TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/3 L511 2172974-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.07.2020

Norm

ASVG §59
ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L511 2172974–1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. AUER, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) vom 31.07.2017, Zahl: XXXX , zu Recht:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse vom 31.07.2017, Zahl XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor der Gebietskrankenkasse [SGKK]

1.1.    Mit Schreiben vom 21.06.2017 teilte die SGKK dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX [im Folgenden: E GmbH] nach Aufhebung des Konkursverfahrens, der Bezahlung der Quote und der Zahlung aus dem Insolvenzentgelt-Fonds ein Rückstand aus den Beiträgen April 2013 bis Oktober 2013 und Februar 2014 bis Mai 2014 in Höhe von insgesamt EUR 18.663,63 offen aufscheine, welcher im Wege der Ausfallshaftung nach § 67 Abs. 10 geltend gemacht werde. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt (Aktenzahl der vorgelegten Aktenteile [AZ] I).

Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, für den verfahrensgegenständlichen Haftungszeitraum eine Liquiditätsaufstellung bzw. Geschäftsunterlagen beizubringen, die die Überprüfung der Gleichbehandlung der Verbindlichkeiten gegenüber der Sozialversicherung mit allen anderen Verbindlichkeiten ermöglichen würden, sowie zusätzliche Beweisanbote einzubringen. Von seinem Verschulden sei aufgrund seiner Verurteilung des LG Salzburg vom 28.04.2017 gemäß §§ 156, 159 Abs. 1 und 5 Z 3 und 161 StGB auszugehen.

Zusätzlich werde auch die Haftung gemäß § 67 Abs. 3 ASVG gegen den Beschwerdeführer geltend gemacht.

1.2.    Im weiteren Ermittlungsverfahren teilte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 07.07.2017 (AZ III) mit, eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge [im Folgenden auch Beiträge] liege nicht vor. Der überwiegende Teil der Beiträge resultiere aus einer GPLA-Prüfung nach Konkurseröffnung; weshalb dem Beschwerdeführer keine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten sei.

Mit E-Mail vom 13.07.2017 (AZ IV) teilte die SGKK dem Beschwerdeführer erneut mit, dass die Haftung für die Beiträge bis zur Insolvenzeröffnung wegen seiner Verurteilung gemäß § 67 Abs. 3 und 10 ASVG geltend gemacht werde. Wegen überhöhter Privatentnahmen sei ihm der wirtschaftliche Gewinn zugekommen und die Gläubigermasse geschmälert worden. Die Haftung für die Ungleichbehandlung der SGKK beziehe sich ebenfalls auf den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung; dazu müssten die im Schreiben vom 21.06.2017 angeforderten Unterlagen übermittelt werden.

Mit Schreiben vom 18.07.2017 (AZ V) führte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Wesentlichen zusammengefasst aus, die Haftung des Gesellschafters einer GmbH für Beitragsverbindlichkeiten der GmbH könne nicht auf § 67 Abs. 3 ASVG gestützt werden. Die von der SGKK ins Treffen geführte Privatentnahme hätten die Quote lediglich um 3,8 % erhöht. Die Beibringung der geforderten Unterlagen würde erhebliche Kosten verursachen, wobei eine Ungleichbehandlung der SGKK ohnedies nicht stattgefunden habe könne, zumal nur für die letzten beiden Monate die Beiträge nicht mehr gezahlt worden seien. Unklar bleibe zudem die schadenersatzrechtliche Haftung für die Beiträge nach Konkurseröffnung.

1.3.    Mit Haftungsbescheid vom 31.07.2017, Zahl: XXXX , verpflichtete die SGKK den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG als Geschäftsführer der E GmbH, zur Zahlung eines Rückstandes von EUR 9.223,08 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 31.07.2017 bis zur Einzahlung Verzugszinsen in der Höhe von derzeit 3,38% p.a. von EUR 7.363,84 zu entrichten. Die Summe setze sich laut beigelegtem Rückstandsausweis vom 31.07.2017 aus „Beiträgen Rest“ der Monate 04/2013-05/2013 sowie Verzugszinsen und Nebengebühren zusammen (AZ VI).

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ab dem 22.05.2007 Geschäftsführer der E GmbH gewesen sei. Die im Rückstandsausweis dargestellten Beträge seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 18.07.2017 auf die Aufforderung der SGKK, Gründe zu nennen oder Unterlagen vorzulegen, reagiert, weshalb die bescheidmäßige Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG auf die Beiträge April und Mai 2013 reduziert werde. Der Beschwerdeführer sei aber seiner Verpflichtungen, die Beiträge jeweils bei Fälligkeit zu bezahlen bzw. die Gläubiger gleich zu behandeln, nicht nachgekommen.

1.4.    Mit Schreiben vom 28.08.2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den am 03.08.2017 zugestellten Bescheid fristgerecht Beschwerde [Bsw] (AZ VII, VIII).

Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, für die Beiträge 04/2013-05/2013 sei er im Strafverfahren mangels Verschulden freigesprochen worden. Es sei auch zu keiner Ungleichbehandlung der SGKK gekommen und es sei zudem aus dem Bescheid nicht ersichtlich, wodurch der Beschwerdeführer ein schuldhaftes und kausales Verhalten gesetzt haben solle.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2017 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AZ I-IX]).

2.1.    Das BVwG führte eine Abfrage beim Firmenbuch betreffend die E GmbH durch (OZ 2).

2.2.    Mit E-Mail vom 20.03.2018 teilte die SGKK dem BVwG mit, dass der bestrittene Betrag bereits bezahlt worden sei (OZ 3). Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teilte am 07.01.2020 telefonisch mit, der Betrag sei vom Mithaftenden zwar bezahlt worden, der Beschwerdeführer halte seine Beschwerdegründe jedoch aufrecht.

II.      ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer war ab 01.03.2007 40%-Gesellschafter der E GmbH und vertrat diese von 22.05.2007 bis zur Konkurseröffnung auch selbständig als Geschäftsführer. Als zweiter Geschäftsführer war XXXX bestellt, der die E GmbH bereits ab 29.08.2003 ebenfalls selbständig vertrat und seit 16.09.2003 60%-Gesellschafter war.

1.2.    Mit Beschluss des LG Salzburg vom 17.06.2013, XXXX , wurde der Konkurs über die E GmbH eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss vom 13.04.2017 wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben und die Firma am 04.08.2017 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.

1.3.    Die Summe der verfahrensgegenständlichen offenen Forderungen am Beitragskonto der E GmbH betrug laut Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom 31.07.2017 EUR 7.363,84, Verzugszinsen und Nebengebührten betrugen EUR 1.859,24 (AZ VI).

1.4.    Seit spätestens 20.03.2018 hafteten diese Beiträge, Zinsen und Gebühren nicht mehr offen aus (OZ 3).

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme, aus der sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen

im Verfahrensakt der GKK:

?        Haftungsbrief und Aufforderung zur Unterlagenvorlage der SGKK (AZ I)

?        Rückstandsausweis vom 31.07.2017 (AZ VI)

?        Bescheid der SGKK vom 31.07.2017 (AZ VI)

?        Stellungnahmen und Beschwerde des Beschwerdeführers (AZ III, V und VIII)

im hg. Gerichtsakt:

?        Firmenbuchauszug der GmbH (OZ 2)

?        Mitteilung der SGKK vom Zahlungseingang (OZ 3)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Der Zeitpunkt des Beginns der Geschäftsführertätigkeit sowie die Konkurseröffnung und -aufhebung ergeben sich aus dem österreichischen Firmenbuchauszug (OZ 2), an dessen Richtigkeit kein Anlass zu zweifeln bestand.

2.2.2.  Die Höhe des Haftungsbetrages ergibt sich aus dem Rückstandsausweis vom 31.07.2017, und wird vom Beschwerdeführer der Höhe nach auch nicht bestritten (AZ VI,VIII).

2.2.3.  Dass der vorgeschriebene Haftungsbetrag beglichen wurde, ergibt sich aus dem E-Mail der SGKK vom 20.03.2018 (OZ 3), was der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers telefonisch am 07.01.2020 bestätigte.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die GKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.

4.2.    Behebung des Bescheides

4.2.1.  Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

4.2.2.  Die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG ist eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung und eine reine Ausfallshaftung, welche das zur Vertretung berufene Organ trifft. Gehören dem Vertretungsorgan (der Geschäftsführung) mehrere Personen an und hat jede eine unterschiedliche Pflichtverletzung zu verantworten, so haften sie dem Sozialversicherungsträger solidarisch (Derntl in Sonntag, ASVG10 (2019) §67 Rz74).

Der Vertreter darf daher erst dann und nur insoweit in Anspruch genommen werden, als die Uneinbringlichkeit von Beitragsverbindlichkeiten beim Dienstgeber zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheids feststeht. Der Vertreter kann nur in Haftung genommen werden, wenn der Ausfall in irgendeinem Umfang bereits eingetreten ist (VwGH 22.12.1998, 96/08/0304). Ein bloßer Feststellungsbescheid vereitelt dabei den Zweck der Inanspruchnahme (nämlich die Haftungsverbindlichkeit in einer vollstreckbaren Art und Weise auszusprechen), weshalb der Haftungsbescheid von seinem Zweck her (im Allgemeinen) ein Leistungsbescheid zu sein hat. Bei Festlegung des Haftungsbetrags ist jedenfalls der einbringliche Teil einer Beitragsforderung in Abzug zu bringen (VwGH 12.04.1994, 93/08/0259 zur Berücksichtigung der Insolvenzquote; Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm §67 Rz129, 151, 154).

4.2.3.  Gegenständlich wurde der geltend gemachte Haftungsbetrag vom mithaftenden Gesellschafter beglichen, sodass seit zumindest 20.03.2018 keine Beiträge mehr unberichtigt aushaften. Zumal es sich wie bereits ausgeführt um eine Ausfallhaftung handelt, bei deren Festlegung die einbringlichen Teile in Abzug zu bringen sind, ist mit der Zahlung der offenen Beiträge die Grundlage für die Haftungsinanspruchnahme – die Uneinbringlichkeit der offenen Forderungen der Primärschuldnerin E GmbH – für die Zeiträume April 2013 und Mai 2013 weggefallen und eine bescheidmäßige Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Entrichtung des ursprünglich geltend gemachten Haftungsbetrages ist nicht mehr möglich.

4.2.4.  Da somit die Grundlage für die bescheidmäßige Leistungsverpflichtung des Beschwerdeführers nachträglich weggefallen ist, ist der angefochtene Bescheid spruchgemäß ersatzlos zu beheben.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision

Wie sich aus der oben unter A) Punkt II.4.2. wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, besteht zu § 67 Abs. 10 eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die vorliegende Entscheidung weicht von dieser Rechtsprechung auch nicht ab, sondern stützt sich maßgeblich auf diese Judikatur. Zur Berücksichtigung von einbringlichen Teilen bei der Festsetzung des Haftungsbetrages insbesondere VwGH 12.04.1994, 93/08/0259.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Beitragsschuld ersatzlose Behebung Geschäftsführer Haftung Zahlungsnachweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2172974.1.00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten