TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/12 G309 2226115-1

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Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G309 2226114-1/8E
G309 2226115-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie die Richterin Mag. Beatrix LEHNER und die fachkundige Laienrichterin Maria HIERZER als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen I. den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, vom 21.10.2019, OB: XXXX , betreffend der Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, sowie II. den vom Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, am 22.10.2019 mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 (fünfzig) v.H. (von Hundert) zu OB: XXXX ausgestellten Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde hinsichtlich der Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen, wird als unbegründet a b g e w i e s e n.

II. Der Beschwerde wird stattgegeben, und der angefochtene Behindertenpass dahingehend abgeändert, dass der Grad der Behinderung siebzig von Hundert (70 v.H.) beträgt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 14.05.2019 via der Zentralen Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung betreffend seines am 04.10.1999 mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. ausgestellten Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ein. Dem Antrag waren eine Kopie des Behindertenpasses sowie medizinische Beweismittel (Befunde udgl.) angeschlossen.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 09.09.2019, eingeholt.

3. Mit Bescheid vom 21.10.2019 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen und diese Entscheidung im Wesentlichen auf das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten gestützt.

4. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 21.10.2019 wurde dem BF mitgeteilt, dass laut dem Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996“ vorliegen würden. Mit einem weiteren Schreiben der belangten Behörde vom 22.10.2019, wurde dem BF der beantragte Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v. H. übermittelt.

5. Mit Schreiben vom 18.11.2019 erhob der BF binnen offener Frist gegen den Bescheid der belangten Behörde, als auch gegen die Höhe des festgestellten Grades der Behinderung, das Rechtsmittel der Beschwerde.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde einlangend mit 04.12.2019 vorgelegt.

7. Seitens des erkennenden Gerichtes wurden die Amtssachverständigen Dr. XXXX , Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, und Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Begutachtung und Erstattung eines Gutachtens beauftragt.

8. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichtes im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG mit Schreiben vom 07.09.2020 zur Kenntnis gebracht und den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Es langten keine Stellungnahmen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat einen Wohnsitz im Inland und ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 50 (fünfzig) von Hundert.

Der BF leidet an einer hochgradigen Schwerhörigkeit beidseits, an Tinnitus mit Verdacht auf Hyperakusis links (krankhafte Überempfindlichkeit gegenüber Schall), an einer chronischen Depression (Anpassungsstörung) sowie an Diabetes mellitus.

Der Grad der Behinderung beträgt 70 (siebzig) v. H. (von Hundert).

Beim BF liegen keine erheblichen Einschränkungen der unteren Extremitäten oder der körperlichen Belastbarkeit oder erhebliche psychische, neurologische oder intellektuelle Einschränkungen bzw. Einschränkungen des Immunsystems vor. Das selbständige Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 m, das Ein- und Aussteigen ohne fremde Hilfe und der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Bedingungen sind dem BF möglich und zumutbar.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass liegen nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt den vorgelegten Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die im Ermittlungsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Hals-, Nasen-, und Ohrenkrankheiten, sowie von Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen sowie zu deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen.

Die vorliegenden Krankheitsbilder wurden gemäß der derzeit gültigen Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung sowie auf Grund der vorgelegten Befunde ausführlich erhobenen Befund, entspricht den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. XXXX , vom 09.09.2019, wurde nachvollziehbar begründet, da es zu einer signifikanten Verschlechterung des Hörvermögens gekommen ist und nunmehr eine höhergradige Schwerhörigkeit mit einem Grad der Behinderung von 50 % vorliegt. Der Tinnitus wurde mit einem Grad der Behinderung von 40 % gesondert eingeschätzt. Die weiteren festgestellten Funktionseinschränkungen (Tinnitus, chronische Depression) wirken sich negativ auf die hochgradige Schwerhörigkeit aus, wodurch es zu einer Steigerung des Gesamtbehinderungsgrades um jeweils eine Stufe kommt. Es konnte ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. objektiviert werden.

Das Vorbringen des BF gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass der BF aufgrund der Lärmempfindlichkeit nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren könne.

Der BF vermochte jedoch nicht substantiiert aufzuzeigen, inwiefern ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund seiner Gesundheitsschädigung nicht möglich bzw. nicht zumutbar sei. Das Vorbringen des BF war in seiner Gesamtheit daher nicht geeignet, die schlüssigen und vollständigen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX und Dr. XXXX zu entkräften.

Der Inhalt der medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX und Dr. XXXX wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

Die genannten Sachverständigengutachten werden der Entscheidung des erkennenden Gerichts daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetzes) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 BBG genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 BBG anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993).

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine „technische“ Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, zudem auch keine der Parteien eine mündliche Verhandlung beantragt hat.

In gegebenem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beschwerde des BF gegen die eingetragene Höhe des Grades der Behinderung in dem am 22.10.2019 ausgestellten Behindertenpass und gegen den abweisenden Bescheid vom 21.10.2019 richtete und dies somit Verfahrensgegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist.

Gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm. § 17 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Das Verwaltungsgericht kann - unter Beachtung der Grundsätze der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis - mehrere Verwaltungssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden oder sie trennen.

Angesichts dessen, dass in den im Spruch genannten Rechtssachen derselbe BF betroffen ist und sowohl dem von der belangten Behörde ausgestellten Behindertenpass als auch dem Bescheid der belangten Behörde vom 21.10.2019 dieselben Sachverhalte zu Grunde liegen, ist es unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gerechtfertigt, die zu den GZ.: G309 2226115-1 und G309 2226114-1 protokollierten Verfahren gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm. § 17 VwGVG zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Zu Spruchteil I:

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078 ua.).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

Gemäß § 29b Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960) ist Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, die über die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügen, als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen.

Gemäß § 1 Abs. 5 der obig angeführten Verordnung sind bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Zu Spruchteil II:

Gemäß § 40 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist,

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen,

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten,

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, angehören.

§ 35 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) regelt, dass die Höhe des Freibetrages sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) bestimmt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Die für die Ausstellung einer solchen zuständigen Stelle ist:

-        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

-        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

-        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen. Dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 BBG genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3 BBG), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichgesetzes 1967 BGBl. Nr. 376. Nach § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 BBG vorliegt.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Zu Spruchpunkt I:

Der BF leidet an einer hochgradigen Schwerhörigkeit beidseits, an Tinnitus mit Verdacht auf Hyperakusis links, an einer chronischen Depression (Anpassungsstörung) sowie an Diabetes mellitus.

Es wurden jedoch keine erheblichen Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems festgestellt. Wie oben bereits ausgeführt sind gemäß § 1 Abs. 5 der obig angeführten Verordnung bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dem BF ist es daher zumutbar hinsichtlich seiner Lärmüberempfindlichkeit als therapeutische Option beispielsweise einen Teilmaskers oder Noisers oder sonstige Kompensationsmöglichkeiten im öffentlichen Raum zu verwenden. Der BF kann eine Wegstrecke von 300 m bis 400 m zurücklegen, das Ein- und Aussteigen und der sichere Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind aus medizinischer Sicht möglich.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass liegen nicht vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.10.2019 als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II:

Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. Das erkennende Gericht hatte somit im gegenständlichen Ermittlungsverfahren auch den festgestellten Grad der Behinderung zu überprüfen. Im Beschwerdeverfahren wurde unter Mitwirkung von zwei ärztlichen Sachverständigen der Grad der Behinderung des BF nach der Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Alle Gesundheitsschädigungen des BF wurden dabei berücksichtigt. Insgesamt konnte nunmehr ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 von Hundert festgestellt werden.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09/0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062).

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung des BF 70 (siebzig) v.H. (von Hundert) beträgt.


3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G309.2226115.1.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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