Entscheidungsdatum
02.07.2020Norm
ASVG §86 Abs3Spruch
L521 2231114-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch Dr. Thomas Schweiger, LL.M., Rechtsanwalt in 4020 Linz, Huemerstraße 1, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Oberösterreich) vom 01.04.2020, Zl. XXXX , betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 06.12.2019 einen Antrag auf Hinterbliebenenpension nach seiner am 05.06.2019 verstorbenen Ehegattin.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Oberösterreich) vom 21.01.2020 wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf Hinterbliebenenpension ab dem 06.12.2019 anerkannt und die monatliche Pensionsleistung mit EUR 940,23 festgesetzt.
2. Am 14.02.2020 langte bei der Pensionsversicherungsanstalt ein Schriftsatz des nunmehr rechtsanwaltlich vertretenen Beschwerdeführers ein, worin ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 21.01.2020 am 11.02.2020 mit seinem rechtsfreundlichen Vertreter erörtert und erst dabei in Erfahrung gebracht habe, dass er den Antrag auf Hinterbliebenenpension innerhalb von sechs Monaten nach dem Ableben hätte einbringen müssen, um die Hinterbliebenenpension ab dem dem Tag des Ablebens folgenden Tag zu erhalten.
Da der Beschwerdeführer „Landwirt und in juristischen Dingen vollkommen unbewandert“ sei, habe er sich in Unkenntnis der Rechtslage befunden. Darüber hinaus sei seine Ehegattin durch einen tragischen Verkehrsunfall zu Tode gekommen, sodass sich der Beschwerdeführer darüber hinaus bis zum Tag der Antragstellung in einem Schockzustand und in Trauer befunden haben. Er begehrte daher die „Bewilligung der Wiedereinsetzung“ sowie die Zuerkennung der Hinterbliebenenpension ab dem 06.06.2019.
3. Nach einer formlosen Verständigung der Pensionsversicherungsanstalt, dass dem Begehren des Antragstellers nicht nähergetreten werde und bei Einwänden gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Oberösterreich) vom 21.01.2020 der Klageweg zu beschreiten sei, begehrte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27.03.2020 eine bescheidmäßige Erledigung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 14.02.2020.
4. In weiterer Folge erließ die Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Oberösterreich) den hier angefochtenen Bescheid vom 01.04.2020, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist von sechs Monaten für die Beantragung der Witwerpension gemäß § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG zurückgewiesen wurde.
Begründend führte die Pensionsversicherungsanstalt im Wesentlichen aus, bei der in § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG vorgesehenen Frist von sechs Monaten handle es sich um keine verfahrensrechtliche Frist im Sinn des AVG, sondern um eine materiellrechtliche Frist des Sozialversicherungsrechtes handeln würde. § 71 AVG biete keine Abhilfe gegen die Versäumung von Fristen, innerhalb derer ein materiellrechtlicher Anspruch bei sonstigem Verlust des Anspruchs geltend gemacht werden müsse.
5. Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, womit die Aufhebung des angefochtenen Bescheides sowie die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Zur Begründung der Beschwerde wird nach Wiederholung der bereits im Antrag vom 14.02.2020 vorgebrachten Argumentation ausgeführt, dass der „Antrag auf Gewährung von Witwerpension .. aber neben einer materiellen Frist auch eine verfahrensrechtliche Frist“ sei. Die Frist des § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG sei „zweifellos eine in den materiellrechtlichen Vorschriften festgelegte Frist, die für den Gang des Verfahrens (und nicht nur für den materiellrechtlichen Anspruch) ausschlaggebend“ sei. Gegen die Versäumung einer doppelfunktionalen Frist sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. Die im angefochtenen Bescheid zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes betreffe darüber hinaus einen anders gelagerten Sachverhalt.
Schließlich habe der Beschwerdeführer die sechsmonatige Frist nur um einen Tag versäumt, sodass sein Antrag bei der gebotenen sozialen Rechtsanwendung zu seinen Gunsten auszulegen und der Beschwerdeführer auch davor geschützt werden solle, materiell bestehende Ansprüche aus formellen Gründen zu verlieren.
6. Die Beschwerdevorlage langte am 20.05.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Beschwerdeverfahren wurde in der Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Erledigung zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 06.12.2019 bei der belangten Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Hinterbliebenenpension nach seiner am 05.06.2019 verstorbenen Ehegattin.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Oberösterreich) vom 21.01.2020 wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf Hinterbliebenenpension ab dem 06.12.2019 anerkannt und die monatliche Pensionsleistung mit EUR 940,23 festgesetzt.
1.2. Mit Schriftsatz vom 14.02.2020, bei der Pensionsversicherungsanstalt eingelangt am selben Tag, beantragte der Beschwerdeführers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der in § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG vorgesehenen Frist betreffend den Anfall der Hinterbliebenenpension von dem dem Eintritt des Versicherungsfalles folgenden Tag an. Zur Begründung bringt der Beschwerdeführer vor, in Unkenntnis der Rechtslage gehandelt zu haben sowie dass ihn das unfallbedingte Ableben seiner Ehegattin bis zum Tag der Antragstellung in einem Schockzustand und in Trauer versetzt habe.
1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.04.2020 wies die belangte Pensionsversicherungsanstalt Antrag des Beschwerdeführers zurück.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Pensionsversicherungsanstalt vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der Ausführungen des Beschwerdeführers in seinem Antrag vom 14.02.2020 sowie des Inhaltes des gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde.
2.2. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist im Rechtsmittelverfahren nicht strittig und ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akteninhalt und dem damit übereinstimmenden Vorbringen des Beschwerdeführers. In der Beschwerde wird demgemäß auch ausschließlich unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 86 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF BGBl. I Nr. 31/2020, fallen die sich aus den Leistungsansprüchen ergebenden Leistungen mit dem Entstehen des Anspruches (§ 85 ASVG) an, soweit nichts anderes bestimmt ist.
§ 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG zufolge fallen Hinterbliebenenpensionen mit dem dem Eintritt des Versicherungsfalles folgenden Tag an, wenn der Antrag binnen sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird. Wird der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt, so fällt die Pension erst mit dem Tag der Antragstellung an. Ist die anspruchsberechtigte Person bei Ablauf dieser Frist minderjährig oder in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt, so endet die Frist mit Ablauf von sechs Monaten nach dem Eintritt der Volljährigkeit oder dem Wiedererlangen der Geschäftsfähigkeit. Die Antragsfrist verlängert sich bei Waisenpensionsberechtigten um die Dauer eines Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft. Bei nachträglicher amtlicher Feststellung des Todestages beginnt die Antragsfrist erst mit dem Zeitpunkt dieser Feststellung. Wird für ein doppelt verwaistes Kind ein Antrag auf Waisenpension nach einem Elternteil gestellt, so ist dieser Antrag rechtswirksam für den Anspruch auf Waisenpension bzw. Waisenrente nach beiden Elternteilen und gilt für alle Pensionsversicherungsträger bzw. Unfallversicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz.
Gemäß § 71 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 58/2018, ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.
3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Fall einer behördlichen Zurückweisung die Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 17.12.2019, Ra 2017/04/0141; 14.11.2019, Ra 2018/22/0276, jeweils mwN).
3.3. Die belangte Pensionsversicherungsanstalt hat zutreffend erkannt, dass das Begehren des Beschwerdeführers im Verfahren in Verwaltungssachen zu erledigen ist (was gemäß § 414 Abs. 1 ASVG die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde begründet). Zu den Verwaltungssachen gehört nämlich auch die verfahrensrechtliche Behandlung von Anträgen in Leistungssachen, also etwa die Beurteilung ihrer Zulässigkeit oder von Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmeanträgen in Leistungssachen (VwGH 21.11.2001, Zl. 98/08/0419 mwN; Kneihs in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 355 ASVG Rz 3).
3.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gegen die Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist zulässig; gegen die Versäumung einer Frist lediglich materiellrechtlichen Charakters kommt eine solche Wiedereinsetzung nicht in Betracht (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0085, 26.04.2011, Zl. 2011/03/0017, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 12 und 13 jeweils mwN).
Die Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlichen (prozessualen) und materiellrechtlichen Fristen wird in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wie folgt getroffen: Soll eine Handlung prozessuale Rechtswirkungen auslösen (Verfahrenshandlung), dann stellen die dafür gesetzten Fristen verfahrensrechtliche (formelle) Fristen dar; ist eine Handlung hingegen auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet, so stellt eine allenfalls dafür vorgesehene Frist eine materiellrechtliche Frist dar (VwGH 09.12.2013, Zl. 2011/10/0179, 21.12.2004, Zl. 2003/04/0138 mwN).
Wenn bei Versäumung der Frist mithin ausschließlich eine materielle Rechtswirkung eintritt, ist die in Rede stehende Frist als materiellrechtliche Frist zu qualifizieren (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0085 zu Bestimmungen des KBGG 2001). Wenn hingegen die Versäumung von Fristen, die für die Vornahme von Handlungen gesetzt sind, (auch) prozessuale Rechtswirkungen auslösen soll bzw. die Möglichkeit zeitlich beschränkt wird, eine Handlung zu setzen, die prozessuale Rechtswirkungen auslösen soll, liegt demgegenüber keine materiellrechtliche Frist vor (vgl. zu § 17 Abs. 1 StudFG in der im Beschwerdefall geltenden Fassung VwGH 21.01.1991, Zl. 90/12/0250; zu § 24 Abs. 2 NAG in der im Beschwerdefall geltenden Fassung VwGH 28.08.2008, Zl. 2008/22/0348).
Die Wertung einer Frist als materiellrechtliche Frist muss vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden, ansonsten ist von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0085 mwN).
3.5. Die belangte Sozialversicherungsanstalt ist mit ihrer Ansicht im Recht, dass die in § 86 Abs 3 Z. 1 erster Satz ASVG vorgesehene Frist von sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles eine materiellrechtliche Frist darstellt. Dieser Bestimmung zufolge fallen Hinterbliebenenpensionen mit dem dem Eintritt des Versicherungsfalles folgenden Tag an, wenn der Antrag binnen sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird. Wird der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt, so fällt die Pension erst mit dem Tag der Antragstellung an.
Die Antragstellung ist zwar keine materielle Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs; sie ist nur in Fällen, in denen Leistungen nur auf Antrag gewährt werden, Voraussetzung der Leistungspflicht (RIS-Justiz RS0083687). Die Antragstellung kann aber selbstverständlich nicht zur Entstehung eines nicht mehr bestehenden (durch Zeitablauf erloschenen) Anspruchs auf Leistung führen, die daher auch nicht anfallen kann (RIS-Justiz RS0114693).
Wenn § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG zum Ausdruck bringt, dass im Fall einer Antragstellung nach dem Auflauf der Frist die Pensionsleistung erst mit dem Tag der Antragstellung anfällt, wird damit klar zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber für den Anfall der Pensionsleistung zwei Alternativen vorsieht und bei einer Versäumung der Frist von sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles die Leistungspflicht der Pensionsversicherungsanstalt erst mit dem Tag der Antragstellung eintritt und die Pensionsversicherungsanstalt für den davor liegenden Zeitraum von der Leistungspflicht befreit wird.
Bei Versäumung die in § 86 Abs 3 Z. 1 erster Satz ASVG vorgesehenen Frist von sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles tritt somit ausschließlich eine materielle Rechtswirkung ein, die in Rede stehende Frist ist derart als materiell-rechtliche Frist zu qualifizieren (vgl. etwa idS VwGH 9.12.2013, 2011/10/0179). Prozessuale Rechtswirkungen – etwa dergestalt, dass der Antrag als verspätet zurückzuweisen wäre (vgl. dazu nochmals VwGH 21.01.1991, Zl. 90/12/0250) – sind mit der Versäumung der Frist von sechs Monaten nicht verbunden. Vielmehr hat die Pensionsversicherungsanstalt immer – sowohl im Fall einer innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellten Antrags auf Hinterbliebenenpension als auch im Fall einer nach Verstreichen dieser Frist gestellten Antrags – ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und die gebührende Leistung mit
(Leistungs-)Bescheid (§ 354 Z. 1 ASVG) festzusetzen. Die Einhaltung bzw. Versäumung der Frist hat wie erörtert lediglich Einfluss auf den Beginn der Leistungspflicht der belangen Versicherungsanstalt, zumal die Leistungspflicht bei Versäumung der Frist von sechs Monaten erst mit dem Tag der Antragstellung eintritt. Die Versäumung bzw. Einhaltung der Frist zeitigt daher keine prozessualen Rechtswirkungen, sondern führt lediglich zu einer Verschiebung des Beginns der Leistungspflicht der Pensionsversicherungsanstalt (und damit im Ergebnis zu einem Anspruchsverlust für den zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles und dem Tag der (verspäteten) Antragstellung.
Die in § 86 Abs 3 Z. 1 erster Satz ASVG vorgesehene Frist von sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles stellt somit eine materiellrechtliche Frist dar, die nicht restituierbar ist. Dieses Auslegungsergebnis entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen (grundlegend OGH 17.02.2009, 10 ObS 12/09a). Der Oberste Gerichtshof verweist dazu auf das für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Pensionsversicherung geltende Antragsprinzip, sodass eine Leistungsgewährung nur auf Grund eines Antrages zulässig ist. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, kommt es gar nicht zum Anfall der Leistung (RIS-Justiz RS0085092). Ein Institut, welches den Versicherten vor Nachteilen bewahrt, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war, besteht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht. Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück (OGH 27.02.1990, 10 ObS 5/90; RIS-Justiz RS0085841). Dass die in § 86 Abs 3 Z. 1 erster Satz ASVG vorgesehene Frist restituierbar wäre kann der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes somit nicht entnommen werden.
3.6. Den weiteren in der Beschwerde vorgetragenen Argumenten ist entgegenzuhalten, dass zwar nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorzugehen ist und der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss. Dieser Grundsatz bewahrt den Versicherten mangels einer gesetzlichen Grundlage jedoch nicht vor versicherungsrechtlichen Nachteilen, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war. Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück (RIS-Justiz RS0085841). Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Ausnahmefälle des § 86 Abs 3 Z 1 ASVG sehr genau und detailliert umschrieb, spricht darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dafür, dass sich aus dieser Ausnahmeregelung kein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz ableiten lässt (OGH 14.09.1999, 10 ObS 208/99g; RS0112515).
Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags lässt sich entgegen den Beschwerdeausführungen auch nicht aus dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung ableiten (RIS-Justiz RS0086446).
3.7. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass es der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zufolge in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, Stichtagsregelungen vorzusehen, soweit die Regelung in sich sachlich ist. Einer Rechtfertigung für den Stichtag bedarf es nicht (VfSlg. 20.180/2017; 20.135/2017). Der Verfassungsgerichtshof hat dabei seiner Rechtsprechung zufolge nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die sachgerechteste Lösung getroffen hat. Auch wenn mit einer Regelung Härten verbunden sind, stellt diese Umstand per se keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar (vgl. VfSlg. 11.288/1987; 9.645/1983). Der Oberste Gerichtshof vertritt im Übrigen ebenfalls die Ansicht, dass § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG verfassungsrechtlich nicht bedenklich ist (RIS-Justiz RS0053931).
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann dem Gesetzgeber in Anbetracht dessen unter verfassungsgesetzlichen Gesichtspunkte nicht entgegengetreten werden, wenn Witwen- und Witwerpensionen, die binnen sechs Monaten nach Eintritt des Todes des Versicherten beantragt werden, mit dem Eintritt des Versicherungsfalles anfallen, Witwen- und Witwerpensionen, die erst nach Ablauf der erwähnten sechsmonatigen Antragsfrist beantragt werden, hingegen erst mit dem Tag der Antragstellung. Die Differenzierung ist durch das in der Pensionsversicherung geltende Antragsprinzip gerechtfertigt. Dadurch soll vermieden werden, dass die Versicherungsträger und die Versichertengemeinschaft mit hohen Pensionsnachzahlungen für Zeiträume belastet werden, für die erst nachträglich ein Leistungsantrag gestellt wurde (vgl. dazu OGH 19.12.1994, 10 Ob S278/94).
4. Der Beschwerde kommt folglich aufgrund der vorstehenden Erwägungen keine Berechtigung zu, sodass diese gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 71 Abs. 1 AVG und § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG als unbegründet abzuweisen ist.
5. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
Im vorliegenden Fall ergibt sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt eindeutig aus den Akten des Verwaltungsverfahrens und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Die Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung ist auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht ersichtlich. Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10.05.2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich 2), und vom 03.05.2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EuGH hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen unter anderem Umstände angenommen, wenn das Verfahren nur rechtliche Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies aber auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte. Zur Lösung der Rechtsfragen ist im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal im Sinne des Art. 6 EMRK nicht geboten. Der vorliegende Fall wirft aber auch sonst keine Fragen auf, die im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung erfordern. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist (VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; VfGH 18.06.2012, B 155/12).
Der festgestellte Sachverhalt ist im Beschwerdeverfahren unstrittig und ergibt sich eindeutig aus den Akten des Verwaltungsverfahrens. Strittig sind im Verfahren lediglich Rechtsfragen, weshalb von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden konnte.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gegen die Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist zulässig ist, ferner kann anhand der offengelegten Leitlinien der Rechtsprechung die in § 86 Abs. 3 Z. 1 ASVG vorgesehene Frist unzweifelhaft als materiellrechtliche Frist eingeordnet werden. Ist die Rechtlage darüber hinaus nach den in Betracht kommenden Normen – wie vorliegend – klar und eindeutig, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor; das selbst dann, wenn zu einer Frage der Auslegung der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (VwGH 27.08.2019, Ra 2018/08/0188; 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).
Schlagworte
Antragsprinzip Antragszeitpunkt Fristversäumung materielle Frist Wiedereinsetzungsantrag WitwenrenteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L521.2231114.1.00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020