Entscheidungsdatum
17.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W272 2161134-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Aserbaidschan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West vom XXXX , Zahl XXXX zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Erstes Verfahren:
1. Der Beschwerdeführer (BF), ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.08.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG). Er gab an in XXXX am XXXX geboren zu sein, ledig und neun Jahre die Grundschule besucht zu haben. Seine Muttersprache sei aserbaidschanisch, er spreche auch türkisch und russisch. Im Herkunftsstaat lebe sein Vater, seine Mutter, eine Schwester und ein Bruder. Er habe vermutlich am 10.08.2015 mit dem PKW den Herkunftsstaat verlassen. Er sei mit Schlepper nach Österreich gekommen und habe 4 ½ Tage benötigt. Er habe aus politischen Gründen sein Land verlassen. Er habe einen Artikel über die politische Entwicklung in Aserbaidschan geschrieben. Er sei von der Polizei erwischt worden und diese habe ihn zu einer Dienststelle gebracht, wo er geschlagen und einen Tag in Gewahrsam gehalten worden sei. Es sei ihm auch eine Rippe gebrochen worden und er habe Atemnot gehabt. Sie haben ihn freigelassen und bedroht, falls er nochmals weitere Artikel schreiben würde, würden sie ihn umbringen. Dieser Vorfall sei vor einem Monat passiert und die Todesrate der Journalisten steige in Aserbaidschan rapide. Der Staat, die Polizei und das Ministerium seien verbündet mit der Mafia. Bei Rückkehr würde er so enden wie die Journalisten, welche ermordet worden seien. Es sei ein Land ohne Menschenrechte. Er habe Angst in die Hände der Mafia zu gelangen.
2. Am 10.06.2016 erfolgte ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich an die Staatsanwaltschaft Linz. In diesem Bericht wird der BF verdächtigt von ca. März/April 2015 bis ca. Mitte April 2016 an verschiedenen Örtlichkeiten im Stadtgebiet Linz, zumindest einen psychischen sowie physischen Tatbeitrag zum Suchtgifthandel des XXXX mit dem retardierten Morphinpräparat SUBSTITOL 200 mg, in einer die Grenzmenge gem. § 28 SMG mehrfach übersteigenden Menge geleistet zu haben. Weiters war er verdächtig und geständig, sich am 22.06.2016 um 08.00 Uhr in XXXX vorschriftswidrig im Besitz von 30 Stück Substitol retard, 200mg Kapseln und 26,1 Gramm Marihuana/Cannabiskraut befunden zu haben. Sowie verdächtig und geständig, vorschriftswidrig seit etwa 10 Jahren bis zuletzt am 21.04.2016 gelegentlich Marihuana in unbekannten Mengen konsumiert zu haben. Weiters war er verdächtig und geständig, vorschriftswidrig seit 6 – 7 Monate bis zuletzt am 21.04.2016 täglich zwischen 2 und 5 Stück Substitol 200mg Kapseln konsumiert zu haben. Der BF war laut Auskunft des Gesundheitsamtes beim Magistrat Linz im Tatzeitraum nicht im Substitutionsprogramm.
3. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18.11.2016, wegen des Vergehens nach § 107 Abs. 1 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
4. Am 10.05.2017 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich. Er gab an, dass es ihm eigentlich gut gehe, er aber drogenabhängig sei. Er sei in den Jahren 2007 oder 2008 in Drogenabhängigkeit geraten und seit 2011 clean. Er sei in einem Substitutionsprogramm und er benötige ein Mal am Tag das Medikament Subatex. Er befinde sich in einer Therapie. In seinem Herkunftsstaat betreibe sein Vater eine Firma und stelle Fenster und Spiegel her. Dort arbeite auch der Bruder seines Vaters und zwei andere Personen. Er habe das Gymnasium abgeschlossen und als Journalist gearbeitet. Er sei wegen seiner Tätigkeit verhaftet und verletzt worden und habe im Krankenhaus versorgt werden müssen. Er habe als Journalist gelegentlich gearbeitet und sein von der Partei XXXX pro Artikel bezahlt worden. Er sei auch Fachmann für das Zuschneiden von Glas und Montage von Fenstern. Er sei nicht vorbestraft, habe keine Probleme mit den Behörden und Gerichten und es bestehe kein Haftbefehl gegen ihn. Er sei politisch tätig gewesen, jedoch kein Mitglied der Partei XXXX Auch wegen der Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit habe er keine Probleme gehabt. Seine Probleme seien aufgrund seiner politischen Artikeln in der Zeitung. Er sei geschlagen worden und fürchte sich vor der Mafia. Journalisten leben im Allgemeinen in Angst um ihr Leben. Bezüglich seines Drogenkonsums und Drogenkaufes gab es kein Problem. Er habe die Drogen in XXXX am Markt gekauft und konnte seine Arbeit dennoch machen. Er sei all die Jahre heroinabhängig gewesen. Er habe deswegen keine Probleme in seiner Heimat gehabt. Die Drogenabhängigkeit sei der Polizei bekannt gewesen. Da er nur konsumierte und nicht handelte sei sein Verhalten von der Polizei geduldet worden. Er habe gearbeitet und damit Drogen erworben. Dem BF wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum Länderinformationsblatt Aserbaidschan vom 09.12.2016, mit aktuellen neuesten Ereignissen und integrierten Kurzinformationen, gegeben.
Mitvorgelegt wurde der Kurzarztbrief der Psychiatrie 5 über den Aufenthalt des BF im Kepler Universitätsklinikum. Nach Entlassung wurde Opiatabhängigkeit, Anpassungsstörung, Hepatitis C AK pos und Zahnextraktion festgestellt. Als Medikation wurde Suboxone 8/2m g morgens, Suboxone 2/ 0,5 mg morgen, ein halbe Mirtabene 30 mg abends und Seractil fort 400 mg max 3 x 1 bei Schmerzen eine Woche verordnet. Sowie das Substitutionsbehandlung.
5. Mit Bescheid des BFA vom 10.05.2017 zur Zahl 1082701900/151093743 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Aserbaidschan zulässig sei (Spruchpunkt III). Weiters wurde in Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Festgestellt wurde, dass der BF nicht verheiratet sei und kinderlos. Er sei aserbaidschanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Azeri und der Religionsgruppe des Islam an. Er nehme Medikamente Subatex (Drogensubstitution), leide an keiner schwer oder lebensbedrohlichen Erkrankung. In Aserbaidschan sei eine Drogensubstitution möglich. Methadon werde in städtischen Narkologischen Zentren verwendet. Andere Medikamente seien Tramal, Tramadol, Klofelin, Xefocam, Doclofenac. Es gebe zwei Kliniken in XXXX wo der BF behandelt werden könne. Es könne kein Umstand festgestellt werden, dass der BF einer Verfolgung iSd GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Auch bei Rückkehr wäre keine entsprechende Verfolgung gegeben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF im Falle einer Rückkehr in eine Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Aufgrund seiner Arbeits- und Selbsterhaltungsfähigkeit könne er nach Rückkehr wie schon vor Ausreise seinen Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten. In Österreich sei er mehrmals straffällig geworden, lebe von der Sozialleistung der Republik Österreich, und habe keine Verwandten in Österreich. Dass der BF wegen der Tätigkeit als Journalist verfolgt werde, wurde nicht geglaubt. Der BF sei bestenfalls als Nebenbeschäftigung für die Zeitung Musavat tätig gewesen, wenngleich die Behörde davon ausgehe, dass der BF nicht als Journalist tätig gewesen sei. So kannte er nicht einmal den Namen des Chefredakteurs der Zeitung. Er kenne die Höhe der Auflage nicht, die Ausrichtung des Blattes nicht und die Adresse der Zeitung ebenfalls nicht. Die Telefonnummer konnte er nicht angeben und nicht einmal das Logo der Zeitung konnte der BF wiedergeben. Auch hätte es keine Probleme wegen der Drogensucht gegeben. Es sei aber unglaubwürdig, dass die Zeitung einen der Polizei bekannten Drogensüchtigen einstellt. Auch sei die Zeitung nicht verboten und die Artikel oberflächlich. Auch habe der BF in der Firma seines Vaters gearbeitet und sei lediglich einen Tag in Haft gewesen. Seit der Anhaltung habe es keinen Kontakt mit den Behörden gegeben. Das der BF an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung leide ergebe sich aus der Aktenlage, den Einvernahmen und der obligatorischen medizinischen Untersuchung. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Substitutionsprogrammes ergebe sich aus der Anfragebeantwortung und den Länderinformationen. Der BF sei in Österreich nicht dermaßen integriert, dass eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre. Der BF sei außerdem gerichtlich verurteilt. Eine Abschiebung sei zulässig. So lebe seine Familie noch immer im Herkunftsstaat, er könne Unterstützung von humanitären Organisationen annehmen und würde daher nicht in eine lebensbedrohliche Notlage geraten.
6. Der BF erhob Beschwerde und brachte vor, dass seine Angaben völlig plausibel und nachvollziehbar waren. Er habe als Mitarbeiter für die Presseabteilung XXXX von Juni 2003 – Dezember 2008 gearbeitet. Dann habe er in der Presseabteilung „Nationale Union“ bis Jänner 2014 gearbeitet. Danach habe er als freier Mitarbeiter gearbeitet und einzelne Artikel geschrieben. Er habe über den Präsidenten Aliyev geschrieben und dass er Villen in Dubai und London habe und über das korrupte System in Aserbaidschan. Nach der Veröffentlichung sei er von der Polizei verhaftet worden und geschlagen, wobei ihm eine Rippe gebrochen worden sei. Er wurde gewarnt keine weiteren Artikel zu schreiben. Er habe Angst wie viele anderen Journalisten im Gefängnis zu verschwinden oder aus dem Weg geschafft zu werden. Dazu brachte der BF verschiedene Berichte über die Pressefreiheit in Aserbaidschan und Verfolgung von Journalisten vor.
7. Mit Schreiben vom 21.10.2019 forderte das Verwaltungsgericht den BF auf Stellungnahmen und Beweise oder sonstige Unterlagen unverzüglich jedoch spätestens eine Woche vor Verhandlungstermin bei Gericht einzubringen. Der BF wurde darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Obliegenheit zur Mitwirkung und Verfahrensförderung entsprechende Vorbringen ehestens und vollständig von sich aus durchzuführen habe.
8. Am 13.11.2019 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG. Der BF gab an, dass alles noch gültig sei. Sein Gesundheitszustand habe sich gebessert und er fühle sich gut. Er nehme nur mehr wenige Medikamente. Er habe zwar Schmerzen, gehe aber arbeiten. Der BF legte Presseberichte vor, welche dokumentieren, wie die aserbaidschanische Polizei bei Demonstrationen einschreite. In Aserbaidschan habe er Verwandte und in Österreich nur Landsleute. Er bekomme vom Staat Unterstützung und sein Vater helfe ihm finanziell. Weitere Informationen zur privaten und familiären Bindung in Österreich möchte er nicht machen. Wenn er nach Aserbaidschan zurückkehre, werde er aufgrund seiner geschriebenen Artikel verfolgt. Es könnte einiges passieren und er eventuell getötet werden. Er habe Material bei Demonstrationen gesammelt und diese der Parteileitung schriftlich weitergeleitet. Dokumente könne er nicht vorlegen, er möchte auch seine Verwandtschaft nicht in Gefahr bringen. Es bestehe auch in Österreich eine Gefahr für ihn. In XXXX habe er keine wirtschaftlichen Probleme, aber sein Leben wäre in Gefahr. Bezüglich des Drogensubstitutionsprogrammes gab der BF an, dass es nur ein Spital gebe, wenn man krank ist. Man müsse mindestens 300 Mandat zahlen und es gebe nur Methadon, welches einen nach zwei Jahren kaputt mache. Wenn der Name auf der Liste des Spitals aufscheine, finde man keine Arbeit. Wenn die Behörde ahne, dass man sich was zu Schulden kommen lasse, oder wegen Drogenverdacht, komme ein Vertreter und es gebe eine Hausdurchsuchung. Es bestehe die Gefahr, dass man viel Geld zahlen müsse oder gleich unter den Teppich gekehrt werde. Es herrsche Korruption auf allen Ebenen.
Der Richter verkündete das Erkenntnis mündlich und wies die Beschwerde als unbegründet ab. Das Vorbringen erwies sich als nicht glaubhaft und es bestehen keine medizinischen oder sonstigen Rückkehrhindernisse.
9. Mit Erkenntnis des BVwG L515 2161134-1/18E vom 05.02.2020 erfolgte die schriftliche Ausfertigung des am 13.11.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass der BF sich in einem Drogenentzugsprogramm befindet bzw. befand. Der BF nehme kein Substitutionsmittel mehr und habe bereits in Aserbaidschan Drogen konsumiert. Der BF könne bei Rückkehr Gelegenheitsarbeiten annehmen oder wieder bei seinem Vater im Betrieb arbeiten. Es ist notorisch bekannt, dass der BF aus einem Kulturkreis komme, in dem auf den familiären Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung großer Wert gelegt werde. Der BF kann daher Unterstützung von seiner Familie erwarten. In Österreich habe der BF keine Nahe stehenden Personen, er sei rechtswidrig eingereist, lebe von der Grundversorgung und habe sich Deutschkenntnisse angeeignet. Der BF wurde rechtskräftig wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gem. § 107 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Soweit der BF geständig war, erwarb er Suchtmittel (Marihuana/Cannabis und Substitol), besaß es oder konsumierte es. Der BF sei den von ihn behaupteten Gefährdungen nicht ausgesetzt und es könne nicht festgestellt werden, dass er bei Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung ausgesetzt wäre. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF in Aserbaidschan Journalist gewesen sei und regierungskritische Berichte verfasste oder solche Recherchen durchgeführt habe. Der BF leide an keiner Krankheit, die nicht in Aserbaidschan behandelbar wäre und es stehe ihm im Falle der Rückkehr das aserbaidschanische Gesundheitssystem offen. Der Richter ging davon aus, dass der BF ein (zumindest ehemals) Drogenabhängiger sei und unzufrieden mit den Verhältnissen in seinem Herkunftsstaat war, dort auf die schiefe Bahn geriet und bestrebt sei nunmehr sein Leben in den Griff zu bekommen. Bezüglich seines Fluchtvorbringens habe der BF eine sichtlich auswendig gelernte Rahmengeschichte vorgebracht. Er konnte keine konkreten Lebenssachverhalte detailliert und lebensnah schildern. Auch habe der BF vorgebracht, dass die Polizei von seinem Drogenkonsum in Aserbaidschan Kenntnis gehabt habe und dies trotzdem tolerierte, was letztlich voraussetze, dass die Polizei ihm wohlgesonnen sei und dies mit dem anderen Vorbringen einer Verfolgung nicht vereinbar sei. Auch eine Stigmatisierung nachträglich sei unglaubwürdig und so gab er auch an, dass nach ihm nicht gefahndet werde oder sonst die Behörden ein Interesse an ihn hätten. Im Rahmen der Feststellungen wurde ein Bericht eingebracht, welcher ident mit den des BFA ist, welches von den verschiedenen Möglichkeiten des Drogenersatzprogrammes berichtet und hierfür verschiedene Medikamente zur Verfügung stehen. Die medizinische Versorgung sei in XXXX gegeben und alle medizinischen Dienstleistungen in öffentlichen Krankenhäuser kostenfrei. Die Verfügbarkeit von Medikamenten sei gewährleistet. Auch könne nicht festgestellt werden, dass der BF zugängliche Leistungen aus dem aserbaidschanischen Gesundheits- und Sozialsystems aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Grund schlechter darstellen, als dies für dies sonstige Bevölkerung der Fall ist oder der Zugang zur medizinischen Versorgung erschwert oder verunmöglicht wird. Auch erfahre der BF keine Verletzung der in Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gewährleisteten Rechte und es bestehe für ihn keine Gefahr als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder nationalen Konfliktes. Soweit es um den Gesundheitszustand des BF, insbesondere seiner Drogenabhängigkeit in der Vergangenheit thematisiert wurde, habe der BF kein Recht auf Verbleib im Aufenthaltsstaat um dort bloß medizinisch versorgt zu werden, selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich. Es müsse eine Versorgung gegeben sein, die Kosten berücksichtigt und das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerkes. Der BF leide an keiner schweren Erkrankung, auch wenn der BF eine medizinische Versorgung benötige, so wäre es ihm möglich und zumutbar, das aserbaidschanische Substitutionsprogramm in Anspruch zu nehmen. Auch wenn der Umgang mit Drogenabhängigen gemieden wird, so ist er nicht dermaßen ausgeschlossen, dass sich daraus ein Sachverhalt im Lichte des Art. 3 EMRK ergebe. Eine Verletzung des Recht auf Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK in Österreich bestehe nicht. Der BF habe kein Recht auf Aufenthaltsberechtigung in Österreich und eine Rückkehrentscheidung und Abschiebung nach Aserbaidschan sei zulässig. Die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage.
Die Zustellung des Erkenntnisses erfolgte am 07.02.2020 und erwuchs in Rechtskraft.
Gegenständliches Verfahren:
10. Am 30.07.2020 stellte der BF neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag wurde der BF von den österreichischen Sicherheitsbehörden am Flughafen Schwechat befragt. Zu den Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass die alten Fluchtgründe aufrecht bleiben. Neu sei, dass die Polizei in seinem Heimatland Aserbaidschan ihn suche, wegen seines Suchtgiftproblems und sie mitbekommen habe, dass er in Österreich um Asyl angesucht habe. Das würde Vaterlandsverrat bedeuten und er würde im Gefängnis landen, dadurch könne er seine Therapie nicht beenden und würde sterben. Dies seien alle seine Fluchtgründe, andere habe er keine. Er würde im Gefängnis landen und dort sterben. Er nehme seit 5 Jahren an einer Entzugskur wegen Drogenabhängigkeit teil und nehme Substidol, Sopaxsone und Prigavalin.
11. Mit Schreiben vom 03.08.2020 wurde der BF aufgefordert alle medizinischen Befunde vorzulegen. Weiters wurde ihm das Länderinformationsblatt Aserbaidschan vom 25.07.2019, letzte Information vom 16.04.2020 zur Verfügung gestellt und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme.
12. Am 26.08.2020 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), im Asylverfahren neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zunächst an, dass er eine Drogenentzugskur besuche und diverse Medikamente nehme, welche er bei der Erstbefragung angegeben habe. Er leide an Atemnot bei Stress, er habe ein Medikament bekommen, damit aufgehört, da es abhängig mache. In Österreich kenne er aserbaidschanische und tschetschenische Familien und auch Türken. Er habe Gartenarbeit in Altersheimen gemacht und wolle nun nach Rückkehr aus den Niederlanden dies wieder machen, war jedoch in Quarantäne. In den Niederlanden war er, da er in Österreich keine Chance gehabt hätte zu bleiben. In den Niederlanden habe er auch einen Asylantrag gestellt. Zu dem Folgeantrag brachte der BF vor, dass er bei der Zeitung arbeitete und bei Demonstrationen Beweismittel gesammelt habe, diese habe er der Redaktion gegeben. Die Veröffentlichung führte zu Problemen. Die Polizisten verfolgten ihn, egal wo er hinging, waren sie hinter ihm. Außerdem sei er krank gewesen und das sei für die Polizisten noch ein besserer Vorwand gewesen. Sie könnten ihn jederzeit erwischen und verhaften. Es sei ihm finanziell gut gegangen und habe Massenverkäufe für Fenster in viele Länder der Welt gemacht und habe diese Zusperren müssen und ein kleines Geschäft aufgemacht. Das Geschäft habe seinem Vater gehört und sie seien erwischt worden und es wäre ihnen viel Geld abgenommen worden. Dann habe sein Vater ihm geraten, das Land zu verlassen. Wenn sie ihn erwischen würden, hätten sie ihn festgenommen. Bei einem Mal haben sie ihn sogar geschlagen und eine Rippe gebrochen. Die Rippe sei nicht ganz zusammengewachsen. Auch sei er bedroht worden, wegen dem Suchtmittelproblem. Sie hätten ihn in den letzten fünf Jahren in Aserbaidschan 6-7 Mal erwischt. Das Suchtmittelproblem sei der Vorwand gewesen. Auf Vorhalt, dass der BF angab, dass die Polizei kein Problem mit ihm, wegen den Suchtmittelkonsum, hatte, gab er nunmehr an, dass er damals nicht nur das Suchtgiftproblem hatte. Er sei deswegen schon immer von der Polizei bedroht worden. Die Polizei habe ihm deswegen viel Geld abgenommen. Auf Nachfrage, warum er dies bisher nicht erwähnt habe, gab er an, dass er das schon erwähnt habe. Auf Nachfrage, warum er nunmehr angibt, dass er aufgrund der Asylantragstellung wegen Vaterlandsverrat inhaftiert werden würde, antwortet er mit: „Wenn man genau nimmt, braucht die Polizei keinen Grund, um jemanden zu verhaften. Sie machen alles willkürlich.“ Zum Vorhalt, dass die Länderberichte darlegen, dass nicht mit Zwangsmaßnahmen zu rechnen ist, gab der BF an: „Danke, dass Sie mir vertrauen. Wenn ich zurückkehren wollte, hätte ich das längst gemacht und nicht 6 Jahre lang in einem Container gelebt. Ich lebe noch immer in einem Container“. In Aserbaidschan sei er vor vielen Jahren erwischt worden und habe einen Harntest gemacht und sei positiv gewesen. Er habe keine Ladung erhalten, jedoch eine Geldstrafe in der Höhe von 600-700 Manati. In Österreich sei er einmal verurteilt worden. Zu einem fünfjährigen Einreiseverbot gab der BF an, dass er immer ein negatives Ergebnis erhalte, er sei aber kein Krimineller und habe niemanden umgebracht. Sein Vater sei Krebskrank, wenn er nicht verfolgt werden würde, wäre er zurückgekehrt. Sein Vater benötige 20.000 Manat für die Therapie. Er wiege anstatt 110 kg nur mehr 60 kg. Er ersuche um Mitleid, in Aserbaidschan habe er keine Möglichkeit eine Therapie zu machen. Wenn er erwischt werde mit Medikamente würde er drei Jahre Gefängnisstrafe bekommen und beim zweiten Mal 3- 7 Jahre. In Aserbaidschan erhalte man das Rezept nur auf Bezahlung. Ansonsten gebe es keine Gründe. Am Ende der Verhandlung bracht der BF vor, dass im letzten Jahr im Haus seiner Mutter angerufen geworden sei und seine Mutter bedroht worden sei. Auch wenn er zurückkommen solle, sei er gefährdet. Wer diese Person war wisse er nicht. In Holland sei er auch verfolgt worden. Er habe Angst auch im Asyllager. Er möchte einen Wechsel. Man habe auch versucht seinen Laptop zu stehlen, er sei auch verbal bedroht worden.
13. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 30.07.2020 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gegen den BF wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm 3 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gem. § 52 Abs. 9 festgestellt, dass die Abschiebung nach Aserbaidschan gem. § 46 FPG zulässig sei und gem. § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Gem. § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z6 FPG wurde eine auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Festgestellt wurde, dass der BF sich wiederum auf den Verfolgungsgrund seiner Tätigkeit als Journalist berufen habe. Dies sei jedoch bereits mit Erkenntnis des BVwG L515 2161134-1/18E vom 13.11.2019 abgewiesen. Auch die Bedrohung aufgrund seiner Suchtmittelabhängigkeit wurde bereits im Vorverfahren ausführlich behandelt, dass der BF deswegen verfolgt worden sei, sei aufgrund seiner bisherigen Angaben unglaubwürdig, zumal er im Vorverfahren angab, dass die Polizei davon wusste und es geduldet wurde. Seine 5- malige Bedrohung bringe der BF nunmehr vor, obwohl er dies bereits in den Vorverfahren vorbringen hätte können und wird daher keinen Glauben geschenkt. Weites ist es widersprüchlich, wenn der BF angibt, dass die Verwendung der Drogenersatzmittel zu einer Freiheitsstrafe führen, wenn doch diese legal mit einem Rezept erlangt werden könnte. Auch zu dem Vorhalt, dass gemäß der Länderinformation keine Bedrohung von Rückkehrern erfolge, weiche der BF nur aus und sage, man brauche keinen Grund für die Polizei. So ist der BF insgesamt nicht glaubhaft und versuche nur das Verfahren zu verzögern bzw. sei es im Vorverfahren bereits mit Rechtskraft abgeschlossen worden. Die Verfolgung in den Niederlanden oder die Bedrohung in Österreich stellen keine asylrelevanten Umstände dar. Das Vorbringen der Bedrohung der Mutter und ihn von einem unbekannten Anrufer von vor einem Jahr sei unglaubwürdig, da es nicht plausibel ist und oberflächlich. Die Bedrohung wegen Drogensucht hätten sie im Erstverfahren schon vorgebracht jedoch explizit verneint. Eine Rückkehr sei ohne Gefahr in eine Notlage zu geraten möglich. Die medizinischen Leistungen sind zugänglich und in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Entzugstherapie könne weiterhin durchgeführt werden. Es wurde nichts Gegenteiliges vorgebracht. Eine Gefahr aufgrund der Covid-Pandemie sei für ihn nicht gegeben. Der BF habe zwar Österreich verlassen aber nicht den Schengen-Raum und sei in die Niederlande eingereist und habe nunmehr dreimal unbegründet einen Asylantrag gestellt. Er sei nicht in der Lage, Mittel für seinen Lebensunterhalt zu erwerben, weshalb eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen ist. Aus den Vorverfahren ist eine lange Liste mit Delikten, meist Beschaffungskriminalität angeführt. Auch sei er zu einer Geldstrafe verurteilt worden, es sei auch anzunehmen, dass der BF in die Niederlande ging, da dort ein eher lockerer Suchtmittelumgang herrsche. Dies mache eine positive Zukunftsprognose nicht möglich und daher sei ein dreijähriges Einreiseverbot gerechtfertigt.
14. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am 08.09.2020 erhobene Beschwerde gegen alle Spruchpunkte. Es habe sich die Lage seit Erstantragsstellung des BF wesentlich und nachhaltig geändert. So fürchte der BF nunmehr aufgrund der Asylantragstellung, dass die Behörde Aserbaidschans auf ihn aufmerksam wurde und er deshalb im Falle einer Rückkehr als „Vaterlandsverräter“ inhaftiert werde. Er könne dann nicht seine Drogentherapie beenden und müsste mit erheblichen gesundheitlichen Probleme bis zu seinem Tod rechnen. Weiters könne er im Falle einer Rückkehr die Therapiekosten für seinen Entzug nicht aufbringen. Aus den Länderberichten sei ableitbar, dass die medizinische Versorgung in Aserbaidschan prekär wäre. Diese ohnehin schon schwierige Situation habe sich aufgrund der Corona Pandemie noch einmal verschlechtert. Er sei einer realen Gefahr im Sinne des Art 3 EMRK ausgesetzt. Bezüglich des Einreisverbotes, brachte der BF vor, dass die Voraussetzungen gem. § 53 FPG nicht gegeben seien. Es sei das Gesamtverhalten des BF zu würdigen, hierbei sei anzuführen, dass der BF seit der Verurteilung nicht mehr negativ in Erscheinung getreten ist, weshalb eine positive Zukunftsprognose zu erstellen sei und daher sein Verhalten keinesfalls eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehe. Das Einreiseverbot sei nicht gerechtfertigt und jedenfalls die Länge als unangemessen anzusehen. Weiters werde eine mündliche Verhandlung beantragt und auf Art 47 Abs. 2 der Grundrechtscharta der EU hingewiesen, demzufolge jede Person ein Recht darauf hat, dass „ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird“.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der im Verfahrensgang festgeschriebene Sachverhalt wird festgestellt.
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer wurde am XXXX in XXXX , Aserbaidschan geboren. Der BF wuchs in XXXX auf, absolvierte das Gymnasium und hat in der Firma seines Vaters im Bereich der Glasschneiderei und Fenstermontage gearbeitet, er ist Fachmann in diesem Bereich. Er ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Gruppierung der Aseri und muslimischen Glaubens. Der BF spricht aserbaidschanisch, türkisch, ein wenig russisch und Deutsch. Der BF lebte bis zur Ausreise in XXXX mit seinen Eltern und hat familiäre Anknüpfungspunkte in Aserbaidschan. Seine Eltern und auch Geschwister leben im Herkunftsstaat. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Beziehungen und er hat auch keine engeren sozialen Kontakte in Österreich. Der BF hat verschiedene Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache unternommen.
Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.08.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Eine lebensbedrohliche Erkrankung liegt beim BF nicht vor. Der BF war drogenabhängig und besuchte teilweise eine Entzugstherapie. Der BF nimmt Medikamente. Ansonsten ist er gesund.
Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18.11.2016, wegen des Vergehens nach § 107 Abs. 1 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Gegen den BF wurde Anzeige wegen Drogenkonsum, - Besitz und Handel erstattet.
Der BF verließ nach rechtskräftiger erster abweisender Erkenntnis des BVwG vom 13.11.2019, schriftliche Ausfertigung am 05.02.2020, zugestellt am 07.02.2020, das österreichische Staatsgebiet. Der BF kehrte jedoch nicht in seinen Herkunftsstaat zurück, sondern in die Niederlande und stellt dort einen weiteren Asylantrag. Nach Rückkehr nach Österreich stellte der BF wiederum am 30.07.2020 wiederum einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).
Der BF lebt von der staatlichen Unterstützung, geht keiner Beschäftigung nach und wurde teilweise von seinem Vater finanziell unterstützt, der BF vermag nicht für seinen Unterhalt aufzukommen. Der BF wurde strafrechtlich zu drei Monaten bedingt verurteilt. Der BF reiste nicht aus dem Schengen-Raum aus, stellte in den Niederlanden einen Asylantrag und danach bei Rückkehr in Österreich, sodass im Hinblick auf dieses Gesamtverhalten derzeit nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden kann und der BF die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.
Das Ermittlungsverfahren aufgrund des Folgeantrages ergab, dass keine neuen Fluchtgründe vorgebracht wurden und sich die individuelle Situation für den Beschwerdeführer hinsichtlich seinen Herkunftsstaates Aserbaidschan nicht in einem Umfang verändert hat, dass von einer wesentlichen Änderung des Sachverhaltes auszugehen ist. Zudem weißt die Behauptung, dass er bzw. seine Mutter von einer unbekannten Person bedroht wurde keinen glaubhaften Kern auf. Auch das Vorbringen, der Gefahr einer Verfolgung, Bedrohung oder Verhaftung und Verurteilung durch den aserbaidschanischen Staat oder den Behörden aufgrund der Asylantragstellung in Österreich ist nicht gegeben.
Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers hat sich auf die bereits im abgeschlossenen Verfahren behandelten Aspekt nicht geändert. Es kann nicht festgestellt werden, dass im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Aserbaidschan diesem ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten droht.
Der BF kann nach XXXX zurückkehren und bei Bedarf, wie im Erstverfahren festgestellt an einem Entzugsprogramm bezüglich der Drogenabhängigkeit – Medikamentenmissbrauch, teilnehmen. Dem BF ist es möglich über den Flughafen in XXXX sicher die Stadt zu erreichen. Er kann in XXXX ein Leben wie andere aserbaidschanische Staatsbürger führen und gerät in keine existenzbedrohende Notlage. Der BF kann einer Arbeit nachgehen und seine Grundbedürfnisse, wie Wasser, Nahrungsmittel, Unterkunft befriedigen. Im Fall einer Rückkehr nach XXXX , wäre der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie in Aserbaidschan, keiner ernsthaften Gefahr durch den Eintritt eines ernsthaften Schadens im Sinne entweder der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder einer Behandlung wie Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt.
Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde oder für ihnen als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestünde.
Der BF wird nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt.
Es existieren keine Umstände, welcher einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstehen.
1.2. Zum Herkunftsstaat:
Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt (Stand 25.07.2019 – letzte Information eingefügt 16.04.2020).
Politische Lage
Letzte Änderung: 16.4.2020
Aserbaidschan ist ein säkularer Staat mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Es herrscht ein im regionalen Vergleich bemerkenswertes Maß an Religionsfreiheit und religiöser Toleranz (AA 22.2.2019). Aserbaidschan ist eine Präsidialrepublik (AA 22.2.2019). Die Verfassung räumt dem Präsidenten weitreichende Vollmachten ein. Der Präsident ernennt und entlässt den Ministerpräsidenten und die Minister, die allein ihm verantwortlich sind. Er ist dem Parlament (Milli Mejlis) gegenüber nicht verantwortlich (AA 26.2.2020a). Die Nationalversammlung (Milli Mejlis) wirkt an der Gesetzgebung mit, spielt aber eine deutlich nachgeordnete Rolle. Staatspräsident Ilham Aliyev, der 2003 seinem Vater Heydar Aliyev nachgefolgt ist, dominiert das politische Leben (AA 22.2.2019). Obwohl Präsident Ilham Aliyev, immer noch der mächtigste Mann im Land ist, hat er im Gegensatz zu seinem verstorbenen Vater nur eine begrenzte Autorität, da er die Macht mit einigen sehr mächtigen Staatsbeamten und Oligarchen teilen muss. Das Parlament und die kommunalen Vertreter, obgleich vom Volk nominell gewählt, bleiben passive Teilnehmer im politischen Entscheidungsprozess. Parlamentarier sind oft Schützlinge und Verwandte von Oligarchen und einflussreichen Exekutivfunktionären. Sie führen lediglich Aufträge aus, die sie direkt vom Präsidentenbüro erhalten, das de facto der alleinige bestimmende Akteur der Legislative ist (BTI 2018).
Die Präsidentschaftswahlen am 11.04.2018 entsprachen nach Ansicht der internationalen Wahlbeobachter und des Auswärtigen Amts nicht den international anerkannten Standards. Das Wahlbeobachtungsamt der OSZE/ODIHR hatte zuvor am Monitoring der Parlamentswahlen am 01.11.2015 nicht teilgenommen. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die staatlich kontrollierten elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich erschwert. Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung. Parteien sind in Aserbaidschan nur rudimentär ausgeprägt. Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt (AA 22.2.2019).
Die Nationalversammlung ist seit 2005 ein Einkammerparlament mit 125 Mitgliedern. Alle Sitze werden in Einpersonenwahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben, ein Platz bleibt für Bergkarabach vakant. Die Legislaturperiode beträgt fünf Jahre (aktives Wahlrecht ab 18, passives ab 25 Jahre) (LIPortal 4.2018).
Bei der Parlamentswahl [Februar 2020] hat die bisherige Regierungspartei nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit geholt. Die Partei des seit 2003 mit harter Hand regierenden Präsidenten Ilham Alijew hat sich bei der vorgezogenen Wahl 65 der 125 Sitze im Parlament gesichert (DW 10.2.2020).
Internationale Wahlbeobachtungsmissionen stellten ernsthafte Unregelmäßigkeiten in allen Phasen des Wahlprozesses fest (vgl. DW 10.2.2020) und kritisierten den Mangel an echtem demokratischen Wettbewerb. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.4.2020
Die Kriminalitätsrate in Aserbaidschan ist niedrig. Von Reisen in die Region Bergkarabach sowie in die im Südwesten Aserbaidschans gelegenen, von armenischen Streitkräften besetzten und nur über die Republik Armenien zu erreichenden Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar wird dringend abgeraten. Dies gilt auch für die unmittelbar auf aserbaidschanischer Seite der Waffenstillstandslinie (Kontaktlinie) angrenzenden Gebiete. Es muss dort, sowie an der aserbaidschanisch-armenischen Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien, mit Schusswechseln gerechnet werden. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu Schusswechseln, außerdem besteht Minengefahr (AA 14.4.2020).
Trotz des Waffenstillstandes kommt es entlang der Waffenstillstandslinie immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen mit Todesopfern. Ein Sicherheitsrisiko besteht für die Region Bergkarabach und die angrenzenden Bezirke (Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar) (BMEIA 14.4.2020).
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 10.4.2020
Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch. In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z.B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig. Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren bestehen im Falle der Verhängung einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Jeder Bürger des Landes, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 22.2.2019).
Es gibt keine unabhängige Justiz. Die Gerichte sind korrupt und funktionieren als Strafmechanismus in den Händen der Exekutive. Die Situation hat sich durch eine Welle von Berufsverboten unabhängiger Verteidiger weiter verschlechtert. Die Regierung mischt sich massiv ein und hat das letzte Wort bei Gerichtsentscheidungen in politischen, wirtschaftlichen und anderen öffentlich sensiblen Fällen. Verteidiger spielen in hohem Maße nur eine formale Rolle und haben nur geringen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen. Die Anwaltskammer wird ebenfalls von der Exekutive kontrolliert und häufig als Instrument zur Bestrafung unabhängiger Verteidiger eingesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) bleibt weitgehend die letzte vertrauenswürdige Chance für Rechtssuchende in Aserbaidschan. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch die Entscheidungen der EMRK verzögert und sogar ignoriert (BTI 2018).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, agierten die Richter nicht unabhängig von der Exekutive. Die Justiz blieb weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile waren rechtlich nicht haltbar und standen weitgehend in keinem Zusammenhang mit den während des Prozesses vorgelegten Beweisen. Die Ergebnisse erschienen häufig vorgegeben. Die Gerichte haben es oft versäumt, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Das Justizministerium kontrollierte den Justizverwaltungsrat. Der Rat ernennt einen Auswahlausschuss (sechs Richter, einen Staatsanwalt, einen Rechtsanwalt, einen Ratsvertreter, einen Vertreter des Justizministeriums und einen Rechtswissenschaftler), der das gerichtliche Auswahlverfahren und die Prüfung administriert und die langfristige juristischen Ausbildung überwacht. Glaubwürdige Berichte zeigten, dass Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium erhielten, insbesondere in politisch sensiblen Fällen. Es gab glaubwürdige Anschuldigungen, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen. Am 3. April [2019] unterzeichnete der Präsident ein Dekret über begrenzte Reformen im Justizsektor. Das Dekret forderte eine Erhöhung der Richtergehälter, eine Erhöhung der Zahl der Richterposten (von 600 auf 800), Tonaufnahmen aller Gerichtsverfahren und die Einrichtung spezialisierter Handelsgerichte für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmertum. Das Dekret ordnete auch eine Erhöhung der Mittel für die kostenlose Prozesskostenhilfe an.
Das Gesetz schreibt die Unschuldsvermutung in Strafsachen vor. Es schreibt auch das Recht der Angeklagten vor, unverzüglich über die Anklagepunkte informiert zu werden, ein faires, zeitgerechtes und öffentliches Verfahren zu erhalten, bei der Verhandlung anwesend zu sein, mit einem Anwalt ihrer Wahl zu kommunizieren (oder einen Anwalt auf öffentliche Kosten stellen zu lassen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen), angemessene Zeit und Einrichtungen zur Vorbereitung der Verteidigung bereitzustellen, vom Zeitpunkt der Anklageerhebung an in allen Berufungsverfahren unentgeltlich Dolmetscher zu stellen, Zeugen bei der Verhandlung entgegenzutreten und Zeugenaussagen in der Verhandlung zu präsentieren und nicht gezwungen zu werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Sowohl Angeklagte als auch Staatsanwälte haben das Recht, Berufung einzulegen. Die Behörden haben diese Bestimmungen in vielen Fällen, die weithin als politisch motiviert galten, nicht eingehalten. Obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung von Staatsanwälten und Verteidigern vorschreibt, bevorzugen die Richter bei der Beurteilung von Anträgen, mündlichen Erklärungen und Beweisen, die von Verteidigern vorgelegt werden, oft Staatsanwälte, ohne Rücksicht auf die Begründetheit ihrer jeweiligen Argumente. Die Verfassung verbietet die Verwendung von illegal erlangten Beweisen. Trotz der Behauptungen einiger Angeklagter, dass die Polizei und andere Behörden durch Folter oder Missbrauch eine Zeugenaussage erhielten, berichteten Menschenrechtsbeobachter, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen, und es gab keinen unabhängigen forensischen Ermittler, der die Behauptungen des Missbrauchs untermauern konnte. Es gab keine wörtlichen Abschriften von Gerichtsverfahren.
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die inhaftiert, verhaftet oder einer Straftat beschuldigt werden, ein ordnungsgemäßes Verfahren erhalten, einschließlich der sofortigen Unterrichtung über ihre Rechte und den Grund ihrer Verhaftung. In Fällen, die als politisch motiviert galten, wurde das ordentliche Verfahren nicht eingehalten, und die Angeklagten wurden unter einer Vielzahl von falschen Anklagen verurteilt. Dem Gesetz nach sind Häftlinge innerhalb von 48 Stunden nach der Verhaftung einem Richter vorzuführen. Der Richter kann dann entweder einen Haftbefehl erlassen, der den Häftling in Untersuchungshaft nimmt oder diesen unter Hausarrest stellt, oder die Freilassung des Häftlings anordnen. In der Praxis haben die Behörden jedoch manchmal Personen für länger als 48 Stunden festgehalten. Die anfängliche Haftzeit von 48 Stunden kann unter bestimmten Umständen auf 96 Stunden verlängert werden. Während der Untersuchungshaft oder des Hausarrests muss die Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abschließen. Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach mutmaßlicher Straftat und den Erfordernissen der Untersuchung. Es gab Berichte darüber, dass Häftlinge nicht umgehend über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert wurden. Es gibt ein formales Kautionssystem, aber die Richter nützten es nicht. Das Gesetz sieht den Zugang zu einem Anwalt ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung vor, aber es gab Berichte, dass die Behörden den Zugang von Anwälten zu Mandanten sowohl in politisch motivierten als auch in Routinefällen häufig verweigerten. Aserbaidschan verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 11.3.2020).
Die Justiz ist korrupt und der Exekutive untergeordnet. Die Richter werden vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Die mangelnde politische Unabhängigkeit der Gerichte zeigt sich besonders deutlich in den vielen erfundenen oder anderweitig fehlerhaften Fällen, die gegen Oppositionelle, Aktivisten und kritische Journalisten vorgebracht werden. Die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht eingehalten. Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind üblich und die Gefangenen werden oft lange Zeit vor dem Prozess festgehalten. Politische Gefangene haben über einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsbeistand, das Fälschen und Vorenthalten von Beweisen und über körperliche Misshandlungen zur Erzwingung von Geständnissen berichtet. Obwohl nominell unabhängig, handelt die aserbaidschanische Anwaltskammer auf Anordnung des Justizministeriums und macht sich an der Schikane von Menschenrechtsanwälten mitschuldig. Die 2018 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sahen vor, dass nur Mitglieder der Anwaltskammer Mandanten vor Gericht vertreten dürfen. Seither hat die Vereinigung die meisten der aktiven Menschenrechtsanwälte des Landes ausgeschlossen, suspendiert oder bedroht, weil sie vor den Medien über Verletzungen der Rechte ihrer Mandanten gesprochen haben. In fast allen Disziplinarfällen haben die Gerichte die Entscheidungen der Anwaltskammer ohne eine gründliche Bewertung oder öffentliche Rechtfertigung bestätigt. Die Strafverfolgungsbehörden überwachten private Telefon- und Online-Kommunikation, insbesondere von Aktivisten, politischen Persönlichkeiten und ausländischen Staatsangehörigen, ohne gerichtliche Aufsicht. Die Verfolgung von Kritikern und ihren Familien durch die Regierung hat die Privatsphäre der gewöhnlichen Einwohner untergraben, genauso wie die Offenheit privater Diskussionen. Sogar Staatsbeamte wurden für ihre Aktivitäten in den sozialen Medien und die ihrer Familienmitglieder bestraft und Aktivisten wurden, aufgrund von nicht damit zusammenhängenden fabrizierten Anklagen, für kritische Facebook-Posts inhaftiert (FH 4.3.2020).
Die im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention eingeführte Individualverfassungsbeschwerde ermöglicht es jedem Bürger, sich an das Verfassungsgericht zu wenden. Die Judikative wird durch die verfassungs-, zivil- und strafrechtlichen Gerichtsverfahren sowie durch andere gesetzlich vorgesehene Formen verwirklicht. Die Judikative wird durch das am 04.07.1998 gebildete Verfassungsgericht, den obersten Gerichtshof, das Appellations- und Wirtschaftsgericht sowie durch Allgemein- und Sondergerichte Aserbaidschans vollzogen. Die neuen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden vom Parlaments auf Empfehlung des Präsidenten für zehn Jahre berufen. Zu den Quellen des Verfassungsrechts gehören auch Gesetze und Rechtsakte des Präsidenten, des Parlaments und der Regierung Aserbaidschans (LIPortal 4.2018).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Aserbaidschan unter einem erheblichen Mangel an Anwälten leidet. Laut dem Bericht der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) aus dem Jahr 2018 hatte Aserbaidschan zwischen 2010 und 2016 die geringste Anzahl von Anwälten pro 100.000 Einwohner im Gebiet des Europarates: Im Jahr 2016 kamen neun Anwälte auf 100.000 Einwohner, bei einem Durchschnitt von 162 Anwälten pro 100.000 Einwohner in den Mitgliedstaaten des Europarates. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Anwaltskammer und ihre Rolle bei der Vertretung und Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder zu stärken. Der Kommissar ist besorgt über die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen aus unzulässigen Gründen, wie z.B. wegen der Äußerung kritischer Standpunkte, sowie über das Fehlen klarer Kriterien für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen, insbesondere die Verhängung von Berufsverboten, und betont, dass Anwälte ethische Standards einhalten und in der Lage sein sollten, ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen beruflich tätig zu werden (CoE – CommDH 11.12.2019).
4. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 10.4.2020
Die Polizei untersteht dem Innenministerium, der innenpolitische Staatliche Sicherheitsdienst dem Präsidenten (AA 22.2.2019).
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Land verantwortlich und unterstehen direkt dem Präsidenten. Das Innenministerium unterhält die lokalen Polizeikräfte und interne Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für innere Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Fragen des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. NGOs berichteten, dass beide Dienste Personen festgenommen haben, die ihr Recht auf Grundfreiheiten ausgeübt haben. Zivile Behörden übten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die Regierung hat die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft. Straffreiheit blieb ein Problem. Es gab mehrere Berichte, dass die Regierung oder ihre Agenten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen begingen. Es gab keine Berichte über Verschwindenlassen
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 10.4.2020
Die Behörden weisen in der Regel Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen in der Haft ab und die Praxis wurde ungestraft fortgesetzt (HRW 14.1.2020).
Die Anwendung von Folter ist verboten und steht unter Strafe; ein durch Folter erlangter Beweis darf vor Gericht nicht verwendet werden. Es gibt glaubwürdige Berichte über Misshandlung verhafteter Personen im Polizeigewahrsam. Die überwiegende Zahl der berichteten Vorfälle soll sich auf Polizeistationen bzw. in Untersuchungshaft ereignet haben. Es gibt Hinweise, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind. Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwinden lassen“ liegen nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nicht praktiziert (AA 22.2.2019).
Während die Verfassung und das Strafgesetzbuch solche Praktiken verbieten, und bei Verurteilung Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vorsehen sind, gab es glaubwürdige Vorwürfe wegen Folter und anderer Misshandlungen. Die meisten Misshandlungen fanden statt, während sich die Inhaftierten in Polizeigewahrsam befanden (USDOS 11.3.2020), wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden zum Erwirken von Geständnissen einsetzten (USDOS 13.3.2019, vgl. FH 4.3.2020). Die Gerichte haben es oft versäumt, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Es gab auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
6. Korruption
Letzte Änderung: 8.4.2020
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2019 den 126. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2020).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung hat das Gesetz nicht effektiv umgesetzt, und Beamte, die an korrupten Praktiken beteiligt waren, blieben oft ungestraft. Während die Regierung bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene einige Fortschritte machte, gab es weiterhin Berichte über die Korruption von Regierungsbeamten, einschließlich derjenigen auf höchster Ebene. Die Behörden bestraften weiterhin Personen, die die Korruption der Regierung aufgedeckt hatten. Transparency International und andere Beobachter beschrieben Korruption als weit verbreitet. Es gab Berichte über Korruption in den Bereichen Exekutive, Legislative und Judikative der Regierung (USDOS 11.3.2020).
Korruption und Bestechung sind nach wie vor die größten Probleme. Auch bei der Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption vor den Gerichten wurden keine wesentlichen Verbesserungen erzielt. In den Urteilen der Zivil- und Strafsachen ist Korruption nach wie vor ein erheblicher Mangel, der die Entscheidungsfindung stark beeinträchtigt. Bislang gibt es keinen ernsthaften politischen Willen, das bestehende oligarchische System zu untergraben, das auf Vetternwirtschaft, Korruption auf höchster Ebene und persönlicher Loyalität und nicht auf Rechtsstaatlichkeit beruht. Trotz der Existenz der Staatlichen Kommission zur Korruptionsbekämpfung und der Anti-Korruptionsabteilung der Generalstaatsanwaltschaft Aserbaidschans wurden hauptsächlich Beamte mittlerer Ebene ins Visier genommen (BTI 2018).
Korruption ist allgegenwärtig. In Ermangelung einer freien Presse und einer unabhängigen Justiz werden Beamte nur dann für korruptes Verhalten zur Rechenschaft gezogen, wenn es den Bedürfnissen einer mächtigeren oder gut vernetzten Person entspricht (FH 4.3.2020)
7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 14.4.2020
Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
NGOs müssen, um finanzielle Zuwendungen oder Spenden erhalten zu können, als solche registriert sein, und auch jede einzelne Zuwendung in einem umständlichen Verfahren registrieren. Kritische NGOs, die im Bereich Menschenrechte/Demokratie agieren, erhalten regelmäßig keine Registrierung als NGO und sind somit vom Rechtsverkehr – insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Zuwendungsverträgen – ausgeschlossen. Zuwendungen von westlichen Geldgebern an unabhängige NGOs werden mit schwer erfüllbaren Registrierungsauflagen belegt; der Zuwendungsgeber muss seit Ende 2015 ebenfalls registriert werden. Zudem lehnen einige Geschäftsbanken es ab, Girokonten für NGOs zu führen. Zahlreiche herausgehobene Vertreter regierungskritischer NGOs haben seit August 2014 ihre Tätigkeiten eingestellt oder das Land verlassen. Von Druck auf die Vermieter von Büroflächen wird berichtet, welche Mietverträge mit NGOs, die kritischen Veranstaltungen Raum geben, vorzeitig zu beenden. In Einzelfällen werden Vermieter, die diesem Druck nicht nachgeben, mit faktischem Eigentumsentzug konfrontiert (AA 22.2.2019).
Die Regierung schränkte die Tätigkeit nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung von NGO-Aktivitäten und andere Belastungen hielt auf dem hohen Niveau der letzten Jahre an. Führende Menschenrechts-NGOs sahen sich einem feindlichen Umfeld für die Untersuchung und Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen gegenüber. Aktivisten berichteten auch, dass sich die Behörden weigerten, ihre Organisationen oder Zuschüsse zu registrieren. Infolgedessen waren einige Menschenrechtsverteidiger aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie dem Reiseverbot und eingefrorener Bankkonten, außerstande, ihrer beruflichen Verantwortung nachzukommen. Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NGOs kommunizierte und auf ihre Anfragen reagierte, kritisierte und schüchterte sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NGOs und Aktivisten ein. Das Justizministerium verweigerte weiterhin aus willkürlichen Gründen die Registrierung oder erlegte Menschenrechts-NGOs beschwerliche administrative Beschränkungen auf (USDOS 11.3.2020).
Präsident Ilham Alijew hat im März 2019 dutzende Menschenrechtler und politische Gegner begnadigt. Zu den 50 Menschen, die nun freigelassen werden sollen, gehören der Journalist Fikrat Faramasoglu und die Studenten Gijas Ibrahimow und Bayram Mammadow von der oppositionellen Jugendbewegung Nida. Die Begnadigungen sind Teil einer größeren Amnestie für insgesamt 431 Menschen (derStandard 16.3.2019).
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 14.4.2020
Nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Menschenrechtsverteidiger hat sich die Menschenrechtslage speziell im Bereich der politischen Rechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit) nach deutlicher Verschlechterung 2013–2015 nicht wieder verbessert. In den Bereichen wie Frauenrechte und Inklusion von Menschen mit Behinderung zeigt Aserbaidschan allerdings Interesse und Engagement (AA 22.2.2019).
Zu den Menschenrechtsfragen gehörten unrechtmäßige oder willkürliche Tötung; Folter; willkürliche Inhaftierung; harte und manchmal lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; allgegenwärtige Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; starke Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, einschließlich Gewalt gegen Journalisten, Kriminalisierung von Verleumdung, Belästigung und Inhaftierung von Journalisten aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen und Sperrung von Websites; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Zurückschicken von Flüchtlingen in ein Land, in dem sie einer Bedrohung für ihr Leben oder ihre Freiheit ausgesetzt würden; strenge Einschränkungen der politischen Partizipation; systematische Korruption der Regierung; Festnahme und Folter von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen durch die Polizei; und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, zu deren Beseitigung die Regierung nur minimale Anstrengungen unternahm. Die Regierung hat die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, nicht verfolgt oder bestraft (USDOS 11.3.2020).
Die aserbaidschanischen Behörden führten weiterhin rigide Kontrollen durch und schränkten die Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark ein. Die Regierung ließ über 50 Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Oppositionsaktivisten, religiöse Gläubige und andere vermeintliche Kritiker, die unter politisch motivierten Vorwürfen inhaftiert waren, frei. Mindestens 30 weitere blieben jedoch zu Unrecht inhaftiert, während die Behörden regelmäßig ihre Kritiker und andere abweichende Stimmen ins Visier nahmen. Andere Menschenrechtsprobleme blieben bestehen, darunter Folter und Misshandlung in der Haft, Verletzungen der Versammlungsfreiheit, unangemessene Einmischung in die Arbeit von Anwälten und Einschränkungen der Medienfreiheit. Die Behörden versuchten, Exil-Aktivisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Angehörigen in Aserbaidschan einschüchterten. Sicherheitsbeamte verhörten wiederholt Angehörige von Aktivisten mit Sitz im Ausland, um sie unter Druck zu setzen, ihre Verwandten zu denunzieren, und drohten ihnen mit Gefängnis, wenn ihre Verwandten ihren Aktivismus fortsetzen (HRW 14.1.2020).
Das Wiedererwachen des zivilen Aktivismus, insbesondere bei der jüngeren Generation, inspiriert