TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/22 W136 2204821-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2020
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Entscheidungsdatum

22.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2204821-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2018, Zl. 1100098108-152047944, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer stellte am 21.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 23.12.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er mit der nachfolgend angeführten Aussage seines namentlich genannten Bruders einverstanden sei. „Ich bin geflüchtet, weil meine Verlobte XXXX in Schweden lebt. Mein Vater war Drogenabhängig. Er hat das Rauschgift zu Hause konsumiert. Das war schädlich für mich und meinen kleinen Bruder. Alles was ich verdient habe, hat mein Vater für seine Sucht verwendet.“ Zu den Rückkehrbefürchtungen wurde mitgeteilt, dass er um sein Leben fürchten würde, weil zwischen verschiedenen religiösen Gruppen Krieg herrschen würde. Viele seiner Landsleute seien bereits gestorben.

Am 28.03.2018 und am 11.05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zunächst an, dass er im Iran geboren sei und sein gesamtes Leben dort gelebt habe. Befragt, teilte er mit, dass er nicht weiß, wann und warum seine Eltern Afghanistan verlassen haben und in den Iran gegangen sind. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, dass er und sein Bruder große Probleme mit ihrem Vater gehabt hätten und mit ihm nicht mehr zusammenleben hätten können. Der Vater sei drogensüchtig gewesen und hätte ihre Mitarbeit bzw. von ihnen verlangt, in Bezug auf die Drogen immer in Bewegung zu bleiben. Wenn der Vater keine Drogen gehabt habe, habe er sie geschlagen und Sachen nach ihnen geworfen. Sie seien immer wertlos für ihn gewesen. Wären sie jetzt im Iran, hätte der Vaters sie bis jetzt umgebracht, weil sie für ihn wertlos gewesen seien. Für ihn seien nur Geld und Drogen wertvoll gewesen. Sie hätten unter diesen Bedingungen nicht weiterleben können. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass sie in Afghanistan niemand hätten und im Iran von ihrem Vater umgebracht würden. Er habe sich nie in Afghanistan aufgehalten und sei im Iran nie persönlich bedroht worden. Auf Nachfrage gab er an, er sei, außer von seinem Vater, im Iran nicht bedroht worden. Sein Vater sei die größte Bedrohung für sie gewesen. Bezüglich seiner Angaben in der freien Erzählung, gab er ergänzend an, dass sein Vater gewollt habe, dass sie mit Drogen handeln, was im Iran sehr strafbar sei. Wegen seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit sei er nie bedroht worden oder habe Probleme gehabt.

Mit Schreiben vom 22.05.2018 wurde für den Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen und zur Asylrelevanz seines Vorbringens abgegeben. Diese bezieht sich zusammenfassend im Wesentlichen auf die aktuelle Sicherheitslage in seiner Heimat bzw. insbesondere in Kabul, auf das Verhalten der Taliban gegenüber aus dem Iran zurückkehrenden Hazara, die aktuelle Bildungssituation und die Gefahr von Kinderarbeit in Afghanistan. Dazu wurde vor allem ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat über kein familiäres bzw. soziales Netzwerk verfügen würde und somit auf sich alleine gestellt wäre. Vor diesem Hintergrund sei ein Leben in Afghanistan, insbesondere für unbegleitete Minderjährige den Länderberichten zufolge nicht möglich. Weiters würden Rückkehrer, die ihr ganzes Leben im Iran verbracht hätten, bei ihrer Ankunft in Afghanistan bemerken, dass sie weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronagebeziehungen, die sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hätten, ausgeschlossen seien. Ferner könnten Hazara, welche längere Zeit im Iran verbracht hätten oder dort geboren seien, mit beträchtlichen Herausforderungen bei der Wiederansiedelung und Reintegration in Afghanistan konfrontiert sein bzw. würden die dem Iran traditionell feindlich gesinnten Taliban dazu tendieren, die religiösen und kulturellen Verbindungen der Hazara zum Iran mit Misstrauen zu betrachten. Für den Beschwerdeführer, der noch nie in seiner Heimat gewesen sei und dort auch kein familiäres Netzwerk hätte, sei der Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. die Möglichkeit eine Unterkunft zu finden, nahezu aussichtlos. Und die Sicherheitslage in Kabul sowie in sämtlichen anderen Gebieten Afghanistans sei weiterhin äußerst volatil. Schließlich sei es sehr unwahrscheinlich, dass der minderjährige Beschwerdeführer die Schule besuchen könnte, da er sich selbst seinen Unterhalt verdienen müsste. Es könnte ihm daher eine Einreise in Afghanistan derzeit keinesfalls zugemutet werden.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2018, am 01.08.2018 der gesetzlichen Vertretung zugestellt, wurde der Antrag des minderjährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.07.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, stellte die Identität des Beschwerdeführers nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden sei. Auch sonst seien im gesamten Verfahren keinerlei Anhaltspunkte hervorgekommen, die auf eine mögliche Asylrelevanz der behaupteten Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat hindeuten würden. Seine Angaben seien nicht glaubhaft, weshalb auch davon eine individuelle, konkret gegen ihn gerichtete Gefahr einer Verfolgung in Afghanistan nicht abgeleitet werden könnte. Selbst wenn sein Fluchtvorbringen im Zuge einer familiären Streitigkeit hypothetisch als glaubhaft erachtet werden würde, könnte er sich dieser, seitens der Behörde nicht existenten Bedrohung durch eine innerstaatliche Änderung seines Lebensmittelpunkts entziehen. Er könnte in jeder anderen Großstadt in Afghanistan ein neues Leben beginnen, zumal er aufgrund des fehlenden Meldesystems durch niemanden auffindbar wäre. Er sei aufgrund seiner Minderjährigkeit aber nicht rückführbar und eine Gefährdung gemäß Art 3 EMRK nicht auszuschließen, sodass es spruchgemäß zur Gewährung von subsidiärem Schutz gekommen ist.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 31.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht eine Beschwerde erhoben, welche am 28.08.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Zuge einer Wiederholung des Sachverhalts bzw. seines bisherigen Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Behörde mit Berichten über Kinder mit bestimmten Profilen und mit der Lage von Hazara nicht mit der gebotenen Tiefe auseinandergesetzt habe und dass sich im angefochtenen Bescheid auch keine Berichte zur tatsächlichen Lage von Personen finden würden, die nach einem lebenslangen Aufenthalt im Iran und im westlichen Ausland nach Afghanistan zurückkehren. So würde aus den Stellungnahmen von Amnesty International vom 08.01.2018 und vom 05.02.2018 nämlich hervorgehen, dass zwischen dem Leben im Iran und in Afghanistan kulturelle Unterschiede bestehen würden, welche für den Beschwerdeführer in Afghanistan zu Schwierigkeiten führen könnten. Auch aus der gutachterlichen Stellungnahme der länderkundlichen Sachverständigen Hila ASEF vom 15.09.2017 im Auftrag der Gerichtsabteilung W140 würde sich letztlich ergeben, dass für afghanische Staatsbürger, die im Iran geboren, aufgewachsen und dort sozialisiert seien, eine Rückführung nach Afghanistan unzumutbar sei, da diesen jungen Männern jegliche Existenzgrundlage sowie ein soziales Netzwerk fehlen würden. Außerdem würde der Beschwerdeführer zahlreichen Risikogruppen in Afghanistan angehören, die eine Verfolgung objektiv wahrscheinlich und plausibel machen würden. Den Berichten zufolge würden Hazara überdurchschnittlich oft zur Zielscheibe von Verfolgungshandlungen werden. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer im Iran geboren sowie aufgewachsen und daher nicht mit der afghanischen Lebensweise vertraut. Außerdem würde er mittlerweile in einer selbstbestimmten und westlichen Lebensweise leben und bei einer Rückkehr in seine Heimat als „verwestlichte Person“ wahrgenommen werden. Zusammenfassend würde dem Beschwerdeführer in Afghanistan durch die Kumulation der globalen Umstände daher Verfolgung aufgrund der sozialen Gruppe alleinstehender Minderjähriger, als Hazara und westlich orientierter Rückkehrer drohen und der afghanische Staat sei nicht willens bzw. in der Lage, ihn davor zu schützen. Überdies sei eine Verfolgung durch den eigenen Vater auch in Afghanistan nicht auszuschließen. Die Behörde hätte ihm daher Asyl gewähren müssen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 03.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Nach Vorlage der Beschwerde wurden folgende Unterlagen bzw. Berichte über den Beschwerdeführer vorgelegt:

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 12.03.2019 wurde eine Berichterstattung des Stadtpolizeikommandos Klagenfurt aW vom selben Tag übermittelt, in welcher darüber berichtet wird, dass der Beschwerdeführer im Verdacht stehen würde, gemäß § 27 Abs. 2 a SMG an einem öffentlichen Ort Cannabis verkauft zu haben. Mit Schreiben vom 14.03.2019 wurde ein Amtsvermerk des Stadtpolizeikommandos Klagenfurt vom 13.03.2019 mit dem näheren Sachverhalt des vorgenannten Verdachts nachgereicht. Darin wird u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung erklärt habe, dass sich die Beamten „noch anschauen werden, wenn er erst die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen werde“ und dass er auf die „österreichischen Gesetze scheiße“.

Mit Beschwerdenachreichung vom 06.08.2019 wurde eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung nach § 81 SPG übermittelt. Darin wird u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung insbesondere erklärt habe, „Warte bis ich österreichische Staatsbürgerschaft habe, dann ficke ich Österreich! […] Eure Kinder werden alle meine Drogen kaufen! […] Wegen dir war ich schon mal vor dem Richter! Das war in zehn Minuten wieder aus! Das bringt euch gar nichts! Der Richter ist dumm. Ich bin der schlauste Afghane. Ihr seid alle dumm! […] Die ganze Polizei ist nichts wert. […] Was wollt ihr machen? Ich ficke alle Österreicher! […] Ihr könnt mir gar nichts!“

Mit Beschwerdenachreichung vom 05.11.2019 wurde eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer vom 31.10.2019 gemäß § 82 Abs. 1 SPG übermittelt. Darin wird im Wesentlichen über die wiederholte Abmahnung und die schließlich erfolgte Festnahme des Beschwerdeführers wegen beharrlichen, aggressiven Verhaltens in der Öffentlichkeit und die Auffindung eines Baggies mit orangenen Tabletten, vermutlich Ecstasy bei ihm berichtet.

Am 29.11.2019 wurden von der belangten Behörde das Personalblatt und der Abschlussbericht zu einem neuerlichen Vorfall mit dem Beschwerdeführer nachgereicht, wo er in Verdacht geraten ist, eine Körperverletzung begangen zu haben. Da beim Opfer des Angriffes lediglich Rötungen im Gesicht und keine Verletzungen festgestellt worden seien, sei es letztlich aber zu keiner Anzeige gekommen. Am 10.01.2020 wurden zwei Berichterstattungen vom 02.01.2020 und vom 05.01.2020 bezüglich einer Abgängigkeit des Beschwerdeführers bzw. am 26.02.2020 wurde erneut eine Abgängigkeitsanzeige vom 14.02.2020 übersendet. Mittels E-Mail vom 18.03.2020 wurden ein Amtsvermerk und eine Berichterstattung über einen am 13.03.2020 vermutlich stattgefundenen Raufhandel nachgereicht, an dem der Beschwerdeführer seine Beteiligung letztlich zugegeben habe.

Am 26.03.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine E-Mail des Bundesamtes ein, welcher eine Berichterstattung vom 20.03.2020 über eine neuerliche Abgängigkeit des Beschwerdeführers, zwei Anzeigen vom 21.03.2020 und vom 22.03.2020 wegen Übertretungen nach dem COVID-19 Maßnahmengesetz der BH Klagenfurt und eine Berichterstattung vom 24.03.2020 über eine mögliche Körperverletzung durch ihn, über ein ausgesprochenes Betretungs- und Annäherungsverbot bzw. eine Dokumentation gemäß § 38a SPG sowie eine wiederholte Abgängigkeit des Beschwerdeführers angeschlossen waren. Im Abschlussbericht vom 18.04.2020 wurde mitgeteilt, dass die Erhebungen bezüglich des Verdachts der Körperverletzung abgeschlossen wurden.

Mit E-Mail vom 31.03.2020 wurde seitens der belangten Behörde angeregt, den Beschwerdeführer aufgrund seines bisherigen Verhaltens einer Altersfeststellung zu unterziehen und diese im Zuge einer mittelbaren Beweisaufnahme durch das Bundesamt durchführen zu lassen. Als Beilage wurde die Empfehlung des Amtsarztes vom 26.03.2020 beigeschlossen, der eine solche aufgrund des Verhaltens und Aussehens des Beschwerdeführers aus amtsärztlicher Sicht empfohlen hat. Am 06.04.2020 wurde dem Bundesamt mitgeteilt, dass der Anregung seitens der zuständigen Richterin nahegetreten wird.

Am 06.04.2020 wurden neuerlich eine Anzeige vom 05.04.2020 wegen Übertretungen nach dem COVID-19 Maßnahmengesetz der BH Klagenfurt und eine Berichterstattung vom selben Tag bezüglich einer abermaligen Abgängigkeit (19mal) des Beschwerdeführers übermittelt. Weiters wurde ein Schreiben des Standortleiters der Einrichtung beigelegt, in welcher der Beschwerdeführer untergebracht ist. Dieser weist darin auf die Gesetzesverstöße des Beschwerdeführers sowie auf dessen wiederholte Missachtungen der Covid 19-Ausgehbeschränkungen hin bzw. führt die dadurch gefährdeten Personen namentlich an und ersucht die zuständige Abteilung des Amtes der Kärntner Landesregierung dringend, unverzüglich alles zu unternehmen, um einer Gesundheitsgefährdung der genannten Personen durch den Beschwerdeführer künftig vorzubeugen.

Am 19.05.2020 wurden vom Bundesamt ein Bericht des Standortleiters der Unterkunft des Beschwerdeführers, ein Abtretungsbericht vom 11.05.2020 und zwei Zwischenberichte (vom 08. und 16.02.2020) der Unterbringungseinrichtung an die zuständige Abteilung der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt Land dem Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung gestellt. Wie sich aus diesen Berichten zusammenfassend ergibt, geht der Standortleiter davon aus, dass der Beschwerdeführer sehr häufig (möglicherweise auch tagtäglich) Suchtmittel konsumiert. Auch ein Suchtgifthandel durch ihn bzw. eine dauerhafte Schädigung seiner Gesundheit könnten nicht ausgeschlossen werden. Seitens der pädagogischen Leiterin und eines pädagogischen Mitarbeiters würden die Aussagen des Beschwerdeführers, dass er beim Vorfall am 30.10.2019 das letzte Mal Drogen genommen und Alkohol getrunken habe, nicht der Wahrheit entsprechen. Sie würden davon ausgehen, dass er fast jeden Tag Suchtmittel konsumiert. Ebenso würden sie annehmen, dass er mit Suchtmittel handelt, da sonst kaum zu erklären sei, dass er trotz Bezahlung der Strafen, immer wieder Geld besitzen würde. Dies würde eine ernstzunehmende Gefährdung des Wohles anderer minderjähriger Klienten in der Wohngemeinschaft darstellen.

Am 17.06.2020 wurde dem BVwG eine Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 15.06.2020 übermittelt, mit der aufgrund einer durchgeführten Altersuntersuchung des Beschwerdeführers sein spätestes Geburtsdatum mit XXXX festgestellt wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 21.12.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist im Iran geboren sowie aufgewachsen und bislang nie in Afghanistan gewesen. Seine Muttersprache ist Farsi, er beherrscht aber auch Dari.

Er ist ledig, kinderlos, arbeitsfähig und leidet an keinen schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankungen. In seiner Heimat leben keine Verwandten mehr, seine gesamte Familie lebt im Iran bzw. sein älterer Bruder im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer stellte am 21.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründet, dass er und sein Bruder Probleme im Iran gehabt hätten. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung aufzuzeigen. Auch bezüglich seiner ehemaligen Heimat hat er letztlich keine asylrelevante Verfolgung geltend gemacht. Die im Rahmen der Erstbefragung von seinem Bruder nur allgemein und vage in den Raum gestellten Befürchtungen, wegen eines zwischen verschiedenen religiösen Gruppen in Afghanistan herrschenden Krieges, an Leib und Leben bedroht zu sein, sind ebenso nicht geeignet, eine unmittelbare persönliche Bedrohung oder Verfolgung des Beschwerdeführers nahezulegen.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Grund seiner ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen seiner politischen Gesinnung durch den afghanischen Staat bzw. durch den jeweiligen Machthaber (etwa durch die Taliban) im Herkunftsgebiet droht.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr bzw. Einreise, zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 18.05.2020:

Allgemeine Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung – USBV) und andere Arten von Vorfällen.

Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als „Post-Konflikt-Land“ galt, wieder als „Konfliktland“ ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen.

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte bedrohen – ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen. Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder.

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin „high-profile“-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana (Provinzhauptstadt Faryab) und Pul-e-Khumri (Provinzhauptstadt Baghlan); sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad IshaqRahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 11. Jänner 2017 bis 30. April 2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1. Jänner 2017 bis 15. Juli 2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16. Juli 2017 bis 31. Jänner 2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive „Mansouri“ weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer „Regierungsführung“ der Taliban (Engl. „governance“) bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser „Kampfsaison“ laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.6.2019).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.3.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an (USDOS 21.6.2019).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.3.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan. im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman. an Nangarhar im Südosten. an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar. Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwoko.D.z): Bagrami. Chaharasyab/CharAsiab. Dehsabz/Dehsabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwoko.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen. Tadschiken. Hazara. Usbeken. Turkmenen. Belutschen. Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an. dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten. Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwoko.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige „Ring Road“, die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren „high-profile“-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen. Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen „Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur „Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle „Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal („terroriststohire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des „Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Rückkehr

Als Rückkehrer werden jene afghanischen Staatsbürger bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghanen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012 bis 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt.

Die Anzahl der Rückkehrer hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21. März 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden.

Unterstützung durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind.

Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „wholeofcommunity“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben – und zu welchen Bedingungen – sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile „universell“ geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen „professionellen“ Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten.

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte.

Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Seine Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entspre-chende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.3.1999, 98/20/0559). Dabei bedarf es zunächst einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive be-wusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegrün-det und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer nach seiner Erstbefragung in einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragungen festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens hat das Bundesverwaltungsgericht auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine gezielte konkrete Verfolgung droht:

Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich beim Beschwerdeführer nach Ansicht der erkennenden Richterin – abweichend von den Ausführungen in der Beschwerdeschrift – keineswegs um eine besonders vulnerable Persönlichkeit handelt, deren Alter und Entwicklungsstand bzw. Kindeswohl vom Bundesamt zu wenig berücksichtigt worden seien. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die gleichaltrigen Jugendlichen weit voraus und somit fähig ist, seine Interessen entsprechend wahrzunehmen. Dies zeigen seine im Bundesgebiet bislang gezeigten Taten und zeigt sich letztlich auch in der amtsärztlichen Einschätzung seiner Person bzw. in der Empfehlung, aufgrund seines Verhaltens und Aussehens eine Altersfeststellung durchführen zu lassen.

Der Beschwerdeführer hat sein Fluchtvorbringen ausschließlich auf Probleme mit seinem Vater gestützt, welcher drogensüchtig gewesen sei und den Beschwerdeführer und seinen Bruder dazu angehalten hätte, für ihn mit Drogen zu handeln. Den Erlös habe der Vater im Wesentlichen für seinen Drogenkonsum aufgebraucht und der Beschwerdeführer und sein Bruder seien vom Vater geschlagen worden, wenn diesem die Drogen ausgegangen sind. Der Beschwerdeführer wäre seiner Ansicht nach vom Vater getötet worden, wenn er nicht geflüchtet wäre. Diese behaupteten Bedrohungen bzw. Verfolgungsgefährdungen konnten letztlich nicht festgestellt werden. Dem Beschwerdeführer war es im gesamten Verfahren nämlich nicht möglich, konkrete Erlebnisse oder Erfahrungen zu schildern, welche – allenfalls vom Iran ausgehende – Bedrohungen oder Verfolgungshandlungen nahelegen würden, welche sich auch in seiner ehemaligen Heimat mit entsprechender Wahrscheinlichkeit realisieren würden. Er hat insgesamt von keinem einzigen Vorfall im Iran berichtet, welcher seine dahingehenden Befürchtungen glaubwürdig stützen und eine Bedrohung für seine Person in Afghanistan tatsächlich nahelegen würde. Abgesehen davon, dass sein Vorbringen zum Iran aufgrund seiner afghanischen Staatsangehörigkeit außer Betracht zu bleiben hat (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240), haben sich in seinen Aussagen keine Anhaltspunkte oder Hinweise für eine tatsächliche Gefährdung seines Lebens durch seinen Vater ergeben. Vielmehr ist seinen Angaben zufolge davon auszugehen, dass er mit seinem Vater bzw. seinen Eltern noch Ende 2017, somit auch rund zwei Jahre nach seiner Asylantragstellung noch in Kontakt stand und dass diese wissen, wo er und sein Bruder sich befinden (vgl. Einvernahme vom 11.05.2018: „F: Haben Sie vor diesen 6 Monaten Kontakt zu Ihren Eltern gehabt? A: Ja ich habe Kontakt gehabt. Sie hatten nie eine feste Telefonnummer gehabt. Immer wenn sie einen Zugang zu einer Nummer hatten haben sie uns kontaktiert.“). Darüber hinaus konnten seine Befürchtungen, wonach sein Vater ihn und seinen Bruder töten würde, wenn sie noch im Iran wären, in seinem gesamten Vorbringen letztlich keine Bestätigung finden. Andernfalls hätte er sich sicher an die iranischen Polizeibehörden gewandt, deren Schutzwillig- und Schutzfähigkeit vom Beschwerdeführer letztlich nicht in Frage gestellt wird (vgl. Einvernahme vom 11.05.2018: „F: Sind Sie wegen der Bedrohung durch Ihren Vater im Iran zur Polizei gegangen? A: Nein, das haben wir nicht gemacht denn wenn wir das getan hätten, hätte die Polizei ihn festgenommen und ihn ins Gefängnis gebracht.“). In seinem Vorbringen finden sich somit insgesamt keine Hinweise oder Anhaltspunkte für eine tatsächliche Bedrohung oder Gefährdung. In diesem Zusammenhang ist letztlich auch darauf hinzuweisen, dass es sich vor dem Hintergrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den Beschwerdeführer dabei ohnehin lediglich um eine hypothetische Beurteilung der Rückkehrsituation handelt.

Was die im Zuge der Beschwerde geäußerten Befürchtungen betrifft, dass es zwischen dem Iran und Afghanistan kulturelle Unterschiede geben würde, die zu Problemen führen könnten bzw. dass der Beschwerdeführer mit der afghanischen Lebensweise nicht vertraut sei und deshalb Schwierigkeiten in seiner ehemaligen Heimat haben könnte, bzw. weil er seinen Glauben nicht aktiv verfolgen bzw. nicht beten und fasten würde (vgl. Einvernahme vom 28.03.2018), kann der Beschwerdeführer mit Verweis auf die aktuellen Länderberichte beruhigt werden. Diesen zufolge wird nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung nur die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie gesehen und können selbst Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertiert sind, ihren neuen Glauben grundsätzlich alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017). Ferner neigen afghanische Schiiten und Hazara sogar dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, wie ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017) und sind Repressionen in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Außerdem ist der Beschwerdeführer in einer afghanischen Familie aufgewachsen und hat auch im Bundesgebiet Kontakte zu Landsleuten. Die afghanischen Sitten und Gebräuche bzw. deren Lebensweise sollten ihm daher bekannt sein. Die diesbezüglich vorgebrachten Sorgen sind nach Ansicht der erkennenden Richterin in einer der afghanischen Großstädte daher völlig unbegründet.

Hinsichtlich der im Raum stehenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Extremisten ihren Nachschub den Länderberichten zufolge vorwiegend aus freiwilligen Bewerbern decken, bei welchen von einer gefestigteren Überzeugung und einer stärkeren Loyalität auszugehen ist. Weiters ist darauf aufmerksam zu machen, dass die Taliban den Länderberichten zufolge vornehmlich gegen afghanische Sicherheitskräfte, staatliche Einrichtungen und ausländische Soldaten vorgehen. Auch wenn die einfache Bevölkerung zu den Leidtragenden der Auseinandersetzungen gehört, wird der Konflikt zumeist zwischen den Extremisten und den in- und ausländischen Sicherheits- bzw. Militärkräften ausgetragen. Die erst in der Beschwerdeschrift dargelegten Ängste, wonach der Beschwerdeführer von den Taliban verfolgt oder zwangsrekrutiert werden könnte, sind daher völlig unbegründet.

Davon abgesehen ergibt sich aus den Länderberichten bekanntlich, dass Afghanistan kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten” oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen hat (EASO 2.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei seiner Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Nach Ansicht der erkennenden Richterin liegen im konkreten Fall – entgegen der Ausführungen im Rahmen der Beschwerdeschrift – daher keine konkreten Hinweise oder Anhaltspunkte dafür vor, dass mögliche Verfolger den Beschwerdeführer in einer der modernen Großstädte Afghanistans

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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