Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in der Strafsache gegen L***** S***** und andere wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 42 Hv 94/20x des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Z***** T***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 29. September 2020, AZ 18 Bs 245/20s, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:
Spruch
Z***** T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 10. September 2020, GZ 42 Hv 94/20x-226, setzte die Vorsitzende des Schöffengerichts die über Z***** T***** am 21. Mai 2020 verhängte Untersuchungshaft (ON 117) aus den Haftgründen der Flucht- sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO fort.
Der dagegen gerichteten Beschwerde des Z***** T***** gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 29. September 2020, AZ 18 Bs 245/20s, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO fort.
Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist Z***** T***** dringend verdächtig,
A./ sich ab Herbst 2018 in L***** und anderen Orten Österreichs an einer zumindest aus ihm selbst und L***** S*****, T***** H*****, I***** M*****, K***** Ho***** und E***** K***** bestehenden kriminellen Vereinigung, die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung Sattelauflegerdiebstähle begangen werden, beteiligt, indem er zumindest ab Herbst 2018 mit anderen Mitgliedern der Vereinigung in Österreich, Deutschland, Ungarn und in anderen Staaten solche Diebstähle beging sowie Absprachen mit anderen Mitgliedern der Vereinigung traf, an der Vorbereitung weiterer Diebstähle mitwirkte, Wissen aus dem Transportgewerbe zur Verfügung stellte, Fahrzeuge und behördliche ungarische und slowakische Kennzeichen sowie Zugmaschinen der Vereinigung zur Tatbegehung überließ;
B./ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung im arbeitsteiligen Zusammenwirken im Rahmen eines vorgefassten, mehrphasigen Tatplans mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz, indem er sein Wissen aus dem Transportgewerbe zur Verfügung stellte, an der Organisation der Diebstähle mitwirkte, den unmittelbar Ausführenden Anweisungen erteilte und eine Zugmaschine bereitstellte, gewerbsmäßig dazu beigetragen, dass nachstehende unmittelbare Täter in wiederholten Angriffen fremde bewegliche Sachen, deren Wert 5.000 Euro jeweils überstieg, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen haben, und zwar
I./ L***** S***** mit anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung
1./ am 20. November 2018 im I***** auf dem Gelände der Si***** GmbH in L*****
a./ Gewahrsamsträgern der C*****gesellschaft mbH einen auf dem Anhänger der L***** GmbH befindlichen Container samt 712 Stück Kugelgriller im Gesamtwert von 29.014 Euro;
b./ Gewahrsamsträgern der L***** GmbH einen Sattelanhänger mit dem behördlichen Kennzeichen ***** im Wert von 5.000 Euro, indem sie den Sattelanhänger samt Container mit einer Zugmaschine abtransportieren ließen;
2./ am 13. November 2018 in G***** Gewahrsamsträgern der Hof***** GmbH einen Sattelanhänger mit dem behördlichen Kennzeichen ***** samt darin befindlicher Ladung (Kleidung) im Wert von insgesamt 60.716,16 Euro, indem sie den Aufleger mit einer Zugmaschine abtransportieren ließen;
3./ am 19. Jänner 2019 in G***** Gewahrsamsträgern der Hof***** GmbH einen Sattelaufleger mit dem behördlichen Kennzeichen ***** samt acht Tonnen Blech im Gesamtwert von 7.500 Euro, indem sie den Aufleger mit einer Zugmaschine abtransportieren ließen;
II./ L***** S***** und I***** M***** gemeinsam sowie mit anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung
1./ am 3. Oktober 2019 in W***** Gewahrsamsträgern der G***** KG einen Sattelaufleger mit dem behördlichen Kennzeichen ***** im Wert von 25.000 Euro, indem sie den leeren Sattelaufleger mit einer Zugmaschine abtransportieren ließen;
2./ am 19. Dezember 2019 in T***** Gewahrsamsträgern der N***** GmbH einen Sattelaufleger der Marke Krone mit dem behördlichen Kennzeichen ***** samt 33 Paletten Schwedenbomben im Gesamtwert von 70.788 Euro, indem sie den Sattelaufleger mit einer Zugmaschine an eine Zugmaschine anhängen und vom Gelände verbringen ließen;
3./ zwischen 18. und 19. Juni 2019 in T***** Gewahrsamsträgern der Gl***** GmbH einen Sattelaufleger mit dem behördlichen Kennzeichen ***** samt Ladung im Gesamtwert von 50.000 Euro, indem sie den auf der öffentlichen Straße abgestellten Sattelaufleger samt Ladung von Österreich in die Slowakei verbringen ließen;
C./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz dazu beigetragen, dass L***** S***** und I***** M***** am 3. Oktober 2019 in B***** mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der W***** GmbH durch Vorspiegelung, eine Ladeberechtigung in Bezug auf den Sattelaufleger der G***** KG zu haben, zur Beladung des zuvor auf dem Gelände des Wiener Großgrünmarkts gestohlenen Sattelauflegers mit 42 Paletten Schokolade der Firma L***** im Gesamtwert von 50.000 Euro verleitet haben, die das genannte Unternehmen in dieser Höhe am Vermögen schädigte, indem er I***** M***** Anweisungen zu Abholung und Abtransport erteilte.
Diesen als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalt subsumierte das Beschwerdegericht den Tatbeständen des § 278 Abs 1 StGB (A./), der §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 2 erster Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB iVm § 12 dritter Fall StGB (B./) sowie der §§ 146, 147 Abs 2 StGB iVm § 12 dritter Fall StGB (C./).
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Z***** T*****, der keine Berechtigung zukommt.
Weshalb es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen sollte, wenn das Beschwerdegericht in seinem – reformatorischen (vgl RIS-Justiz RS0116421) – Beschluss auf die Ausführungen in der Haftbeschwerde (ON 229) nicht explizit eingegangen ist, vermag der Beschwerdeführer nicht darzulegen. Dass es ihm überhaupt an Gelegenheit gemangelt hätte, seinen Standpunkt darzustellen (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 72; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 6 Rz 96 ff), behauptet er nicht einmal. Im Übrigen hat sich das Oberlandesgericht in seiner Beschwerdeentscheidung mit der im Wesentlichen gleichgerichteten Argumentation im Enthaftungsantrag (ON 219) auseinandergesetzt.
Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsgrundlagen der Haftentscheidung in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden; eine am Gesetz orientierte Beschwerde hat somit einen Darstellungs- oder Begründungsmangel aufzuzeigen oder anhand deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (RIS-Justiz RS0110146; RS0114488).
Indem die Beschwerde den Erwägungen des Oberlandesgerichts bloß eine eigene Einschätzung des Beweiswerts der vom Oberlandesgericht ins Treffen geführten Beweisergebnisse gegenüberstellt und so für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen abzuleiten trachtet, geht sie ins Leere.
Keine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall; vgl dazu RIS-Justiz RS0099547) liegt vor, wenn das Beschwerdegericht eine SMS-Nachricht – die „keinen erkennbaren Bezug zum gegenständlichen Strafverfahren“ (BS 13) aufweist – (irrtümlich) der Freundin des Angeklagten M***** und nicht diesem selbst zuordnet.
Soweit die Beschwerde die Annahme der Tatbegehungsgefahr durch das Oberlandesgericht als rechtswidrig kritisiert, scheitert sie an der mangelnden (horizontalen) Erschöpfung des Instanzenzugs, wurde ein entsprechendes Vorbringen in der Haftbeschwerde (ON 229) doch nicht erstattet (RIS-Justiz RS0114487).
Z***** T***** wurde daher durch den angefochtenen Beschluss nicht im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
Textnummer
E129843European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00122.20K.1117.000Im RIS seit
25.11.2020Zuletzt aktualisiert am
25.11.2020