Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Veith und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Ltd, *****, Vereinigtes Königreich, vertreten durch zeiler.partners Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch KNOETZL HAUGENEDER NETAL Rechtsanwälte GmbH in Wien und Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Teilaufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 4.000 EUR), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Teilschiedsspruch über die Zuständigkeit vom 27. März 2020 des Internationalen Schiedsgerichts der Internationalen Handelskammer ICC-Verfahren Nr 21350/FS, wird in seinem Punkt 2 aufgehoben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.517,36 EUR (darin enthalten 5.518 EUR Barauslagen und 166,56 EUR USt) bestimmten Kosten des Aufhebungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen der Schiedsklägerin (im Folgenden: Klägerin) und der Schiedsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) ist vor dem Internationalen Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer, ICC-Verfahren Nr 21350/FS, ein Schiedsverfahren anhängig.
Die Klägerin ist Teil eines multinationalen Energiekonzerns und ua im Kauf und Verkauf, im Transport und in der Lagerung von Gas aktiv. Die Beklagte betreibt in Österreich Gaspipelines. Für die Durchleitung von Gas der Klägerin durch Österreich haben die Parteien eine Reihe von Transportverträgen geschlossen. Diese langfristigen Verträge sind 2012 mit einem Kapazitätsvertrag geändert worden.
In Art 14 des in englischer Sprache verfassten Kapazitätsvertrags findet sich folgende Schiedsklausel:
Any dispute arising between or claim of the Parties under this Capacity Contract, its existence or termination, construction or performance shall exclusively and finally be settled by an arbitral tribunal […]
Bei Vertragsabschluss bestand kein vom Wortlaut der Klausel abweichender, Parteiwille der Streitteile.
Vor dem Schiedsgericht beantragt die Klägerin – gestützt auf den Vorwurf der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung (Art 102 AEUV) – mit ihrem Hauptbegehren und zwei von drei Eventualbegehren die Nichtigerklärung der Vereinbarungen, hilfsweise die Nichtigerklärung der Bestimmungen über die Vertragsdauer, in eventu die Beendigung der Vereinbarungen wegen geänderter Umstände und jeweils eine Zahlung von 13,1 Millionen EUR. Mit dem dritten (und für die Aufhebungsklage allein relevanten) Eventualbegehren macht die Klägerin (für den Fall, dass das Schiedsgericht die Wirksamkeit des Kapazitätsvertrags bejaht) einen Schadenersatz in der Höhe von (ebenfalls) 13,1 Millionen EUR geltend und begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz für alle weiteren Verluste, die der Klägerin durch ihre Verpflichtungen aus den Vereinbarungen entstünden.
Das Schiedsgericht beschränkte sich zunächst auf die Frage der Zuständigkeit bzw die dazu erhobenen prozessualen Einreden der Beklagten. Mit Punkt 1 seines Teilschiedsspruchs stellte es fest, dass es zur Entscheidung über jene Ansprüche der Klägerin, die sich aus dem Kapazitätsvertrag und/oder aus den Verträgen, die einen Bestandteil des Kapazitätsvertrags bilden, zuständig sei (Punkt 1). Hingegen verneinte es mit dem angefochtenen Punkt 2 des Teilschiedsspruchs seine Zuständigkeit für das dritte Eventualbegehren betreffend den Schadenersatzanspruch wegen des behaupteten Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte. Die Zuständigkeitsentscheidung über die das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten betreffenden Ansprüche und die Entscheidung über alle anderen Ansprüche behielt sich das Schiedsgericht vor (Punkte 3 und 4).
Punkt 2 wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Schiedsklausel deliktische Ansprüche nicht umfasse. Der mit dem dritten Eventualbegehren geltend gemachte deliktische Anspruch habe nicht die vertragliche Verpflichtung betroffen, sondern sei eigenständig. Bei einem Beisatz „im Zusammenhang mit dem Vertrag“ („in connection with the present contract“) könnte das Gericht deliktische Ansprüche in Verbindung mit den Verträgen berücksichtigen. Eine solche Bestimmung sei in der Klausel aber nicht enthalten. Ein deliktischer Anspruch falle nicht mit einem Vertragsbruch zusammen. Der gerügte Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung sei nicht aus den Verträgen entstanden. Das Schiedsgericht verwies auf die Entscheidung 4 Ob 80/08f, in der der Oberste Gerichtshof verneint habe, dass deliktische Ansprüche, die sich nicht auf Vertragsbruch gründen, von einer vergleichbaren Schiedsklausel umfasst seien.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Teilschiedsspruchs in seinem Punkt 2 wegen § 611 Abs 2 Z 1 Fall 2 ZPO analog. Die vom Schiedsgericht vorgenommene Differenzierung zwischen einer Schiedsklausel, die nur Streitigkeiten „aus einem Vertrag“ umfasse, und einer Klausel, die Streitigkeiten „im Zusammenhang mit diesem Vertrag“ betreffe, sei nicht überzeugend. Zweck der Klausel sei der Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit und die Begründung der schiedsgerichtlichen Zuständigkeit, was eine weite Auslegung zur Folge habe. Dadurch werde dem Interesse der Parteien entsprochen, dem Schiedsgericht eine umfassende Kompetenz einzuräumen, zusammengehörige Streitkomplexe zu entscheiden und somit das Risiko der prozessunökonomischen Zuständigkeitsaufspaltung zwischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten zu vermeiden. Deliktische Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, die mit der Durchführung des Vertrags in einem hinreichend engen Zusammenhang stünden, seien von der objektiven Reichweite der vorliegenden Schiedsvereinbarung umfasst.
Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Rückzahlung der Transportentgelte und der schadenersatzrechtliche Anspruch stützten sich auf einen einheitlichen Lebensvorgang, nämlich die Erfüllung des Tatbestands des Art 102 AEUV durch die Beklagte. Dieser Missbrauch liege gegenüber der Klägerin im Abschluss der langfristigen Transportverträge und dem fortgesetzten Beharren der Beklagten auf die monatlichen Zahlungen der Transportentgelte. Daher sei die vom Schiedsgericht getroffene Differenzierung zwischen der richtigerweise bejahten Zuständigkeit bei den bereicherungsrechtlichen Ansprüchen und der verneinten Zuständigkeit beim schadenersatzrechtlichen Anspruch nicht verständlich.
Dass dem angefochtenen Spruchpunkt nur ein Eventualbegehren zugrunde liege, ändere nichts an der Anfechtbarkeit mit Aufhebungsklage. Die Klägerin habe keine andere Möglichkeit, die hier angefochtene Unzuständigkeitsentscheidung überprüfen zu lassen. Das Schiedsgericht habe über das Eventualbegehren (vorbehaltlich der Aufhebung durch den Obersten Gerichtshof) endgültig entschieden.
Die Beklagte wandte ein, dass die Auslegung einer Schiedsklausel durch den Wortlaut der Vereinbarung begrenzt sei. Die ausdehnende Auslegung der objektiven Reichweite sei nicht grenzenlos weit zu verstehen. Nach der Rechtsprechung seien deliktische Ansprüche bei einer Schiedsklausel, die nur Streitigkeiten „aus einem Vertrag“ beinhalte, nur bei einem hinreichend engen Zusammenhang erfasst, wenn außervertragliche Ansprüche aus einem „einheitlichen Lebensvorgang“ wie vertragliche Ansprüche entstünden. Ein bloß „illustrativer Sinnzusammenhang“ reiche nicht aus. Der von der Klägerin geltend gemachte dritte Eventualantrag sei nicht von der Schiedsklausel umfasst. Zwischen dem Anspruch nach dem dritten Eventualantrag und den vertraglichen Ansprüchen liege kein einheitlicher Lebensvorgang vor.
Das Prinzip „in favorem validitatis“ sei hier nicht anwendbar, weil es nicht um die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung, sondern um deren Reichweite gehe. Die Reichweite umfasse aber keine deliktischen Ansprüche. Deliktische Ansprüche aus wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen seien in der Schiedsklausel nicht erwähnt. Die Klägerin habe sich aber nie auf eine Verletzung des Gastransportvertrags gestützt, sondern immer nur auf einen Verstoß gegen Art 102 AEUV. Der behauptete Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis. Zudem sei der behauptete Missbrauch nach dem Vorbringen der Klägerin bereits beendet gewesen, als der behauptete vertragliche Anspruch auf Rückerstattung entstanden sein soll. Ein Missbrauch werde nicht der Beklagten, sondern einem dritten Unternehmen vorgeworfen.
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die von den Parteien vorgelegten Urkunden. Auf dieser Grundlage wird der eingangs referierte unstrittige Sachverhalt wie folgt ergänzt:
Die Klägerin warf in ihrer Schiedsklage – neben dem E*****-Konzern – auch der Beklagten einen Missbrauch im Sinne des Art 102 AEUV vor. Die Beklagte habe sowohl zur relevanten Zeit als auch jetzt auf dem Markt für die Beförderung von Gas von der Slowakei nach Italien eine marktbeherrschende Stelle inne (gehabt), weil sie Eigentümerin der einzigen Pipeline sei, mit der Gas von der Slowakei nach Italien befördert werden könne, und somit Eigentümerin einer essenziellen Einrichtung. In Ansehung der zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden (verzerrten) Marktbedingungen sei es nicht der Wunsch der Klägerin gewesen, Verträge mit der Beklagten über langfristige Laufzeiten abzuschließen. Um sich aber eine verlässliche Kapazität zu sichern und zu vermeiden, dass sich die Klägerin aus den italienischen Gasversorgungsmärkten zurückziehen müsse, habe sie keine andere Wahl gehabt, als die von der Beklagten vorgegebenen Bedingungen zu akzeptieren. Hätte die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht, sondern für ein gesundes und vom Wettbewerb geprägtes Umfeld gesorgt, hätte die Klägerin keine Verträge mit so langen Laufzeiten ohne jede Beendigungs- und Änderungsmöglichkeit abgeschlossen.
Primär stützte die Klägerin ihren Standpunkt im Schiedsverfahren darauf, dass die Verträge aufgrund des Verstoßes gegen Art 102 AEUV nichtig seien oder zumindest wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beendet werden könnten.
Sollte das Schiedsgericht aber davon ausgehen, dass die Verträge weder nichtig seien noch beendet werden könnten, so begehre sie mit ihrem dritten Eventualbegehren den Zuspruch von Schadenersatz. Der Schaden entstehe der Klägerin durch die von ihr zu erbringenden vertraglichen Leistungen. Sie hätte die Verträge nicht abgeschlossen, wenn die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbräuchlich ausgenutzt hätte. Die Laufzeit der langfristigen Verträge und folglich der Verlust der Klägerin seien eine direkte Folge des Verstoßes der Beklagten gegen Art 102 AEUV.
Diese getroffenen Feststellungen beruhen auf den vorgelegten Urkunden.
Rechtliche Beurteilung
Daraus ergibt sich in rechtlicher Hinsicht:
1. Gegen einen Schiedsspruch kann nur eine Klage auf gerichtliche Aufhebung gestellt werden. Das gilt auch für Schiedssprüche, mit denen das Schiedsgericht über seine Zuständigkeit abgesprochen hat (§ 611 Abs 1 ZPO). Ein Schiedsspruch ist ua dann aufzuheben, wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit verneint hat, obwohl eine gültige Schiedsvereinbarung vorhanden ist (§ 611 Abs 2 Z 1 Fall 2 ZPO). Das Schiedsgericht kann allerdings – wie die angefochtene Entscheidung zeigt – eine Sachentscheidung auch aus anderen Gründen als dem Fehlen einer Schiedsvereinbarung ablehnen, etwa bei fehlender Deckung des Antrags durch eine an sich vorliegende Schiedsvereinbarung. Nach zutreffender Ansicht kann in diesem Fall – mangels sachlicher Begründbarkeit einer unterschiedlichen Behandlung – die Aufhebungsklage in analoger Anwendung von § 611 Abs 2 Z 1 Fall 2 ZPO auch auf das Nichtvorliegen dieses Zurückweisungsgrundes gestützt werden (Lovrek/Musger in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht [2018] Rz 16.9).
2. Der Überprüfung des angefochtenen Schiedsspruchs steht auch nicht entgegen, dass sich das Schiedsgericht bereits vor einer Sachentscheidung über das Hauptbegehren zum dritten Eventualbegehren für unzuständig erklärt hat. Die ZPO sieht als Rechtsbehelf gegen den Schiedsspruch nur eine Aufhebungsklage vor. Wird keine Aufhebungsklage erhoben, erwächst der Schiedsspruch in Rechtskraft (vgl § 607 ZPO). Der Klägerin muss schon deshalb die Möglichkeit eingeräumt werden, die Entscheidung über den dritten Eventualantrag mit Aufhebungsklage anzufechten, um zu verhindern, dass die – wie zu zeigen sein wird – unrichtige Zurückweisung eines Eventualbegehrens vor einer Sachentscheidung über die vorrangigen Begehren rechtskräftig wird.
3.1 Die Auslegung einer Schiedsklausel bestimmt sich nach dem Schiedsvereinbarungsstatut (Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I Rz 3/259). Im Hinblick auf die hier unstrittige Rechtswahl ist dafür österreichisches Recht anwendbar. Auch ohne eine solche Rechtswahl wäre wegen Art V Abs 1 lit a des New Yorker Übereinkommens (analog) grundsätzlich österreichisches Recht als Recht des Schiedsorts anwendbar (18 OCg 6/18h; 18 OCg 7/19g).
3.2 Welche Streitigkeiten von einer Schiedsvereinbarung umfasst sind, ist aufgrund ihres – nach dem Parteiwillen auszulegenden – Inhalts zu ermitteln (RS0018023). Liegt – wie im Anlassfall – kein feststellbarer übereinstimmender Parteiwille vor, so ist der Text der das Schiedsgericht betreffenden Vertragsbestimmung vernünftig und den Zweck der Vereinbarung begünstigend auszulegen (RS0018023 [T3]). Schiedsklauseln sind dabei ausdehnend auszulegen (RS0045337 [T1]). Die weite Auslegung entspricht der typischen Intention der Parteien, alle aus dem betreffenden Rechtsverhältnis folgenden Streitigkeiten der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen und eine Aufspaltung der Zuständigkeiten zu vermeiden (18 OCg 6/18h). Lässt der Wortlaut der Erklärung zwei gleichwertige Auslegungsergebnisse zu, so gebührt daher jener Auslegung der Vorzug, die die Anwendbarkeit des Schiedsvertrags favorisiert (vgl 6 Ob 178/17w = RS0018023 [T4]).
3.3 Die Auslegung durch das Schiedsgericht entspricht nicht den hier referierten Grundsätzen. Nach der zu beurteilenden Schiedsklausel haben die Parteien vereinbart, dass „ausschließlich“ („exclusively“) ein Schiedsgericht über jede zwischen den Parteien aus dem Kapazitätsvertrag entstehende Streitigkeit („any dispute arising between … the Parties under this Capacity Contract“) entschieden werden soll. Entsprechendes gilt auch für jeden aus diesem Vertrag geltend gemachten Anspruch („any … claim of the Parties under this Capacity Contract“). Ausdrücklich führt die Klausel den „Bestand oder die Beendigung, die Auslegung oder die Erfüllung“ an („its existence or termination, construction or performance“).
3.4 Entgegen den Ausführungen der Beklagten lässt sich der von der Klägerin im Schiedsverfahren geltend gemachte dritte Eventualanspruch nach der gebotenen weiten Auslegung unter die Schiedsklausel subsumieren. Die Klägerin sieht sich wegen des (von ihr substantiiert) behaupteten Missbrauchs der Beklagten (Art 102 AEUV) durch den Bestand des Vertrags (vgl „its existence“) bzw die ihr obliegende Erfüllung („performance“) geschädigt. Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung ist demnach funktionell mit dem Vertragsabschluss eng verbunden. Der Verstoß gegen Art 102 AEUV hatte (nach dem im Schiedsverfahren von der Klägerin vertretenen Standpunkt) zur Folge, dass ihr durch die Entstehung vertraglicher Pflichten ein Schaden entstanden ist. Dieser behauptete Schaden hängt damit eng mit dem Entstehen des Kapazitätsvertrags zusammen.
3.5 Das erzielte Auslegungsergebnis korrespondiert mit der vom EuGH zu C-595/17, Apple Sales, zu einer Gerichtsstandsvereinbarung vertretenen Auslegung.
3.5.1 Die dort zu prüfende Gerichtsstandsvereinbarung umfasste einen Vertrag samt der entsprechenden Beziehung bzw samt den sich daraus ergebenden Beziehungen („and the corresponding relationsship“) zwischen den Parteien. Vom EuGH war zu klären, ob die Gerichtsstandsvereinbarung auf eine auf Art 102 AEUV gestützte Schadenersatzklage anzuwenden ist, obwohl sich die Klausel nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezog. Der Gerichtshof sprach aus, dass sich der nach Art 102 AEUV verpönte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, „in den von einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, geknüpften vertraglichen Beziehungen und über die Vertragsbedingungen manifestieren“ (Rz 28). Nach dem EuGH kann die Berücksichtigung einer Gerichtsstandsklausel, die an einen Vertrag und die entsprechende Beziehung bzw die sich daraus ergebenden Beziehungen zwischen den Parteien anknüpft, im Rahmen einer auf Art 102 AEUV gestützten Klage nicht als für eine der Parteien überraschend angesehen werden (Rz 29). Demnach ist die Anwendung einer im Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel auf eine auf Art 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht allein aus dem Grund ausgeschlossen, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht (Rz 30).
3.5.2 Auch im Anlassfall stützte die Klägerin ihr drittes Eventualbegehren auf den Vorwurf, dass sich der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in den vertraglichen Beziehungen und über die Vertragsbedingungen manifestierte. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die hier zu prüfende Klausel keinen Zusatz wie „and the corresponding relationsship“ oder – wie vom Schiedsgericht vermisst – „in connection with the present contract“ aufweist: Im Zweifel ist die Schiedsklausel nämlich in einer Weise auszulegen, die den Zweck der Vereinbarung begünstigt.
3.6 Das Ergebnis des Schiedsgerichts kann auch nicht auf die Entscheidung 4 Ob 80/08f gestützt werden.
3.6.1 In diesem Verfahren war zu klären, ob ein konkret schädigendes Verhalten (in Verstoß gegen das Kartell- und das Lauterkeitsrecht) und eine bestimmte Vertragsverletzung einen „einheitlichen Lebensvorgang“ bilden und nicht bloß ein „illustrativer Sinnzusammenhang“ besteht. Die dort auf Unterlassung klagende Partei machte ein wettbewerbswidriges Verhalten der von ihr beklagten Vertragspartnerin geltend, wobei der geltend gemachte Rechtsgrund (§ 1 UWG) das Klagebegehren unabhängig von der Vertragsbeziehung stützte. Der 4. Senat des Obersten Gerichtshofs hielt fest, dass außervertragliche Ansprüche auf rein wettbewerbs- und lauterkeitsrechtlicher Ebene von einer Schiedsklausel nicht umfasst werden, die sich in einem Vertrag auf „alle Streitigkeiten aus dieser Vereinbarung“ beschränkt.
3.6.2 Während dem Verfahren 4 Ob 80/08f zugrunde lag, dass die dort relevierten Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht unabhängig vom Vertrag zu beurteilen waren, ist die gegenständliche Streitsache davon geprägt, dass der gerügte Verstoß gegen Art 102 AEUV im kausalen Zusammenhang mit dem Abschluss des Kapazitätsvertrags steht, aus dessen Erfüllung die Klägerin Schadenersatzansprüche ableitet. Damit ist 4 Ob 80/08f für die hier zu beurteilende Aufhebungsklage nicht einschlägig.
3.7 Auch aus der Entscheidung 6 Ob 178/17w ist für die Rechtsansicht des Schiedsgerichts und den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs erachtete es als jedenfalls vertretbar, dass auch ein auf Vertragsverletzung gestützter Bereicherungsanspruch von einer Schiedsklausel umfasst ist, die „sämtliche Streitigkeiten aus diesem Geschäftsanteilskauf- und Übertragsvertrag“ betrifft. Der dort geltend gemachte Anspruch stand – ebenso wie im streitgegenständlichen Verfahren, aber im Gegensatz zu 4 Ob 80/08f – daher in einem Zusammenhang mit dem Vertrag.
4. Das Schiedsgericht hat seine Zuständigkeit damit zu Unrecht verneint, weshalb der Aufhebungsklage stattzugeben war.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 iVm 54 Abs 1a ZPO.
Textnummer
E129858European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:018OCG00006.20M.0929.000Im RIS seit
25.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.06.2021