TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 W220 1255387-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W220 1255387-5/10E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Dr. XXXX , Rechtsanwalt in XXXX Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2016, Zahl: 216906101-14507938, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2020, zu Recht:

A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet zunächst am 07.03.2001 unter der Identität XXXX , geboren am XXXX , einen Antrag auf internationalen Schutz und in weiterer Folge am 21.03.2001 unter der Identität XXXX , geboren am XXXX , einen Antrag auf internationalen Schutz. Seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz zog der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme vor dem vormals zuständigen Bundesasylamt zu seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz zurück, da er gemäß eignen Angaben bei seinen persönlichen Daten gelogen hätte. Der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 21.08.2001 abgewiesen und wurde die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien festgestellt.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26.07.2001 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Am 19.12.2001 wurde die indische Botschaft um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer ersucht und in weiterer Folge regelmäßig urgiert.

Am 22.04.2004 stellte der Beschwerdeführer einen dritten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 03.11.2004 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des vormals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 18.01.2005 abgewiesen.

Am 18.07.2005 stellte der Beschwerdeführer (im Stand der Schubhaft) einen vierten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 04.08.2005 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde.

Im Zuge einer Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien am 08.09.2006 erklärte der Beschwerdeführer, dass sein richtiger Name XXXX und er am XXXX geboren sei.

Am 13.09.2006 stellte der Beschwerdeführer (im Stand der Schubhaft) einen fünften Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 16.11.2007 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde und wurde der Beschwerdeführer unter einem nach Indien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des vormals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.12.2007 abgewiesen.

Mit Schreiben vom 02.01.2007 teilte die indische Botschaft mit, dass nach Vorführung des Beschwerdeführers zur indischen Vertretungsbehörde unter Vorlage von Lichtbildern und einer Flugbuchungsbestätigung ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer ausgestellt würde. In weiterer Folge wurde für den Beschwerdeführer ein Flug am 14.08.2008 nach Indien gebucht und der Beschwerdeführer am 12.08.2008 (aus dem Stand der Verwaltungsstrafhaft) vor die indische Botschaft vorgeführt; die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde dabei veranlasst und als Termin zur Abholung des Heimreisezertifikates der 13.08.2008 bekanntgegeben. Der für den 14.08.2008 für den Beschwerdeführer gebuchte Flug nach Indien musste jedoch aufgrund der Stellung eines sechsten Antrages auf internationalen Schutz durch den Beschwerdeführer am 12.08.2008 storniert werden.

Der am 12.08.2008 gestellte, sechste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 02.09.2008 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis des vormals zuständigen Asylgerichtshofes vom 06.10.2008 abgewiesen und wurde der Beschwerdeführer unter einem nach Indien ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer befand sich von 21.07.2001 bis 10.08.2001, von 13.12.2001 bis 06.01.2002, von 17.03.2003 bis 26.03.2003, von 19.07.2005 bis 22.08.2005, von 06.09.2006 bis 02.10.2006 und von 30.03.2009 bis 24.04.2009 in Schubhaft; er musste jeweils aufgrund von durch Hungerstreik herbeigeführter Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen werden.

Am 02.04.2014 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 und gab an, dass in Österreich ein Privat- und Familienleben bestehe, da er vier Kinder und eine österreichische Frau habe. Der Beschwerdeführer legte diesem Antrag die Kopie eines von 23.06.1999 bis 22.06.2009 gültigen indischen Reisepasses, lautend auf den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , sowie eine indische Geburtsurkunde, lautend auf den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , bei. Weiters legte der Beschwerdeführer insbesondere (jeweils in Kopie) einen Staatsbürgerschaftsnachweis und einen Personalausweis der XXXX (im Folgenden: D. R.), geboren am XXXX , einen zwischen der Stadt Wien als Vermieterin sowie D. R. als Mieterin abgeschlossenen Mitvertrag für ein näher bezeichnetes Mietobjekt ab 21.09.2007, eine Anerkennung der Vaterschaft seitens des Beschwerdeführers für XXXX , geboren am XXXX (Mutter: D. R.), eine Geburtsurkunde für XXXX , geboren am XXXX , samt Anerkennung der Vaterschaft (Mutter: D. R.), einen Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichtes vom 16.03.2009, mit welchem die Vereinbarung der D. R. und des Beschwerdeführers als Eltern der XXXX über die gemeinsamen Obsorge pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde, einen Staatsbürgerschaftsnachweis für XXXX , geboren am XXXX , und eine Geburtsurkunde sowie einen Staatsbürgerschaftsnachweis für XXXX , geboren am XXXX , bei.

Mit Schreiben vom 16.06.2016 wurde der Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass einem Antrag auf Erteilung eines Titels „Aufenthaltsberechtigung“ aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 eine schriftliche Antragsbegründung sowie ein gültiges Reisedokument und eine beglaubigte Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument sowohl in Kopie als auch im Original beizuschließen seien. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen ab Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Antragsbegründung, ein gültiges Reisedokument und eine von der österreichischen Botschaft in Indien beglaubigte Geburtsurkunde mit Übersetzung, jeweils sowohl in Kopie als auch im Original, vorzulegen und wurde darüber belehrt, dass anderenfalls sein Antrag ohne inhaltliche Absprache zurückzuweisen wäre, wobei diese Zurückweisung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden sei. Weiters wurde der Beschwerdeführer zur Beantwortung näher angeführter Fragen aufgefordert, um den Sachverhalt unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers beurteilen zu können.

Mit Schreiben vom 04.07.2016 ersuchte der Beschwerdeführer durch seinen vormals ausgewiesenen Vertreter um Erstreckung der Frist bis 09.09.2016 zur Abgabe einer Stellungnahme bzw. Vorlage der erforderlichen Unterlagen, da der Beschwerdeführer für die Beschaffung dieser Unterlagen noch einige Zeit benötige. Mit Schreiben vom 04.08.2016 wurde seitens des vormaligen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers bekanntgegeben, dass das Vollmachtsverhältnis mit sofortiger Wirkung zur Auflösung gebracht würde.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 07.09.2016, Zl.: 216906101/14507938, wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 55 AsylG 2005 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe; der Beschwerdeführer habe weder einen gültigen Reisepass noch eine beglaubigte Geburtsurkunde im Original vorgelegt. Da der Beschwerdeführer trotz nachweislicher Aufforderung seiner Mitwirkungspflicht zur Klärung seiner Identität nicht nachgekommen sei, sei sein Antrag zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer sei spätestens am 06.03.2001 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe Österreich laut eigenen Angaben am 04.11.2005 verlassen, um nach Indien zurückzukehren, sei jedoch im Juni 2006 abermals illegal in das Bundesgebiet eingereist. Der Beschwerdeführer sei während seiner Aufenthalte in Österreich mehrfach straffällig geworden und sei sein Aufenthalt mit Ausnahme der sechs Verfahren zur den vom Beschwerdeführer unter verschiedenen Identitäten zu Unrecht gestellten Anträgen auf internationalen Schutz unrechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe von Juli 2004 bis Mai 2007 Leistungen aus der Grundversorgung bezogen und sei einer unerlaubten Beschäftigung nachgegangen, ohne über die notwendige arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu verfügen. Der Beschwerdeführer habe kein Sprachdiplom vorgelegt. Er sei seit 29.03.2012 aufrecht im Bundesgebiet gemeldet; davon sei er lediglich zeitweise in näher genannten Zeiträumen gemeldet gewesen. Der Beschwerdeführer behaupte ein tatsächliches Familienleben und begründe dies mit einer Frau und vier Kindern, eine Heiratsurkunde sei jedoch nicht vorgelegt worden und sei auch nicht nachgewiesen, dass es sich bei allen vier Kindern um die leiblichen Kinder des Beschwerdeführers handle. Eine Vaterschaftserklärung sei zum Kind XXXX vorgelegt worden, dessen Obsorge dem Beschwerdeführer und D. R. entzogen worden sei und das nicht im Familienverband lebe. Zum Kind XXXX , dessen Obsorge für mehrere Monate entzogen worden und bezüglich dessen eine Heimunterbringung erfolgt sei, sei eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt worden. Beim Kinder XXXX sei weder eine Geburtsurkunde noch eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt worden, beim Kind XXXX lediglich eine Geburtsurkunde ohne eingetragenen Vater. Das gemeinsame Familienleben habe sich mangels seitens des Beschwerdeführers getätigter Angaben lediglich auf die Zeiträume beschränkt, während derer der Beschwerdeführer mit seiner behaupteten Familie an der gleichen Anschrift gemeldet gewesen sei. Das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem der Beschwerdeführer sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sei. Aus dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers gehe hervor, dass er weder gewillt sei, sich zu integrieren noch österreichische Gesetze zu respektieren. Im Fall des Beschwerdeführers sei weder die Identität noch ein ausgeprägtes Familienleben nachwiesen worden; eine Abwägung der Interessen müsse daher eindeutig zu Lasten des Interesses des Beschwerdeführers an seinem Verbleib in Österreich zu Gunsten des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gehen. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien sei zulässig; dem Beschwerdeführer drohe keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung im Fall einer Abschiebung nach Indien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 28.09.2016 fristgerecht Beschwerde und führte zusammengefasst aus, dass er im Jahr 2001 nach Österreich gekommen wäre und seit vielen Jahren bzw. nach wie vor in Lebensgemeinschaft mit der österreichischen Staatsangehörigen D. R. lebe; dieser Verbindung würden vier Kinder entstammen, welche ebenso die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen. Der Beschwerdeführer sei unangemeldet beschäftigt; die Entlohnung sei gering. Der Beschwerdeführer erwirtschafte so den Unterhalt der Kinder; seine Lebensgefährtin sei derzeit nicht beschäftigt und erhalte Arbeitslosenunterstützung sowie Sozial- und Familienbeihilfe. Der Beschwerdeführer sei bei seiner Lebensgefährtin krankenversichert und spreche fließend Deutsch. An Dokumenten besitze der Beschwerdeführer nur, was er vorgelegt habe. Der Beschwerdeführer verweise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (C-34/09, Zambrano) in einer teilweise vergleichbaren Sachverhaltskonstellation. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers könne nicht alleine für die vier Kinder sorgen; die Kinder müssten daher mit dem Beschwerdeführer nach Indien reisen, was unzumutbar wäre, und weshalb dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht zukomme.

Mit (dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis gebrachten) Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung – Magistratsabteilung 35, vom 04.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.03.2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ nach dem NAG zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer seinen beantragten Aufenthaltszweck nach Überprüfung und Aufforderung der Behörde nicht abgeändert habe.

Am 17.09.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt und unter einem die Gelegenheit geboten wurde, zur aktuellen Situation in Indien Stellung zu nehmen. Weiters wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt und der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien. Er führt derzeit den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Punjabi.

Der Beschwerdeführer ist im Punjab in Indien geboren und aufgewachsen. Er hat acht Jahre die Schule besucht und in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Die Mutter, der Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Indien; der Beschwerdeführer pflegt regelmäßig Kontakt zu seinen in Indien lebenden Familienangehörigen.

Der Beschwerdeführer reiste im März 2001 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte zwischen den Jahren 2001 und 2008 unter verschiedenen Identitäten insgesamt sechs Anträge auf internationalen Schutz in Österreich, welche alle ab- bzw. zurückgewiesen wurden. Zuletzt wurde der am 12.08.2008 zur Vereitelung der bereits organisierten Abschiebung nach Indien gestellte, sechste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, infolge dessen der für den Beschwerdeführer gebuchte Flug nach Indien storniert werden musste, mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 02.09.2008 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen; die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis des vormals zuständigen Asylgerichtshofes vom 06.10.2008 abgewiesen und wurde der Beschwerdeführer unter einem nach Indien ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat verschiedene Angaben zu seiner Identität gemacht; zahlreiche, an die indische Botschaft gerichtete Urgenzen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer blieben erfolglos.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2001 mit zeitlichen Unterbrechungen in Österreich auf; er ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer war von 12.09.2001 bis 16.07.2003, 01.07.2004 bis 11.11.2005, 02.06.2006 bis 23.03.2007, 26.06.2007 bis 05.01.2009, 29.03.2012 bis 10.01.2018 bzw. ist seit 14.12.2018 im österreichischen Bundesgebiet meldebehördlich gemeldet. Wo sich der Beschwerdeführer seit seiner unrechtmäßigen Einreise im Jahr 2001 tatsächlich aufgehalten hat, steht nicht fest; der Beschwerdeführer hat diesbezüglich unterschiedliche Angaben getätigt.

Der Beschwerdeführer verfügte in Österreich nie über ein Aufenthaltsrecht außer der ihm während der Verfahren über seine Anträge auf internationalen Schutz (zuletzt im Jahr 2008) zukommenden vorübergehenden Aufenthaltsberechtigungen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich seit dem Jahr 2004 Erwerbstätigkeiten nachgegangen, insbesondere als Hilfsarbeiter, ohne über eine Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung zu verfügen. Der Beschwerdeführer war und ist sich bewusst, dass er Erwerbstätigkeiten nachging bzw. –geht, ohne dazu berechtigt zu sein.

Der Beschwerdeführer führt mit der in Österreich geborenen und lebenden österreichischen Staatsangehörigen D. R. eine Beziehung. Der Beschwerdeführer kennt seine Lebensgefährtin seit etwa siebzehn Jahren.

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers hat sechs in Österreich geborene Kinder österreichischer Staatsangehörigkeit, wobei der Beschwerdeführer – teils mehrere Jahre nach der Geburt der Kinder – die Vaterschaft bisher offiziell für vier der Kinder anerkannt hat:

1. XXXX , geboren am XXXX , Vaterschaft anerkannt am 29.07.2004, lebt seit mehreren Jahren bei einer Pflegefamilie und nicht im gemeinsamen Familienverband mit dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin;

2. XXXX , geboren am XXXX , Vaterschaft anerkannt am 08.02.2007;

3. XXXX , geboren am XXXX , Vaterschaft anerkannt am 12.09.2017;

4. XXXX , geboren am XXXX , Vaterschaft anerkannt am 12.09.2017;

5. XXXX , geboren am XXXX , Vaterschaft bisher nicht anerkannt;

6. XXXX XXXX geboren am XXXX , Vaterschaft bisher nicht anerkannt.

Seit dem 30.01.2020 sind der Beschwerdeführer, seine Lebensgefährtin und die Kinder XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX (wieder) an derselben Adresse gemeldet und besteht derzeit ein gemeinsamer Haushalt zwischen den genannten Personen. Vor diesem Zeitpunkt waren der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin bzw. die bestehenden Kinder lediglich selten und in geringfügigen Perioden an derselben Adresse gemeldet.

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers betreibt selbständig und allein einen Marktstand und bezieht Kinderbeihilfe. Der Beschwerdeführer wird von seiner Lebensgefährtin finanziert; er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist nicht auf eine Unterstützung durch den Beschwerdeführer angewiesen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht kranken- und unfallversichert. Er verfügt über keine engen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Er spricht Deutsch; einen Deutschkurs oder eine Deutsch- bzw. Integrationsprüfung hat er ebenso wenig absolviert wie sonstige Kurse, Prüfungen oder Ausbildungen.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX 2018, rechtskräftig seit 15.05.2020, GZl.: XXXX , wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten, auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

Am 02.04.2014 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005.

Mit Schreiben vom 16.06.2016 wurde der Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass einem Antrag auf Erteilung eines Titels „Aufenthaltsberechtigung“ aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 eine schriftliche Antragsbegründung sowie ein gültiges Reisedokument und eine beglaubigte Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument sowohl in Kopie als auch im Original beizuschließen seien. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen ab Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Antragsbegründung, ein gültiges Reisedokument und eine von der österreichischen Botschaft in Indien beglaubigte Geburtsurkunde mit Übersetzung, jeweils sowohl in Kopie als auch im Original, vorzulegen und wurde darüber belehrt, dass anderenfalls sein Antrag ohne inhaltliche Absprache zurückzuweisen wäre, wobei diese Zurückweisung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden sei.

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder dem Bundesverwaltungsgericht keinen gültigen Reisepass vorgelegt, weder im Original noch in Kopie. Der Beschwerdeführer hat auch keine Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument im Original vorgelegt.

Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Zu aktuellen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers werden nachstehende, auszugsweise getroffene Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Indien vom 30.03.2020, zuletzt aktualisiert am 22.07.2020, konstatiert:

„[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.7.2020

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 11.2019a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 12.2020).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer, Anm.) (GIZ 11.2019a), die das staatliche Gewaltmonopol gebietsweise infrage stellen (AA 19.7.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Morden und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2019).

Erhebungen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an. Angaben zu Folge haben Rebellen illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen beteiligt. Zehntausende von Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 19.7.2019).

[…]

Regionale Problemzone Punjab

Letzte Änderung: 30.03.2020

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2019).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Militante der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 8.2019). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 8.2019).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind niedrigkastige oder kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 8.2019).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 8.2019).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 8.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 22.7.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 19.7.2019). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 8.2019). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 19.7.2019). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 19.7.2019).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 19.7.2019). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 19.7.2019). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2019). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2019).

Den indische Sicherheitskräften werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (FH 4.3.2020) und auch den separatistischen Rebellen und Terroristen im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, im Nordosten und in den von den Maoisten beeinflussten Gebieten werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde, Folterungen von Angehörigen der Streitkräfte und der Polizei, sowie von Regierungsbeamten und Zivilisten vorgeworfen. Aufständische sind ebenso für die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

Todesstrafe

Letzte Änderung: 22.7.2020

Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Memorandum in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 22.11.2012). 2019 wurden 102 Personen zum Tode verurteilt (AI 21.4.2020). Mit 162 Todesurteilen im Jahr 2018 wurden 162 Todesurteile ausgesprochen, 2017 waren es 109 (AA 17.9.2019). 2015 wurde in mehr als 75 Fällen die Todesstrafe verhängt (AI 6.4.2016; vgl. HRW 18.1.2018). Eine Person wurde hingerichtet (AI 6.4.2016).

Demnach haben im Berichtzeitraum lokale Strafgerichte mehr Todesstrafen ausgesprochen als in den vergangenen zwei Jahrzehnten zuvor. Der Oberste Gerichtshof bewegt sich jedoch in die entgegengesetzte Richtung; von insgesamt zwölf Revisionen im Zusammenhang mit Todesurteilen wurden elf in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt (AA 19.7.2019).

Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht infrage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle („rarest of rare cases“) auf (AA 19.7.2019).

Vergewaltigungen von Mädchen unter 12 Jahren können seit August 2018 mit der Todesstrafe geahndet werden. (AA 19.7.2019). Am 20.3.2020 wurden vier Todesurteile im Fall einer 2012 begangenen Gruppenvergewaltigung vollstreckt (ZO 20.3.2020; vgl. BBC 20.3.2020, IT 20.3.2020)

Etwa 400 bis 500 Gefangene sitzen in Todeszellen (AA 21.4.2020; vgl. HRW 18.1.2018, DW 5.5.2017; vgl. AA 19.7.2019). In den vergangenen zehn Jahren wurden in Indien sieben Todesurteile vollstreckt (AA 19.7.2019; vgl. ZO 20.3.2020, BBC 20.3.2020, IT 20.3.2020).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 22.7.2020

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 19.7.2019), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020). Religionsfreiheit wird im Allgemeinen auch in der Praxis respektiert (FH 4.3.2020) und kaum eingeschränkt (AA 19.7.2019). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 8.2019). Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 19.7.2019). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 28.04.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020).

In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 19.7.2019).

Die größten religiösen Gruppen, nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung aus dem Jahr 2011, sind Hindus (79,8 Prozent), Muslime (14,2 Prozent), Christen (2,3 Prozent) und Sikhs (1,7 Prozent) (CIA Factbook 28.2.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder „Verlockung“ erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 4.3.2020). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch „Betrug“, „Gewalt“ und „Anstiftung“ umfassen. Die Definition von „Verführung“ wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 19.7.2019). Die Datenlage zur Entwicklung von Hassverbrechen in Indien in den letzten Jahren ist uneinheitlich und erschwert eine genaue Einordnung. Die Zahl stieg im Vergleich zu den Vorjahren auf 822 Vorfälle (111 Tote, 2.384 Verletzte) im Jahr 2017 wieder an (AA 19.7.2019). Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch die Vorfälle kommunaler Gewalt hielten im Jahr 2019 an (USDOS 10.6.2020).

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 30.03.2020

Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 8.2019). Die Verfassung enthält eine Garantie zum Schutz vor Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, ethnischer Herkunft, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort (USDOS 11.3.2020).

Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 11.3.2020). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit jedoch weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. BAMF 30.9.2019). Kritiker behaupten, dass viele der Unterstützungsprogramme zur Förderung Angehöriger der unteren Kasten an den Folgen einer mangelhafter Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 11.3.2020).

Noch immer werden in Indien – trotz umfangreicher Förderprogramme und verfassungsmäßigem Verbot der Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit – Angehörige von niederen Kasten und Kastenlose (sogenannte Dalits, offiziell: „Scheduled Castes“, rund 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) diskriminiert. Diese Benachteiligung ist in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt, fußt auf sozialen und religiösen Traditionen und verläuft vielfach implizit (AA 19.7.2019).

Über gewalttätige Übergriffe wird immer wieder berichtet. Laut nationaler Kriminalitätsstatistik hat die Anzahl von kastenbezogenen Verbrechen von 2010 bis 2016 um 25 Prozent zugenommen. Im Jahre 2016 wurden 41.000 Fälle verzeichnet (AA 19.7.2019).

Indiens Minderheitengruppen - vor allem Muslime, Dalits und Adivasi, sind zwar rechtlich gleichberechtigt, bleiben jedoch wirtschaftlich und sozial marginalisiert (FH 4.2.2019).

Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 11.3.2020).

Im Nordosten des Landes, sind die Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land und die Verteilung der Erträge vor allem ethno-politischer Natur. Die Hauptursachen, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen, liegen zum einen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit, Rückständigkeit und politischen Marginalisierung der Region und zum anderen in den Konflikten zwischen den kulturell und ethnisch sehr unterschiedlichen Stammes- und Bevölkerungsgruppen. Die Nordostregion unterscheidet sich kulturell und ethnisch erheblich vom restlichen Indien. Bis heute fühlt sich die lokale Bevölkerung um ihre wirtschaftliche und politische Macht betrogen (BPB 12.12.2017). Die Situation von Kindern aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften bleiben weiterhin in ganz Indien ein ernsthaftes Problem (HRW 17.1.2019).

Mob-geleitete Gewaltakte durch extremistische Hindu-Gruppen, die der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) angehören setzten sich das ganze Jahr 2019 über fort (HRW 14.1.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 30.03.2020

In Indien lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem veranschlagten Existenzminimum der Vereinten Nationen. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine das Überleben sichernde Nahrungsversorgung auch der untersten Schichten der Bevölkerung zum Großteil gewährleistet. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 8.2019).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und in 2017/18 bei 6,75 Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4.9 Prozent und für 2020 wird ein Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Indien zählt damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt (BICC 12.2019).

20167 lag die Erwerbsquote Bundesamtbei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Es gibt immer noch starke Unterschiede bei der geschlechtlichen Verteilung des Arbeitsmarktes (FES 9.2019). Indien besitzt mit 520,199 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2017 lag die Arbeitslosenquote bei 3,5 Prozent (StBA 26.8.2019).

Der indische Arbeitsmarkt ist durch die Tätigkeit im „informellen Sektor“ dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem sogenannten „informellen Sektor“ zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 5049 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (Shah-Paulini 2017).

Die Regierung hat überall im Land rund 1.000 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 3.9.2018; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Staaten in Indien geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 3.9.2018).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 12.2019).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 3.9.2018).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).

55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 19.7.2019).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID Nummer ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar, arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 22.7.2020

Eine gesundheitliche Mindestversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchwegs unzureichend. Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 8.2019).

Staatliche Krankenhäuser bieten Gesundheitsversorgung kostenfrei oder zu sehr geringen Kosten an (BAMF 3.9.2018), stellt sich jedoch durchweg unzureichend dar (AA 19.7.2019). Zudem gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 3.9.2018). Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 26.8.2019) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (GTAI 23.4.2020).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.500 solcher Kliniken in Indien, von denen 15.700 von nur einem Arzt betrieben werden. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 3.9.2018).

Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 3.9.2018).

Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der mit jenem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 19.7.2019).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 3.9.2018).

Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 3.9.2018).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 19.7.2019). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 3.9.2018). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 19.7.2019). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 3.9.2018).

Rückkehr

Letzte Änderung: 30.03.2020

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 19.7.2019). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 8.2019; vgl. AA 19.7.2019). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 8.2019).

[…]“

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Namen, zum Geburtsdatum, zur Staatsangehörigkeit und der Muttersprache des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im gegenständlichen Verfahren (Seiten 3 und 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Feststellungen zum Geburtsort, der Schulbildung, der Berufsausübung und den Familienangehörigen des Beschwerdeführers bzw. dem Kontakt zu diesen ergeben sich aus den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers sowie seiner als Zeugin einvernommenen Lebensgefährtin in der mündlichen Verhandlung (Seiten 6 und 14f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Feststellungen zur unrechtmäßigen Einreise des Beschwerdeführers sowie zur Stellung der Anträge auf internationalen Schutz unter verschiedenen Identitäten ergeben sich aus dem Akteninhalt (insbesondere zur Organisation der Abschiebung, der neuerlichen Antragstellung sowie der Stornierung des Fluges AS 718 bis 725 im betreffenden Verwaltungsakt) und den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Seite 4 Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Feststellungen zur Angabe verschiedener Identitätsdaten durch den Beschwerdeführer ergeben sich aus dem Akteninhalt. In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer ausdrücklich erklärt, dass er seit 2005 oder 2006 bei den Behörden seine richtige Identität bekanntgegeben habe (Seite 10 der Niederschrift der Verhandlung). Einer Einvernahme des Beschwerdeführers vom 22.07.2005 ist dazu zu entnehmen, dass er sein Geburtsdatum richtigstellen wolle, dies sei der „ XXXX “; sein Familienname laute richtig XXXX (AS 328 im betreffenden Verwaltungsakt). In einer ein Jahr später stattgefundenen Einvernahme am 08.09.2006 gab der Beschwerdeführer allerdings an, dass sein richtiger Name XXXX und er am XXXX geboren sei. Im Jahr 2006 gab der Beschwerdeführer damit zuletzt das Geburtsdatum XXXX an; im Verfahren über den gegenständlichen Antrag vermeinte der Beschwerdeführer nunmehr neuerlich, sein richtiges Geburtsdatum sei der – im Jahr 2005 angegebene – „ XXXX “ (Seiten 4 und 10 der Niederschrift der Verhandlung). Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe seit 2005 oder 2006 seine richtige Identität bekanntgegeben, ist angesichts dessen nicht nachvollziehbar. Die Identität des Beschwerdeführers steht damit nach wie vor nicht fest, obwohl nicht nachvollziehbar erscheint, weshalb es dem Beschwerdeführer, der laufend intensiven Kontakt zu seiner Mutter und zu seinem Bruder pflegt, nicht möglich sein sollte, seine Identität zweifelsfrei nachzuweisen, und hat der Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft gemacht, dass er sich jemals um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht hätte; dies ist bereits aus den unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität in Verbindung mit den widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin zum Aufsuchen der indischen Botschaft – der Beschwerdeführer gab an, zweimal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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