TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/14 W171 2234865-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2020
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Entscheidungsdatum

14.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
Dublin III-VO Art28 Abs2
FPG §76
VwG-AufwErsV §1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W171 2234865-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Angola, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zahl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.09.2020 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 03.09.2020 bis 14.09.2020 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 VwGVG iVm Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 767,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

-        Der Beschwerdeführer (in Folge auch BF) reiste am 12.02.2020 erneut (illegal) in das Bundesgebiet ein.

?        Am 12.02.2020 stellten er erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu führen und am XXXX geboren zu sein.

?        Anlässlich des Asylverfahrens gab der BF am 13.02.2020 im Wesentlichen betreffend seines Fluchtvorbringens und Aufenthalts in Portugal im Wesentlichen an, er sei über die Türkei und Portugal nach Österreich weitergereist. Für Portugal habe er ein Visum gehabt. Er wolle jedoch nicht nach Portugal zurück.

?        Aufgrund des Visumsabgleichs vom 13.02.2020 wurde am 18.02.2020 ein Konsultationsverfahren mit Portugal eingeleitet.

?        Mit Schreiben der portugiesischen Behörden vom 01.04.2020 stimmte Portugal

einer Übernahme des BF gem. Art. 12.4 Dublin III VO zu.

-        Mit Bescheid des BFA vom 03.07.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz wegen Zuständigkeit Portugals zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde eine Anordnung zur Außerlandesbringung ausgesprochen und die Abschiebung nach Portugal für zulässig erklärt. Diese Entscheidung befindet sich seit 20.07.2020 in einem Beschwerdeverfahren beim BVwG. Die beantragte aufschiebende Wirkung wurde bisher nicht erteilt. Die Anordnung zur Außerlandesbringung ist durchführbar.

?        Am 03.09.2020 hätte der BF nach Portugal überstellt werden sollen, konnte aber am 01.09.2020 in seinem Quartier in der EAST Ost nicht aufgefunden werden.

?        Am 02.09.2020 abends begab sich der BF in Wien auf eine PI und gab dem dort dienstversehenden Beamten zu verstehen, dass nach ihm gesucht werde. Eine durch den Beamten durchgeführte EKIS Abfrage ergab einen Festnahmeauftrag und eine Anordnung zur Außerlandesbringung. Nach Kontaktaufnahme mit dem BFA Journal wurde eine Direkteinlieferung des BF ins PAZ HG verfügt.

?        Am 03.09.2020 wurde der BF zur möglichen Schubhaftverhängung einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er sei nicht rechtsfreundlich vertreten und habe Probleme mit den Augen. Er habe für Portugal ein Visum gehabt und wolle in Österreich bleiben. In XXXX habe er sich vor der Polizei versteckt, da er die Beamten noch rechtzeitig gesehen habe und nicht nach Portugal wolle. Geld habe er keines, essen würde er in XXXX . Er habe keine Familienangehörigen in der EU.

--       Daraufhin wurde die gegenständliche Schubhaft mit gegenständlich angefochtenem Mandatsbescheid vom 03.09.2020 zur Sicherung der Abschiebung gegen den BF verhängt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der BF in Österreich über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte verfüge und für ihn keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet bestehe. Für das Asylverfahren sei Portugal zuständig und sei der BF in Österreich untergetaucht und habe sich dem Verfahren entzogen. Über ein gültiges Reisedokument verfüge er nicht und sei er illegal nach Österreich eingereist. Der BF habe sich zum Zeitpunkt einer geplanten polizeilichen Festnahme am 02.09.2020 nicht in seiner Unterkunft aufgehalten und konnte sohin nicht am 03.09.2020 abgeschoben werden. Er sei in der Folge untergetaucht, habe sich am 02.09.2020 abends bei einer PI gemeldet und sei festgenommen worden. Der BF weigere sich das Bundesgebiet zu verlassen und verfüge nicht über ausreichende Barmittel um seinen Unterhalt zu finanzieren. Es bestehe eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung. Die Behörde habe auf Grund des unkooperativen Vorverhaltens davon ausgehen müssen, dass der BF erneut untertauchen werde. Der BF habe daher die Sicherungsgründe des § 76 Abs. 3 Zi 8 und 9 FPG erfüllt. Die Sicherung der Abschiebung sei erforderlich, da der BF nicht vertrauenswürdig und davon auszugehen sei, dass er auch hinkünftig nicht gewillt sei, die Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit habe daher ergeben, dass das private Interesse des BF auf Schonung seiner persönlichen Freiheit den Interessen des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hinten anzustehen habe. Die Verhängung der Schubhaft sei auch eine ultima ratio Maßnahme. Die Anordnung eines gelinderen Mittels käme nicht in Frage, da damit nicht das Auslangen gefunden werden könne.

-        Mit Beschwerde vom 08.09.2020 gegen den gegenständlichen Schubhaftbescheid führte die Rechtsvertretung im Wesentlichen aus, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, da im vorliegenden Fall der Beschwerde im Asylverfahren aufschiebende Wirkung zukäme. Das BVwG habe im Asylbeschwerdeverfahren bisher keine Entscheidung über die beantragte aufschiebende Wirkung getroffen, sodass in Anlehnung an die Rechtsprechung des VwGH zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Ausspruch einer Rückkehrentscheidung diese bis zu einer Entscheidung des BVwG gegeben sei. Weiters sei Schubhaft im vorliegenden Dublinkonnex nur dann gerechtfertigt, wenn die vorliegenden Umstände über eine „einfache“ Fluchtgefahr noch hinausgehen würden. Derartige Umstände seien jedoch im Verfahren nicht herausgekommen und habe sich die Behörde auch nicht darauf gestützt. Erhebliche Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III – VO sei nicht gegeben, da im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung eine Ausnahmesituation konkret und schlüssig begründet werden hätte müssen. Derartige Umstände seien jedoch im angefochtenen Bescheid auch nicht aufgezeigt worden. Der BF habe sich zwar unerlaubt von der Unterkunft entfernt, sich jedoch sehr bald selbstständig zu einer Polizeidienststelle begeben und habe sich bereitwillig dem Verfahren gestellt. Er sei lediglich für eine Nacht von seiner Unterkunft ferngeblieben und lasse dies die Kooperationsbereitschaft des BF deutlich erkennen. Bei Verhängung der Schubhaft sei lediglich einfache Fluchtgefahr geprüft und bejaht worden, obwohl im vorliegenden Fall erhebliche Fluchtgefahr vorliegen hätte müssen. Es sei daher kein ausreichender Sicherungsbedarf gegeben und gäbe der gegenständliche Bescheid in seiner rechtlichen Beurteilung keine Umstände an, die auf eine erhebliche Fluchtgefahr im konkreten Fall hindeuten würden. Die Mittellosigkeit und die fehlende soziale Integration des BF seien alleine noch keine tragfähigen Argumente von Sicherungsbedarf auszugehen, da derartige Umstände bei noch nicht lange in Österreich aufhältigen Personen typischerweise vorlägen. Schubhaft könne keine Standardmaßnahme sein und sei im vorliegenden Fall jedenfalls nicht von erheblicher Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III-VO auszugehen.

Hinsichtlich der Verwendung eines gelinderen Mittels seien keine konkreten Ausführungen getroffen worden und wäre die Verhängung eines gelinderen Mittels jedenfalls als ausreichend anzusehen gewesen.

Weiters beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Einvernahme des BF, der Ersatz etwaiger Dolmetschkosten, sowie der Aufwandsersatz als Ersatz des Schriftsatzaufwandes des BF als obsiegende Partei.

- Das BFA legte dem Gericht den gegenständlichen Verwaltungsakt am 09.09.2020 vor, erstattete eine Stellungnahme in der im Wesentlichen auf die im Bescheid herangezogene Begründung verwiesen wurde und beantragte ebenfalls Kostenersatz.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zum Verfahrensgang:

Der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Zur Person:

1.1. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein, ist Staatsangehöriger Angolas und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

1.2. Er stellte am 12.02.2020 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom 03.07.2020 zurückgewiesen wurde. Gemäß § 61 FPG wurde weiters die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Portugal für zulässig erklärt. Die daraufhin eingebrachte Beschwerde, die einen Antrag auf aufschiebende Wirkung beinhaltete, langte am 20.07.2020 beim BVwG ein und hat das BVwG bis dato der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Anordnung zur Außerlandesbringung ist daher durchsetzbar.

1.3. Im gesamten Verfahren finden sich keine Hinweise auf gesundheitliche Beschwerden des Beschwerdeführers.

1.4. Für den BF besteht ein güliges „Laissez passer“.

Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist noch nicht abgelaufen. Portugal ist zur Rückübernahme verpflichtet.

2.2. Der BF ist haftfähig.

Zum Sicherungsbedarf (erhebliche Fluchtgefahr):

3.1. Es liegt eine durchführbare Anordnung zur Außerlandesbringung vor.

3.2. Der BF hat beim inländischen Asylverfahren mitgewirkt. Er hat sich jedoch einem Festnahmeversuch am 01.09.2020 kurzzeitig durch Abwesenheit von seiner ihm zugeteilten Unterkunft entzogen.

3.3. Der BF verfügte seit dem 14.04.2020 durchgehend über eine aufrechte Meldeadresse im Lager XXXX und war bis zum 02.09.2020 dort auch stets für die Behörde erreichbar.

3.4. Die Polizei hat lediglich einmal den BF in seinem Quartier aufgesucht und nicht vorgefunden. Der BF erschien am Tag danach aus freien Stücken bei einer Polizeistation um sich den Behörden zu stellen.

Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. Der BF verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen.

4.2. Der BF ging bisher keiner Erwerbstätigkeit nach und lebte im Flüchtlingslager.

4.3. Der BF hatte sonst keine nennenswerten sozialen Kontakte im Inland.

4.4. Der BF verfügte über einen gesicherten Wohnsitz.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person:

Der Verfahrensgang und die hiezu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person des BF (1.1 bis 1.4), ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts, deren Akteninhalt der BF in keiner Phase des Verfahrens substantiiert entgegengetreten ist. Die Feststellung zur Gesundheit des BF (1.3.) ergeben sich aus dem Akteninhalt und wurde dem Gericht auch im Wege der Beschwerdeschrift nichts Gegenteiliges mitgeteilt. Das Vorliegen eines gültigen „Laissez passer“ (1.4.) ergibt sich aus dem Akteninhalt (AS 137).

2.2. Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.2.):

Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Frist für die Ausreise des BF noch bis 01.10.2021 läuft (AS 39). Die Haftfähigkeit des BF (2.2.) ergibt sich daraus, dass im gesamten Akteninhalt und auch in der Beschwerdeschrift keinerlei dem entgegenstehende Anhaltspunkte bestehen.

2.3. Zum Sicherungsbedarf:

Die Feststellungen 3.1 bis 3.4 gründen sich auf die Angaben im Akt des BVwG, insbesondere auf die Angaben des BF im Rahmen der Einvernahme am 03.09.2020 sowie auf die Einsicht in das Zentrale Melderegister. Das Vorliegen einer durchsetzbaren Anordnung zur Außerlandesbringung (3.1.) ergibt sich aus den Angaben im Akt. Dies wird zwar im Rahmen der Beschwerde bestritten. Diese Rechtsmeinung war jedoch der Entscheidung nicht zu Grunde zu legen. Hinsichtlich der Feststellung zu 3.2. wird ausgeführt, dass sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass der BF im Rahmen des Asylverfahrens bisher für die Behörde greifbar war und es ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein unkooperatives Verhalten während dieses Verfahrens. Lediglich im Zuge der geplanten Außerlandesbringung ist objektiviert, dass sich der BF hier unkooperativ verhalten hat und das ihm zugewiesene Quartier unerlaubt verlassen hatte. Die Abwesenheit dauerte jedoch nur kurz (eine Nacht), sodass dadurch nach Ansicht des Gerichtes noch nicht von gänzlicher Unkooperativität des BF ausgegangen werden kann. Dies auch deshalb, da sich der BF nach einem Untertauchen von einer Nacht besinnte und sich aus freien Stücken bei einer Polizeiinspektion meldete. Der BF war bis zum 02.09.2020 durchgehend aufrecht gemeldet (ZMR) und auch für die Behörde erreichbar, da es diesbezüglich keine gegenteiligen Hinweise im Akt gibt. Auf Grund seiner Einvernahme am 03.09.2020 ist weiters glaubwürdig nachvollziehbar, dass der BF ganz offenbar im Wege einer Panikreaktion am 01.09.2020 das Quartier unerlaubt verlassen hatte. Zur Feststellung zu 3.4. wird auf die im Akt einliegende Sachverhaltsdarstellung der PI vom 02.09.2020 verwiesen (AS 1). Daraus ist zu entnehmen, dass im Quartier des BF lediglich eine polizeiliche Nachschau durchgeführt worden ist. Darüber hinaus bestehen keine weiteren aktenkundigen Hinweise auf weiterführende Ermittlungsschritte der Behörde bzw. der Polizeiinspektion. Es hat daher lediglich eine einzige Nachschau im Quartier des BF gegeben und es zeigt sich, dass die Flucht des BF vor den Polizeibeamten als einmalige Kurzschlusshandlung anzusehen war. Die Tatsache, dass sich der BF bereits nach kurzer Zeit bei der Polizei meldete zeigt nach Ansicht des erkennenden Gerichts klar, dass nunmehr wieder mit einer Kooperation des BF mit den Behörden zu rechnen sein dürfte.

2.4. Familiäre/soziale Komponente:

Aus einer Zusammensicht der persönlichen Angaben des BF im Rahmen der bisherigen Verfahren ergibt sich, dass der BF wie in 4.1. festgestellt über keine Familienangehörigen in Österreich verfügt und nicht erwerbstätig gewesen ist (4.2.). Aus den bisherigen Einvernahmen ergibt sich auch, dass er über keinerlei nennenswerte andere soziale Kontakte im Inland verfügt (4.3.). Er hat jedoch einen vorläufig gesicherten Wohnsitz (4.4.) an seiner Meldeadresse im Lager XXXX und hat er dort auch eine ausreichende existenzielle Absicherung (Verpflegung).

2.5. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Die Dublin III-VO trat mit am 19. Juli 2013 in Kraft und ist gemäß Art. 49 leg.cit. auf alle Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Jänner 2014 gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Im – gegenüber der Dublin II-VO neuen – Art. 28 Dublin III-VO ist die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung im Dublin-Verfahren geregelt. Allfällige entgegenstehende Bestimmungen des nationalen Fremdenrechts sind, sofern keine verordnungskonforme Interpretation möglich ist, demgegenüber unanwendbar. Solange die Dublin III-VO gegenüber einem Drittstaatsangehörigen angewendet wird, darf Administrativhaft zur Sicherung deren Vollzugs nur nach Art. 28 leg.cit. verhängt werden und nicht etwa nach anderen Bestimmungen des nationalen Rechts, da sonst der Schutzzweck der gegenständlichen Regelung vereitelt wäre (Filzwieser/Sprung, Die Dublin III-Verordnung, 223 [in Druck]).

Gemäß Art. 28 Dublin III-VO dürfen die Mitgliedstaaten zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird. Die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs darf, wenn der Asylwerber in Haft ist, einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Dublin-Verfahren führt, ersucht in diesen Fällen um eine dringende Antwort, die spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs erfolgen muss. Die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt, sobald diese praktisch durchführbar ist, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten.

„Fluchtgefahr“ definiert Art. 2 lit. n Dublin III-VO als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Zwar dürfen die Mitgliedstaaten die zum Vollzug von EU-Verordnungen erforderlichen innerstaatlichen Organisations- und Verfahrensvorschriften bereitstellen. Um der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts willen ist jedoch der Rückgriff auf innerstaatliche Rechtsvorschriften nur in dem zum Vollzug der Verordnung notwendigen Umfang zulässig. Den Mitgliedstaaten ist es in Bezug auf Verordnungen des Unionsrechts verwehrt, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Änderung ihrer Tragweite oder eine Ergänzung ihrer Vorschriften zum Inhalt haben. Es besteht ein prinzipielles unionsrechtliches Verbot der Präzisierung von EU-Verordnungen durch verbindliches innerstaatliches Recht. Eine Ausnahme von diesem Verbot besteht nur dort, wo von der Verordnung eine nähere Konkretisierung selbst verlangt wird (Öhlinger/Potatcs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht³, 2006,138 f.).

Eine derartige Ausnahme liegt vor, wenn Art. 2 lit. n Dublin III-VO dem Gesetzgeber aufträgt, Kriterien für Vorliegen von Fluchtgefahr zu regeln (Filzwieser/Sprung, Die Dublin III-Verordnung, 94 [in Druck]). § 76 Abs. 2a FPG sieht solche Kriterien vor. Vor dem Hintergrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 28 Dublin III-VO hätte die belangte Behörde die Schubhaft jedoch jedenfalls auch nach dieser Bestimmung verhängen müssen. Die über das Vorliegen der Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit (vgl. Erwägungsgrund 20 Dublin III-VO) hinausgehenden Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft nach Art. 28 Abs. 3 Dublin III-VO hat die belangte Behörde aber nicht geprüft.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfestellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessne Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen, dass unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Fremden und der bisherigen Dauer der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (im Zusammenhang mit behaupteter Haftunfähigkeit wegen psychischer Beschwerden vgl. VwGH 05.07.2012, Zl. 2012/21/0034; VwGH 19.04.2012, Zl. 2011/21/0123; VwGH 29.02.2012, Zl. 2011/21/0066). Der Krankheit eines gemeinsam geflüchteten Familienmitglieds kann insofern Bedeutung zukommen, als eine sich aus der Erkrankung ergebende Betreuungsbedürftigkeit auch die Mobilität der übrigen Familienmitglieder einschränken und damit die Gefahr eines Untertauchens in die Illegalität vermindern könnte (vgl. VwGH vom 28.02.2008; Zl. 2007/21/0391).

In seiner Judikatur zu § 77 FPG 2005 ging der Verwaltungsgerichtshof bisher davon aus, dass der UVS als Beschwerdeinstanz im Schubhaftbeschwerdeverfahren nach der Bejahung eines Sicherungsbedarfs bei seiner Entscheidung zwar die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG 2005 an Stelle der Schubhaft im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen hat, diesem allerdings keine Zuständigkeit zur Entscheidung darüber, welches der im § 77 Abs. 3 FPG 2005 demonstrativ aufgezählten gelinderen Mittel anzuwenden wäre, zukommt. Deren Auswahl blieb vielmehr der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (vgl. VwGH 20.10.2011, Zl. 2010/21/0140; VwGH 28.05.2008, Zl. 2007/21/0246). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die einer Übertragung dieser Judikatur hinsichtlich des mit Ausnahme der neuen Absätze 8 und 9 weitgehend unveränderten § 77 FPG auf das seit 01.01.2014 anstelle des UVS zuständige Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entgegenstehen würden.

3.1.3. Die Behörde geht in ihrem Bescheid von der Erfüllung der Tatbestände der Ziffern 8 und 9 des § 76 Absatz 3 FPG aus. Hiezu ist festzuhalten:

Die Tatbestandsmerkmale der Ziffer 8 sind im vorliegenden Fall durch die unerlaubte Abwesenheit von der Betreuungsstelle sicherlich als erfüllt anzusehen. Es ist jedoch auch hier zu berücksichtigen, dass der BF lediglich für eine sehr kurze Zeit abwesend war, dieses Verhalten aus freien Stücken wieder eingestellt hat und sich bei der Polizei gemeldet hat. Daraus ist zu ersehen, dass er sich seines Fehlers bewusst war und ist anzunehmen, dass er in Hinkunft wieder mit den Behörden zu kooperieren gedenkt.

Als weiteren Sicherungsgrund unterstellt die Behörde in ihrem Bescheid die Erfüllung des Tatbestandes der Ziffer 9, die jedoch lediglich teilweise erfüllt wurde. Einerseits zeigt das gerichtliche Verfahren, dass der BF über kein soziales Netz im Inland verfügte. Dies ist auch für noch nicht lange im Inland aufhältige Asylwerber nichts Ungewöhnliches. Auch, dass er bisher keine Erwerbstätigkeit vorweisen konnte ergibt sich bereits aus seiner kurzen Aufenthaltsdauer. Er verfügt jedoch über einen gesicherten Wohnsitz und eine Meldeadresse (bzw. kann sich an der Betreuungsstelle wieder anmelden). Die diesbezügliche negative Feststellung ist aktenwidrig. Es zeigt sich daher, dass der Tatbestand der Ziffer 9 im gegenständlichen Fall lediglich teilweise verwirklicht wurde. Im Hinblick auf die in der Beschwerdeschrift ausführlich dargestellte Judikatur des VwGH ergibt sich darüber hinaus, dass die Heranziehung der Gründe der Ziffer 9 für sich alleine genommen noch keinen Sicherungsbedarf begründen können. Dementsprechend ist die lediglich teilweise vorliegende Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der Ziffer 9 bei der Berücksichtigung des Sicherungsbedarfs nur einschränkend ins Kalkül zu ziehen.

Im vorliegenden Fall ist daher nach Ansicht des Gerichtes im Rahmen einer Gesamtbetrachtung noch nicht von erheblicher Fluchtgefahr des BF i.S.d. Dublin III – VO auszugehen. Er hat bisher im Verfahren (mit Ausnahme des kurzfristigen Untertauchens) mitgewirkt und hat seine zu erwartende weitere Kooperation durch sein selbstständiges Erscheinen auf der PI gezeigt. Die im Rahmen des Verfahrens herausgearbeiteten Kriterien (Ziffer 8 und Ziffer 9 teilweise) reichen sohin nach Ansicht des erkennenden Gerichts noch nicht aus um von erheblicher Fluchtgefahr im Sinne des Artikels 28 der Dublin III-VO auszugehen und eine freiheitsentziehende Maßnahme rechtfertigen zu können. Im Ergebnis geht das erkennende Gericht daher im vorliegenden Fall nicht von Vorliegen eines ausreichenden (erheblichen) Sicherungsbedarfs aus und war die in Beschwerde gezogene Schubhaft für rechtswidrig zu erklären. Eine Prüfung der weiteren Vorrausetzungen der Schubhaftverhängung konnte daher entfallen.

4. Vom Fehlen eines durchsetzbaren Auftrages zur Außerlandesbringung war nicht auszugehen (VwGH vom 21.02.2017, Fr 2016/18/0024).

5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme des BF konnte das Gericht aufgrund der geklärten Sachlage Abstand nehmen.

Zu Spruchpunkt II. und I. – Kostenbegehren

Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen (inkl. der Barauslagen wie etwa die Eingabengebühr) zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen. Ein Kostenersatz für die Behörde besteht nach dem Gesetz in diesem Fall nicht.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Außerlandesbringung Dublin III-VO Fluchtgefahr Haftfähigkeit Kooperation Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Mandatsbescheid Mittellosigkeit Obsiegen Rückkehrentscheidung Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Sicherungsbedarf Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2234865.1.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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