Entscheidungsdatum
07.07.2020Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
L511 2177908–1/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwälte HÜTTENEDER & HÜTTENEDER, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse vom 01.09.2017, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 31.10.2017, Zahl: XXXX :
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid vom 31.10.2017 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Österreichische Gesundheitskasse zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor der Gebietskrankenkasse [SGKK]
1.1. Mit Schreiben vom 20.06.2017 teilte die SGKK dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX [im Folgenden: S GmbH] nach Aufhebung des Konkursverfahrens, der Bezahlung der Quote und der Zahlung aus dem Insolvenzentgelt-Fonds ein Rückstand in Höhe von insgesamt EUR 70.026,34 offen aufscheine, wovon im Wege der Ausfallshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG der Rückstand aus den Beiträgen April 2015 bis Juni 2015 in der Höhe von EUR 28.933,30 zuzüglich der Verzugszinsen geltend gemacht werde. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt (Aktenzahl der vorgelegten Aktenteile [AZ] I).
Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, den Rückstand bis spätestens 07.07.2017 zu begleichen oder innerhalb dieser Frist Gründe darzulegen, welche ihn ohne sein Verschulden an der Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge gehindert haben, sowie Unterlagen für den Haftungszeitraum April bis Juni 2015 beizubringen, welche die Prüfung der Gleichbehandlung der Sozialversicherung mit allen anderen Verbindlichkeiten ermöglichten.
1.2. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens teilte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13.07.2017 (AZ III-IV) mit, für den genannten Zeitraum sei XXXX [C] faktischer Geschäftsführer der S GmbH gewesen sei. Der Beschwerdeführer selbst verfüge über keinerlei Geschäftsunterlagen und könne in Ermangelung einer tatsächlichen Geschäftsführung dem Auskunftsersuchen der SGKK nicht nachkommen.
Nach erneuter Aufforderung durch die SGKK zur Beibringung von Unterlagen auf (AZ V-VII) vom 21.07.2017 übermittelte die steuerliche Vertretung der S GmbH die Saldenliste Jänner – August 2015 zum Stichtag der Insolvenzeröffnung und kündigte die Übermittelung des Anmeldeverzeichnisses der Gläubiger an. Das Beitragskonto der GmbH weise einen Rückstand in Höhe von EUR 49.297,93 aus; es fehle die Gutschrift für den 70%igen Sanierungsnachlass in Höhe von EUR 52.889,28. Nach Bereinigung wäre per 06.08.2017 ein Guthaben in Höhe von EUR 3.591,35 vorhanden und die Exekutionsmaßnahmen der SGKK müssten eingestellt werden.
Mit E-Mail vom 25.08.2017 urgierte die SGKK die Beibringung weiterer Unterlagen, da die vorgelegten Unterlagen keine Prüfung der Gläubigergleichbehandlung bzw. keine Berechnung einer allfälligen Zahlungsquote ermöglichen würden (AZ VIII).
1.3. Mit Haftungsbescheid vom 01.09.2017, Zahl: XXXX , verpflichtete die SGKK den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG als ehemaligen Geschäftsführer der S GmbH, zur Zahlung eines Rückstandes von EUR 32.230,36 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 01.09.2017 bis zur Einzahlung Verzugszinsen in der Höhe von derzeit 3,38% p.a. von EUR 28.758,03 zu entrichten. Die Summe setze sich laut beigelegtem Rückstandsausweis vom 01.09.2017 aus „Beiträgen Rest“ der Monate 04-06/2015 sowie Verzugszinsen zusammen (AZ IX).
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ab 25.11.2014 Geschäftsführer der S GmbH gewesen. Die im Rückstandsausweis dargestellten Beträge seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Der Beschwerdeführer habe trotz Aufforderung vom 20.06.2017, 21.07.2017 und 25.08.2017 keine Gründe vorgebracht, welche ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden Verpflichtungen (Erfüllung der Meldepflicht und Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge) zu erfüllen und auch keine Gründe oder Beweisanbote für die Gleichbehandlung der Sozialversicherung beigebracht, weshalb von seinem Verschulden auszugehen und die persönliche Haftung auszusprechen gewesen sei.
1.4. In Beantwortung eines E-Mails vom 18.09.2017, in dem die Höhe der geltend gemachten Beitragsrückstände moniert worden war (AZ XII.), teilte die SGKK dem Beschwerdeführer am 27.09.2017 mit, dass sich zwar die S GmbH aufgrund des Sanierungsverfahrens bis inklusive Juli 2015 entschuldet habe; das Haftungsverfahren betreffe jedoch den Beschwerdeführer als Geschäftsführer der GmbH und nicht die S GmbH.
1.5. Mit Schreiben vom 03.10.2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den am 05.09.2017 zugestellten Bescheid fristgerecht Beschwerde [Bsw] (AZ XIV).
Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, ihm sei keine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten, da er keinen Einfluss auf die Geschäftsführung hatte. Er habe dem faktischen Geschäftsführer nur die gewerberechtliche Konzession durch Eintragung im Firmenbuch ermöglicht. Geschäftsführer sei AC gewesen, der auch strafrechtlich als faktischer Geschäftsführer verurteilt worden sei, und die SGKK müsse entsprechend des § 539a Abs. 1 ASVG den Rückstand gegen AC geltend machen. Auch sei die Haftung des Beschwerdeführers von Jänner 2014 bis zur Annahmeerklärung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer am 25.11.2014 per se ausgeschlossen.
1.6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 31.10.2017, Zahl: XXXX , änderte die SGKK gemäß § 14 VwGVG den Bescheid vom 01.09.2017 dahingehend ab, dass der Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG als Geschäftsführer der S GmbH zur Zahlung eines Rückstandes aus den Beiträgen April 2015 bis Juni 2015 in Höhe von EUR 31.705,88 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution verpflichtet sei. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 31.10.2017 bis zur Einzahlung Verzugszinsen in der Höhe von derzeit 3,38 % p.a. von EUR 28.758,03 zu entrichten (AZ XV).
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die Änderung nur die Höhe der Verzugszinsen betreffe. Die Haftung des Beschwerdeführers bestehe zu Recht, da dieser ab dem 28.11.2014 Geschäftsführer der S GmbH gewesen sei.
1.7. Mit Vorlageantrag vom 07.11.2017 beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AZ XVII).
Begründend verwies der Beschwerdeführer abermals unter Verweis auf § 539a ASVG darauf, dass AC tatsächlicher Geschäftsführer und damit zur gesetzlichen Vertretung der S GmbH berufenes Organ gewesen sei.
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 23.11.2017 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AZ I-XVII]).
2.1. Das BVwG führte eine Abfrage beim Firmenbuch betreffend die S GmbH durch (OZ 4) und forderte die Verfahrensparteien zur Vorlage von weiteren Unterlagen auf (OZ 5-9).
Die ÖGK legte eine Herleitung der offenen Haftbeträge vor, der Beschwerdeführer die Kontoinformationen der S GmbH für den Zeitraum Jänner 2015 bis Juni 2020.
II. ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer vertrat die S GmbH von 25.11.2014 bis 16.09.2019 selbständig als Geschäftsführer. Mit Beschluss des LG Salzburg vom 27.07.2015, XXXX , wurde der Konkurs über die S GmbH eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss vom 09.02.2016 wurde der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben. Die Fortsetzung der Gesellschaft wurde am 20.05.2016 im Firmenbuch eingetragen.
1.2. Laut Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom 31.10.2017 setzen sich die offenen Forderungen am Beitragskonto der S GmbH wie folgt zusammen:
Beiträge Rest 04/2015
EUR 3.832,82
Beiträge Rest 05/2015
EUR 9.040,11
Beiträge Rest 06/2015
EUR 15.885,10
Summe der Beiträge
EUR 28.758,03
Verzugszinsen (§59 Abs. 1 ASVG) bis 31.05.2011
EUR 2.947,85
Summe
EUR 31.705,88
Laut Aufgliederung der ÖGK (OZ 7) ergeben sich diese offenen Beiträge wie folgt:
Monat
Beiträge
Zahlung
Sanierungsplan-
quote
IEF-Zahlung
Restforderung
05.06.2015
21.01.2016
12.05.2017
31.10.2017
April 2015
11.394,86
4.937,94
2.336,25
287,85
3.832,82
Mai 2015
13.282,75
1.622,10
0,00
2.620,54
9.040,11
Juni 2015
21.885,29
0,00
0,00
6.000,19
15.885,10
1.3. Im Sanierungsplan war eine Sanierungsplanquote von 30 % vereinbart, welche seitens der S GmbH auch geleistet wurde (OZ 10). Zwischen der letzten Fälligkeit (am 30.06.2015) und dem Rückstandsausweis vom 31.10.2017 gingen Sanierungsquotenzahlungen idH von EUR 22.242,24 ein, und zwar am 21.01.2016, 13.04.2016 und 28.04.2017 jeweils eine 10% Quote idH von EUR 7.414,08 (OZ 9).
1.4. Eine Ausbuchung der aus dem Sanierungsverfahren offenen 70 % erfolgte nicht. Am 01.10.2019 betrug der offene Saldo der S GmbH EUR 367,23 (OZ 9).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme, aus der sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen
im Verfahrensakt der GKK:
? Haftungsbrief und Aufforderungen zur Unterlagenvorlage der SGKK (AZ I, V, VIII)
? Rückstandsausweis vom 31.10.2017 (AZ XV)
? Bescheid und Beschwerdevorentscheidung der SGKK (AZ IX und XV)
? Stellungnahme, Beschwerde und Vorlageantrag des Beschwerdeführers (AZ IV, XIV und XVII)
? Saldenliste zum Stichtag Insolvenzeröffnung (AZ VII)
im hg. Gerichtsakt:
? Firmenbuchauszug der GmbH (OZ 4)
? Berechnungsgrundlagen der ÖGK (OZ 7)
? Kontoauszüge der Beitragsschulden der S GmbH von 2015 bis 2019 (OZ 9)
? Sanierungsplanbeschluss (OZ 10)
2.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unmittelbar ohne weitere Interpretation aus den jeweils zitierten Aktenteilen, wobei weder der Beschwerdeführer noch die ÖGK diesen entgegengetreten sind.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
3.1. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).
3.2. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides kann eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die GKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
4.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.
4.2. Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG
4.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127; 29.04.2015, Ra 2015/20/0038; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 RS29).
4.2.2. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG ist eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung. Danach haftet der Vertreter für bei der Primärschuldnerin uneinbringlich gewordene (nicht schon für bloß rückständige) Beiträge insoweit, als ein Kausalzusammenhang zwischen der Uneinbringlichkeit und einer schuldhaften (leichte Fahrlässigkeit genügt) und rechtswidrigen Verletzung der den Vertretern auferlegten sozialversicherungsrechtlichen Pflichten besteht (VwGH 07.10.2015, Ra2015/08/0040 mwN). Voraussetzung für die Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist zunächst die objektive, gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge bei der Primärschuldnerin. Zur Beurteilung der Uneinbringlichkeit bedarf es nicht notwendigerweise der vollständigen Abwicklung (bis zur Aufhebung) des Konkurses, Uneinbringlichkeit ist vielmehr bereits anzunehmen, sobald im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Beitragsforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht oder zumindest nur zum Teil wird befriedigt werden können (VwGH 20.06.2018, Ra2018/08/0039 mwN).
4.2.3. Über die Primärschuldnerin S GmbH wurde am 27.07.2015 der Konkurs eröffnet und mit Beschluss des LG Salzburg vom 09.02.2016 der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und das Konkursverfahren aufgehoben, womit die S GmbH gemäß § 156 IO von der Verbindlichkeit befreit wurde, ihren Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen. Es liegt somit im Ausmaß des Forderungsanteils, für den Restschuldbefreiung eintritt, Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin vor (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra2015/08/0038).
4.2.4. Fallbezogen ergibt sich der Haftungsbetrag nicht schlüssig aus dem vorliegenden Verfahrensakt.
4.2.4.1. Zunächst kann seitens des BVwG nicht nachvollzogen werden, weshalb die bezahlte Sanierungsplanquote nicht den jeweiligen Beiträgen gutgebucht wurde. Die Quote betrug 30%, wurde jedoch nur dem April gutgeschrieben, für Mai und Juni fand hingegen keine Anrechnungen statt. Wären die Beträge der Quote entsprechend reduziert worden, käme man unter Anrechnung der IEF-Zahlungen – deren Aufteilung ebenfalls nicht schlüssig nachvollziehbar ist, weil etwa die Zahlung für April nur 3% des Beitrages ausmacht – auf einen offenen Betrag von EUR 19.093,42.
4.2.4.2. Ergänzend kommt hinzu, dass die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG eine reine Ausfallshaftung ist, bei deren Festlegung die einbringlichen Teile in Abzug zu bringen sind. Mit der Zahlung von offenen Beiträgen fällt daher die Grundlage für die Haftungsinanspruchnahme, die Uneinbringlichkeit der offenen Forderungen der Primärschuldnerin S GmbH, weg und eine bescheidmäßige Verpflichtung des haftenden Vertreters zur Entrichtung des ursprünglich geltend gemachten Haftungsbetrages ist nicht mehr möglich (vgl. dazu Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm §67 Rz129, 151, 154; Derntl in Sonntag, ASVG10 (2019) §67 Rz74).
Am 01.10.2019 betrug der gesamte offene Saldo nur mehr EUR 367,23. In Zusammenhang mit dem Umstand, dass eine Ausbuchung der aus dem Sanierungsverfahren offenen 70 % laut vorliegenden Kontoinformationen nicht erfolgte, ist nicht schlüssig nachvollziehbar ob zum Entscheidungszeitpunkt die Uneinbringlichkeit der Forderung noch gegeben ist.
4.2.5. Es handelt sich gegenständlich somit nicht um vorhandene Ermittlungsergebnisse, welche einer allfälligen Ergänzung durch das BVwG bedürften (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra2018/01/0368), sondern es wäre verfahrensgegenständlich das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren der belangten Behörde auf das BVwG übertragen, da bereits für die, für ein Haftungsverfahren unabdingliche Grundvoraussetzung der Uneinbringlichkeit von Beiträgen der Primärschuldnerin, keine ausreichenden Ermittlungsergebnisse vorliegen.
4.2.6. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 06.07.2016, Ra2015/01/0123 mwN).
Dies ist wie ausgeführt gegenständlich der Fall.
Die Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde und die Zurückverweisung der Angelegenheit an dieselbe steht daher im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127), weshalb gegenständlich das dem BVwG gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an die ÖGK zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen ist.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG und bewegt sich im vom VwGH eng gesetzten Rahmen der Zulässigkeit einer Zurückverweisung. Etwa jüngst zur Zulässigkeit einer zurückverweisenden Entscheidung bei Fehlen jeglicher Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde VwGH 30.03.2017, Ra 2014/08/0050; 09.03.2016, Ra 2015/08/0025 und VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127 sowie grundlegend VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063.
Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Geschäftsführer Haftung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung UneinbringlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2177908.1.00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020