Entscheidungsdatum
19.10.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G303 2222867-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 25.07.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 08.04.2019 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.
Dem Antrag waren ein Konvolut an medizinischen Befunden, eine Kopie eines abgelaufenen Parkausweises, ein persönliches Schreiben vom 05.04.2019 sowie ein Therapieplan angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.
2.1. In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 24.05.2019, wurde, nach erfolgter persönlicher Untersuchung des BF am 16.05.2019, hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragung zusammengefasst folgendes festgehalten:
Es seien keine Einschränkungen des Bewegungsapparates, des Herzkreislauf- oder Lungensystems oder der Psyche in der Weise vorhanden, dass ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln aus eigener Kraft nicht zumutbar wäre. Die Gelenksbeweglichkeit der Beine lasse das Ein- und Aussteigen bzw. das Überwinden der üblichen Niveauunterschiede zu. Das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 Metern – allenfalls unter Verwendung eines Hilfsmittels sei möglich und Haltegriffe könnten benützt werden. Eine hochgradige cardiopulmonale Einschränkung liege nicht vor. Auch liege keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 29.05.2019 wurde dem BF zum Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
4. Mit Schreiben vom 13.06.2019 brachte der BF in seiner schriftlichen Stellungnahme zusammengefasst vor, dass er mit dem Lift in den 1. Stock gefahren sei und Walkingstöcke als Gehhilfe benutzt habe, die er im Wartezimmer abgestellt habe. Beim Eintreten in die Ordinationsräume hätte sich der BF an seiner Gattin oder an der Einrichtung anhalten können. Der BF sei beim Lagewechsel auf der Untersuchungsliege sehr wohl auf die Hilfe von Frau Dr. XXXX angewiesen gewesen. Der BF schlafe nicht gut und müsse seine Gattin zwei Mal pro Nacht seinen Rücken und Beine mit Voltadol einreiben. Er nehme auch in der Nacht eine Schmerztablette, da er sonst vor Schmerzen nicht schlafen könne. Dem BF seien fortlaufende Behandlungen empfohlen worden. Derzeit mache er die physikalischen Behandlungen im Physikalischen Institut in Knittelfeld. Die regelmäßigen Arztbesuche würde der BF mit dem Auto viel leichter bewältigen. Der BF legte weitere medizinische Beweismittel vor.
5. Die belangte Behörde ersuchte aufgrund der gemachten Einwendungen des BF die ärztliche Sachverständige Dr. XXXX um eine medizinische Stellungnahme.
5.1. In der aktenmäßig erstellten Stellungnahme von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 12.07.2019, wurde ausgeführt, dass bei der Untersuchung die Gelenksbeweglichkeit und die Gehfähigkeit in dem Maße vorhanden gewesen sei, dass das Benützen eines öffentlichen Verkehrsmittels dem BF zugemutet werden könne.
Der BF habe vom 19.02. bis 12.03. erfolgreich einen Kuraufenthalt im Rahmen der Gesundheitsvorsorge Aktiv absolviert und habe das Modul Bewegung gewählt. Der Entlassungsbericht habe die Gehfähigkeit und ein umfassendes aktives Therapieprogramm bestätigt. In der Kur-Anamnese gebe der BF als regelmäßige sportliche Aktivität Radfahren, 2 x Woche Gehen bis 2 Stunden pro Woche an. Regelmäßige Therapien seien sicherlich zur Erhaltung der Gehfähigkeit und Beweglichkeit notwendig und würden vom BF auch angestrebt werden. Zusammenfassend sei die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels, allenfalls unter Verwendung eines geeigneten Hilfsmittels bzw. einer wirksamen Schmerzmedikation möglich.
6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.07.2019 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten und die Stellungnahme von Dr. XXXX wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, zitiert. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.
7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 19.08.2019 bei der belangten Behörde fristgerecht Beschwerde. Darin führte der BF im Wesentlichen aus, dass er den Behindertenpass wegen seiner damaligen Behinderung im Jahr 1991 bekommen habe. Leider habe sich sein Gesundheitszustand sehr verschlechtert. Der BF müsse neben täglicher Schmerzmitteleinnahme auch fortlaufend physikalische Behandlungen machen, und benötige dazu sein Auto. Für kurze Strecken müsse der BF Stöcke verwenden. Sein Schlaf sei wegen der Schmerzen sehr schlecht, und müsse der BF in der Nacht mit Einreibungen seiner Gattin versorgt werden. Auch bei der Bewältigung des Tagesablaufes sei ihm seine Gattin behilflich. Der BF ersucht um eine Patientenanhörung und legte weitere medizinische Beweismittel vor.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 27.08.2019 vorgelegt.
9. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Begutachtung und Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt.
9.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 15.06.2020 wird, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF am selben Tag, zur beantragten Zusatzeintragung folgendes festgehalten:
Beim BF bestehe eine höhergradige Abnützung im Bereich der Wirbelsäule, wobei sowohl die Halswirbelsäule als auch noch stärker die Lendenwirbelsäule betroffen sei. Im Bereich der Lendenwirbelsäule seien Ausstrahlungsschmerzen nachvollziehbar und klinisch objektivierbar. Es müsse jedoch auch festgehalten werden, dass nur eine Schmerzmedikation der WHO Stufe I etabliert sei. Weiters bestehe eine Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten Schulter auf Grund einer Sehnenkappenabnützung mit Hantierfunktionseinschränkungen über Kopf sowie eine Beinlängendifferenz, welche durch orthopädische Schuhe und Einlagen kompensiert sei. Die Zehenfehlstellung geringen Ausmaßes bedinge keine schwerwiegenden Funktionseinschränkungen im Bereich der unteren Extremität. Eine relevante Wegstrecke sei unter Zuhilfenahme von Hilfsmittel als umsetzbar anzusehen. Mitunter sei eine Pause wie angegeben notwendig. Das zügige Überwinden von Niveauunterschieden erscheine aufgrund der Gesamtbeweglichkeit nicht wirklich als umsetzbar anzusehen. Der sichere Transport, aufgrund des unsicheren Standes, erscheine nur im Sitzen wirklich gegeben.
Zum Gangbild und zur Mobilität des BF wurde festgehalten, dass der BF mit zwei Walkingstöcken gekommen sei, die er im Warteraum abgestellt habe. Der Gang sei etwas vorne übergebeugt, breitbeinig geringgradig linksseitig humpelnd, jedoch frei und ohne fremde Hilfe- oder Hilfsmittel in der Ordination durchführbar. Der Einbeinstand sei ohne Anhalten unsicher, das Heben der Beine max. 10 cm über dem Boden beidseits möglich; mit Anhalten ca. 15- 20 cm, wobei es links besser als rechts, umsetzbar sei. Der Finger- und Bodenabstand sei nicht umsetzbar. Das Aufstehen aus dem Sitzen sei unter Anhalten am Einrichtungsgegenstand möglich.
Beim BF würden keine direkten, erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen oder schwere, anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vorliegen. Es würde keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit bestehen.
10. Das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 29.06.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Der BF leidet an folgenden Gesundheitsschädigungen:
? Höhergradige degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit Schwerpunkt Lendenwirbelsäule und Ausstrahlungstendenz mit Schmerzen in beiden Beinen, links mehr als rechts
? Koronare Herzkrankheit entsprechend der erfolgreichen Stent Operation 11/2017 mit deutlicher Beschwerdebesserung und Bluthochdruck
? Degenerative Abnützung der Schultersehnen, im Sinne eines Impingement, mit Hantierungsfunktionseinschränkung über Kopf
? Stattgehabte Hallux-Valgus Operation beidseits mit geringgradiger Zehenfehlstellung
? Beinlängendifferenz links mit Schuherhöhungsausgleich
? Beginnende Abnützung der Großgelenke der unteren Extremität
Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes des BF steht die höhergradige degenerative Wirbelsäulenerkrankung, insbesondere der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlungsschmerzen in den Beinen. Zudem besteht im Bereich der rechten Schulter eine Bewegungseinschränkung insbesondere der Hantierfunktion über dem Kopf.
Das zügige Überwinden von Niveauunterschieden ist aufgrund der vorliegenden Funktionseinschränkungen im Bewegungs- und Stützapparat nicht möglich.
Ebenso erscheint auf Grund der vorliegenden Standunsicherheit ein sicherer Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel insgesamt unter den üblichen Bedingungen nicht gewährleistet.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 15.06.2020, ist vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die festgestellten Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ergeben sich daraus.
Gutachterlich erscheint der sichere Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet, zumal die rechte Schulter des BF in der Beweglichkeit und Hantierfunktion eingeschränkt ist und ein unsicherer Stand besteht. Aus Sicht des erkennenden Senates ist dies nicht ausreichend, damit die Feststellung getroffen werden kann, dass ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen insgesamt gewährleistet ist, da nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass immer ein Sitzplatz zur Verfügung steht und auch ein kurzes Fortbewegen im öffentlichen Verkehrsmittel aus verschiedensten Gründen (Ticketkauf, Sitzplatzsuche etc.) notwendig werden kann.
Auch ergibt sich aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten eindeutig, dass der BF Niveauunterschiede, welche beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus einem öffentlichen Verkehrsmittel zu überwinden sind, nicht zügig bewältigen kann.
Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die Verfahrensparteien erstatteten keinerlei Stellungnahme und Einwände dazu. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte) entgegenstehen.
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung im Beschwerdeverfahren basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.
Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint und unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.
Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
In der gegenständlichen Rechtssache verfügt der BF aufgrund seiner gesundheitlichen Leiden, insbesondere aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung mit Schwerpunkt Lendenwirbelsäule, mit ausstrahlenden Schmerzen in den Beinen sowie der eingeschränkten Beweglichkeit der rechten Schulter und Standunsicherheit, nicht über die Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel insgesamt sicher zu benützen, da ein sicherer Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet ist. Bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind jedoch auch Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen zu überwinden, oftmals mangels eines Sitzplatzes ein längeres Stehen notwendig und eine Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt erforderlich.
Auch wenn der BF direkt an keinen Einschränkungen und Erkrankungen im Sinne der anzuwendenden Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen leidet, bedingen die Gesamtheit aller gesundheitlichen Einschränkungen, dass ihm die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar ist.
Dem steht die demonstrative ("insbesondere") Aufzählung der Fälle in § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 zur demonstrativen Aufzählung).
Da der BF zudem Inhaber eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Was schließlich den Antrag des BF betrifft, ihm einen Parkausweis nach § 29b StVO auszustellen, so ist diesbezüglich festzuhalten, dass die belangte Behörde über diesen Antrag ausdrücklich bescheidmäßig nicht abgesprochen hat.
Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Bundesverwaltungsgerichtes ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (VwGH 09.09.2015, Ra 2015/04/0012; 26.03.2015, Ra 2014/07/0077). Daher ist der Antrag des BF auf Ausstellung eines Parkausweises nach §29b StVO mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Bescheides nicht verfahrensgegenständlich. Die belangte Behörde wird jedoch, da nunmehr die grundsätzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, nämlich der Besitz eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, der über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügt, darüber zu entscheiden haben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2222867.1.00Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020