TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/18 G307 2234758-1

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Veröffentlicht am 18.09.2020
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Entscheidungsdatum

18.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35

Spruch

G307 2234758-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.09.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Marokko alias staatenlos, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst, gemeinnützige Gesellschaft mbH – ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zahl XXXX und die Anhaltung in Schubhaft seit XXXX .2020, 08:36 Uhr zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorIiegen.

III.    Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) Aufwendungen in Höhe von 887,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV.      Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Ersatz der Aufwendungen wird abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem am 04.09.2020 um 12:25 Uhr beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft seit XXXX .2020, 08:36 Uhr.

Auf Grund der entsprechenden Verfügung des BVwG zur Aktenvorlage vom 04.09.2020 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Niederösterreich noch am selben Tag der diesbezügliche Verwaltungsakt elektronisch übermittelt und eine Stellungnahme zur gegenständlichen Beschwerde erstattet.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 09.09.2020 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF nach polizeilicher Vorführung aus dem XXXX und ein Mitarbeiter seiner RV sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

Noch in der Verhandlung beantragte der BF die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum). Seine Staatsbürgerschaft ist noch nicht restlos geklärt. Aktuell geht das erkennende Gericht davon aus, dass er Staatsangehöriger Marokkos ist.

Der BF reiste eigenen Angaben zufolge illegal und schlepperunterstützt zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2007 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Jänner 2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, welcher am 11.05.2007 vollinhaltlich rechtskräftig negativ abgewiesen wurde.

Mit Bescheid des BFA vom 05.09.2018 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Marokko gemäß § 46 FPG zulässig sei, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 05.02.2019, Zahl I407 1310778-2/18E als unbegründet abgewiesen und erwuchs in Rechtskraft. Der BF blieb der an diesem Tag vor dem BVwG, Außenstelle Innsbruck durchgeführten mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt fern.

Der BF war – beginnend mit 09.02.2007 bis zum heutigen Tag – abgesehen von einer privaten Meldung bei XXXX in der XXXX vom XXXX .2007 bis XXXX .2007 – ausschließlich in Polizeianhaltezentren und Justizanstalten gemeldet. Sein Melderegisterauszug weist innerhalb der folgenden Zeitspannen Meldelücken auf, während derer dem Bundesamt der Aufenthalt des BF unbekannt war, weil er diesen nicht bekanntgegeben hat:

?        02.06.2007 bis 17.07.2007

?        22.09.2007 bis 27.02.2008

?        02.04.2008 bis 01.11.2010

?        08.11.2010 bis 09.10.2013

?        19.10.2013 bis 18.12.2013

?        25.12.2013 bis 02.01.2014

?        15.02.2014 bis 26.07.2015

?        06.11.2015 bis 15.04.2018

?        27.07.2018 bis 25.04.2019

Am XXXX .2014 um 15:30 Uhr wurde der BF von Beamten der Polizeiinspektion XXXX beim unrechtmäßigen Aufenthalt im Bereich der XXXX , nächst der XXXX in XXXX in stark alkoholisiertem Zustand angehalten und gemäß § 120 Abs. 1a FPG zur Anzeige gebracht.

Dem BF liegen folgende strafrechtliche Verurteilungen zur Last:

1.       Landesgericht für Strafsachen XXXX (LG XXXX ) zu Zahl XXXX vom XXXX .2015, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2015 wegen Körperverletzung, versuchter Nötigung und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 83 (1) StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 27 (1) Z 1 1.2. Fall SMG § 15 StGB § 27 (1) Z 1 8. Fall u (3) SMG, § 27 (1) Z 1 1.2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

2.       LG XXXX zu Zahl XXXX vom XXXX .2018, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2018 wegen Hehlerei und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 164 (1), 164 (2) StGB §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, wobei er am XXXX .2018 bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen wurde sowie

3.       LG XXXX zu Zahl XXXX vom XXXX .2019 in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2019 wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall SMG, §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3), 27 (5) SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten.

Das gegen den BF wegen Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft XXXX mit Strafantrag vom XXXX .2020 in Gang gesetzte Verfahren endete am XXXX .2020 mit einem Freispruch des BG XXXX gemäß § 259 Z 3 StPO zu Zahl XXXX .

Der BF verfügt im Bundesgebiet über keine sozialen oder familiären Anbindungen, er hat keine Deutschkenntnisse und finanzierte seinen Lebensunterhalt unter anderem durch die unerlaubte Ausübung von Beschäftigungen (Schwarzarbeit). Der BF war in Österreich bis dato nicht legal beschäftigt. Er kann auf keine private Unterkunft zurückgreifen.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF an irgendwelchen lebensbedrohlichen Krankheiten leidet.

Gegen den BF wurde erstmalig am XXXX .2007 durch die Bezirkshauptmannschaft XXXX die Schubhaft verhängt und der BF wegen Hungerstreiks am XXXX .2007 entlassen.

Am XXXX .2007 wurde der BF abermals in Schubhaft genommen und am XXXX .2007 wegen der infolge Hungerstreiks eingetretenen Haftunfähigkeit entlassen.

Die am XXXX .2010 von der Bundespolizeidirektion XXXX angeordnete Schubhaft wurde am XXXX .2010, also nach 6 Tagen, abermals wegen Haftunfähigkeit aufgrund eines Hungerstreiks beendet.

Der BF entzog sich dem ihm am XXXX .2018 vom BFA gegenüber verhängten gelinderen Mittel der Meldeverpflichtung, in dem er ab dem XXXX .2018 unbekannten Aufenthalts war.

Im Zuge der aktuellen, seit XXXX .2020 andauernden Schubhaft trat der BF bereits 2 Mal, nämlich am XXXX .2020 (bis XXXX .2020) und XXXX .2020 (bis XXXX .2020) in den Hungerstreik.

Der BF gab im Zuge seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BAA am 15.01.2007 an, er habe das Dorf XXXX in Algerien im Dezember 2006 verlassen. Zuvor habe er für etwa 20 Jahre in einem Lager namens XXXX in der Westsahara gelebt. In der am 03.06.2020 durchgeführten Befragung vor dem BFA brachte der BF vor, sein letzter Heimatort sei Dakhla in der von Marokko besetzten Westsahara gewesen, wo er über eine ID-Card verfügt habe, welche er bei seiner Ausreise dort gelassen habe.

Das BAA versuchte erstmalig am 18.09.2007, für den BF ein Heimreisezertifikat (HRZ) bei der marokkanischen Botschaft zu erlangen. Dieses wurde am 07.11.2011 urgiert.

Am 07.01.2013 erfolgte ein neuerliches, dahingehendes Ersuchen an die marokkanische Vertretungsbehörde, welches am 14.02.2013 in Erinnerung gerufen wurde.

Am 06.10.2015 unternahm das BFA erneut einen Versuch, bei der marokkanischen Botschaft ein HRZ zu erwirken.

Am 23.05.2016 richtete das BFA wiederum eine Anfrage um Ausstellung eines HRZ an die marokkanische Vertretungsbehörde.

Am 05.06.2020 erstattete das BFA ein Ersuchen um Ausstellung einer HRZ an die tunesische Botschaft

Am 07.05.2020 richtete die belangte Behörde abermals eine Urgenz an die Botschaft Marokkos.

Diese Verfahren sind laufend und werden regelmäßig urgiert, zuletzt am 20.08.2020 in Bezug auf Marokko und am 28.08.2020 hinsichtlich Tunesien. Weiters wurde am 12.05.2020 ein Personenfeststellungsverfahren mit den Staaten Marokko, Algerien und Tunesien über das Bundeskriminalamt initiiert. Außerdem ist seit 08.09.2020 ein HRZ Verfahren mit Algerien laufend.

Befindet sich ein Fremder – wie etwa hier – bei einem laufenden HRZ-Verfahren in Strafhaft, so ruht ein solches und muss nach Ende der Haft wieder neu eröffnet werden.

Am 27.03.2020 um 11:55 Uhr wurde dem BF Parteiengehör zur damals in Aussicht genommenen Erlassung der Schubhaft gewährt. Die dahingehende Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme blieb unbeantwortet.

Am 14.08.2020 stellte die RV des BF beim Bundesamt einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht, diese wurde am 25.08.2020 von der belangten Behörde eingeräumt und am 26.08.2020 durch Einsicht in den Mandatsbescheid und die Einvernahme in Schubhaft konsumiert. Im Zuge der am 09.09.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde dem BF Akteneinsicht in vollem Umfang eingeräumt.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Auf Grund des bisherigen Gesamtverhaltens und des in der Verhandlung hinterlassenen persönlichen Eindrucks tritt das erkennende Gericht im Ergebnis der Beurteilung der belangten Behörde bei, dass sich der BF bislang als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat.

Da der BF aktuell über kein Lichtbilddokument verfügt, ist gegenständlich (nur) von einer Vefahrensidentität auszugehen.

Der ursprüngliche Reiseweg des BF, die Stellung des Asylantrages und die gegen ihn verhängte Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ergeben sich aus der Ersteinvernahme vor dem BAA am 15.01.2007, dem Bescheid des BFA vom 05.09.2018, Zahl XXXX sowie dem am 05.02.2019 mündlich verkündeten Erkentnnis des BVwG, Zahl I407 1310778-2/18E.

Die Meldungen und diesbezüglichen – teils mehrjährigen – Lücken folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister.

Die Betretung des BF durch Beamte der PI XXXX ergibt sich aus der diesbezüglichen Anzeige zu XXXX vom XXXX .2014.

Die Verurteilungen des BF folgen dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich und der im Akt einliegenden Urteile des LG XXXX . Ebenso ergibt sich der Freispruch des BG XXXX aus der diesbezüglich im Akt befindlichen Urteilsausfertigung.

Im Akt – insbesondere in den medizinischen Unterlagen – fanden sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von (schwerwiegenden) Krankheiten auf Seiten des BF.

Dass der BF seinen Lebensunterhalt bisher großteils durch Schwarzarbeit finanziert hat, hat er in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 03.06.2020 dargetan. Der auf seinen Namen lautende Sozialversicherungsdatenauszug weist bis dato keine Beschäftigung aus.

Der BF hat in der besagten Einvernahme vor dem BFA zwar beteuert (Seite 3 von 7 unten), er besitzte Deutschkenntnisse des Niveaus „B1“, legte jedoch bisher keine dahingehenden Bescheinigungsmittel vor. Dass er sich „privat“ darum gekümmert habe, ersetzt kein Sprachzertifikat.

Der BF hat auf Seite 4 der erwähnten Befragung (vom 03.06.2020) zu Protokoll gegeben, über keine (persönlichen) Anbindungen im Bundesgebiet zu verfügen.

Die bisher gegen den BF verhängten Schubhaften sowie die diesbezüglichen Entlassungen wegen Hungerstreiks sind der Aktenvorlage wie dem Schreiben des BFA an das erkennende Gericht am 17.09.2020 zu entnehmen, worin die Hungerstreiks samt Dokumentation aufgelistet sind.

Der Antritt der Reise aus dem Dorf XXXX aus Algerien hat der BF in seiner ersten Asyleinvernahme am 15.01.2007 dezidiert angeführt, ebenso am 03.06.2020, dass sein letzter Wohnort Dakhla in der Westsahara (Marokko) gewesen sei. Auch, dass er seine ID-Card entgegen der Einvernahme in der mündlichen Verhandlung, wonach er diese von Kindheit an nicht mehr besitze, dort hinterlassen habe, brachte er in der letztgenannten Einvernahme vor.

Die an die marokkanische, algerische und tunesische Botschaft gestellten Anfragen auf Ausstellung eines HRZ sowie die dahingehenden Urgenzen sind aus den im Zuge der Beschwerdevorlage getätigen diesbezüglichen Anfragen an die jeweilige Vertretungsbehörde ersichtlich und decken sich mit den Ausführungen der Behördenvertreterin in der mündlichen Verhandlung.

Dass HRZ-Verfahren immer wieder von Neuem eingeleitet werden müssen, wenn ein Fremder in Strafhaft ist bzw. war oder untertaucht, hat die Behördenvertreterin in der Verhandlung glaubhaft versichert und wurde dies von der Beschwerdeseite auch nicht in Zweifel gezogen.

Dass der BF auf das ihm am 27.03.2020 nachweislich eingeräumte Parteiengehör (die unterfertigte Übernahme findet sich im Akt) nicht geantwortet hat, ist dem Umstand geschuldet, dass sich keine Stellungnahme hiezu im Akt befindet.

Der Ablauf der – in Teilen versagten – Aktensicht ergibt sich aus dem im Zuge der Beschwerde von der RV des BF vorgelegten Schriftverkehr zwischen der RV und der belangten Behörde sowie den Angaben des RV in der mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Beschwerdegegenstand und Prüfungsumfang:

Mit der gegenständlichen Beschwerde wurden die Anhaltung des BF in Schubhaft seit XXXX .2020, 08:36 Uhr sowie der Schubhaftbescheid angefochten.

3.2. Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A.I.):

Auf Grund des in der mündlichen Verhandlung festgestellten Sachverhaltes hat sich die seit dem soeben genannten Zeitpunkt andauernde Anhaltung in Schubhaft als rechtmäßig erwiesen:

Die belangte Behörde hat die Anordnung der Schubhaft gegen den unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen BF und die anschließende Anhaltung in Schubhaft ab XXXX .2020, 08:36 Uhr auf § 76 Abs. 2 Z 2 (iVm. Abs. 3) FPG gestützt. Sie ging dabei auf Grund der von ihr festgestellten Umstände vom Vorliegen eines Sicherungsbedarfs wegen Fluchtgefahr aus. Der BF hält sich seit 11.05.2007 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, durchlief ein für ihn in allen Spruchpunkten abweisendes Asylverfahren und besteht gegen ihn ein rechtskräftiges Einreiseverbot.

Ferner wurde der BF bis dato 3 Mal straffällig, verbrachte nahezu die gesamte Meldezeit in Polizeigewahrsam oder Strafhaft, war dazwischen unsteten Aufenthaltes, entzog sich dem Verfügungsbereich der Behörde, meldete dieser seinen jeweils aktuellen Aufenthalt nicht, hat keinerlei soziale, berufliche oder sonstige Anbindungen im Bundesgebiet, nahm von dem im Rahmen der Anordnung eines gelinderen Mittels bestehenden Meldegebot Abstand, finanzierte seinen Lebensunterhalt durch die unerlaubte Ausübung von Beschäftigungen und wirkte an der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes nicht mit. Ferner erzwang er in der Vergangenheit mehrfach die Entlassung aus der Schubhaft, in dem er in Hungerstreik trat. Dies, wie auch die Zeiten der Strafhaft machten die Erlangung eines HRZ immer wieder unmöglich, weil diese Verfahren derart von neuem eingeleitet werden mussten. Des Weiteren leugnete der BF in der mündlichen Verhandlung teils in den vorigen Einvernahmen zu seiner Person und seinen Verhältnissen getätigte Angaben, trotz dahingehend eindeutigen Akteninhalts.

Für das erkennende Gericht hat sich in der mündlichen Verhandlung unzweifelhaft ergeben, dass der BF sich nach wie vor als vertrauensunwürdig erweist. Insbesondere die Abstandnahme von seiner ursprünglichen Meldeverpflichtung in der Polizeiinspektion XXXX sowie der zwischen den Haftaufenthalten mehrfache unstete Aufenthalt deuten in diese Richtung.

Dem BF war von Seiten der belangten Behörde im Zuge des Verfahrens die beabsichtigte Anordnung der Schubhaft mitgeteilt worden, wozu er ebenso keine Stellungnahme erstattete.

Aus den dargelegten Gründen konnte die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgehen, dass der BF weiterhin von einer Mitwirkung Abstand nehmen wird und sich auch in Zukunft als vertrauensunwürdig erweisen wird.

3.3. Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft (Spruchpunkt A.II.):

Den oben unter Punkt 3.2. dargelegten Erwägungen zum Vorliegen eines konkreten Sicherungsbedarfs und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft kommt auch zum Zeitpunkt dieser Entscheidung unverändert Geltung zu. Darüber hinaus war im gegenständlichen Fall bei der Beurteilung des konkreten Sicherungsbedarfs (infolge Fluchtgefahr) der weiter fortgeschrittene Stand des Verfahrens maßgeblich zu berücksichtigen:

Dem BF kommt seit mehr als 13 Jahren kein Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Er war bis dato trotz zweier rechtskräftiger Entscheidungen – in keinster Weise bereit, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen.

Ein Schubhaftverfahren erfordert zwar keine Gewissheit darüber, dass es letztlich zu einer Abschiebung kommen könnte. Sie muss sich aber nach Lage des Falles bloß mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen (VwGH 11.05.2017, Ro 2016/21/0021).

Was – vor diesem Hintergrund – nun die Rückführung des BF in den noch festzustellenden Herkunftsstaat angeht, so steht dieser noch nicht endgültig fest. Er lieferte in der mündlichen Verhandlung betreffend seine ID-Karte widersprüchliche Angaben im Vergleich zu jenen in der Einvernahme vor dem BFA am 03.06.2020, wo er davon sprach, er habe diese in seinem letzten Aufenthaltsort Dakhla gelassen. Vor dem erkennenden Gericht wiederum führte er aus, er habe seit dem Kindesalter keine ID-Karte mehr. Auch wirkte er an der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes nicht mit. Die mehrfache Berufung des BF und seiner RV auf eine Staatenlosigkeit und die damit zusammenhängende Unmöglichkeit der Abschiebung sind daher (noch) nicht vakant. Zudem ist das Bundesamt sehr bestrebt, von den Staaten Marokko, Algerien und Tunesien sowie über das Bundeskriminalamt ein HRZ zu erlangen bzw. die Identität des BF endgültig zu klären. Wie bereits in den Feststellungen erwähnt und in der Beweiswürdigung dokumentiert, liegen die in der Vergangenheit vorgenommenen Beendigungen der Schubhaft und die damit zusammenhängende erfolglose Abschiebung nicht dem BFA, sondern dem BF zur Last. Weitere Bestrebungen, der Person des BF habhaft zu werden, scheiterten in der Vergangenheit an dessen Untertauchen.

Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde (opodo, checkfelix), finden in die nordafrikanischen Länder Tunesien, Algerien und Marokko, ja sogar nach Dakhla, regelmäßig Flüge statt. Somit ist die Abschiebung des BF auch in dieser Hinsicht nicht zum Scheitern verurteilt.

Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einer fehlenden sozialen Verankerung in Österreich nach wie vor als begründet. Der BF hat wiederholt erklärt, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, dass er nicht freiwillig zurückkehren wolle.

Ein – nunmehr verstärkter – Sicherungsbedarf zur Durchführung einer Rückführung in den Herkunftsstaat ist somit weiterhin gegeben. Ein gelinderes Mittel ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von Fluchtgefahr, zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht geeignet.

Nach dem Gesagten erweist sich auch das auf Seite 15 der VH-Schrift von Seiten des RV gemachte Vorbringen als nicht zutreffend.

Die Fortsetzung der Schubhaft wegen Fluchtgefahr erweist sich vor diesem Hintergrund und der aus aktueller Sicht durchführbaren Abschiebung nach Abwägung aller betroffenen Interessen als verhältnismäßig.

Die in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von sechs Monaten wurde zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht überschritten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3.4. Zu den Anträgen auf Ersatz der Aufwendungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe sinngemäß, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Den Ersatz von Aufwendungen im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) regelt § 35 VwGVG, wonach die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei hat. Als Aufwendungen gelten die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat, die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

Die Höhe der in solchen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge ist in der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013 idgF, geregelt (zur Zulässigkeit des Kostenzuspruchs siehe auch VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0144).

Gemäß § 35 Abs. 7 VwGVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag einer Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Da die Beschwerde abgewiesen und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft ausgesprochen wurden, ist die belangte Behörde gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG obsiegende und die beschwerdeführende Partei unterlegene Partei.

Die belangte Behörde hat fristgerecht beantragt, dem Bund Kostenersatz im Umfang des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes sowie des Verhandlungsaufwandes zuzusprechen.

Es war daher spruchgemäß dem BF als unterlegener Partei der zu leistende Aufwandersatz (Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) in der Gesamthöhe von 887,20 Euro aufzuerlegen.

Der in der Beschwerde gestellte Antrag des BF Partei auf Ersatz der Aufwendungen im beantragten Umfang war gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abzuweisen, da sie (gänzlich) unterlegene Partei ist und ein Aufwandersatz somit nicht in Betracht kommt.

3.5. Zur Akteneinsicht

Wenn in der Beschwerde vermeint wird, die Schubhaft habe sich während der Zeitspanne der verzögerten Akteneinsicht als rechtswidrig erwiesen, so liegt der BF hier nicht richtig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seinem Erkenntnis vom 29.05.2018, Zahl Ro 2017/15/0021 erwogen, dass das Recht auf Akteneinsicht ein wesentliches prozessuales Recht der Partei des Verwaltungsverfahrens darstelle. Wird die Akteneinsicht verweigert, so ist (spätestens) in der Begründung des das Verfahren abschließenden Bescheides nachvollziehbar darzulegen, welche Aktenteile davon betroffen sind und welche Umstände dies im konkreten Fall rechtfertigen (vgl. VwGH 11.5.2010, 2008/22/0284; 11.5.2016, 2013/02/0094, mwN). Eine unbegründete Verweigerung der Akteneinsicht wird im Allgemeinen - schon als Begründungsmangel - einen Verfahrensmangel betreffend die Sachentscheidung bewirken. Der Verfahrensmangel der nicht gewährten Akteneinsicht könnte aber dadurch heilen, dass im weiteren Verfahren - auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - Akteneinsicht gewährt wird (vgl. zB VwGH 19.3.1998, 96/15/0005, insoweit zum Parteiengehör; das Recht auf Akteneinsicht steht in engstem Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör, vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG2, § 17 Tz 1; VwGH 7.10.2010, 2006/17/0123, VwSlg 17973 A/2010).

Abgesehen davon, dass im Zuge der mündlichen Verhandlung der RV des BF und auch diesem umfassende Akteneinsicht eingeräumt und der bis dahin bestehende Mangel geheilt wurden, hat der BF nicht genau dargetan, weshalb sich die Schubhaft vom XXXX .2020 und XXXX .2020 als rechtswidrig erweise, zumal sich aus der Einvernahme des BF vor der belangten Behörde und dem Mandatsbescheid nicht nur die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft ableiten ließen, sondern auch auf die Vorfahren eingingen. Der BF gab somit nicht bekannt, warum das Ergebnis, hier die Verhängung der Schubhaft, durch eine vollumfängliche Akteneinsicht anders hätte lauten sollen.

3.6. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der einschlägigen Erkenntnisse des VwGH jeweils vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021 und Ra 2016/21/0144, insbesondere zur geltenden Rechtslage des § 76 FPG (im Zusammenhalt mit unionsrechtlichen Bestimmungen) und der Zulässigkeit eines Kostenzuspruchs und eines „Kostenrisikos“ nach § 35 VwGVG. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen ist, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2234758.1.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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