur Anzeige gebracht wurde – kam es jedoch nie. Im gegenständlichen Fall liegt keine Verurteilung, weder bedingt, noch unbedingt vor. Daher kann auch kein Richtwert am Tatbestand der Z. 1 genommen werden.

Auch Z 6 leg cit. ist als nicht erfüllt anzusehen, da eine Täuschung über den Zweck des Aufenthalts des BF – namentlich zur Aufnahme illegaler Erwerbstätigkeiten – anders als von der Behörde vorgebracht, nicht festgestellt werden konnte.

Darüber hinaus findet sich im Kriterienkatalog des § 60 FPG (alt) lediglich eine weitere konkret anwendbare Orientierungshilfe (Z. 7) in welcher es um den Nachweis von Mitteln zum eigenen Unterhalt geht. Nach dieser Bestimmung ist es von Relevanz, ob die Person den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nachzuweisen vermag oder nicht. In diesem Punkt lässt sich klar erkennen, dass der BF im gegenständlichen Fall über keinerlei relevante Mittel verfügte und dieses Beurteilungskriterium daher als erfüllt anzusehen war.

Die sonstigen von der Behörde ins Treffen geführten Gründe für das Vorliegen einer Gefährdung – der BF sei nicht ausgereist und untergetaucht – bilden lediglich Argumente, welche eine Fluchtgefahr manifestieren könnten, nicht jedoch eine erhebliche, spezifische Gefährdung. Weitere Gründe, welche dieses Tatbestandsmerkmal des § 76 Abs 2 Z 1 FPG erfüllen könnten, wurden nicht angeführt und sind dem erkennenden Gericht auch nicht ersichtlich. Eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit – wie von leg. cit. verlangt, ist im Fall des Beschwerdeführers im Verfahren sohin nicht hervorgekommen. Die Anordnung der Schubhaft erwies sich daher als rechtswidrig, sodass der Beschwerde stattzugeben war.

Da bereits das Kriterium der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG als nicht erfüllt anzusehen war, konnte eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Schubhaft unterbleiben. Die Verhängung der Schubhaft mit Bescheid vom 26.11.2018 war daher rechtswidrig.

Durch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erweist sich auch die auf diesen Bescheid gestützte Anhaltung als rechtswidrig.

3.1.4. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten (in Zusammensicht mit den gerichtlichen Feststellungen im Asylverfahren) abschließend ermittelt und beurteilt werden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. und III. – Kostenbegehren:

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Beschwerdeführer vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen der Ersatz seiner Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten normativen Grundlagen.

3.3. Zu Spruchpunkt B. – Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen und es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Ausreiseverpflichtung Ausreisewilligkeit Fluchtgefahr Folgeantrag freiwillige Ausreise Gefährdungspotenzial Kooperation Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Mittellosigkeit Obsiegen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2213723.1.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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