RS Vfgh 2020/10/1 V429/2020 (V429/2020-10)

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-LockerungsV BGBl II 197/2020 §6
COVID-19-MaßnahmenG §1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer COVID-19-Maßnahmenverordnung betreffend Betretungsverbote für Gastgewerbebetriebe zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 mangels ausreichender Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen

Rechtssatz

Verstoß des §6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung - COVID-19-LV), BGBl II 197/2020, gegen §1 COVID-19-MaßnahmenG (Individualantrag eines Gastronomiebetreibers).

Die antragstellende Partei ist durch das, in §6 Abs1 COVID-19-LV in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung BGBl II 197/2020 geregelte und durch §6 Abs6 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 näher ausgestaltete Verbot des Betretens von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe unmittelbar betroffen. Dass §6 COVID-19-LV mit der Verordnung BGBl II 207/2020 neu gefasst wurde, schadet mit Blick auf die mit E v 14.07.2020, V411/2020 beginnende Rsp des VfGH nicht.

Die Absätze 2 bis 5 und 7 des §6 COVID-19-LV idF BGBl II 197/2020 knüpfen, großteils ausdrücklich, an das Verbot des §6 Abs1 COVID-19-LV an und stehen mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang. Der antragstellenden Partei steht angesichts von §3 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG idF BGBl I 12/2020 (Verwaltungsstrafe bis zu € 30.000,--) auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung an den VfGH heranzutragen.

Der Antrag ist auch nicht deswegen zu eng gefasst, weil das Bedenken, dass §6 COVID-19-LV ein unsachliches bzw unverhältnismäßiges Betretungsverbot anordne, weil keine Entschädigung vorgesehen sei, gegebenenfalls nur durch Aufhebung (auch) des §2 Abs4 COVID-19-MaßnahmenG beseitigt werden könne. Denn sollte der VfGH diese Bedenken gegen §6 COVID-19-LV teilen, wäre er verhalten, von Amts wegen ein entsprechendes Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.

Der Umstand, dass auf Grundlage des §20 EpidemieG 1950 wegen COVID-19 geschlossene Betriebe vor Inkrafttreten des COVID-19-MaßnahmenG allenfalls einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 EpidemieG 1950 hatten, vermag eine unsachliche Differenzierung nicht aufzuzeigen (VfGH 14.07.2020, G202/2020 ua).

Mit E vom 01.10.2020, V 405/2020, hat der VfGH ausgesprochen, dass §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 130/2020 gesetzwidrig war. Diese Bestimmung - sie entspricht im Wesentlichen §6 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, - verstieß gegen §1 COVID-19-MaßnahmenG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat. Insoweit ist es damit ausgeschlossen, dass die Gesetzmäßigkeit des §6 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, unter Bezugnahme auf die, der inhaltlich gleich lautenden "Vorgängerregelung" des §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl II 130/2020 zugrunde liegenden Verordnungsakten dargetan werden kann.

Im Verordnungsakt finden sich Entwürfe der COVID-19-LV vom 28.04.2020 und vom 30.04.2020 sowie die kundgemachte Verordnung und der Hinweis in der Rubrik "Sachverhalt", dass mit dem Entwurf Maßnahmen in Betriebsstätten, bei Veranstaltungen, in Massenbeförderungsmitteln, etc. geregelt werden. Darüber hinaus liegen diesem Verordnungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des §1 COVID-19-MaßnahmenG relevanten Ausführungen oder Unterlagen bei.

Damit genügt der angefochtene §6 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, den Vorgaben des §1 COVID-19-MaßnahmenG schon aus dem Grund nicht, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat. Entscheidungsgrundlagen Unterlagen oder Hinweise, die die Umstände der zu erlassenden Regelung betreffen, fehlen im Verordnungsakt gänzlich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Legalitätsprinzip, Verordnungserlassung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Bindung (des Verordnungsgebers), VfGH / Individualantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Weg zumutbarer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:V429.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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