Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** K*****, vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt in Schlüßlberg, gegen die beklagte Partei H***** H*****, vertreten durch MMag. Astrid Zörer, Rechtsanwältin in Lambach, wegen 41.666,66 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. Juli 2020, GZ 3 R 73/20f-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. April 2020, GZ 26 Cg 122/19y-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.212,20 EUR (darin enthalten 368,70 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist eines von drei leiblichen Kindern des am ***** 2019 verstorbenen J***** H***** (im Folgenden „Erblasser“).
[2] Die Beklagte war mehr als fünfzehn Jahre lang bis zuletzt die Lebensgefährtin des Erblassers und wohnte mit ihm in seinem Einfamilienhaus. Mit – nicht in der Form eines Notariatsakts errichtetem – Übergabsvertrag vom 15. 3. 2016 übergab er ihr die Liegenschaft samt Einfamilienhaus, wobei er sich als „Gegenleistung“ ein lebenslanges Wohnungsgebrauchsrecht vorbehielt.
[3] In der Folge bewohnte er mit der Beklagten weiter das Einfamilienhaus und benutzte die Liegenschaft uneingeschränkt. Anfang März 2019 verlegte er seinen Wohnsitz aus gesundheitlichen Gründen in ein Altersheim.
[4] Nach seinem Tod verkaufte die Beklagte die Liegenschaft am 10. 4. 2019 um 250.000 EUR, was dem Verkehrswert entsprach. Sie wusste, dass der Erblasser Kinder hatte.
[5] Mit Beschluss vom 17. 6. 2019 entschied das Verlassenschaftsgericht, dass eine Verlassenschaftsabhandlung unterbleibt (§ 153 AußStrG). Aufgrund der Begräbniskosten war die Verlassenschaft faktisch vermögenslos. Der Beklagten, die das Begräbnis bezahlt hatte, wurde die Ermächtigung erteilt, über das Verlassenschaftsvermögen zu verfügen.
[6] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 41.666,66 EUR sA mit der Begründung, ihr stehe als Pflichtteilsberechtigte ein Geldpflichtteil von einem Sechstel der Verlassenschaft zu. Der Liegenschaftserwerb der Beklagten sei als Schenkung ohne „wirkliche Übergabe“ mangels Notariatsakts unwirksam. Der Übergabsvertrag sei geschlossen worden, um der Klägerin ihre Ansprüche zu entziehen. Dies sei in voller Schädigungsabsicht geschehen. De facto sei klar gewesen, dass die Beklagte wegen der Pflichtteilsansprüche nur als Treuhänderin agiere. Der Erblasser und die Beklagte hätten kollusiv gehandelt. Letztere habe um die Pflichtteilsansprüche der Kinder und deren Verkürzung gewusst und die Liegenschaft dennoch veräußert, weshalb sie mit ihrem gesamten Vermögen hafte.
[7] Die Beklagte wendete ein, die Hinzurechnung der Schenkung sei ausgeschlossen, weil die Beklagte selbst nicht pflichtteilsberechtigt sei und die Übergabe mehr als zwei Jahre vor dem Tod stattgefunden habe. Der Übergabsvertrag sei formgültig zustandegekommen, weshalb er auch im Grundbuch durchgeführt habe werden können.
[8] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob eine „wirkliche Übergabe“ stattgefunden habe oder allenfalls eine Heilung nach § 1432 ABGB eingetreten sei. Sollte man eine solche nämlich verneinen, fiele die Liegenschaft (oder ein entsprechender Bereicherungsanspruch) in die Verlassenschaft, woraus sich ein Anspruch der Klägerin gegen diese, nicht aber gegen die Beklagte ergäbe. Im Übrigen könnte sich nicht die Klägerin als verkürzte Pflichtteilsberechtigte auf die Ungültigkeit des Übergabsvertrags berufen, sondern – vor einer Einantwortung – allein die Verlassenschaft. Auch Rechtsmissbrauch und eine Analogie zur Schenkungsanrechnung bei der Ehegattin sei zu verneinen.
[10] Die ordentliche Revision sei zur Auslegung des § 782 ABGB idF BGBl I 2015/87 im Hinblick auf die Frage zulässig, ob, gegebenenfalls wann, der Verstorbene eine Schenkung iSd § 782 ABGB „wirklich gemacht“ habe, wenn es ihr sowohl an der „wirklichen Übergabe“ iSd § 943 ABGB als auch an der Notariatsaktsform fehle, sowie zur Verteilung der Behauptungs- und Beweislast dazu.
[11] Die Revision der Klägerin ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch nicht zulässig, weil die vom Berufungsgericht und in der Revision aufgezeigten Rechtsfragen in der jüngeren Rechtsprechung des erkennenden erbrechtlichen Fachsenats bereits geklärt wurden oder hier nicht entscheidungserheblich sind.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Zur Verfahrensrüge
[13] 1.1. Ein Verfahrensmangel nach § 503 Z 2 ZPO kann nur dann zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts führen, wenn er wesentlich für die Entscheidung war und sich auf diese auswirken konnte (RS0116273).
[14] 1.2. Die Klägerin behauptet in der Revision, dass sie im Falle der Erörterung der zweitinstanzlichen Rechtsansicht zu ihrer fehlenden Aktivlegitimation (zur Geltendmachung der Ungültigkeit des Übergabsvertrags) folgendes ergänzende Vorbringen erstattet hätte:
„Die Beklagte wusste, dass keine wirkliche Übergabe stattgefunden hat und dass drei gesetzliche Erben vorhanden waren, bei denen Erb- und Pflichtteilsansprüche bestanden. Durch die rechtsgrundlose Aneignung und den Verkauf des Hauses hat sie in das Erbrecht der Klägerin eingegriffen, indem sie die Vermögenslosigkeit der Verlassenschaft herbeigeführt hat. Dadurch hat sie den Erbteil der Klägerin rechtswidrig um 83.333,33 EUR verkürzt und ihr so einen Schaden zugefügt. Die Beklagte haftet der Klägerin daher auch aus Schadenersatz gemäß §§ 1295 ff ABGB.“
[15] 1.3. Damit formuliert die Klägerin nur die von ihr angestrebten Rechtsfolgen der behaupteten Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses zwischen dem Erblasser (bzw der mangels Einantwortung weiterhin bestehenden Verlassenschaft) und der Beklagten, auf die sie sich in erster Instanz aber ohnehin bereits berufen hat. Ein zusätzliches Tatsachensubstrat enthält das in der Revision erstattete Vorbringen nicht. Dass aber die Erörterung der darin geäußerten Rechtsansicht zu keinem anderen Ergebnis führen hätte können, wird noch darzulegen sein. Mit dem in der Revision erstatteten Vorbringen zeigt die Klägerin somit nicht die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels auf.
[16] 1.4. Warum die Vorinstanzen verpflichtet gewesen sein sollten, das Verfahren zur Einleitung einer Nachtragsabhandlung zu unterbrechen, um die Einantwortung der Klägerin und somit deren Aktivlegitimation abzuwarten, bleibt unerfindlich. Ein solcher (zwingender) Unterbrechungsgrund ist der österreichischen Rechtsordnung fremd. Vielmehr setzt die
Verlassenschaft mit dem Tod die Rechtsposition des Verstorbenen als
juristische Person fort (§ 546 ABGB idF ErbRÄG 2015) und ist daher parteifähig und bis zur Einantwortung allein aktiv und passiv klagslegitimiert (zur insoweit identen Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 vgl RS0008131 [T2, T4]; vgl auch RS0008114, RS0012288 und RS0008181).
[17] 2. Zur Rechtsrüge
[18] 2.1. Wirksamkeit der Schenkung irrelevant
[19] 2.1.1. Der erkennende Senat hat sich erst kürzlich in der Entscheidung vom 6. 8. 2020, 2 Ob 195/19v, mit einem ähnlich gelagerten Sachverhalt auseinandergesetzt (vgl dazu insbesondere Rz 74 ff).
[20] Die dortigen Erwägungen sind auf den gegenständlichen Sachverhalt übertragbar. Auch hier erfolgte entweder eine wirksame Schenkung an eine nicht pflichtteilsberechtigte Person außerhalb der Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB idF ErbRÄG 2015 oder es fand überhaupt keine wirksame Schenkung statt. Im ersten Fall lag keine hinzurechnungspflichtige Schenkung vor, im zweiten Fall hätte nur die ruhende Verlassenschaft mögliche Ansprüche gegen die Beklagte. Mangels Schenkung und mangels Einantwortung würde auch im vorliegenden Fall die Beklagte der Klägerin nicht für den Pflichtteil haften. Auch ein allfälliger Schadenersatzanspruch aufgrund der Veräußerung der Liegenschaft stünde allein der Verlassenschaft als unmittelbar Geschädigter zu (vgl RS0022638).
[21] 2.1.2. Es hat auf das Ergebnis somit keinen Einfluss, ob der mangels Notariatsakts nicht formgültig errichtete Schenkungsvertrag durch „wirkliche Übergabe“ geheilt wurde (2 Ob 195/19v Rz 76). Es ist daher auch irrelevant, ob eine solche Heilung durch den Auszug des Erblassers im März 2019 eintreten konnte, wie dies in der Revision behauptet wird (vgl jedoch 9 Ob 149/04h; RS0011383). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Klägerin würde es an der Aktivlegitimation zur Geltendmachung der Ungültigkeit des Übergabsvertrags fehlen, steht jedenfalls mit der erörterten Rechtsprechung im Einklang und bedarf daher keiner höchstgerichtlichen Korrektur.
[22] 2.2. Kein Rechtsmissbrauch
[23] 2.2.1. Das in erster Instanz erstattete Vorbringen der Klägerin zur rechtsmissbräuchlichen Entziehung ihrer Pflichtteilsansprüche durch Abschluss des Übergabsvertrags steht zwar im Widerspruch zur behaupteten Unwirksamkeit der Schenkung, setzt doch die „Entziehung“ von Ansprüchen eine formgültige Schenkung an die Beklagte voraus. Einer Klärung der – im Folgenden unterstellten – Heilung der Formungültigkeit bedarf es aber auch unter dem Aspekt eines auf Rechtsmissbrauch gestützten Anspruchs nicht (vgl im Übrigen schon Punkt 2.1.2.).
[24] 2.2.2. Soweit Schädigungsabsicht behauptet wird, ist die Revisionswerberin nämlich auf die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Senats zu verweisen: Erfolgte die Schenkung an eine nicht pflichtteilsberechtigte Person außerhalb der Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015, können sich die Pflichtteilsberechtigten nicht erfolgreich darauf stützen, dass die Schenkung rechtsmissbräuchlich nur zur Vermeidung einer Schenkungsanrechnung vorgenommen worden sei (2 Ob 145/16m; RS0131055). Dies gilt auch für die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 (2 Ob 80/18f).
[25] 2.2.3. Zur damit im Zusammenhang stehenden Behauptung, die Beklagte sei „de facto“ nur Treuhänderin des Erblassers gewesen, hat die Klägerin kein zusätzliches Tatsachenvorbringen erstattet, sekundäre Feststellungsmängel liegen daher nicht vor. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich kein Hinweis auf eine Treuhandschaft.
[26] 2.2.4. Die weitere Revisionsbehauptung, es liege ein (nicht näher definiertes) Umgehungsgeschäft vor, verstößt gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO) und ist daher unbeachtlich.
[27] 2.2.5. Das Berufungsgericht hat rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten mit ausführlicher Begründung verneint. Im Lichte der erörterten Rechtsprechung wirft diese Beurteilung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[28] 2.3. Keine analoge Anwendung von § 757 ABGB auf den Lebensgefährten.
[29] 2.3.1. Analogie setzt eine regelwidrige Gesetzeslücke voraus. Eine Analogie ist jedenfalls dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RS0106092 [T2]).
[30] 2.3.2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts trifft letzteres hier zu. Auch diese Rechtsansicht kann sich bereits auf oberstgerichtliche Rechtsprechung zur aktuellen Rechtslage stützen, wonach eine Lebensgefährtin nach dem Erblasser nicht pflichtteilsberechtigt ist (2 Ob 64/19d).
[31] Mit ihrer gegenteiligen These zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, zumal die dafür ins Treffen geführte Literaturstelle (Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch, 166) ihre Rechtsansicht nicht trägt.
[32] 3. Ergebnis:
[33] Da die Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nicht erforderlich ist, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen.
[34] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E129851European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00171.20S.1014.000Im RIS seit
25.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020