TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/13 W159 2197129-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2020
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Entscheidungsdatum

13.07.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2197129-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 20.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.06.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischen moslemischen Glaubens und traditionell verheiratet, gelangte mit seiner Ehefrau und seinen drei mj. Kindern (spätestens) am 17.10.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag erfolgte die sicherheitsbehördliche Erstbefragung durch das Bezirkspolizeikommando XXXX .

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, er habe mit seinen Eltern Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen. Als afghanischer Staatsangehöriger hätten sie im Iran keinerlei Rechte gehabt, weswegen er den Iran verlassen habe.

Am 13.03.2018 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde.

Der Beschwerdeführer brachte diverse Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben, Arbeitsnachweise sowie Dokumente die Kinder betreffend in Vorlage. Der Beschwerdeführer gab an, er vertrete die Kinder im Asylverfahren.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, in XXXX geboren worden, der Volksgruppe der Tadschiken angehörig, volljährig, traditionell verheiratet und muslimischen Glaubens. Zuletzt habe er im Iran mit seiner Frau, den Kindern und seinen Geschwistern gelebt. Befragt nach dem Geburtsdatum der Kinder, wurde der Geburtstag der Tochter korrigiert.

Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer er habe nie die Schule besuchen können, sei Analphabet und habe seinen Lebensunterhalt mit landwirtschaftlicher Tätigkeit und als Bauarbeiter verdient.

Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er könne nicht in Afghanistan leben, weil dort Krieg herrsche. Er habe als 17-jähriger seine damals 13-jährige Frau heiraten müssen, weil die Familien es sich ausgemacht hätten. Beide seien nicht gefragt worden. Dies wolle er seiner Tochter nicht antun. Sein Bruder bestehe jedoch darauf seinen Sohn mit der Tochter des Beschwerdeführers zu verheiraten. Er hätte deswegen Streit mit seiner Familie gehabt. Er sei in eine andere Stadt gezogen, weg von seiner Famile, habe etwa neun Jahre gespart und sei mit seiner Frau und seinen drei mj. Kindern geflüchtet.

Der Beschwerdeführer gab auch an, dass er in Afghanistan wegen der Präsenz der Taliban nicht leben hätte können. Der Beschwerdeführer habe als 16-jähriger sich etwa acht Monate in Afghanistan aufgehalten. Er habe in seinem Heimatort gelebt, welcher mehrheitlich von Pashtunen bevölkert sei. Die Taliban seien immer wieder in das Wohnhaus gekommen und hätten sich mitgenommen was sie begehrt hätten oder sie hätten die Familie geschlagen.

Im Iran habe er sich mangels gültiger Dokumente nicht aufhalten können.

Seine Frau und seine Kinder hätten die gleichen Fluchtgründe.

Befragt zu seinem Leben in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er habe die Deutschprüfung A1 abgeschlossen und werde die Deutschprüfung A2 demnächst ablegen. Er habe in Österreich keine Schulbildung bzw. eine Ausbildung genossen. Er sei ehrenamtlich bei der Gemeinde XXXX und in XXXX tätig.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 11.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § Abs. 8 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asyl wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Es bestehe eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise.

Die belangte Behörde führte an, sie habe keine Verfolgung im Heimatland Afghanistan feststellen können. Der Beschwerdeführer habe zu keiner Zeit personenbezogene, asylrelevante Verfolgung seiner Person in Afghanistan vorgebracht.

In der Beschwerde, welche fristgerecht am 24.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurden die Bescheide des Beschwerdeführers, seiner Frau und der Kinder im vollen Umfang angefochten. Die belangte Behörde habe das Fluchtvorbringen zwar geglaubt, nur sie sie der Meinung, dass die Fluchtgründe sich nicht im Sinne der GFK als relevant erweisen würden. Die belangte Behörde habe es auch unterlassen, sich im Sinne der jüngsten Rechtsprechung mit den Bildungschancen der mj. Beschwerdeführer auseinanderzusetzen. Die Beschwerdeführer sein im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Reicht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Insbesondere wurde auch auf die westliche Gesinnung von Frauen in Afghanistan hingewiesen.

Mit Schreiben von 18.09.2018, wurden diverse Kursbestätigungen und Empfehlungsschreiben vorgelegt. An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.06.2020 nahmen der Beschwerdeführer, seine Ehefrau und die mj. Tochter, beide als Beschwerdeführerinnen, die Rechtsvertretung der Familie und eine Dolmetscherin teil. Ein Vertreter der belangten Behörde ist entschuldigt nicht erschienen.

Der Beschwerdeführer hielt die Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Er korrigierte die Angabe, dass er mit seiner Familie in Afghanistan in XXXX gelebt hätte und gab an XXXX gehöre zum Iran.

Er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitischer Moslem. In Österreich übe er seine Religion praktisch nicht aus. Er erklärte: „Sehr viele Vorschriften, die an uns übertragen worden sind, akzeptiere ich nicht und erkenne ich nicht an.“

Er sei in Afghanistan in der Provinz XXXX , im Dorf XXXX geboren worden. Er habe sich hauptsächlich im Iran aufgehalten. Er sei im Alter von etwa zwei Jahren mit seinen Eltern in den Iran gezogen. Im Alter von etwa 14 Jahren sei er mit der Familie nach Afghanistan zurückgekehrt, um dort zu leben. Es hätte Krieg geherrscht und die Familie sei nach etwa acht Monaten in den Iran zurückgekehrt. Die Familie hätte sich illegal im Iran aufgehalten. Seine acht Geschwister würden sich alle im Iran aufhalten.

Nachgefragt gab er an, er habe keine persönlichen Probleme mit afghanischen Behördenorganen wie Polizei, Militär oder Geheimdienst gehabt. Er habe auch keine persönlichen Probleme mit bewaffneten afghanischen Gruppierungen wie den Taliban oder dem IS gehabt. Er hätte jedoch mit seiner im Iran lebenden Familie gehabt.

Der Beschwerdeführer erzählte, dass seine Heirat mit seiner Frau arrangiert gewesen sei. Weder seine Frau noch er seien gefragt worden. So ein Vorgehen wolle er für seine Tochter vermeiden. Sein Bruder sei jedoch sehr traditionell mit den afghanischen Sitten verhaftet und hätte einen Anspruch auf die Tochter des Beschwerdeführers geltend gemacht.

Der Beschwerdeführer gab vor dem Gericht an, er habe keine wirtschaftlichen Probleme im Iran gehabt. Er habe seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter und Schweißer verdient. Er habe ob der afghanischen Gebräuche und Sitten, welche seine Frau und er nicht einhalten wollten, Probleme mit seinen Brüdern und Schwestern gehabt. Um weitere Auseinandersetzungen mit seiner Familie zu umgehen, habe er geleugnet, dass er aus dem Iran fliehen wolle. Er habe heimlich Geld gespart um 2015 endlich ausreisen zu können.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, in Afghanistan würde nur ein alter Onkel mütterlicherseits mehr leben. Im Iran sei er nur mit seinem jüngeren Bruder und einer Schwester in Kontakt. Seine Familie könne ihn nicht bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan unterstützen.

In Österreich besuche er Kurse und die meiste Zeit würde er mit den Kindern verbringen. Er bringe seine Kinder zur Schule und gehe mit Sohn zum Fußballtraining. Manchmal sei er in einem Garten mit Dienstleistungscheck tätig. Er sei bemüht die A2 Deutschprüfung abzulegen.

Der Beschwerdeführer plane in Österreich den Führerschein für Schwermaschinen zu machen. Dafür möchte er auf Baustellen arbeiten um sich das nötige Geld zusammensparen zu können. Er besitze den Staplerschein schon. Er sei in keinen Vereinen oder Institutionen tätig. „ ... Ich habe keine Zeit dafür. Meine Kinder kommen jetzt vor. Meine Frau besucht einen Kurs für drei bis vier Stunden am Tag, ich muss aufs kleine Kind aufpassen.“

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er habe österreichische Freunde gefunden. Er freue sich über die Veränderungen im Leben seiner Frau und seiner Tochter. Seine Frau und seine Tochter würden hier wie Österreicherinnen leben. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre seine eigene Familie ihr schlimmster Feind. Sie würden den Beschwerdeführer und seine Familie als Abtrünnige bezeichnen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischer Moslem und traditionell verheiratet. Er ist mit seiner Ehefrau und drei Kindern (alle minderjährig) am 17.10.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Er hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Bundesgebiet hält er sich mit Ehefrau und seinen vier Kindern auf. Diese sind ebenso Staatsangehörige von Afghanistan. Das vierte Kind wurde in Österreich geboren.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan bereits als Kind mit seinen Eltern wegen der allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen. Als er etwa 14-Jähriger ist er nach einem acht-monatigen Aufenthalt in Afghanistan wieder in den Iran zurückgekehrt. Dort wurde er von seinem Bruder bedroht. Eine persönliche Verfolgungsgefahr und einen in der GFK genannten Grund in Afghanistan hat der BF nicht dargetan.

Glaubhaft ist, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine westlich orientierte Frau ist, die seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben lebt und von ihrem Mann unterstützt wird. Sie und der Beschwerdeführer, ihr Ehemann, sowie ihre Kinder sind dabei sich in Österreich zu integrieren.

Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Beweis wurde erhoben:

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau

- durch Beamte des Bezirkspolizeikommando XXXX am 17.10.2015 sowie

- durch das BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz am 13.03.2018,

- durch Befragung des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und seiner Tochter im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.06.2020
sowie durch Vorhalt des aktuellen Länderberichtes der Staatendokumentation zu Afghanistan durch das Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in das Strafregister,

- durch Einsichtnahme in diverse Dokumente und Kursbestäigungen.

2. Beweiswürdigung:

Der Beschwerdeführer hat als Ausreisegrund einerseits die allgemeine schlechte Sicherheitssituation, insbesondere in seinem Heimatort in Afghanistan und andererseits private Probleme, insbesondere mit seinen Geschwistern in Iran, wo er mit seiner Familie gelebt hat, angeführt.

Um sich mit seiner Frau nicht den religiösen und afghanischen Sitten, welchen sein ältester Bruder sehr zugetan war, beugen zu müssen, ist der Beschwerdeführer mit seiner Frau und den mj. Kindern aus dem Iran in das Bundesgebiet geflüchtet.

Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.

Aufgrund dessen war es auch nicht erforderlich, eigene Länderfeststellungen zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“ (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Der Beschwerdeführer hat lediglich eine Verfolgung durch Privatpersonen, nämlich seinem Bruder, im Iran angegeben.

Die Fluchtgründe müssen sich nämlich auf eine Bedrohung im Herkunftsstaat beziehen und nicht auf einen anderen Staat, um asylrelevant zu sein. Wenn keine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat behauptet wurde, ist die Abweisung des Asylantrages nicht als rechtswidrig zu erkennen (VwGH vom 02.06.2006, Zl. 2004/20/0240).

Der Beschwerdeführer hat somit keine individuelle asylrelevante und aktuelle Verfolgungsgefahr in Afghanistan dargetan.

Dem Beschwerdevorbringen ist weiters zu entgegnen, dass ein Mangel an asylrelevanten Fluchtgründen auch nicht durch Länderberichte (und Judikaturzitate) ersetzt werden kann, (vgl. auch BVwG vom 28.10.2016, W159 2110938-1/17E).

Aus der allgemeinen Sicherheitssituation (allein) in Afghanistan lässt sich nicht einmal die Gewährung von subsidiärem Schutz begründen (VwGH vom 23.02.2016 Ra2015/01/0134-7), umso weniger die Gewährung von Asyl (siehe auch BVwG vom 28.04.2016, W159 2101994-1/1E).

§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

„Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.“

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.

Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.

Mit seiner Ehefrau führt der Beschwerdeführer ein Familienleben (wovon auch schon die belangte Behörde ausgegangen sit). Er und seine Ehefrau sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.

Im Fall des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil dem Antrag seiner Ehefrau stattgegeben wurde. Das Ermittlungsverfahren betreffend die Ehefrau des Beschwerdeführers ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine „westliche Lebensweise“ angenommen hat. Sie konnte zum Entscheidungszeitpunkt eine entsprechende innere Wertehaltung glaubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vermitteln. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Ehefrau des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.

Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau leben mit ihren Kindern zusammen. Es besteht ein enger Familienzusammenhalt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Ehefrau und seiner Familie in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.

Dem Beschwerdeführer war daher Asyl zu gewähren.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 17.10.2015 – und somit vor dem 15.11.2015 – gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche Verhandlung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2197129.1.00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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