Entscheidungsdatum
14.09.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I401 2234304-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. ungeklärt (alias UGANDA alias NIGERIA), vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 22.07.2020, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer gelangte spätestens am 06.02.2012 erstmals ins Bundesgebiet und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Es erging eine zurückweisende Entscheidung, wobei die Zuständigkeit der Schweiz festgestellt wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof als verspätet zurückgewiesen. Der in der Folge gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde abgewiesen.
Am 16.07.2012 wurde der Beschwerdeführer erstmals wegen Suchtmitteldelinquenzen zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt.
Am 29.01.2013 wurde der Beschwerdeführer in die Schweiz überstellt.
Der Beschwerdeführer reiste neuerlich illegal ins Bundesgebiet ein und beging weitere Vergehen und Verbrechen gegen das Suchtmittelgesetz. Er wurde von österreichischen Strafgerichten jeweils rechtskräftig am 19.08.2014, am 03.11.2015 und am 10.10.2018 zu unbedingten Freiheitsstrafen in der Dauer von neun Monaten und wegen der letzten beiden Verbrechen des Suchtgifthandels zu je zwei Jahren verurteilt.
Nach der Entlassung aus der Haft wurde über ihn die Schubhaft verhängt. Aus dem Stande der Schubhaft stellte er am 23.06.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz unter der im Spruch erstgenannten Identität und der Staatsangehörigkeit Uganda. Er gab an, dieselben Gründe für seine Ausreise wie schon 2012 zu haben. Außerdem lebe seine Freundin mit den beiden Kindern in Spanien. Seine Angehörigen seien spanische Staatsbürger.
Am 29.06.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt statt. Der Beschwerdeführer gab an, aus Egulu in Uganda zu stammen, der Volksgruppe der Gulu anzugehören, Suaheli, Englisch und Französisch zu sprechen und den Herkunftsstaat bereits im Kindesalter verlassen zu haben. Vor seiner Einreise nach Österreich im Jahr 2012 habe er sich in Spanien aufgehalten, wo er die Mutter seiner beiden Kinder kennengelernt habe. Derzeit stehe er mit seiner Familie ab und zu in telefonischem Kontakt.
Bei einer neuerlichen Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass er von der ugandischen Botschaft mit Schreiben vom 03.07.2020 nicht als Staatsangehöriger Ugandas identifiziert habe werden können, von der nigerianischen Delegation am 04.06.2020 aber als Nigerianer identifiziert worden sei. Der Beschwerdeführer bestritt weiterhin, aus Nigeria zu stammen und gab an, seit seiner Einreise stets unter derselben Identität und Staatsangehörigkeit aufgetreten zu sein.
Mit Bescheid vom 22.07.2020 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt I. und II.) als unbegründet ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), erließ gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.) und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VIII.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungshandlung in Hinblick auf seinen Herkunftsstaat Nigeria angegeben habe. Die nigerianische Staatsangehörigkeit habe aufgrund der Identifikation durch die nigerianische Delegation festgestellt werden können. Die ugandische Botschaft habe die ugandische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht festgestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 20.08.2020, in der an der ugandischen Staatsangehörigkeit festgehalten wurde. Dass die ugandische Staatsangehörigkeit nicht festgestellt habe werden können, bedeute nicht, dass die Botschaft eine solche ausgeschlossen habe. Umgekehrt liege auch eine abschließende Identifizierung als nigerianischer Staatsangehöriger nicht vor und es sei bislang kein nigerianisches Heimreisezertifikat ausgestellt worden. Das Bundesamt habe es unterlassen, geeignete und abschließende Ermittlungen anzustellen.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und nach einer Unzuständigkeitseinrede der Gerichtsabteilung I401 zugeteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt A):
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Zusätzlich wurde Einsicht genommen in die Entscheidungen des Asylgerichtshofs zu Zlen. S23 426.568-1/2012/5E und S23 426.568-2/2012/3E.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Rechtsinstitut der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Obwohl gem. § 17 iVm § 58 VwGVG seit 01.01.2014 der § 66 Abs. 2 AVG in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr anzuwenden ist und gem. § 58 VwGVG stattdessen § 28 Abs. 3 VwGVG mit genanntem Datum in Kraft trat, womit das Erfordernis des § 66 Abs. 2 leg. cit, wonach die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, weggefallen ist, und sich die Regelungsgehalte beider Normen somit nicht gänzlich decken, findet die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG grundsätzlich weiterhin Anwendung.
Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm 11, S 153).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er insbesondere ausgeführt:
„Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ‚obersten Berufungsbehörde’ (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass die Behörde erster Instanz eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch durchzuführen hat.
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, so in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992, mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
Umfassend hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Rechtssätze herausgearbeitet:
- Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
- Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
- Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Im gegenständlichen Fall hat das Bundesamt die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens nicht beachtet.
Obwohl das Bundesamt Bedenken hinsichtlich des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers hatte, hat es nur eine Vorführung vor den nigerianischen Botschafter veranlasst, nicht aber eine aktuelle vor die ugandische Vertretungsbehörde. Eine Vorführung vor die ugandische Delegation fand bereits vor über zwei Jahren statt, nicht aber zeitnah im gegenständlichen Verfahren. Das Bundesamt stützt seine Beweiswürdigung zudem auf Beweismittel, die nicht aktenkundig sind. Eine Identifizierung durch den nigerianischen Botschafter nach Vorführung am 04.06.2020 wurde behauptet (Bescheid S. 4 und 27), es finden sich aber weder im Verwaltungsakt, noch im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) Bestätigungen darüber. Vielmehr ergibt sich aus dem IZR, dass das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates eingeleitet worden ist, jedoch bislang kein Ersatzreisedokument für Nigeria ausgestellt wurde. Es ist dem Beschwerdevorbringen beizupflichten, dass die ugandische Vertretungsbehörde eine ugandische Staatsangehörigkeit nicht feststellen konnte, aber auch nicht ausschloss. Dies ergibt sich aus der vom Bundesamt herangezogenen Verbalnote, ausgestellt von der Botschaft der Republik Uganda am 03.07.2020 in Berlin. Festgehalten wurde, dass der Antrag auf Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes für den Beschwerdeführer eingestellt werden musste, weil dieser nicht als ugandischer Staatsangehöriger bestätigt werden konnte. Der Beschwerdeführer habe nicht mit dem Team der Botschaft beim Interview in Wien zwischen 16.08.2018 und 17.08.2018 kooperiert (original: „[…] the application for the issuance of an Emergency Travel Certificate for Mr. ISAR Marvelous, D.O.B. 01.01.1990 has been turned down because his nationality cannot be confirmed as Ungandan. Mr. ISAR failed to cooperate with the Embassy Consular team that visited Vienna to interview him between 16.08.2018 - 17.08.2018.“) (AS 117). Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass die ugandische Staatsangehörigkeit aufgrund mangelnder Mitwirkung des Beschwerdeführers im Jahr 2018 nicht bestätigt habe werden können. Das Bundesamt hat es unterlassen, weitere geeignete Ermittlungsschritte zu setzen, wie etwa eine aktuelle Vorführung vor die ugandische Botschaft, gegebenenfalls unter Androhung von zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln.
Auch hat das Bundesamt verabsäumt, dem Beschwerdeführer die Lage im (noch nicht feststehenden) Herkunftsstaat nahe zu bringen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren. Ihm wurde weder das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Uganda, noch jenes für Nigeria zur Kenntnis gebracht. Im angefochtenen Bescheid wurden nur Auszüge aus dem Länderinformationsblatt für Nigeria zitiert, nicht aber das gesamte Beweismittel.
Anzumerken ist auch, dass das Bundesamt trotz „Identifizierung“ des Beschwerdeführers als nigerianischen Staatsangehörigen, wie behauptet am 04.06.2020, in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 15.06.2020 im Rahmen des inzwischen eingestellten Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (AS 51), den Beschwerdeführer unter der Staatsangehörigkeit Uganda führt und Nigeria nur als Aliasstaatsangehörigkeit angibt.
Dies belegt, dass beim Bundesamt Zweifel bezüglich des tatsächlichen Herkunftsstaates des Beschwerdeführers vorlagen, die weitere Ermittlungen notwendig erscheinen lassen. Obwohl sich der bekämpfte Bescheid auf den Herkunftsstaat Nigeria bezieht, gab das Bundesamt bei der Vorlage Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 20.08.2020 „StA. Uganda“ an.
Zusammengefasst ist demnach festzuhalten, dass das Bundesamt im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers keine Ermittlungsschritte gesetzt hat, um diesbezüglich bestehende Zweifel auszuräumen. Für eine objektive Beurteilung, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nigerianischer Staatsangehöriger wäre, fehlen (noch) Feststellungen. Gerade bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine der zentralen Fragen im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren, welche grundsätzlich von der Behörde erster Instanz zu klären ist, da ansonsten das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat auf das Bundesverwaltungsgericht übertragen würde. Im Sinn der zitierten Judikatur kann es nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts sein, das Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Herkunftsstaates neu zu beginnen, wobei in einem solchen Fall zudem der Beschwerdeführer den Instanzenzug nicht ausschöpfen könnte.
Das nunmehr (wieder) zuständige Bundesamt wird sich daher im fortgesetzten Verfahren nochmals mit der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers auseinander zu setzen haben. Es wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer bislang keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt hat und damit die von ihm behauptete ugandische Herkunft nicht verifiziert werden konnte. Dies entbindet das Bundesamt jedoch nicht davon, den Herkunftsstaat in einem ordentlichen Ermittlungsverfahren festzustellen, entsprechende Länderfeststellungen im Verfahren zu treffen und dem Beschwerdeführer hinsichtlich des festgestellten Herkunftsstaates Parteiengehör zu gewähren.
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es bei Fällen bestehender Zweifel über die Herkunft eines Asylwerbers einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung auf der Grundlage einer zureichenden Sachverhaltsermittlung, die aber - wie oben ausgeführt - im Beschwerdefall nicht vorliegt. Es ist dem Beschwerdeführer auch zu folgen, wenn er angibt, seit seiner Einreise stets unter derselben Identität aufgetreten zu sein, mag sie sich auch im Asylverfahren als falsch heráusstellen. Auch die strafgerichtlichen Verurteilungen beziehen sich auf die vor dem Bundesamt angegebene Identität und Staatsangehörigkeit. Dem Bundesamt ist es bisher nicht gelungen, die von ihm behauptete ugandische Staatsangehörigkeit schlüssig zu entkräften. Es stützte seine eigenen Feststellungen zu seiner nigerianischen Staatsangehörigkeit auf nicht aktenkundige Beweismittel. Es ist daher noch nicht möglich, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers abschließend zu beurteilen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinn des Gesetzes sein, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme (Vorführung vor eine Delegation, Einholung einer Sprachanalyse oder Sprachgutachtens etc.) durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar 2007, 3. Teilband, § 66 Rz 20).
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Der Vollständigkeit halber wird hinsichtlich des Beschwerdevorbringens, dass das Bundesamt bei der Prüfung der Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot die Einbeziehung der in Spanien lebenden Lebensgefährtin und Kinder des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen habe, auszuführen, dass sich das Einreiseverbot auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten bezieht (vgl. VwGH vom 22.05.2013, 2013/18/0021) und daher ein Privat- und Familienleben in Spanien eine entscheidungswesentliche Rolle spielen kann. Zudem bringt der Beschwerdeführer vor, dass seine Angehörigen spanische Staatsbürger seien und er in telefonischem Kontakt zu ihnen stehe. Wenn das Bundesamt diese Angaben (ohne Nachweise und Belege dafür im Akt) in seinem Bescheid feststellt (S. 8, 28 und 42 f), aufgrund des bloß telefonischen Kontaktes das Vorliegen eines Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK aber verneint, so verkennt es, dass nach ständiger Rechtsprechung des EGMR das Familienleben zwischen Eltern und Kind mit der Geburt und nur unter außergewöhnlichen Konstellationen als aufgelöst zu betrachten gilt (vgl. VfGH vom 12.03.2014, U1904/2013). Sollte im fortgesetzten Verfahren erneut eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen werden, wird sich das Bundesamt auch mit dem - allenfalls - in Spanien bestehenden Familienleben des Beschwerdeführers auseinander zu setzen haben.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab und konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die oben zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen stützen. Durch die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
Asylverfahren Behebung der Entscheidung Beweismittel Beweiswürdigung Ermittlungspflicht Feststellungsmangel Identitätsfeststellung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Staatsangehörigkeit subsidiärer Schutz ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I401.2234304.1.00Im RIS seit
24.11.2020Zuletzt aktualisiert am
24.11.2020