TE OGH 2020/10/20 4Ob136/20h

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Veröffentlicht am 20.10.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin L***** AG, *****, vertreten durch Specht & Partner Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die Beklagte O*****, vertreten durch GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung, Unterlassung und Zahlung (Streitwert im Provisorialverfahren 50.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 2020, GZ 1 R 63/20x-51, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Klägerin ist ein österreichisches Unternehmen und Inhaberin der Marke Lomography, die Beklagte ist ein russisches Unternehmen und Inhaberin der Marke Zenit. Die Parteien entwickelten gemeinsam Kameraobjektive und schlossen im Jahr 2013 unter anderem einen Zusammenarbeitsvertrag, der der Klägerin ein Alleinvertriebsrecht einräumt.

[2]          Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruchs die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach der Beklagten geboten werden möge, es zu unterlassen, die gemeinsam entwickelten Kameraobjektive zum Verkauf anzubieten, zu vermarkten oder diesbezüglich mit anderen Unternehmen zu kooperieren.

[3]          Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag – ohne Anhörung der Beklagten – hinsichtlich bestimmter, im Beschluss angeführter Linsenmodelle mit der Beschränkung auf das österreichische Staatsgebiet statt, während es den Antrag hinsichtlich anderer Linsenmodelle abwies.

[4]          Die Beklagte erhob dagegen Widerspruch, in eventu Rekurs, und wendete die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Überdies sei (in einem anderen Vertrag) eine Schiedsklausel vereinbart worden und es liege bereits ein Schiedsspruch vor. Die Klägerin habe auch keinen Unterlassungsanspruch, weil ihr Alleinvertriebsrecht nach dem Zusammenarbeitsvertrag davon abhänge, dass sie von der Beklagten regelmäßig Waren kaufe. Aufgrund ihres Zahlungsverzugs habe die Klägerin aber keinen Anspruch auf weitere Lieferungen, weshalb sie auch ihr Alleinvertriebsrecht verloren habe. Außerdem sei der Beklagten die Produktion und der Vertrieb eigener Linsenmodelle und die Kooperation mit anderen Unternehmen nicht verboten.

[5]          Das Erstgericht wies die Einrede der Unzuständigkeit zurück und den Widerspruch ab. Die Zuständigkeit für das österreichische Staatsgebiet ergebe sich aus § 387 Abs 1 EO iVm §§ 83c Abs 3 und 99 Abs 2 JN. Eine Schiedsvereinbarung (die überdies nur im Liefervertrag, nicht aber im Zusammenarbeitsvertrag vereinbart worden sei) stünde dem Sicherungsantrag nicht entgegen. Das Schiedsgericht habe nicht das Alleinvertriebsrecht der Klägerin zu beurteilen gehabt, deshalb liege keine entschiedene Sache vor. Die Beklagte habe sich deshalb unlauter im Sinn von § 1 UWG verhalten, weil sie das der Klägerin im Zusammenarbeitsvertrag eingeräumte Alleinvertriebsrecht verletzt habe, indem sie selbst die gemeinsam entwickelten Linsenmodelle unter leicht veränderter Bezeichnung auch in Österreich vertreibe.

[6]          Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7]          Der dagegen von der Beklagten erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[8]          1. Die Beklagte bemängelt die Anwendung des österreichischen statt des russischen Sachrechts.

[9]          1.1. Ungeachtet der Frage, welches Sachenrecht anzuwenden ist, muss nach der Rechtsprechung auch im Fall der außerordentlichen Revision in deren Rechtsrüge zumindest ansatzweise dargelegt werden, warum nach der – den Behauptungen nach – richtig anzuwendenden Rechtsordnung (hier: russisches Recht) ein günstigeres als das vom Berufungsgericht erzielte Ergebnis zu erwarten ist (2 Ob 121/11z; 4 Ob 177/13b; 4 Ob 176/16k; 3 Ob 104/17s). Nur dann wäre auch dargetan, dass dieses Ergebnis den Rechtsanwendungsgrundsätzen des § 3 IPRG widerspricht (vgl RS0113594).

[10]       1.2. Davon kann hier aber keine Rede sein. Die bloße Behauptung im Rechtsmittel, bei Anwendung russischen Sachrechts wäre die einstweilige Verfügung nicht zu erlassen gewesen, reicht nicht aus, die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels aufzuzeigen. Insbesondere brachte die Beklagte nicht vor, inwiefern die Anwendung russischen Rechts zu einer anderen Auslegung des Vertrags und daher zu der Beurteilung geführt hätte, dass – nach russischem Recht – kein Vertragsbruch der Beklagten vorliege.

[11]                    2.1. Die Entscheidung über den Widerspruch ist gegenüber der einstweiligen Verfügung keine völlig neue und von ihr unabhängige Entscheidung. Im Widerspruchsverfahren kann ua geltend gemacht werden, dass der behauptete Anspruch nicht bescheinigt und trotzdem die beantragte einstweilige Verfügung erlassen worden sei, oder dass der bescheinigte Anspruch nicht bestehe. In diesem Falle hat der Gegner der gefährdeten Partei den Nichtbestand des Anspruchs glaubhaft zu machen. Ihn trifft die Behauptungs-
und Bescheinigungspflicht hinsichtlich der Tatsachen, aus denen das Nichtbestehen des bescheinigten Anspruchs abgeleitet wird (RS0005884).

[12]                    2.2. Im vorliegenden Fall brachte die Beklagte in ihrem Widerspruch vor, die Klägerin habe nicht regelmäßig Waren gekauft, insbesondere habe sie bestellte und erhaltene Objektive nicht bezahlt. Nach der Rechtsprechung wäre die Beklagte behauptungs- und bescheinigungspflichtig. Eine derartige Bescheinigung wurde jedoch nicht erbracht. Im Gegenteil: Das Erstgericht hat in seiner über den Widerspruch der Beklagten ergangenen Entscheidung als bescheinigt erachtet, dass es vorgekommen ist, dass die von der Beklagten an die Klägerin gelieferten Waren Qualitätsmängel aufwiesen. Dies rechtfertigt die (für das Provisorialverfahren ausreichende) Annahme des regelmäßigen Bezugs.

[13]       3. Die Beklagte macht geltend, sie sei aufgrund der einstweiligen Verfügung verpflichtet, die mit zwei Kooperationspartnern abgeschlossenen Verträge zu kündigen. dadurch werde eine Sachlage geschaffen, die nicht rückgängig gemacht werden könne.

[14]       3.1. Richtig ist, dass einstweilige Verfügungen nach ständiger Rechtsprechung keine Sachlage schaffen dürfen, die im Fall eines die einstweilige Verfügung nicht rechtfertigenden Urteils nicht rückgängig gemacht werden kann. Grundsätzlich hat aber jede einstweilige Verfügung Auswirkungen, die nachträglich nicht völlig aus der Welt geschafft werden können. Insbesondere kann ein einstweilen angeordnetes Unterlassen nicht rückwirkend durch ein Handeln ersetzt werden; dennoch sind Unterlassungsverfügungen im Regelfall unstrittig zulässig. Zu unterbleiben haben daher nur solche Sicherungsmaßnahmen, die unwiederbringliche Eingriffe in die Rechtssphäre des Gegners nach sich ziehen. Es geht also nicht um zeitweilige Beeinträchtigungen, wie sie bei einstweiligen Verfügungen unvermeidbar sind, sondern um auch für die Zukunft irreparable Konsequenzen bestimmter Anordnungen (17 Ob 13/09z).

[15]                    3.2. Hier wurde der Beklagten durch die Sicherungsverfügung nicht aufgetragen, bestehende Kooperationsverträge zu kündigen, sondern bloß keine solchen Verträge (neu) abzuschließen. Auch steht es der Beklagten frei, mit ihren beiden Kooperationspartnern hinsichtlich anderer – nicht klagsgegenständlicher – Waren weiter zusammenzuarbeiten.

[16]                    3.3. Soweit die Beklagte auf bestehende Verträge Bezug nimmt, hat der Senat bereits mehrfach ausgesprochen, dass nach dem UWG auch die Erfüllung eines Vertrags mit einem Dritten verboten werden kann (4 Ob 23/06w mwN), da mit dem gegenüber der Beklagten ausgesprochenen Verbot der Belieferung (bzw hier: der Zusammenarbeit) nicht unmittelbar in Rechte eines Dritten eingegriffen wird: Weder wird der bestehende Vertrag für nichtig erklärt, noch wird dem Dritten verboten, die Leistung entgegenzunehmen. Zwar könnte der Vertragspartner auf Erfüllung und/oder Schadenersatz bestehen. Das mag für den Beklagten unangenehm sein, ist aber eine Folge der Relativität schuldrechtlicher Beziehungen: Der Beklagte hat sich in eine Situation begeben, in der er (möglicherweise) zwei einander widersprechenden Pflichten gegenübersteht.

[17]                    3.4. Diese Grundsätze gelten auch hier: Der Beklagten wäre es frei gestanden, von einer Kooperation mit Dritten in Bezug auf die von den Streitteilen gemeinsam entwickelten Kameraobjektive Abstand zu nehmen.

[18]                    4. Zuletzt macht die Beklagte eine unvertretbare Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen im Hinblick auf die Schiedsklausel in einem weiteren Vertrag zwischen den Parteien geltend.

[19]       4.1. Der von der Beklagten zitierte Rechtssatz, wonach Schiedsklauseln ausdehnend auszulegen sind (RS0045337), bezieht sich allerdings darauf, dass die in einem Vertrag vereinbarte Schiedsklausel auch auf andere, sich aus diesem Vertrag ergebende Streitigkeiten bezieht, nicht jedoch auf andere Verträge zwischen den Parteien, mögen diese auch in einem Zusammenhang stehen.

[20]       4.2. In der Entscheidung 4 Ob 80/08f stützte die dortige Klägerin ihre Ansprüche nicht nur auf eine Verletzung des Vertrags, der eine Schiedsklausel enthielt, die – ähnlich wie hier – „alle aus einem Vertrag entstehenden Streitigkeiten“ erfassen sollte, sondern auch auf ein außervertragliches Verhalten der dort Beklagten, das Rechtspflichten nach dem Kartell- und Lauterkeitsrecht verletzte. Der Senat judizierte, dass die außervertraglichen Ansprüche auf wettbewerbs- und lauterkeitsrechtlicher Ebene, die mit Ansprüchen aus dem Vertrag zwar noch in einem weiten, funktionell indes nur noch illustrativen Sinnzusammenhang stehen, von der Schiedsklausel nicht erfasst werden.

[21]                    4.3. Die Auslegung der Vorinstanzen, dass die Schiedsklausel im Liefervertrag nicht auch für den mehrere Monate davor abgeschlossenen Zusammenarbeitsvertrag gelte, weicht daher nicht unvertretbar von höchstgerichtlichen Grundsätzen zur Vertragsauslegung ab.

Textnummer

E129852

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00136.20H.1020.000

Im RIS seit

25.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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